Zum Tode von Vera Tschechowa: Die Berlinerin, die nicht nur von Elvis Presley verehrt wurde

Zum Tode von Vera Tschechowa: Die Berlinerin, die nicht nur von Elvis Presley verehrt wurde

Die Urgroßnichte des Dramatikers Anton Tschechow war Jahrzehnte als Schauspielerin erfolgreich, zuletzt arbeitete sie hinter der Kamera. Nun ist Vera Tschechowa in Berlin gestorben. Ein Nachruf.

Vera Tschechowa (1940-2024)
Vera Tschechowa (1940-2024)Nestor Bachmann/dpa

Wer über „Papas Kino“ der 50er- und frühen 60er-Jahre vorschnelle Urteile fällt, denkt kaum an die jungen Talente vor der Kamera. Während es den männlichen Jungstars wie Horst Buchholz, Hardy Krüger, Götz George oder Mario Adorf leicht fiel, sich gleichsam für bessere Zeiten warm zu spielen, mussten viele ebenso begabte Schauspielerinnen später um Anerkennung kämpfen. Die Kultiviertheit und natürliche Weltläufigkeit, die Vera Tschechowa bereits in ihre frühen Rollen einbrachte, schien oft mehr als das Adenauer-Kino verdiente.

Vielleicht braucht es den Abstand der Zeit, um diesen Mehrwert wirklich zu bemerken, den sie sogar in einem obskuren Film wie „Freddy unter fremden Sternen“ (1957) einbrachte. Sie selbst zeigte sich jedenfalls völlig überrascht, geradezu ungläubig, als ich ihr vor zwei Jahren erzählte, welch positive Reaktion ich damit bei Filmstudierenden erweckte. Sie spielt eine souveräne Frauenfigur wie in einem amerikanischen Spätwestern: Als selbstbewusste Tochter eines verschuldeten Farmers beeindruckt sie den von Freddy Quinn gespielten Weltenbummler. Wer würde von einem der erfolgreichsten deutschen Filme der Wirtschaftswunderjahre so viel Aussteigergeist erwarten?

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Als Tochter einer legendären Künstlerfamilie war die damals 19-jährige Vera Tschechowa längst selbst eine Berühmtheit. Schon 1957 hatte man sie als Tochter von Heinz Erhardt in der Komödie „Witwer mit fünf Töchtern“ und als aufmüpfigen Teenager in Georg Tresslers Jugenddrama „Unter 18“ gesehen. Ihr Urgroßonkel war der Dichter Anton Tschechow, ihre Großmutter Olga Tschechowa eine berühmte Ufa-Schauspielerin und frühe Filmregisseurin. Veras Vater arbeitete als Arzt, während auch ihre Mutter Ada Tschechowa zunächst als Schauspielerin, dann als einflussreiche Künstleragentin reüssierte. Vera Tschechowa zog nach dem Abitur nach München, um zunächst an der Kunstakademie Bühnenbild zu studieren, nahm dann aber lieber Schauspielunterricht.

Legendär ist die Geschichte, die sich eines Abends in dem kleinen Kellertheater zutrug, an dem Tschechowa spielte. Wie um sich ein für allemal allen lästigen Anfragen darüber zu entledigen, gab sie in ihrer 2022 erschienen Autobiographie „Vorwiegend heiter“ darüber Auskunft: „Als ich dort am Abend eintraf, kam mir eine Kollegin entgegen und rief ganz aufgeregt: ‚Das Theater ist komplett ausverkauft, aber es sind nur drei Leute da!‘ Die drei – das waren Elvis Presley und seine beiden Bodyguards. Vor diesen drei Zuschauern, die sich, wie es sich im Theater ja wohl gehört, in ihre Sitze geflegelt hatten, die Beine natürlich über die Vordersitze gelegt, spielten wir dann das Stück. Es hieß ‚Der Verführer‘.“

