Rilke und der Barkenhoff | Heinrich Vogeler

RILKE UND DER BARKENHOFF

Rainer Maria Rilke, 1901 in Westerwede
Rainer Maria Rilke in seinem Westerweder Arbeitszimmer, 1901
Fotografie
Fotograf: Unbekannt
Barkenhoff-Stiftung Worpswede

Eigentlich ist das ein Märchen. Ich sitze in einem ganz weißen, in Gärten verlorenen Giebelhaus unter schönen und würdigen Dingen, in Stuben, die voll von der Stimmung eines Schaffenden sind, schrieb Rainer Maria Rilke am 10. September 1900 über den Barkenhoff, das Domizil Heinrich Vogelers. Es war der zweite Aufenthalt des Dichters in Worpswede, der auf Einladung Vogelers erstmalig 1898 in das Künstlerdorf gekommen war.

Eine enge Freundschaft verband den Dichter Rainer Maria Rilke mit dem Maler, Designer und Architekten Heinrich Vogeler. Beide lernten sich eher zufällig durch gemeinsame Freunde in Florenz kennen. Vogeler beschrieb die erste Begegnung in seinen Erinnerungen: Unten blinkten die Lichter von Florenz. Wir wurden wie alte Bekannte empfangen. Keiner nannte seinen Namen. Seltsam versonnen wirkte die Persönlichkeit dieses neuen Menschen auf mich. Ich glaubte, einen Mönch vor mir zu haben, der seine Hände meist hoch vor dem Körper erhob, als wollte er immer ein Gebet beginnen. (…) Auf dem Rückwege fragte ich meinen Begleiter: Bei wem sind wir eigentlich gewesen? Den müssten Sie doch kennen. Das ist der Dichter Rainer Maria Rilke, war die Antwort.

Es ist bezeichnend für beide Künsterpersönlichkeiten, dass Rilke seinerseits auch Vogeler später in seiner Worpswede-Monografie mönchhafte Züge zuschrieb: Wer sich nun entschließt, an Stelle der mönchischen Gemeinschaft einen einzelnen zu setzen, einen Menschen von heute, der nach dem Willen seines Wesens, wie nach einer Ordensregel seine eigene Welt gebaut, begrenzt und verwirklicht hat, der wird am besten im stande sein, die Erscheinung Heinrich Vogelers und den Ursprung seiner Kunst zu verstehen; denn man kann von dieser Kunst nicht reden, ohne des Lebens zu gedenken, aus welchem sie wie eine fortwährende Folge fließt. Gleich der Kunst jener mittelalterlichen Mönche steigt sie aus einer engen und umhegten Welt auf (…).

Es war einmal … und es wird sein
Heinrich Vogeler im Barkenhoff, um 1898
Fotografie
Foto von Carl Eeg
Barkenhoff-Stiftung Worpswede

Eine solche umhegte Welt als Grundlage aller Kreativität schuf Heinrich Vogeler mit der Gestaltung des Barkenhoff und seiner Gartenanlage. Dieser Garten diente Rilke in verschiedenen Schriften als Folie für die Beschreibung des Kunstbegriffes des Malers sowie seiner künstlerischen Weiterentwicklung. In dem Wohnsitz, (…) an dem jeder Stein, in dem jeder Stuhl von ihm gezeichnet und beabsichtigt wurde, sah Rilke die authentische, selbstverständliche Einheit von Leben und Kunst, eines der großen Leitmotive des Jugendstil, von Vogeler verwirklicht. Gerade diese Konsequenz der Stilisierung, die sich im Barkenhoff und dem Garten offenbarte, wurde für Rilke jedoch schon kurze Zeit später Synonym für geistige und künstlerische Enge. Schonungslos attestierte er Vogeler den Stillstand einer menschlichen und künstlerischen Entwicklung, wie er es bereits im August 1903 nach einem Besuch im Barkenhoff in einem Brief an Lou Andreas-Salomé beschrieb.

Als Mitbegründer der Worpsweder Küntlerkolonie hatte Heinrich Vogeler sein Anwesen 1895 gekauft. In vier großen Bauphasen gestaltete er das ursprüngliche Rauchhaus mit Flett zum klassisch-eleganten Künstlerwohnsitz um. Zunächst ließ er das Haus mit einem Kamin versehen, das Dach mit Ziegeln eindecken, später auf der Westseite einen Atelieranbau errichten. 1898 entstanden nach seiner Zeichnung die markant geschwungenen, weißen Giebelfronten. Die Hauptfassade des Barkenhoff an der Ostseite erhielt eine vorgelagerte, mauergebrenzte Terrasse mit Freitreppe. Durch den Ankauf eines nördlich angrenzenden Grundstücks entstand die noch heute benutzte, seitliche Zufahrt, die den ländlichen Charakter der Anlage betont. Am Rand des Geländes legte Vogeler zwei Teiche mit einer künstlichen Insel an. Besondere Sorgfalt widmete der Künstler auch der Fläche vor dem Nordgiebel des Barkenhoff. Der grasbewachsene Platz wurde seitlich und rückwärtig mit Lebensbaumkulissen und Rhododendren eingefasst. In diesem Naturtheater fanden hochkarätige Theateraufführungen statt.

