Mit der Publikation seiner Dissertation im Jahreswechsel 1949/1950 erfand Armin Mohler eine folgenreiche Tradition, mehr noch einen wirkmächtigen Mythos: die ‚Konservative Revolution‘. Blieb – teilweise auch harsche – Kritik nicht aus, so wurde und wird das Buch nichtsdestotrotz in seiner ganzen Bandbreite viel rezipiert, weit über ‚neurechte‘ Politikkreise hinaus, die es als Tradition und Grundlage pflegen. Für eine kritische Beschäftigung mit diesem Schlüsseltext und seiner Rezeption ist es unerlässlich die verschiedenen Bedeutungen von ‚Konservative Revolution‘ klar voneinander abzugrenzen.

Da ist zum einen das Buch von Armin Mohler, Die Konservative Revolution in Deutschland 1918–1932, 1950 bei Friedrich Vorwerk erschienen, textgleich zu seiner im Jahr davor von Karl Jaspers und Hermann Schmalenbach an der Universität Basel angenommenen Dissertation. Zur 2. Auflage 1972 als ‚Handbuch‘ bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft wurde der Textteil leicht umstrukturiert – einzig erwähnenswert die Streichung der Zusammenfassung am Ende – die Bibliografie dagegen enorm erweitert. In den nächsten drei Neuauflagen änderte sich außer einem 1989 erschienenen dünnen Ergänzungsband mit Korrigenda und dem Wechsel zum rechtskonservativen bis -radikalen Ares-Verlag in Österreich im Jahr 1999 nichts. 2005 erschien eine durch Karlheinz Weißmann vollständig überarbeitete Neuausgabe – von Mohler vor seinem Tod autorisiert. Bis dahin blieb der Textteil inhaltlich komplett unverändert.

1 Das Zwischenkriegs-Phänomen ‚Konservative Revolution‘

Zum anderen gab es ein reales Phänomen der Zwischenkriegszeit, das auch in der Forschung bei aller noch zu nennenden Kritik häufig als ‚Konservative Revolution‘ gefasst wird (s. Breuer 1993; Pfahl-Traughber 1998). Dabei werden jedoch unterschiedliche Gruppen unter diesen Begriff gefasst. Als gemeinsamen Kern beschreibt der Begriff eine Bewegung aus Einzelpersonen, Diskussionszirkeln und Publikationsorganen, die geeint werden durch ihre fundamentale Ablehnung von Aufklärung, Liberalismus, Gleichheitsprinzip und Demokratie, sowie durch einen radikalen Nationalismus und die Forderung nach einem autoritären Staat mit homogener Volksgemeinschaft. Als Unterschied zum – weitgehend monarchistisch geprägten – Konservatismus der Zeit ist die lebensphilosophisch aufgeladene und vermeintlich in die Zukunft weisende Ausrichtung zu nennen, die sich scheinbar anti-reaktionär in der Nutzung moderner Mittel zum Erreichen der eigenen Ziele zeigt. Es gehe nach Arthur Moeller van den Bruck darum, erst „Dinge zu schaffen, die zu erhalten sich lohnt“ (zit. n. Weiß 2015: 103). Der Politikwissenschaftler Kurt Sontheimer schlug daher nur die jungkonservative Strömung der ‚Konservativen Revolution‘ zu und unterschied von diesen „jungen Nationalisten“ die alten, reaktionären „Deutschnationalen“, deren Denken noch im Wilhelminismus wurzelte. Daneben gab es aber noch weitere Gruppen, die im Unterschied zu den „jungen Nationalisten“ weniger (lebens-)philosophisch, sondern politischer und teilweise militant waren. Dazu gehörten u. a. die „Nationalrevolutionären“, zu denen Sontheim z. B. Ernst Jünger zählte (Sontheimer 1978: 123 ff.) und die „Nationalbolschewisten“ mit Ernst Niekisch als prominentesten Vertreter (Sontheimer 1978: 127 ff.). Je nachdem, welche dieser teils sehr verschiedenen Gruppen zur ‚Konservativen Revolution‘ gezählt werden, variiert auch die Bewertung der Frage, wie die ‚Konservative Revolution‘ als Obergriff vom Nationalsozialismus abgegrenzt werden kann. Mohlers Schlagwort von der ‚Konservativen Revolution‘ aber verwischt alle Unterschiede zwischen diesen teilweise verfeindeten Gruppen und amnestiert dadurch alle gleichermaßen. Für eine wirkliche Einschätzung der Nähe zum NS wäre dahingegen eine differenzierte Betrachtung der jeweiligen Strömungen nötig. Sicherlich teilt die ‚Konservative Revolution‘ in Sontheimers Verständnis mit dem NS das bis in Irrationale gesteigerte Bewusstsein eines neuen Lebensgefühls und die Überzeugung von der Notwendigkeit eines neuen Volksstaates, „in dem alle Teile der bisher in Klassen gespaltenen Nation ihren Platz haben“ (Sontheimer 1978: 119). Vor allem aber ist sie eine Gegenrevolution zu den Ideen von 1789, was in dem im folgenden zitierten Programm von Edgar Julius Jung zum Ausdruck kommt:

