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NS-Vergangenheit: Im DDR-Innenministerium waren 20 % Nazis - WELT
Zum ersten Mal werden personelle Kontinuitäten von Behörden im innerdeutschen Vergleich erforscht. Auch die SED-Diktatur griff auf Experten aus der Nazi-Zeit zurück – ganz wie im Westen.
Wer spät kommt, kann aus den Fehlern anderer lernen. Nur zu lange warten darf man deshalb nicht. Das Bundesinnenministerium (BMI) hat sich Zeit gelassen mit der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit. Als ziemlich letzte wichtige Institution der Bundesregierung hat das BMI jetzt die Ergebnisse einer „Vorstudie“ zur Geschichte des eigenen Amtes von 1949 bis 1970 und seines leitenden Personals vorgestellt. Erstmals wurde dafür nicht nur das westdeutsche Ministerium untersucht, sondern zugleich die parallele ostdeutsche Einrichtung berücksichtigt. Vor allem dieser Vergleich erweist sich als weiterführend.
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Nach den ersten Zwischenergebnissen hatte bei der Gründung des BMI ungefähr jeder zweite leitende Mitarbeiter (ab Referatsleiter aufwärts) eine persönliche Vergangenheit als NSDAP-Mitglied. Bis Anfang der 60er-Jahre stieg diese Quote bis auf 66 Prozent an, um dann bis 1970 wieder auf 50 Prozent zu sinken. Dieser hohe Anteil kann kaum erstaunen, denn bekanntermaßen war der Anteil von NSDAP-Mitgliedern in Ministerien, allgemeiner Verwaltung und Polizei ab 1933 überdurchschnittlich hoch – und genau aus diesem Reservoir stammte das Personal, mit dem ab 1949 das Bundesinnenministerium aufgebaut wurde.
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Mitverantwortlich dafür war Hans Ritter von Lex, Jurist und katholisch-konservativer Politiker, der selbst seit 1933 im Reichsinnenministerium gearbeitet hatte und 1950 Staatssekretär, also höchster Beamter, im Bundesinnenministerium wurde. Um ihn und seine Abteilungsleiter Sklode von Perbandt sowie Erich Keßler bildeten sich Netzwerke, die beim Aufbau des Apparates das notwendige Personal aussuchten. Weniger daran beteiligt waren die ersten Bundesinnenminister Gustav Heinemann, Robert Lehr und Gerhard Schröder.
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Doch es gibt auch handfeste Überraschungen in der Vorstudie, die das Institut für Zeitgeschichte München (IfZ) und das Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) gemeinsam erarbeitet haben, also die beiden wichtigsten Forschungseinrichtungen, die sich mit der jüngsten deutschen Vergangenheit beschäftigen. Denn auch im Innenministerium der DDR gab es einen deutlichen Anteil von ehemaligen NSDAP-Mitgliedern – bis zu 20 Prozent. „Auch die DDR wollte offenkundig nicht auf die Berufserfahrung von Experten aus der Zeit vor 1945 verzichten“, teilen die beiden Institute mit.
Jedoch kann die schiere Suche nach der Mitgliedschaft in der Hitler-Partei oder ihren Gliederungen wie der SA in die Irre führen. Das ist die Lehre aus der Studie „Das Amt“ über das Auswärtige Amt in und nach der NS-Zeit, die 2010 zu heftigen Diskussion in der Öffentlichkeit geführt hatte. Inzwischen gilt die Arbeit der Kommission um Eckart Conze als Beispiel für missratene Aufarbeitung. Ihre Fehler vermeiden IfZ und ZZF sorgfältig, wie auch schon ähnliche Kommissionen zum Justiz- und Finanzministerium
Wichtiger nämlich ist, ob und inwieweit politische Kontinuitäten zwischen der NS- und der Nachkriegszeit festgestellt werden können. Hier geht es natürlich dann nicht mehr um den innerdeutschen Vergleich, denn das DDR-Innenministerium war als Behörde einer Diktatur weder an demokratischen noch rechtsstaatlichen Prinzipien interessiert.