Es war einmal … und es wird sein
Mein Garten, um 1904
Öl auf Leinwand
Bundesrepublik Deutschland/
Land Niedersachsen/
Kulturstiftung Landkreis Osterholz

Bei der Anlage des eigentlichen Gartens verwandelte Vogeler die verwilderte Obstwiese zu Füßen des Ostgiebels in ein spielerisch-planmäßiges Gefüge aus Wegen und Beeten. Vom Treppenabgang der Terrasse vor der Hauptfassade entstand ein zentraler Weg durch Blumenrondelle, in denen Plastiken und aufwändig gestaltete Blumengefäße Akzente setzten. Den Abschluss dieser Achse bildete eine erhöhte, rosenbestandene Laube.

Jetzt müssen Sie einmal auf meinen rosenbehangenen Barkenhoff kommen. Es wartet ein Schlafzimmerchen und ein still abgeschlossenes Studierzimmer Ihrer. Reizt Sie das nicht? schrieb Vogeler im Sommer 1899 an Rainer Maria Rilke. Nach dem Treffen in Florenz 1898 war Rilke noch im gleichen Jahr in den Weihnachtstagen erstmalig auf dem Barkenhoff gewesen. Hier erlebte er, der Einsame und rastlos Reisende, Heinrich Vogeler in seiner selbst gestalteten Lebensumgebung; ein Gefühl von Heimat stellte sich ein. Von dem tiefen Eindruck, den der Besuch auf Rilke machte, zeugt unter anderem der Hausspruch, den er zur Jahreswende 1898/1899 mit einer persönlichen Widmung nach Worpswede sandte. Vogeler ließ ihn über der großen Tür des Barkenhoff anbringen, wo er heute wieder zu sehen ist.

Die 1899 ausgesprochene zweite Einladung nahm der Dichter erst im darauf folgenden Jahr an. Unterdessen entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit der beiden Künstlerpersönlichkeiten auf die Distanz: Vogeler stattete verschiedene Publikationen mit Buchschmuck aus und lieferte z.B. die Illustrationen zu Rilkes Gedichtband Mir zur Feier. Aus Russland kommend traf Rilke im Sommer 1900 dann erneut im Teufelsmoor ein. Der Barkenhoff war zu dieser Zeit ein Mittelpunkt des Kulturlebens. Neben den Worpsweder Künstlern gehörten prominente Persönlichkeiten wie Carl Hauptmann, Heinrich Mann, Rudolf Alexander Schröder, Alfred Walter Heymel, Hans Bethge und Richard Muther zu den Besuchern. Den engsten Kreis um Heinrich Vogeler bildete die Barkenhoff-Familie, zu der Otto Modersohn und seine spätere Fau Paula Becker, deren Schwester Milly sowie die junge Bildhauerin Clara Westhoff zählten. Rilke fühlte sich wohl im Kreis der Freunde, fungierte gar als Gastgeber für Gesellschaften im Weißen Saale des Barkenhoff.

Es war einmal … und es wird sein
Oskar Zwintscher: Heinrich Vogeler, 1902
Öl auf Pappe
Privatbesitz

Für Heinrich Vogeler im Mittelpunkt stand Martha Schröder, die er 1901 heiratete und von der er bereits vorher als auserlesener Herrin sprach: Das Haus war wie meine Kunst ganz diesem Mädchen geweiht(…). Ebenfalls 1901 heirateten neben Otto Modersohn und Paula Becker auch Rainer Maria Rilke und Clara Westhoff. Sie zogen ins benachbarte Westerwede, wo Vogeler tatkräftig bei der Ausstattung des dortigen Wohnsitzes half.

In Westerwede begann Rilke 1902 seine Monografie Worpswede. Das Werk gilt heute als eines der ersten, wegweisenden Beispiele für die moderne literarische Auseinandersetzung mit der Bildenden Kunst und ihren Protagonisten. Der 1903 erschienene Band stellt die Mitglieder der Künstlerkolonie vor, darunter Heinrich Vogeler. Wie schon in einem 1902 erschienenen Essay über Vogeler thematisierte Rilke bei seinen Betrachtungen über dessen Kunst auch in diesem Buch den Barkenhoff und seine Gartenanlage; er zeichnete daran die Grundlagen und Entwicklungslinien der Kunst Heinrich Volgelers nach. So heißt es: Es ist nicht das weite Land, darin er wohnt, bei dem er den Lenz gelernt hat; es ist ein enger Garten, von dem er alles weiß, sein Garten, seine stille, blühende und wachsende Wirklichkeit, in der alles von seiner Hand gesetzt und gelenkt ist, und nichts geschieht, was seiner entbehren könnte. Und weiter: An diesem Garten, an den sich immer steigernden Anforderungen seiner verzweigten Bäume, ist Heinrich Vogelers Kunst gewachsen (…).

Die in den Schriften implizierte positive Bewertung Vogelers Kunst wandelte sich jedoch radikal. Bereits 1903, im Jahr des Erscheinens der Monografie, hatte sich Rilke insbesondere unter dem Eindruck des Werkes Auguste Rodins von seinem Freund und den Idealen Worpswedes entfernt. Die Welt Heinrich Vogelers war Rilke zu eng geworden, der Barkenhoff hatte seine Faszination verloren. Über sein Worpsweder Buch schrieb er an Lou Andreas-Salomé: Du mußt nachsichtig sein dagegen (…) Im Stoff selbst lagen zu viel Widerwärtigkeiten und Beschränkungen; die Maler, von denen es handeln mußte, sind als Künstler einseitig und als Menschen klein (…).

Beate C. Arnold, 2003

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