„Konservative Revolution nennen wir die Wiederinachtsetzung aller jener elementaren Gesetze und Werte, ohne welche der Mensch den Zusammenhang mit der Natur und mit Gott verliert und keine wahre Ordnung aufbauen kann. An Stelle der Gleichheit tritt die innere Wertigkeit, an Stelle der sozialen Gesinnung der gerechte Einbau in die gestufte Gesellschaft, an Stelle der mechanischen Wahl das organische Führerwachstum, an Stelle bürokratischen Zwangs die innere Verantwortung echter Selbstverwaltung, an Stelle des Massenglücks das Recht der Volksgemeinschaft“ (Jung 1932, z. n. Sontheimer 1978: 120).

Den Nationalsozialist*innen ging es aber nicht um eine Wiederinachtsetzung elementarer Gesetze und Werte, sondern darum, die Idee elementarer oder extralegaler Gesetze insgesamt zu verwerfen zugunsten einer Ineinssetzung von Gesetz, Geschichte und Bewegung in Gestalt der NSDAP und deren Führers Adolf Hitler (vgl. Fraenkel 1984). Daher stand das durch Jung entworfene Programm der ‚Konservativen Revolution‘ durchaus in einer Spannung zum NS. Die Spannung nimmt noch zu, wenn man wie Mohler den Begriff der ‚Konservativen Revolution‘ weiter ausdehnt auf die ‚Nationalrevolutionären‘ oder ‚Nationalbolschewisten‘, die teilweise ab 1934 gar zu inneren Feinden des NS wurden. Tendenziell zielten die meisten Gruppierungen des ‚konservativ-revolutionären‘ Spektrums auf eine kleine Elite ab und waren derart konsequent antiparlamentarisch, dass sie für den ‚legalen Kurs‘ der NSDAP weitgehend Verachtung bereithielten. Abgesehen von den genannten Spannungen ist es aber nicht möglich, eine wirklich trennscharfe Abgrenzungslinie zum ideologischen Konglomerat des Nationalsozialismus zu ziehen (vgl. Breuer 1993: 47), sodass die Vertreter*innenFootnote 1 der ‚Konservativen Revolution‘ als „weltanschauliche Vordenker und Wegbereiter des Nationalsozialismus“ (Salzborn 2018: 67) angesehen werden müssen. Das Verhängnisvolle für die instabile Weimarer Republik war dabei vor allem ihr Insistieren auf der Überkommenheit des Bestehenden, ihre radikal offen zur Schau gestellte Demokratiefeindlichkeit und das Werben für den Untergang von Weimar, getreu dem Motto: ‚Was fällt, das soll man stoßen‘.Footnote 2 Ob der Nationalsozialismus die ersehnte kommende Ordnung darstellte, darüber gab es weit auseinandergehende Auffassungen: Viele kooperierten nach der Machtübertragung mit dem NS-Staat und seinem Personal oder passten sich an, andere gerieten in den Weg und manche traten ihm auch aktiv entgegen. Stellvertretend für die Bandbreite an Verhaltensweisen der Vertreter*innen in Bezug auf das nationalsozialistische Regime können hier zwei der bekanntesten zugeordneten Personen genannt werden: Der oben zitierte Edgar Julius Jung, der im Rahmen des sogenannten ‚Röhm-Putsches‘ von der SS ermordet wurde, sowie Carl Schmitt, der die gesamte Aktion juristisch mit seinem Aufsatz Der Führer schützt das Recht rechtfertigte. Andere große Namen starben vor der Machtübernahme, wie Arthur Moeller van den Bruck, oder hielten sich weitgehend bedeckt im Privaten, wie Oswald →Spengler und Ernst →Jünger. Die ebenfalls zu Teilen der ‚Konservativen Revolution‘ zugeschlagene Gruppe des 20. Juli übernahm bis zur Kriegswende im Russlandfeldzug ohne großen Vorbehalt hohe Posten im NS-Regime und war weit davon entfernt für Demokratie zu kämpfen; vielmehr hatten sie in erster Linie die Abwendung einer vollständigen Niederlage und des einhergehenden Verlusts nationaler Souveränität im Sinn.

