Michael L�sch: Versierter Goethekenner und DJ dazu - Siebenbuerger.de
11. Juni 2001

Michael L�sch: Versierter Goethekenner und DJ dazu

Dass der historische Doktor Faust mit seinen Zauberpossen auch im siebenb�rgischen Hermannstadt f�r Volksaufl�ufe und aufgeregte Pfarrherren gesorgt hat, geh�rt ins Reich der Sage. Doch darum ging es auch nicht, als k�rzlich Michael L�sch im Rahmen der M�nchner Volkshochschule eine Einf�hrung in Goethes Faust gab. Ein Seminar am Sonntagnachmittag, zu dem sich – trotz strahlenden Sonnenscheins – ein H�uflein Wissbegieriger eingefunden hatte, rundete die Einf�hrung ab. Mitveranstalter war der Piper Verlag, in dessen Reihe 'Meisterwerke kurz und b�ndig' ein Faust-B�chlein von L�sch erschienen ist.
Zun�chst sah es so aus, als ob der Autor nur den „Plot“ (L�sch) von Goethes „Faust“ skizzieren wollte – allein das schon wegen der Vielschichtigkeit des St�ckes ein k�hnes Unterfangen. Dass dann seine Einf�hrung zu einem kurzweilig-informativen, auch sprachlich fulminanten Spaziergang wurde, ist letztlich seinem souver�nen Wissen zuzuschreiben. Dazu hatte L�sch den ohnehin flotten, mitunter fast schon journalistisch-flapsigen Text des Piper-Buches mit weiteren launigen Betrachtungen angereichert, nat�rlich frei von jeder oberlehrerhaften Bildungshuberei.
„Dein Vortrag war echt geil“, fanden denn auch prompt einige junge Leute aus der DJ-Szene, die ihren „Mischi“ im Gasteig zum ersten Mal in der Rolle des Hochkulturvermittlers erlebt hatten. Ex-Lehrer L�sch kennt seine Pappenheimer: „...was unsere Schulen mit Goethe tun, ist, ihn genauso zu lehren, wie man Chemie und Mathematik lehrt“.
Michael L�schs Besch�ftigung mit dem Dichter des „Faust“ geht in seine Gymnasialzeit zur�ck. Goethes Freidenkertum und sein unb�rgerlicher Lebenswandel veranlassten den jungen Gymnasiasten fr�h, den Ausbruch aus dem „Hermannst�dter Provinzmief“ zu proben. Nach seiner Auswanderung 1973 wandte sich der Zwanzigj�hrige dem Studium der Germanistik, Anglistik, Geschichte und Politologie zu. Noch w�hrend seiner Studentenzeit trat L�sch als DJ auf, ein Feierabendjob, den er auch w�hrend seiner Zeit als Gymnasiallehrer (1983-1991) nie ganz aufgab.
Wer das Gl�ck hatte, L�sch als Lehrer zu haben, wei�, dass dieser seine Sch�ler niemals magisterhaft „an der Nase rumzog“. Als die von ihm an einem M�nchner Gymnasium angestrebte Teilzeitbesch�ftigung aus verwaltungsrechtlichen Ursachen scheiterte, entschied er sich f�r die Karriere eines professionellen DJ – was in der heutigen Musikszene weit mehr ist als die eines „Plattenwechslers“. Der Erfolg gab ihm Recht.
Nach einigen aufreibenden Jahren, etwa in Frankfurts legend�rer Technodisco „Dorian Gray“, gelang es L�sch, sich als gefragter Edel-DJ zu etablieren. Wenn er heute auf Betriebsfesten und Promotion-Partys „auflegt“, dann sind es mit Sicherheit Firmen, Verlage oder VIPs deren Namen einen guten Klang haben – vom Spiegel bis zur Vogue, von Philipp Morris bis zur Weihnachtsfeier des M�nchner Herzchirurgen Dr. Bruno Reichart.
Noch w�hrend seiner Lehrerzeit hatte Michael L�sch begonnen, sich auch schriftstellerisch zu bet�tigen. Eine seiner Kurzgeschichten wurde sogar mit einem Preis ausgezeichnet. Geplant ist ein Roman mit autobiographischen Z�gen. Aber auch ein Lexikon der germanischen Mythologie wartet noch darauf, von L�sch in Angriff genommen zu werden.
Vielleicht w�rde manches Zukunftsprojekt von L�sch heute anders aussehen, wenn nicht eine befreundete Lektorin des Deutschen Taschenbuch Verlags von seinen privaten Goethe-Exkursionen so angetan gewesen w�re. Auf ihre Empfehlung hin �bertrug man L�sch im Hinblick auf das Goethejahr 1999 die Aufgabe, ein „Who’s who bei Goethe“ zu schreiben. Das zu vollster Zufriedenheit ausgefallene Buch ging 1998 in Druck: „Es lohnt sich, den alten Goethe nochmals – aber bestimmt ganz anders als in der Schule – zu lesen“, hei�t es im Klappentext. Das klug gewichtete, h�chst anregende Buch liegt mittlerweile in dritter Auflage vor.
Im Folgenden ein Auszug aus dem 1999 bei Piper in der Reihe „Meisterwerke kurz und b�ndig“ erschienenen „Faust“-Kompendium von Michael L�sch (ISBN 3-492-22886-0. auch dieses bereits in zweiter Auflage erschienen):

