Exekutive Exekutionen durch bewaffnete Drohnen?

Der Einsatz sogenannter "Kampfdrohnen" (bewaffneter Drohnen) hat in den letzten Jahren international deutlich zugenommen. Und es spricht vieles dafür, dass solche unbemannten Flugzeuge auch in Zukunft für die zivile Luftfahrt, aber auch für militärische Belange, immer mehr an Bedeutung gewinnen werden. Dabei sind bewaffnete Drohnen zu unterscheiden von unbewaffneten Aufklärungsdrohnen. Drohnen sind unbemannte, von Menschen gelenkte Fluggeräte. Sie werden zur Aufklärung oder als Waffenträger eingesetzt. Ihre Sensoren erlauben Echtzeit-Aufklärung und, wenn sie mit Präzisionswaffen ausgerüstet sind, auch die Bekämpfung von Zielen mit einer bislang von keiner anderen Waffe zu erreichenden Präzision.

Die Bundeswehr verfügt bereits seit den 1980er Jahren über taktische Aufklärungsdrohnen. Im Sommer 2012 hat Verteidigungsminister De Maizière klargestellt, dass auch die Bundesregierung bewaffnete Drohnen beschaffen möchte. Diese sind für ihre Befürworter die "ideale Waffe". Sie schützen Soldaten, sind präzise und kostengünstig. Kritiker hingegen wenden ein, dass Drohnen die Hemmschwelle beim Töten senken, völkerrechtlich wie moralisch bedenklich sind und aufgrund zunehmender Autonomie einen ersten Schritt zum entmenschlichten Töten darstellen. Fest steht, dass der weltweite Run auf modernste Kampfdrohnen schon begonnen hat. Die fehlgeschlagene Beschaffung der Euro-Hawk Drohnen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die schwarz-gelbe Regierung im Falle eines Wahlsieges plant, die Bundeswehr mit Kampfdrohnen auszustatten.

Auch die SPD möchte den optimalen Schutz für unsere Soldaten. Gleichwohl gibt es eine Reihe von Argumenten, die beachtet werden müssen. Deshalb brauchen wir eine sorgfältige und gesellschaftlich breite Debatte bevor ein Waffensystem angeschafft wird, das weitreichende Auswirkungen auf den Einsatz militärischer Gewalt hat. Der Einsatz bewaffneter Drohnen verwischt den Unterschied zwischen Krieg und Frieden und droht, die Hemmschwelle zur Anwendung militärischer Gewalt zu senken.

Völkerrecht und Drohnenkrieg

Bislang ist nur von den USA, Großbritannien und Israel bekannt, dass sie bewaffnete Drohnen eingesetzt haben. Vor allem die Drohnen-Einsätze der USA in Afghanistan, Pakistan und im Jemen haben die Debatte über extraterritoriale Tötungen angestoßen. Hinsichtlich der völkerrechtlichen Legitimierung ihres Vorgehens reklamiert die Obama-Administration nach wie vor die Existenz eines "bewaffneten Konflikts" zwischen al-Qaida und assoziierten Kräften auf der einen und den USA auf der anderen Seite. Sie argumentiert dabei mit einer geographischen Uneingrenzbarkeit des "bewaffneten Konflikts", die völkerrechtlich äußert umstritten ist und so auch von den Verbündeten der USA nicht geteilt wird. Wie viele Menschen durch Drohnenangriffe getötet wurden und wie viele "Nichtkombattanten" oder Zivilisten diesen zum Opfer fielen, ist nicht bekannt. Das mehr oder weniger "gezielte Töten" nicht nur, vor allem aber durch Drohnen, ist unter Obama zu einer institutionalisierten Praxis geworden, die eine gewisse Eigendynamik gewonnen hat.  Zudem zeigt sich, dass die meisten Drohneneinsätze schon heute außerhalb formal erklärter Kriege geführt werden, auch in Staaten, mit denen die USA sich nicht im Krieg befinden, wie etwa Pakistan, Iran, Libanon und Jemen. Die Vereinigten Staaten agieren also de facto in einem rechtsfreien Raum, in einer normativen Grauzone. Auch Präsident Obama kann nicht länger ignorieren, dass der Drohnenkrieg dem Image der USA schadet. In seiner Berliner Rede sprach er zumindest das Thema Drohnen und die damit verbundenen Bedenken an, ohne dabei jedoch konkret zu werden.

