Flug-Navigation mit Karte und Kompass - so geht's richtig! | aerokurier

Lust und Frust
Flug-Navigation mit Karte und Kompass

Herausforderungen lassen sich in der Fliegerei überall finden, auch in der Navigation. Anhand von Bodenmerkmalen, Karte und Kompass von A über B nach C ist Navigieren in Zeiten von GPS eine spannende Übung, die mitunter an die eigenen Grenzen führt.

Flug-Navigation mit Karte und Kompass
Foto: Frank Martini

Die Navigation ist das janusköpfige Monster in der Hobbyfliegerei. Jedenfalls für mich. Die Kunst der Orientierung übt nicht nur auf Aviateure eine große Faszination aus, und die damit verbundenen Probleme haben jahrhundertelang die größten Wissenschaftler ihrer Zeit beschäftigt. Das Buch "Longitude" von Dava Sobel aus dem Jahr 1995 war nicht ohne Grund ein Bestseller und steht selbstverständlich auch in meinem Regal. Eine Knobelaufgabe der Art "Wie kann man nur mit einer Uhr, einem Zollstock und einer Schnur herausfinden, wo man gerade ist?" kann einen stundenlang im Bann halten, und der Drehmeier ist einfach ein tolles Spielzeug.

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Flugplanung und GPS machen es einfach

Die Sache sieht allerdings vollkommen anders aus, wenn man irgendwo über der Pampa unterwegs ist und feststellt, dass das Navi gerade das GPS verloren hat und man nun gar nicht so genau weiß, wo man ist. Das ist dann eindeutig keine Denksportaufgabe mehr, sondern mutiert ganz schnell zu einem Abenteuer, auf das man gerade in diesem Moment aber so überhaupt gar keine Lust hat. Bei mir führen diese zwei Seiten der Medaille meist dazu, dass ich meine Flüge zu Hause am geräumigen Küchentisch ganz klassisch plane, gerne mit einem Bier dabei. In der Luft setze ich dann aber ein halbes Dutzend GPS-Empfänger in Betrieb und fliege akribisch genau der Magentalinie nach. Flugplätze sehe ich bisweilen erst, wenn mich das Navi bereits zentimetergenau bis in den Gegenanflug gelotst hat. Beim Surfen im Netz – Lach und Sachgeschichten auf YouTube, jeder kennt’s – kam dann aber vor einiger Zeit ein Anstoß, die alte Theorie als neue Praxis zu entdecken.

Frank Martini

Herausforderungen lassen sich in der Fliegerei überall finden, auch in der Navigation.

Mit Navigator an Bord geht’s auch von Hand

Konkret blieb ich an einem alten Lehrfilm über Navigation hängen und musste feststellen, dass man per Koppelnavigation sogar sehr genau fliegen kann. Man muss dazu einfach nur einen Navigator mit an Bord nehmen, der alle zwei Minuten mit einem optischen Driftmesser die Abdrift ermittelt, den Windvektor ständig neu bestimmt, mit mehreren Stoppuhren die Wegmarken erfasst und den Kurs minütlich auf ein Grad genau nachtrimmt. Eine der ersten Botschaften im Film: "Have plenty of sharpened pencils with you!" Jetzt will ich es wissen: Wie ging die Fliegerei früher, und würde ich das ohne Weiteres auch hinkriegen? Konkret: Würde ich ohne jegliche Elektronik einen Platz mitten im Nirgendwo finden?

Veit Held

Veit Held (r.) und sein Co-Pilot Horst, der vor allem die Aufgabe übertragen bekam, vor Einflug in Lufträume zu warnen.

Eintönige Landschaften erhöhen den Schwierigkeitsgrad

Eine amerikanische Pilotin erklärte mir mal, dass sie grundsätzlich strikt nach IFR-Regeln fliegt. "I follow roads!", war ihr Mantra. Das meine ich aber nicht. Einen Sichtflug von Speyer nach Hangelar kriegt sicher jeder hin, den Rhein kann man nun wirklich nicht aus den Augen verlieren. Nein, ich suche eine Route quer über den Odenwald oder den Westerwald, wo alle Dörfer komplett gleich aussehen und ansonsten nur Bäume und Kühe in der Landschaft herumstehen. Über Dörfer, bei denen mir öfters der Gedanke durch den Kopf schießt: "Boah, da unten wohnen tatsächlich Leute! Aber warum?"