Konrad Klein



Siegertyp und Sch�nheitk�nigin: Faust und Helena


Die Ann�herung der beiden erfolgt auf mehreren Wegen. Den ersten Schritt macht Faust auf ziemlich martialische Art. Er setzt Helena den Turmw�chter Lynkeus in Ketten vor. Sie solle �ber den Versager urteilen, Tod oder Leben. Er hat das Nahen der Halbg�ttin �bersehen. Lynkeus (Luchsauge) erkl�rt schlicht, er sei geblendet worden von ihrer Sch�nheit. Helena ist nicht geschmeichelt. Im Gegenteil, sie beklagt, dass ihre Sch�nheit so viel Verderben bringe. Sie ist wirklich sehr edel. Nat�rlich begnadigt sie den Sp�her.
Der schenkt ihr, weniger aus Dankbarkeit, mehr aus Bewunderung, seinen riesigen, in allerlei Kriegsz�gen errafften Schatz. Faust gibt sich als Gentleman homerisch, versucht sich in Helenas Sprache des sechshebigen Jambus – schafft aber vor Aufregung gerade mal f�nf Hebungen. Helena, ganz Frau von Welt – sie ist eben kein Helenchen, geschweige denn Gretchen -, passt sich ihrerseits Fausts Redeweise an. Sie versteht es, sich weglocken zu lassen, weg aus der Antike, hin zum Neuen.
Faust schw�rmt f�r sie wie ein Minnedichter, was bei ihm, der immer etwas �bertreibt, ein wenig l�cherlich wirkt (was Goethe allerdings nicht beabsichtigte): „Was bleibt mir �brig, als mich selbst und alles, / Im Wahn das Meine, dir anheimzugeben? / Zu deinen F��en lass mich“, und so weiter. Er k�sst ihre Hand, was ihr reichlich seltsam vorkommen muss, denn das machte man erst beginnend mit dem spanischen Hofzeremoniell des ausgehenden 16. Jahrhunderts.
Dann spricht Helena, und hier entfaltet sich ihr gro�er Liebreiz, ihr sehr seltsamer Charme aus erwachsener Zur�ckhaltung und kindlicher Zuneigung. Sie bezieht sich auf Lynkeus. Seine Rede habe ihr gefallen, weniger der Inhalt als vielmehr der Ton, der von einer unbekannten schmeichelnden Freundlichkeit sei, als w�ren die Worte allein f�rs Ohr bestimmt, als ob sich diese gegenseitig liebkosten: „So sage denn, wie sprech‘ ich aus so sch�n?“
Lynkeus hat in Reimen gesprochen. Das hat Helena noch nie geh�rt. Der Reim am Versende kommt erst knapp dreitausend Jahre nach Helena auf den Kunstmarkt. Faust lehrt sie. Und leicht lernt Helena, nat�rlich und am�sant, dieses Reimen. Die Wortharmonie vor der Liebesharmonie. Ihr Gefolge stimmt einen alten Gesang an. Es ist der altgriechische „Hymenaios“, das Lied der Brautjungfern vor der Hochzeitsnacht. Schon wandelt sich der Thron der beiden in eine Liegestatt. Das Liebesspiel der beiden bleibt jedem sichtbar. Goethe selbst sagte, hier tr�fen sich die Klassik aus Weimar und die Romantik der neuen, jungen Dichter, die das Mittelalter liebten. Jedenfalls wird Helena nicht umgetopft, um aus Liebe zur abendl�ndischen Welt vielleicht weiterzuwachsen.