Ungemein wichtig zu benennen ist, dass diese Bewegung eben in keiner Weise eigenständig oder klar ein- und abzugrenzen war und die darunter gefassten Personen sich auch nicht als solche oder auch nur über eventuellen Austausch hinausgehend verbunden sahen. Es gab weder ein strukturiertes Netzwerk noch einen auch nur im Ansatz homogenen Theoriekanon. Zudem tauchte die Begriffspaarung ‚Konservative Revolution‘ zwar vereinzelt auf, aber als politische Forderung und in keiner Weise um eine Gruppe oder gar die eigene Zugehörigkeit zu beschreiben. Auch daraus ergibt sich, dass Nähe oder Entfernung zum Nationalsozialismus eine Frage der begrifflichen Definition ist.

2 Der Mythos der ‚Konservativen Revolution‘

Hier beginnt Armin Mohlers Arbeit am Mythos – nach Werk und Phänomen die letzte Bedeutungsebene des Begriffspaares – der ‚Konservativen Revolution‘ (s. Kellershohn 2005), auf dem zu gewissen Teilen die ‚Neue Rechte‘ aufbaut. Über zwei ‚Modelle‘ konzipiert er sie als eigenständige Strömung (vgl. Kellershohn 2005: 72) und zwar als Gegenkraft zur Französischen Revolution, die in allen Lebensbereichen und allen europäischen Ländern wirkte. Dabei untersucht er allerdings nur einen Ausschnitt: die ideengeschichtliche Entwicklung in Deutschland zwischen 1918 und 1932.

Direkt im ersten Schritt versucht Mohler dabei die Bewegung durch eine äußere Abgrenzung vom Nationalsozialismus zu konstituieren (vgl. Kapitel A1: Mohler 1994: 3–23). Dies geschieht über verschiedene Ansätze, die sich teilweise widersprechen. Vor allem versucht er die ‚Konservative Revolution‘ als eine geistige Elitenbewegung zu charakterisieren und dem Nationalsozialismus als Massenbewegung entgegenzustellen. Einerseits beschreibt er den Nationalsozialismus als Seitenzweig der ‚Konservativen Revolution‘, der sich ihrer Ideen bedient habe, gewissermaßen also eine illegitime Verwirklichung gewesen sei, was auch die teilweise Verwechslung, beziehungsweise Gleichsetzung beider Strömungen und ihrer Ideen erklären könne. Andererseits schreibt er von den Vertreter*innen der ‚Konservativen Revolution‘ als „Trotzkisten des Nationalsozialismus“ (Mohler 1994: 4), stellt sie also als Dissidenten im nationalsozialistischen Lager dar. An anderer Stelle wiederum sieht Mohler Nationalsozialismus und ‚Konservative Revolution‘ als zwei scheinbar ebenbürtige Stränge, die gleichzeitig auf den Umbruch zugesteuert hätten, erst nach dem sogenannten ‚Röhm-Putsch‘ 1934 getrennt wurden und dadurch dann retrospektiv umso klarer voneinander abgegrenzt werden könnten. In dieser Konzeption legt er zudem die Grundlagen für die Idee eines vermeintlichen Opferstatus der Bewegung, insbesondere benannt mit den Ermordungen vom 30. Juni 1934, bis hin zu Aspekten eines angeblich ‚konservativ-revolutionären‘ Widerstandes, den er vor allem im Putschversuch vom 20. Juli 1944 sieht. Eine – auch schuldhafte – Verstrickung von ‚Konservativer Revolution‘ und Nationalsozialismus erkennt er rhetorisch zwar an, das „änder[e] aber nichts daran, daß jeder der Stränge sein eigenes Leben und sein eigenes Gesetz besitz[e] und daß der Trennungsstrich zwischen ihnen mit Blut gezogen“ (Mohler 1994: XXVIIf.) sei.