Februar 1978 in Berlin: Die Schauspielerin und TV-Produzentin Vera Tschechowa erhält eine Goldene Kamera für den Fernsehfilm „Die Zeit der Empfindsamkeit“.
Februar 1978 in Berlin: Die Schauspielerin und TV-Produzentin Vera Tschechowa erhält eine Goldene Kamera für den Fernsehfilm „Die Zeit der Empfindsamkeit“.Chris Hoffmann/dpa

Beeindruckt zeigte sich die junge Schauspielerin, die sich nichts aus Rock’n’Roll machte, aber ihr Leben lang ein großer Jazzfan bleiben sollte, von den Manieren ihres berühmten Fans. Erst recht wurde Höflichkeit im Hause Tschechowa großgeschrieben, wo ihre Mutter dem King, als er am nächsten Morgen abermals vorstellig wurde, ein echt-amerikanisches Frühstück servierte. Intimer machte auch ein anschließendes Fotoshooting die Bekanntschaft nicht, man sah sich nie im Leben wieder.

Im deutschen Kino stieg ihr Stern rasant. 1962 verkörperte sie in einem der anspruchsvollsten Filme jener Zeit, der Heinrich-Böll-Verfilmung „Das Brot der frühen Jahre“ eine melancholische Unternehmertochter. Der Deutsche Filmpreis als Beste Hauptdarstellerin, den sie dafür erhielt, hinderte sie nicht daran, mit ironischer Freude die verführerische „Feder-Lady“ im Edgar-Wallace-Krimi „Die Gruft mit dem Rätselschloss“ zu verkörpern. Mitte der 60er-Jahre, als das Nachkriegskino künstlerisch vollends ausblutete, der Neue Deutsche Film aber noch in den Startlöchern steckte, fand Tschechowa anspruchsvolle Rollen beim Fernsehen, so nach einem Wolfgang-Menge Drehbuch im Krimi „Verhör am Vormittag“. Eine Goldene Kamera erhielt sie 1977 für ihre Rolle als Schwangere in „Die Zeit der Empfindsamkeit“. Im Kino spielte sie kurz darauf in Alfred Weidenmanns aufwändiger Storm-Verfilmung „Der Schimmelreiter“ – zu dieser Zeit mangelte es in Deutschland an dieser Art anspruchsvollem Mainstreamkino.

„Ich habe nie etwas gedreht, das ich nicht wollte“, sagte mir Vera Tschechowa einmal fast entrüstet. Ihr hoher Qualitätsanspruch speiste sich aus immenser kultureller Bildung, die auch in ihrer glänzend geschriebenen Autobiographie spürbar ist. Stets zu nobel, sich unter die Selbstdarstellerinnen und Selbstdarsteller einzureihen, beschränkt sie sich darin auf 145 klug formulierte Seiten.

Seit 1967 mit dem Schauspieler Vadim Glowna verheiratet, spielte sie in mehreren seiner Regiearbeiten, darunter 1981 in „Desperado City“, in Cannes mit einer Camera d’Or geehrt.

Bis in die frühen 1990er-Jahre blieb Tschechowa vor allem im Fernsehen präsent. Als sie die Rollenangebote nicht mehr befriedigten, fiel es ihr leicht, nicht weiter danach zu suchen. Sie begann eine zweite Karriere als Regisseurin und Autorin anspruchsvoller Porträtfilme über Politiker und Künstler, darunter Hans-Dietrich Genscher, Ang Lee oder Michael Ballhaus. In diesen Filmen spürte sie dem Menschlichen in der Zeitgeschichte nach. Bei persönlichen Begegnungen imponierte ihre positive Energie, der ungebrochene Charme einer lebenslangen Jugendlichkeit und die immense Anteilnahme an allem, was mit Kultur zu tun hatte. Mit ihrem Ehemann Peter Paschek teilte sie diese Begeisterung. Mit 83 Jahren ist Vera Tschechowa nun in ihrer Heimatstadt Berlin nach kurzer schwerer Krankheit gestorben.