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Nach einer bemerkenswerten Studie zu Vergangenheit und Kontinuität bei Polizei und Bundeskriminalamt kam der zuständige Kommissionsvorsitzende Patrick Wagner, Historiker an der Universität Halle-Wittenberg, zu einem überraschenden Ergebnis: „Die Reaktivierung ehemaliger NSDAP-Kriminalisten im BKA hat dieses Amt mittelfristig nicht in einer Weise geprägt, dass von ihm eine Gefahr für das Funktionieren des demokratischen Rechtsstaates ausgegangen wäre.“
Natürlich aber wirkten bestimmte Prägungen fort, etwa was den Umgang mit nicht sesshaften Sinti und Roma anging, mit Homosexuellen oder „Gewohnheitsverbrechern“. Oft hatten diese Prägungen jedoch eine deutlich vor 1933 zurückreichende Vergangenheit, waren also nicht im Dritten Reich entstanden, auch wenn sie dort zugespitzt wurden. Bei der Untersuchung der Nachkriegsgeschichte muss also beachtet werden, ob an das radikale Verständnis der NS-Zeit angeknüpft wurde oder an ältere Traditionslinien.
Für das BMI kann man das, dem ersten Zwischenergebnis zufolge, schon jetzt feststellen, dass es „klare Hinweise auf fortbestehende antisemitische Grundhaltungen im Aufenthalts- und Ausländerrechtsreferat“ gibt. Obwohl das Grundgesetz Zensur verbot, gab es zudem obrigkeitliche Eingriffe der Kulturabteilung bei Veröffentlichungen, die ähnlichen Vorstellungen wie im Dritten Reich folgten. Das Verständnis von staatlicher Wohlfahrt in der Sozialabteilung war ebenfalls sehr konservativ ausgerichtet – ein weiterer Berührungspunkt von altem Reichs- und neuem Bundesinnenministerium.
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Als Hypothese für die nun anstehende Hauptstudie gehen die Forscher von einem „generationellen Dreischritt“ aus. Aufgebaut wurde das BMI demnach vor allem durch ältere Mitarbeiter, die meist vor 1900 geboren worden waren, als junge Männer im Ersten Weltkrieg „Fronterfahrung“ gesammelt hatten und politisch noch im Kaiserreich sozialisiert worden waren. Sie stellten die personelle Verbindung zur deutschen Tradition des Obrigkeitsstaates dar. Ein Vertreter war Ritter von Lex.
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Eine zweite Gruppe von Mitarbeitern, die vorwiegend in den 50er-Jahren zum Bundesinnenministerium stieß, stammte aus der bald nach 1900 geborenen „Kriegsjugendgeneration“. Allgemein wird in der Forschung anerkannt, dass diese Jahrgänge in den 20er- oder frühen 30er-Jahren radikalisiert wurden und oft Karrieren im Dritten Reich machten. Ebenso typisch ist, dass sie sich nach Kriegsgefangenschaft, Internierung und Entnazifizierung an die Demokratie anpassten. Zu ihnen gehörte Erich Keßler.
Als dritte Gruppe identifiziert die Vorstudie die „HJ-Generation“, auch bekannt als „Flakhelfer-Generation“, die zwischen 1925 und 1930 geboren wurde. Sie trat während der 60er-Jahre ins Ministerium ein. Zu untersuchen wäre, ob Angehörige dieser Altersgruppe verantwortlich für die Liberalisierungstendenzen waren, wie das aus anderen Ministerien und Institutionen bekannt ist.
Absehbar ist bereits, dass die Studie zum BMI, wenn sie denn in dem von den beiden Institutsdirektoren Frank Bösch und Andreas Wirsching empfohlenen Umfang umgesetzt wird, die sicher komplexeste aller entsprechenden Untersuchungen darstellen wird. Plakative Ergebnisse analog zur Behauptung, das Auswärtige Amt sei eine „verbrecherische Organisation“ gewesen, sind nicht zu erwarten; entsprechend moderater wird gewiss die öffentliche Diskussion ausfallen. Das ist eine der Lehren, die aus dem Fehler der Conze-Kommission gezogen wurden.