Bezeichnenderweise behauptet Mohler sonst aber wiederholt, dass die Zeit des Nationalsozialismus noch nicht bewertet werden könne, da sie zu nah sei und die umfassende Darstellung erst geschrieben werden müsse. Auch in der 5. Ausgabe von 1999 ist das noch so formuliert, die ausbleibende Überarbeitung des Textes begründet Mohler im Vorwort zur Neuausgabe 1972 abwegig damit, dass alles andere tendenziell Verfälschung sei. Letztendlich verstößt er in seiner Darstellung aber immer wieder gegen die von ihm selbst vorgenommene Setzung des Nationalsozialismus als „black box“ (Kellershohn 2005: 84), über die noch nichts gesagt werden könne. Beispielsweise in der vorab beschriebenen Darstellung des ‚Röhm-Putsches‘ 1934 als Punkt der Abgrenzung beider Strömungen oder der vermeintlich notwendigen Trennung von Bewegung und individuellen Träger*innen bezogen auf die „Verantwortung für den Nationalsozialismus“ (Mohler 1994: 8). Letztere nutzt er unter dem Strich zur Entschuldung beider: Seine rhetorische Frage, ob „Geistiges überhaupt für Erscheinungen der Wirklichkeit haftbar gemacht werden kann“ (Mohler 1994: 9) suggeriert nicht nur fälschlicher-, sondern geradezu unverschämterweise eine Unschuld der ‚geistigen‘ Bewegung per se. Bezüglich der nach ihm immerhin theoretisch möglichen Schuld individueller Personen verweist er wiederum auf die angeblich noch völlig ungeklärten Rollen dieser im Nationalsozialismus. Jegliche Anerkennung von Verantwortung umgeht er letztendlich durch argumentative Drehungen, Tabuisierung und die Vermeidung von Schlussfolgerungen. Schuldvorwürfe spiegelt er durch Vagheit und suggestive Anmerkungen einfach zurück (vgl. insbesondere die Vor- und Nachworte 1950 und 1972 in Mohler 1994: XXV–XXX, 167–172).

Im Weiteren nimmt Mohler über von ihm so genannte ‚Leitbilder‘ eine Eingrenzung von innen vor (vgl. Kapitel A3: Mohler 1994: 78–129). Neben mehreren ‚Unter-Leitbildern‘ und vorangehenden zeitlich und thematisch abgrenzenden ‚Beschreibungen des Stoffes‘ (vgl. Kapitel A2: Mohler 1994: 24–77) geht es ihm insbesondere um die Gegenüberstellung verschiedener Zeitverständnisse – dem ‚Ober-Leitbild‘ von „Linie und Kugel“ (Mohler 1994: 82). Er sieht in christlicher Tradition ein lineares Zeitverständnis (Linie) gewissermaßen durch die Geburt Jesu und seine erwartete Wiederkehr am Tag des Jüngsten Gerichts abgesteckt, und, dem diametral entgegengesetzt, ein zyklisches Zeitverständnis (Kugel), hergeleitet von Friedrich Nietzsches Philosophie zur Ewigen Wiederkunft und vor allem beschrieben durch die Idee von Zivilisationszyklen in Oswald →Spenglers Der Untergang des Abendlandes (1918/1922). Dieses zyklische Zeitverständnis charakterisiert Mohler durch den Glauben an ‚ewig Gültiges‘, an ‚das Besondere‘ und die Idee von ‚Einheit und Ganzheit‘, sowie vor allem des ‚erfüllten Augenblicks‘. Hieraus konzipiert er den ‚revolutionären Konservatismus‘ als die Ideologie der Gegenwart, die weder rein fortschrittsgläubig und damit bloß auf die Zukunft bedacht, noch rein reaktionär, also nur in die Vergangenheit blickend, sei. Gerade gegen das Christentum und seine ‚Säkularisationsformen‘ wird dies in Stellung gebracht, der gesamten ‚modernen Welt‘ wird der ‚Wert der Gegenwart‘ abgesprochen – daher auch die scheinbare Notwendigkeit eines revolutionären Aspekts von Konservatismus.