Unbestritten ist, dass Drohnenangriffe außerhalb bewaffneter Konflikte völkerrechtswidrig sind. Zudem besteht die Gefahr, dass auch andere Staaten eine ähnliche Praxis betreiben und sie wie die USA mit politisch opportunen, fragwürdigen völkerrechtlichen Positionen legitimieren. Es bedarf keiner seherischen Gaben, um zu prognostizieren, dass Drohneneinsätze in Zukunft zunehmen werden, weil ihre Vorteile (überragende technischen Fähigkeiten sowie die Vermeidung eigener Gefallener) die Nachteile in den Augen vieler Staaten überwiegen. Diese Entwicklung ist jedoch regellos und wenig transparent.

Bei aller berechtigter Kritik am Drohnenkrieg, ist es doch befremdlich. dass viele Kritiker sich vor allem über die "kalte, klinische und feige Strategie" der Drohnenschläge und die damit verbundene "postheroische" Kriegsführung mokieren. Sehnen wir uns wirklich zurück nach einer idealisierten "Landserwelt", nach Ehre und Anstand, nach dem heroischen Kampf  "Mann gegen Mann"? Diesen gab es - wenn überhaupt - zuletzt in der Antike.  Und auch dort schwirrten bereits Pfeile und Lanzen durch die Luft, die keinen persönlichen Adressaten hatten und am Ende irgendeinen Kieferknochen durchbohrten - ein Element des brutalen Zufalls und ebenfalls vollkommen unheroisch. Drohnen sind Instrumente zur gezielten Tötung. Das stimmt. Ist aber die ungezielte Tötung durch flächendeckendes Bombardement moralisch vorzuziehen? Diese Debatte führt m.E. nicht weiter. Auch ist es in der ethischen Bewertung eines Angriffs aus der Luft unmaßgeblich, ob in dem Fluggerät ein Mensch sitzt oder nicht. Die Bewertung der Sinnhaftigkeit eines Angriffs ist wohl kaum davon abhängig, ob dabei ein oder zwei Besatzungsmitglieder ihr Leben riskieren. Die Drohne hat zumindest den Vorteil, dass mehrere Entscheider ohne unmittelbaren Zeitdruck tätig werden. Damit sinkt die Wahrscheinlichkeit von menschlichen Fehlentscheidungen. Ein gewichtiges Argument haben Drohnenbefürworter allerdings auf ihrer Seite: Wo kein Pilot mitfliegt, kann auch keine Pilot sterben. Eine Drohne schützt ihr Leben. Kritiker machen sich unglaubwürdig, wenn sie dies ignorieren. Die Drohne kann zweifelsohne auch ein Instrument der Schadensbegrenzung, wenn auch vor allem auf Seiten des Angreifers.

Die wirklich relevanten Fragen lauten: Wie wird sich die verstärkte Nutzung von Kampfdrohnen auf die internationale Sicherheitspolitik auswirken? Welche rechtliche Grundlage gibt es für ihren Einsatz? Wer trägt die moralische Verantwortung, wenn Computer selbstständig über Leben und Tod entscheiden? Und wie sollten sich die "Friedensmacht Europa" und Deutschland zu automatisierten Waffensystemen verhalten? Dabei muss die Kehrseite des bewaffneten Drohnenkrieges gegenüber den Vorteilen für die eigenen Streitkräfte abgewogen werden. Gegen technologisch unterlegene Gegner eingesetzt, schüren Drohnenangriffe die Konfliktasymmetrie und Ressentiments, die die Spirale der Gewalt verschärfen. Weitere Probleme, die heute noch niemand in Gänze überblickt, ergeben sich schließlich aus dem technologischen Fortschritt. Noch entscheidet über den von einer Drohne ausgehenden Waffeneinsatz ein Mensch. Die militärische Logik legt jedoch nahe, dass sich derjenige im Kampf einen Vorteil verschafft, der Entscheidungen nicht vergleichsweise langsamen Menschen, sondern in Millisekunden reagierenden Maschinen überlässt. Die bereits jetzt absehbaren völkerrechtlichen, technischen und ethischen Probleme, die bewaffnete Drohnen erzeugen, sind zahlreich. Mit Drohnen ist militärische Gewaltausübung bei nahezu vollständiger Risikolosigkeit möglich geworden. Doch dies ist nicht nur Segen, sondern auch Fluch. Fluch, weil Entscheidungsträger sich womöglich schneller für militärische Gewalt entscheiden, wenn mit dieser weniger politische Kosten einhergehen. Schließlich ist ein Militäreinsatz vor der Öffentlichkeit leichter zu rechtfertigen, wenn keine Soldaten mehr Leib und Leben riskieren müssen.

2014 wollen die USA und ihre Verbündeten ihre kämpfenden Truppen aus Afghanistan abziehen. Der 2001 ausgerufene "Krieg gegen den Terror" ist mittlerweile in eine neue Phase ein. Es geht nun in erster Linie darum, in sogenannten "gefährlichen Räumen" Risiken zu minimieren. Dies geschieht unter anderem durch das gezielte Töten von Terrorverdächtigen oder Aufständischen, auch in Ländern, mit denen gar kein Krieg geführt wird ? ohne Kriegserklärung, ohne politische Kontrolle und ohne rechtsstaatliches Verfahren. Das verstößt gegen das Völkerrecht und ist politisch wie ethisch inakzeptabel.