ICAO-Karte von 1965

Ich suche im Internet und finde eine ICAO-Karte von 1965 – zum gleichen Preis einer aktuellen. Damit stehen die Randbedingungen fest: Ich fliege mit dem, was man 1965 minimal an Bord hatte. Also mit dem Instrumenten-Sixpack, dem Kompass und sonst nichts. Außerdem nehme ich meinen alten, sehr geduldigen Mitflieger Horst mit. Der kriegt allerdings ein paar Spielregeln aufgebrummt: "Nicht vorsagen, keine Tipps. Du sollst nur aufpassen, dass ich nicht in die Charlies rassele oder Kurs 300 fliege, wenn ich Kurs 30 meine", schwöre ich ihn auf das Abenteuer ein. Ich entscheide mich für einen Flug von Worms (EDFV) nach Siegerland (EDGS). Die erste Teilstrecke bis Koblenz zählt nicht, denn erstens kenne ich die auswendig, und zweitens ist der Rhein sowohl in der Karte als auch in der Natur kaum zu übersehen. Es geht um die 30 Meilen von Koblenz nach Siegerland.

ICAO

Die ICAO-Karte von 1965 erwies sich als nur bedingt geeignet für die Navigation nach Bodenmerkmalen.

Karte versus Realität

Nun gilt zwar grundsätzlich, dass man immer von der Karte aus plant, denn alles, was auf der Karte ist, gibt es auch in der Wirklichkeit, aber nicht alles, was in der Wirklichkeit existiert, ist auch auf der Karte. Deshalb registriere ich erst mal, was auf der alten Karte alles nicht eingezeichnet ist. Es gibt keine Lufträume C und D, nur eine Handvoll NDBs, viel weniger Straßen als heute und keine Golfplätze. Die Suche nach geeigneten Wegpunkten erscheint etwas weniger aussichtslos, wenn man eine Lupe zu Hilfe nimmt.

Bundestraßen und Autobahnen weisen den Weg

Mit dem Vergrößerungsglas findet man Eisenbahnlinien, die heute nicht mehr existieren, Bäche, die aus der Luft garantiert nicht zu sehen sind, und Wälder, die heute vermutlich auch nicht mehr so aussehen wie anno dazumal. Aber die B 255, die B 8 und die A3 verlaufen heute noch genauso wie damals. Also plane ich eine Strecke, die sich an Straßen orientiert, mit den markanten Städtchen Montabaur, Westerburg und Rennerod als Wegmarken. Aber nach einiger Zeit verlässt mich die Zuversicht – die Gegend sieht aus der Luft eben doch deutlich anders aus als auf der Karte, und so entscheide ich mich für einen Kompromiss: Wenn die damals keine aeronautischen Karten hatten, haben sie halt Straßenkarten genommen. Das versuche ich auch und besorge mir eine Karte im Maßstab 1:500 000. Das sieht schon deutlich machbarer aus: Man findet die Umrisse der Orte, aktuelle Seen, und die Straßen stimmen.

Karten für Autofahrer in größeren Maßstäben zeigen mehr Details. Der Abzweig bei Hahn am See scheint ein guter Wegpunkt zu sein.

Genauigkeit ist elementar für Kartennavigation

Ich schaue mir noch einmal das Video an. Offensichtlich ist Genauigkeit das A und O. Es reicht nicht, über Koblenz nach rechts abzubiegen, das wird zu ungenau. Also wird die Moselmündung am Deutschen Eck die Wegmarke, die ich dann auch exakt überfliegen muss. Der Kurskreisel muss stimmen und alle fünf Minuten mit dem Magnetkompass abgeglichen werden. Und ich muss in der Karte (und nicht auf Google Earth!!) Wegmarken wählen, die man erkennen kann. Zum Beispiel das Montabaurer Schloss, das eingezeichnet ist und das ich genau treffen muss. Mir wird auch klar, dass ich die Geschwindigkeit genau einzuhalten habe, sonst stimmen die Zeiten nicht. Und wie war das noch ... Für die TAS muss man pro tausend Fuß zwei Prozent auf die KIAS aufschlagen. Wenn ich 95 Knoten fliege, muss ich mit 100 Knoten rechnen.

Wie weht der Wind?

Morgens öffne ich die Luftsportberichte des DWD und hole mir die Windangaben, die super genau und zuverlässig sind. Was hatten die eigentlich damals zur Verfügung? Die Höhenwinde vermutlich nicht. Packen wir es also an! Bereits kurz nach dem Start in Worms merke ich, dass dieser Flug anders wird. So hat die Methode "back to the roots" erhebliche Auswirkungen auf die sozialen Gepflogenheiten an Bord: Ich bin wortkarg und einsilbig. Normalerweise nutzen Horst und ich die Flüge, um unterwegs irgendwelche Technikprobleme zu lösen oder Pläne zur Lösung der globalen Energiekrise auszuarbeiten. Diesmal nicht – ich habe zu tun und kann mich in dem Moment wirklich nicht um die Ukraine kümmern.