Wo dieses ‚Ober-Leitbild‘ nicht zutrifft – beispielsweise waren Schmitt, Moeller van den Bruck und Jung als herausragende Vertreter der ‚Konservativen Revolution‘ keinesfalls Anhänger eines zyklischen Zeitverständnisses – verweist Mohler auf die vermeintlich nicht vollständig fassbare Abstraktheit des ‚Leitbildes‘. Seine ganze Argumentation baut hier auf einer immanenten Immunisierungsstrategie auf (vgl. Kellershohn 2005: 73 f.): Das ‚Ober-Leitbild‘ sei eben gerade nicht zwingend logisch und voll durchstrukturierend, die ‚Unter-Leitbilder‘ könnten ihm sogar widersprechen, da die gesamte ‚Art des Denkens‘ der ‚Konservativen Revolution‘ schon eine andere sei. Dieses ‚zyklische Denken‘ sei nicht mit ‚linearer Sprache‘ und ihren Begriffen zu fassen und daher bloß bedingt in solch abstrakten – und sich gegebenenfalls widersprechenden – ‚Leitbildern‘ zu umschreiben möglich.

Zuletzt strukturiert er die Bewegung in fünf Gruppen (vgl. Kapitel A4: Mohler 1994: 130–166) welche er kurz beschreibt. Unter der selbstgestellten Frage „Vereinigung des Unvereinbaren?“ (Mohler 1994: 130) nennt er als Hauptstränge ‚Jungkonservative‘, ‚Völkische‘ und ‚Nationalrevolutionäre‘ und als Nebenstränge unter Vorbehalt ‚Bündische‘ und die ‚Landvolkbewegung‘. Die Bibliografie versammelt und systematisiert – geordnet nach eben diesen Gruppen und vorab entworfenen ‚Leitbildern‘ und ‚Stoffbeschreibungen‘ – in einem Umfang von über 300 Seiten eine Masse an Publikationen über und von Personen im Umkreis dessen was Mohler ‚Konservative Revolution‘ nennt.

Zusammenfassend bewertet, schafft Armin Mohler mit dem Schlagwort der ‚Konservativen Revolution‘ erst eine einheitliche und eigenständige Strömung, die es so nicht gab. Er fasst in eins, was völlig heterogen und teilweise gegeneinanderstand, zudem versucht er retrospektiv zu trennen, was eigentlich nah und verwoben war. Letzteres, indem er die Bewegung als rein geistig beschreibt und ihr einen Opferstatus bis hin zu einer genuinen Widerstandsrolle zuschreibt. Insgesamt nimmt er in der dezidierten Abgrenzung vom Nationalsozialismus den Versuch einer massiven Entlastung vor. In Hinblick auf den Nationalsozialismus bedient er sich eines ‚Black-Box-Arguments‘, zur Absicherung der offensichtlichen Widersprüche seiner eigenen Darstellung nutzt er immanente Immunisierungsstrategien. Somit ist das Werk weder in seiner Konzeption noch in seiner Apologetik überzeugend. Im Postulieren der eigenen ‚sachlich-nüchternen Wissenschaftlichkeit‘ gegen die vermeintlich sonst vorherrschenden ‚vereinfachenden erzieherischen Affekte‘ und insbesondere die Anmerkung, dass „jede Wirklichkeit gemischt“ (Mohler 1994: XXV) sei, lässt sich außerdem eine geschichtsrevisionistische Stoßrichtung erkennen.