Deutschland braucht keine bewaffneten Drohnen

All dies zeigt: Wir brauchen eine breite, grundsätzliche öffentliche Diskussion, in der die ethischen, völkerrechtlichen und rüstungskontrollpolitischen Fragen des Einsatzes von Kampfdrohnen diskutiert werden.  Mit ihrer ?Großen Anfrage? an die Bundesregierung hat die SPD bereits vor Monaten diese dringend notwendige Debatte in Gang gesetzt, um zu verhindern, dass falsche, voreilige und gefährliche Weichenstellungen getroffen werden.

Die Sozialdemokratie ist der Ansicht, dass Entwicklung und Einsatz autonomer Angriffswaffen verboten werden müssen. Deutschland sollte sich präventiv für ein internationales Abkommen zur Ächtung solcher Systeme einsetzen. Maschinen dürfen niemals über den Einsatz von Gewalt gegen Menschen entscheiden. Wenn sich Deutschland am Ende doch für den Erwerb bewaffneter Drohnen entscheiden sollte, dann müssen jedoch strikte, völkerrechtskonforme Einsatzrichtlinien formuliert werden. Die parlamentarische Kontrolle durch den Bundestag muss gewährleistet und der Einsatz von Kampfdrohnen begrenzt, transparent und überprüfbar sein. Eine entsprechende Doktrin könnte die Bundesregierung auch mit Nato-Partnern abstimmen.  Darüber hinaus sollte die Bundesregierung eindeutig gegen die teils völkerrechtswidrige US-Einsatzpraxis von Drohnen Stellung beziehen. "Gezieltes Töten" durch Kampfdrohnen in Ländern, mit denen man sich nicht im Krieg befindet, verstößt gegen die UN-Charta und untergräbt die internationale Rechtsordnung. Extralegale Tötungen mit bewaffneten Drohnen stellen einen Verstoß gegen das Völkerrecht dar. 

Notwendig ist eine grundsätzliche Diskussion über die Gefährdungen und Kosten, die durch Kampfdrohnen entstanden sind und entstehen. Es besteht die akute Gefahr eines neuen gefährlichen Rüstungswettlaufs. Hinzu kommt, dass es einen Trend zu einer Automatisierung und "Verselbstständigung" derartiger Systeme gibt. Präventive Rüstungskontrolle, die die absehbaren technologischen Entwicklungen (wie bspw. kleinere bewaffnete, autonome und miteinander vernetzte Drohnen) mit bedenkt. Diese Fragen bedürfen einer ausführlichen gesellschaftlichen Debatte, bevor eine Entscheidung zur Anschaffung solcher Systeme getroffen wird.

Der Bundesverteidigungsminister blendet nicht nur die Risiken aus, sondern nimmt bereits eine gefährliche Weichenstellung vor, die später nur noch schwer zu korrigieren sein wird. Eine  überstürzte Beschaffungsentscheidung der Bundeswehr wäre deshalb nicht nur politisch unklug und sicherheitsstrategisch unüberlegt, sondern schlicht verantwortungslos. Deutschland sollte sich den Luxus erlauben, nicht einfach in ein weltweites Drohnenwettrüsten zu schlittern, sondern tatsächlich eine politische Abwägungsentscheidung fällen.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten setzen uns deshalb für eine völkerrechtliche Ächtung derartiger Waffensysteme ein. Denn: Wenn die weltweite Aufrüstung von Kampfdrohnen erst einmal im vollen Gange ist, ist es zu spät. Es stimmt in diesem Zusammenhang hoffnungsvoll, dass die internationale Gemeinschaft immerhin bei Landminen und Streumunition auch entsprechende Verbotskonventionen beschlossen hat. Sollte es für eine Ächtung aber keine realistischen Mehrheiten geben, muss zumindest sichergestellt sein, dass der Einsatz deutscher Drohnen im Rahmen des allgemeinen Völkerrechts, der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts erfolgt. Schon aus Gründen der Rechtssicherheit sollte die Bundesregierung endlich deutlich machen, wo sie die Grenzen zieht. Denn: Ob das Völkerrecht befolgt wird, ist keine rechtliche, sondern eine politische Frage, die sich unabhängig von der eingesetzten Technologie stellt.

 

Autor: 
Von Rolf Mützenich
Thema: 
Braucht Deutschland Kampfdrohnen?
Veröffentlicht: 
Berlin, 12.07.2013