Schnelles Leben, kurzes Gl�ck: Euphorion

Phorkyas meldet das Nahen des Ex-Gatten Menelaos. Doch Faust hat vorgesorgt, seine Anh�nger – bestehend aus Goten (Spanier?), Franken (Franzosen?), Sachsen (Engl�nder?), Normannen (Italiener?) und Germanen (Deutsche?) – machen, zackig organisiert und mit Explosionsmaterial ger�stet, Menelaos ein schnelles Ende. Fortan geh�rt der gesamte Peloponnes dem mittelalterlichen Abendland.
Aus dem hohen Burghof ist ein schattiger Hain geworden. Allerlei Vegetation und dicht bewachsene Felsw�nde. In den weitverzweigten H�hlen leben und lieben sich Faust und Helena. Alles ist von weltabgewandter Harmonie, so sehr, dass dem Gefolge der Troerinnen langweilig geworden ist. Man lebt in Arkadien, dem Land der Gl�ckseligkeit. Selbst Phorkyas hat ihre Rolle der �belredenden vergessen. Sie erz�hlt den Neugierigen von Helenas und Fausts seltsamem Spr�ssling; er sei - kaum auf die Welt gekommen - „wie ein Ball“ zum Leidwesen der besorgten Eltern umhergesprungen, hoch bis zur Decke. Er trage „blumenstreifige Gewande“, die ihm gut st�nden, und schlage die „goldne Leier“. Um seinen Kopf leuchte es; schwer zu sagen, ob es ein Goldschmuck oder eine Flamme sei.
Es ist Euphorion, Nachkomme einer euphorischen Leidenschaft. Er selbst bezeichnet sich als den „k�nftigen Meister alles Sch�nen“. Und als aus der H�hle sein Saitenspiel dringt, ist selbst Phorkyas ger�hrt. Endlich betritt er das Gel�nde: „Nun lasst mich h�pfen, / Nun lasst mich springen! / Zu allen L�ften / Hinaufzudringen, / Ist mir Begierde, / Sie fasst mich schon.“ Die Eltern rufen zur M��igung. Doch es ist, als wollte man ein pulsierendes Herz am Schlagen hindern. Er mischt sich unter den M�dchenchor, fordert zum Tanz auf, und alle tanzen. Immer wilder wird er, und er fasst die Wildeste, hebt sie l�stern hoch, will sie gef�gig machen, sie str�ubt sich, „flammt auf und lodert in die H�he“. „Folge mir“, ruft sie ihm zu. Der brennende Euphorion sch�ttelt die Flammen ab und springt felsauf: „Immer h�her muss ich steigen, / Immer weiter muss ich schaun.“ Jetzt erst entdeckt er, wo er ist: Ein idyllisches Gef�ngnis ist dieses Arkadien.
Es gibt eine Welt au�erhalb. Unten am Meeresufer ist Krieg. Das ist ihm der rechte Ort, ihm, dem Poeten! Verzweifelt rufen die Eltern hinauf: Sind denn wir / Gar nichts dir? / Ist der holde Bund ein Traum?“ Nicht nur der Krieg ist’s, der ihn bannt und nicht losl�sst, es ist die Sucht nach dem Hohen, dem gro�en Erleben. Euphorion ist Fausts Sohn, er ist aus sich und gegen seinen Willen: gedr�ngt. Er kann und will nicht anders: „Und der Tod / Ist Gebot.“ Seine Leidenschaft verleiht ihm Fl�gel, er hebt die Arme, er wirft sich in die Luft, schwebt einen Augenblick, sein Haupt erstrahlt, er st�rzt, ein Kometenschweif zieht nach.
Vor Helenas und Fausts F��en liegt die Gestalt des Toten, doch sogleich entschwindet der K�rper, nur seine Blumengew�nder und die Lyra bleiben zur�ck. Aus der Unterwelt ruft der J�ngling nach seiner Mutter. Helena will ihm folgen, sie sagt ihrem Gatten, der gemeinsame Sohn habe durch seinen Tod das Band des Lebens und der Liebe zerrissen. Sie umarmt ihren Mann, bittet die G�ttin der Unterwelt um Aufnahme und entschwindet. In seinen H�nden h�lt Faust Kleid und Schleier der Geliebten. „Halte fest, was dir von allem �brigblieb“, ruft Phorkyas. Auch wenn die G�ttin entschwunden sei, das G�ttliche verbleibe und trage Faust �ber das Gew�hnliche hinaus. Helenas Kleider verwandeln sich in Wolken, umh�llen den Verlassenen und heben ihn in die H�he.
Doch der Vorhang f�llt noch nicht. Helenas Chor weigert sich, der Herrin in den Hades zu folgen um dort, in den sonnenlosen H�hlen der Unterwelt, eine „fledermausgleiche“ Existenz zu f�hren. Die S�ngerinnen werden zu Naturnymphen und leben fr�hlich und unreflektiert das Leben weiter. Wie in der antiken Trag�die folgt nun das lustige Satyrspiel. Die Weinbergsnymphen feiern ein Weinfest, ihren Dionysuskult, es ist ein Orgie aus Sex und Alkohol. Jetzt f�llt der Vorhang. Phorkyas tritt in riesenhafte Gestalt vor, legt Verkleidung und Maske ab und zeigt sich als Mephistopheles wieder. Alles also ein Traumtheater im Theaterst�ck FAUST.

Michael L�sch


(Siebenb�rgische Zeitung, Folge 10 vom 20. Juni 2001, Seite 11)

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