3 Strategie-Option zur Rettung völkischer Ideale

Nichtsdestotrotz wurde mit der ‚Konservativen Revolution‘ ein ‚politischer Mythos‘ geschaffen, bei dem die inhaltliche Konsistenz gerade nicht relevant, sondern allein die Wirkung entscheidend ist. Und die ist in keiner Weise abzustreiten, wurde damit doch direkt nach und trotz nationalsozialistischer Herrschaft, Zweitem Weltkrieg und Holocaust wieder eine angeblich positive rechte Tradition ins Leben gerufen, die bis heute insbesondere in der sogenannten ‚Neuen Rechten‘ besteht (s. Weiß 2017). Das zeigt sich an der Rezeption von der ‚Konservativen Revolution‘ zugeordneten Texte und Ideen in Nachdrucken, auf Symposien, im praktizierten Kult um zugerechnete Personen wie beispielsweise Carl →Schmitt und Oswald →Spengler, und auch in dem entsprechenden Selbstverständnis der ‚Neuen Rechten’ als Elite, sowie ihrer Agitationsweise größtenteils abseits von Partei- und Tagespolitik. Die ‚Neue Rechte‘ sieht sich dezidiert in Traditionslinie der ‚Konservativen Revolution‘, welche daher die Funktion eines „Erinnerungsortes“ (Weiß 2015: 101) übernimmt. Die Nutzung der Abgrenzungsstrategie vom Nationalsozialismus und ihre Weitertradierung – folgerichtig auch in Richtung einer neonazistischen Rechten – ermöglicht und rechtfertigt diesen ‚Erinnerungsort‘ mitsamt seinen Ideen weiterhin essenziell.

All das wurde bis Ende seines Lebens tatkräftig unterstützt von Armin Mohler selbst (s. Willms 2004), der schon während des geisteswissenschaftlichen Studiums in seinem Geburtsort Basel 1942 illegal über die Grenze nach Deutschland ging, um sich dort der Waffen-SS anzuschließen, letztendlich bloß für einen kurzen Studienaufenthalt in Berlin blieb und das Ganze retrospektiv damit erklärte, dass auch er Nationalsozialismus mit ‚Konservativer Revolution‘ verwechselt habe. Durch die folgende Promotion gut vernetzt, wurde er direkt im Anschluss Privatsekretär von Ernst →Jünger und blieb beispielsweise auch mit Carl Schmitt bis zu dessen Tod eng verbunden. Seinen Anfang der 1960er Jahre angetretenen Posten als Geschäftsführer der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung nutzte er in vollem Maße zum Ausbau dieser als ‚neurechtem‘ Thinktank und der Verbreitung der ‚Konservativen Revolution‘ und ihrer Ideen. Zwischenzeitlich fungierte er als Berater und Redenschreiber für Franz-Josef Strauß, außerdem unterstützte er von Anfang an ‚neurechte‘ Projekte wie die Zeitschrift Criticón und später die Junge Freiheit (JF). In diesen und weiteren Publikationen wetterte er regelmäßig gegen Liberalismus und die ‚Vergangenheitsbewältigung‘, letzte Schlagzeilen sammelte er dann mit der Selbstbezeichnung als Faschist und Zuspruch zu holocaustleugnenden Positionen.

Gerade die entlastende Abgrenzung zum Nationalsozialismus bleibt aber der strategische Kern der – dadurch erst so geltenden – ‚Neuen Rechten‘. Auch wenn das von Mohler als so wichtig erachtete zyklische Zeitverständnis in Teilen noch Anklänge findet (z. B. bei Björn →Höcke), ist es insgesamt für das Selbstverständnis weitaus weniger relevant geworden. In der Neuauflage der ‚Konservativen Revolution‘ von Karlheinz Weißmann nimmt es keinen konstituierenden Platz mehr ein. Geeint sind die verschiedensten Kreise des Milieus jedoch weiterhin in ihren völkischen Werten, die sie Dank der vermeintlichen Unterscheidung der eigenen Tradition von der des Nationalsozialismus überhaupt vertreten können. ‚Neu‘ ist hier – auch in der Abgrenzung zu aktuellen neonazistischen Strömungen – weniger die Ideologie als die Strategie (vgl. Salzborn 2018: 74 f.). Armin Mohlers ‚Vermächtnis‘ – nicht nur er selbst betitelte sich diesbezüglich gar als ‚Vater der Neuen Rechten‘– ist also vornehmlich eine Strategieoption, während auf ideeller Ebene lediglich vergangene Ideologie plagiiert wird (vgl. Brauner-Orthen 2001: 33 f.).