Das Montabaur Schloss weist den Weg

Die erste Teilstrecke nutze ich, um den Kurskreisel in den Griff zu bekommen: Durch Abgleich mit dem Magnetkompass finde ich heraus, dass er in fünf Minuten etwa drei Grad wegläuft. Der Wind scheint exakt zu stimmen, die Überflugzeiten ebenfalls, und ich treffe die Wegmarken. Den ersten echten Test vermute ich auf der Etappe Deutsches Eck nach Montabaur. Aber eigentlich doch nicht. Die B 49 ist sehr gut zu erkennen, und ich navigiere zielsicher zum Schloss. Dann dauert es allerdings nicht mehr lange, und es stellen sich prompt die erwarteten Probleme ein. Ich war vorab recht zuversichtlich, dass ich den Straßenknäuel bei Hahn leicht erkennen sollte. In der Realität sieht das komplett anders aus, denn dieser dünne Feldweg nach Nordwest sieht mitnichten wie eine gestandene Bundesstraße aus. Und dass da Flugzeuge in der Pampa herumstehen, das hatte ich auch nicht erwartet. Die Firma Kunz Aircraft Equipment hat sich wohl ein paar Deko-Objekte in den Garten gestellt…

Google Maps

Tatsächlich aber ist dieser Straßenknoten aus der Luft kaum zu erkennen. Zu filigran die Linien, die der Asphalt in die Landschaft malt.

Da war doch ein See?

Alles geht gut, und ich fühle mich so langsam wie Richthofen auf einem Überlandflug – bis wir kurz vor Rennerod sind. Ich weiß aus dem Gedächtnis, dass zwischen Westerburg und Rennerod ein See liegt, der genau fünf Minuten vom Siegerlandflughafen entfernt ist und über dem man sich anmelden sollte. Und dieser See ist weg. Einfach weg. Da ist nämlich der Damm kaputt, das Wasser seit einem Jahr abgelassen, und die Natur hat sich das Gelände zurückerobert.

Veit Held

Wo ist der Wiesensee? Ein Dammschaden sorgte dafür, dass statt Wasser nur eine braune Fläche (Bildmitte) zu sehen war. Wenn Navigationspunkte nicht da sind, wo erwartet, sorgt das schnell für Stress.

Den Faden verloren

Und prompt stellt sich der Effekt ein: Eben habe ich noch Oberwasser, jetzt bin ich tief unter Wasser. Ich verliere den Faden und suche Rennerod und die B 54, die mich zum Flugplatz führen soll. Als ich die Straße endlich finde, stellt sich sofort Erleichterung ein. Die aber sofort wieder umschlägt, als ich merke, dass die Straße nach Osten geht, statt nach Norden, wie sie soll. Angesichts der Tatsache, dass wir nur ein paar Meter von der RMZ von Siegerland entfernt sind, entscheide ich mich, den Saaljoker zu ziehen: "Horst, wo ist der Platz?" Der grinst nur "Gerade wollte ich was sagen …" und zeigt nach links. Zwei Minuten später sind wir in der Platzrunde.

Eine Denksportaufgabe – aber moderne Technik ist unverzichtbar

Und damit kommen wir wieder an den Anfang der Geschichte. Hat das was gebracht? Keine Frage, das Navigieren dieser Art muss und werde ich definitiv öfter üben! Hat das Spaß gemacht? Absolut! Aber hauptsächlich deshalb, weil ich es als Denksportaufgabe genommen habe, als Hobby im Hobby. Wenn ich an einen bestimmten Ort will, kann ich keine Unsicherheiten gebrauchen. Wer behauptet, die neuen Helferlein wie GPS mit Moving Map seien eine Erleichterung, der hat unrecht, denn sie sind weit mehr als das: Sie sparen Zeit, erhöhen die Sicherheit drastisch und ermöglichen stressfreie Flüge. Fliegen im Jahr 2023 ist mir dann doch erheblich lieber als Fliegen à la 1965. Ich kenne einen 747-Kapitän, der dazu eine klare Meinung hat: "Es wird grundsätzlich immer alles genutzt, was im Flugzeug ist." Recht hat er.

Holland-Moritz

Endlich am Ziel: der Flughafen Siegerland ist ein größerer Regionalflughafen, den auch ungeübte Augen gut finden können.

So, was kommt nun? Wo nehme ich denn jetzt ein ADF her? Ein paar NDBs wird’s doch irgendwo noch geben …