4 Andauernde Wirkmächtigkeit des Konstrukts trotz fundamentaler Kritik

Der Veröffentlichung folgte jedoch auch Kritik an Mohlers Werk.Footnote 3 Die ersten Äußerungen kamen vor allem von Konservativen und wandten sich gegen seine antichristliche Stoßrichtung: Nach Mohler sei das Christentum durch sein lineares Zeitverständnis und die Idee der Nächstenliebe letzten Endes immer ‚links‘ und ließe sich daher mit ‚echtem‘ Konservatismus nicht vereinbaren. Dieser müsse im Umkehrschluss ‚heidnisch‘ sein (vgl. Kellershohn 2005: 77). Bald folgte auch deutliche Kritik an der Konzeption der ‚Konservativen Revolution‘ als eigenständige Strömung und die Abgrenzung dieser vom Nationalsozialismus und daran anknüpfend am entstandenen Mythos und dessen politischen Effekt. Trotz aller Kritik hat das Buch aber auch in der heutigen Wissenschaft noch eine hohe Relevanz. Das liegt zum einen an der umfassenden Bibliografie, zum anderen allerdings auch daran, dass es keine erfolgreich durchgesetzte Gegenkonzeption gibt. Ebenso konnte sich noch nicht auf einen anderen Forschungsbegriff geeinigt werden, sodass auch weiterhin ‚Konservative Revolution‘ als solcher genutzt wird. Diese durchgehende Art von Weitertradierung immanenter problematischer Aspekte wie der kritisierten Darstellung als eigenständiger Strömung, führt teilweise sogar zur unhinterfragten Übernahme der Abgrenzung vom Nationalsozialismus – am stärksten ausgedrückt in der Auslegung der Bewegung als konservative Opposition gegen Hitler. Dies geschieht gerade auch in journalistischen Darstellungen für ein breiteres Publikum, insbesondere bei Beschäftigungen mit der ‚Neuen Rechten‘.

Dagegen besteht der Vorteil des von Volker Weiß vorgeschlagenen Begriffes „dynamisch-aggressive[r] Nationalkonservatismus“ (Weiß 2015: 102) darin, dass er die verschiedenen Aspekte besser aufzeigt und zudem auch auf die große Problematik der Bewegung hinweist. Diese war – wie aufgezeigt – keineswegs ‚harmlos‘, sondern im Allgemeinen ihrer politischen Zielsetzungen und ideologischen Grundpositionen dem Nationalsozialismus gleich beziehungsweise der Weimarer Republik und der Demokratie feindlich gesinnt. Widerstand wurde, wenn, dann vor allem aus Konkurrenz geleistet. Über dieses Konkurrenzverhältnis ist weitgehend auch die teilweise Einschränkung bis Verfolgung von zugerechneten Personen zu erklären.

Vor diesem Hintergrund ist die ‚Konservative Revolution‘ nach Armin Mohler ein tendenziell geschichtsrevisionistisches Konstrukt, das eine vermeintlich ‚Neue Rechte‘ – von den intellektuellen Kreisen um Karlheinz Weißmann und Götz Kubitschek (s. Kellershohn 2016) bis hin zu den aktivistischen der Identitären Bewegung (IB) – in entlastender Weise anknüpfend zur „Rettung völkischer Ideale“ (Salzborn 2017: 23) nutzt. Auch die sogenannte ‚Neue Rechte‘ steht gegen Aufklärung und Moderne, Liberalismus und Universalismus, und fordert einen autoritären Staat mit völkischer Basis. Die homogene Nation ist für sie Ordnungsfaktor und identitätsstiftender Rahmen; sie verfechten ein ethnisch-kulturell begründetes Ungleichheitsdenken. Und folgerichtig ähnlich verlaufen die Strategien: Durch sogenannte →‚Metapolitik‘ und die Konzentration auf kulturelle Debatten im vorpolitischen Raum versuchen sie Einfluss auf grundlegende Überzeugungen und Werte zu nehmen und in die politische Mitte vorzustoßen. Es werden bewusst Grenzen verwischt und gewissermaßen eine „Intellektualisierung des Rechtsextremismus“ (Salzborn 2018: 75) vorgenommen – alles dezidiert in der vermeintlich als unproblematisch entlasteten, da nicht nationalsozialistischen Tradition der ‚Konservativen Revolution‘. Eine Strategie, die gerade in konservativen Kreisen auch der sogenannten politisch-gesellschaftlichen ‚Mitte‘ aufgeht und durchaus auf eine bereits interessierte Einstellung trifft, wie beispielsweise die prominente Nutzung des Begriffspaares ‚Konservative Revolution‘ als politische Forderung durch Alexander Dobrindt in einem Beitrag in der WELT 2018 zeigt (vgl. Dobrindt 2018; s. Kellershohn 2018).