Wenn du den Begriff „Arts and Crafts“ hörst, denkst du vielleicht an Grundschulprojekte mit Bastelpapier, Buntstiften, Kleber und Glitzer. Aber Arts and Crafts ist auch eine historische Kunstbewegung und war ein beliebter Stil einiger der angesehensten Kreativen ihrer Zeit.
Die ursprüngliche Bewegung hat eine Sache mit den Garn- und Filzstoffen moderner Arts and Crafts-Läden gemeinsam: Handarbeit und die Liebe zum Material stehen im Vordergrund. Diese Philosophie ist auch heute noch von Bedeutung, da Designer und Designerinnen mit den Auswirkungen der digitalen Massenproduktion zu kämpfen haben. Aber was genau ist Arts and Crafts und wie kannst du dir diesen ikonischen Stil zunutze machen? Um die Antworten darauf zu finden, werden wir dir das Arts and Crafts Movement der Vergangenheit und seine Entwicklung bis zum heutigen Tage aufzeigen.
Was ist Arts and Crafts?
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Arts and Crafts war eine ästhetische und philosophische Bewegung um die Wende zum 20. Jahrhundert, die vorindustrielle Techniken in der dekorativen Kunst wieder aufleben ließ. Der Begriff tauchte das erste Mal im Jahr 1887 im Zusammenhang mit der Gründung der Arts and Crafts Exhibition Society in London auf, doch der Stil selbst hatte sich schon Jahre zuvor entwickelt.
Was genau definiert Arts and Crafts als visuellen Stil? Wie der Name vermuten lässt, bezieht sich Arts and Crafts größtenteils auf handwerkliche Arbeiten wie Architektur, Möbel, Textilien, Töpferei, Metallwaren und Glaswaren. Das bedeutet, dass sich sein visueller Ausdruck stark ändern kann, je nach Kunstschaffenden und Medium, aber es gibt einige gemeinsame Merkmale, die sich herauskristallisiert haben.
Die Merkmale von Arts and Crafts
- Mittelalterliche/gotische Einflüsse
- Buntglasimitation
- Florale Motive
- Verschachtelte Muster
- Natürliche Formen
- Natur als Thema
Der Unterschied zwischen Arts and Crafts und Jugendstil
Arts and Crafts und Jugendstil sind beides dekorative Bewegungen, die ungefähr zur selben Zeit entstanden und ihre Merkmale sehen sich häufig ähnlich. In beiden Stilen wurden beispielsweise gern gewölbte Rahmen, florale Motive und handgefertigtes Buntglas verwendet. Viele Vorreiter des Arts and Crafts Moments wie William Morris und C. F. A. Voysey spielten auch in der Jugendstil-Szene eine bedeutende Rolle.
Der prinzipielle Unterschied zwischen den beiden ist subtil und philosophisch. Während beide Stile in die Vergangenheit blickten, handelte es sich beim Jugendstil um eine fortschrittliche Bewegung (daher auch die französische Bezeichnung Art Nouveau). In diesem Sinne wurden auch die mittelalterlich inspirierten Ranken des Arts and Crafts Movements zu abstrakten Peitschenlinien weiterentwickelt, einem der beliebtesten Merkmale des Jugendstils.
Der Jugendstil mied zudem Technologie nicht in dem Ausmaß, wie Arts and Crafts es tat. Stattdessen konzentrierte sich der Jugendstil darauf, die Grenzen zwischen bildender Kunst und Design zu überwinden, während Arts and Crafts eine Reaktion auf die Massenproduktion war. Der Jugendstil wollte Kunst für Jedermann sein und das bedeutete, in allem die Schönheit zu finden, von der Natur bis hin zu Fabrikböden.
Die Geschichte des Arts and Crafts Movements
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Alles begann mit der Great Exhibition in London im Jahr 1851 (der allerersten Weltausstellung), auf der dekorative Werke aus aller Welt ausgestellt wurden. Viele der anwesenden Designschaffenden waren entsetzt über die mangelhafte Qualität dieser eigentlich feierlichen Ausstellung des internationalen Kunsthandwerks. Die Stücke wurden als übereilt konstruiert, zu sehr auf Ornamente ohne Zweck ausgerichtet und ohne Rücksicht auf die verwendeten Materialien kritisiert. Als Übeltäter wurde die Massenproduktion ausgemacht.
Unter den Teilnehmenden war auch der britische Autor und Designer William Morris, der heute als Urvater des Arts and Crafts Movements bekannt ist.
Morris war größtenteils geprägt von dem Philosophen John Ruskin (und später Karl Marx) und er glaubte, dass die Fabrikproduktion zu einer Arbeitsteilung geführt hatte, die die Designschaffenden von ihrer Kunst entfremdete. Morris und sein Freundeskreis waren ebenfalls Verehrer der vorindustriellen, mittelalterlichen Kunst, die für ihre Ehrfurcht vor der Natur bekannt war. Zusammen gründeten sie 1861 Morris & Co, ein Unternehmen, das sich mit Architektur, Möbeln, Textilien und Glaswaren beschäftigte, aber auch bekannte Tapeten mit floralen Mustern produzierte, die an mittelalterliche Manuskripte erinnerten.
Morris & Co setzte auf natürliche Materialien und Handarbeit und die Arbeiter wurden dazu ermuntert, an jedem Teil des Designprozesses teilzuhaben. Die Designs von Morris & Co wurden zu den am häufigsten gezeigten auf der Arts and Crafts Exhibition Society und prägten die Bewegung.
Mit der steigenden Bekanntheit von Morris & Co entstanden überall im Vereinigten Königreich Arts and Crafts-Gilden. Genau wie die Handelsgilden vergangener Zeiten ermöglichten diese es Kunsthandwerkern, die Qualitätsstandards und Preise selbst zu bestimmen. Zu den nennenswerten Namen dieser Zeit zählen die Century Guild of Artists, Home Arts and Industrie Association und die Art Workers Guild. Im Jahr 1893 erschien erstmalig das Magazin The Studio, das sowohl Einfluss auf das Kunsthandwerk als auch den Jugendstil hatte.
Das Arts and Crafts Movement erreichte schließlich die USA, wo sein sozialistischer Unterton zur Progressive Era der amerikanischen Politik passte und besonders bei den weiblichen Reformern inmitten der Wahlrechtsbewegung Anklang fand. Die Paul Revere Pottery in Boston und die Newcomb Pottery in New Orleans waren von Frauen geführte Unternehmen, die sich nicht nur darauf konzentrierten, Arts and Crafts-Töpferwaren zu produzieren, sondern auch auf die Ausbildung von Frauen (von denen viele gebeutelte Immigranten waren). Eine bedeutende Architektin dieser Zeit war Julia Morgan, die erste in Kalifornien zugelassene Architektin, die dort über 700 Gebäude errichtete, von denen das Hearst Castle das bekannteste ist.
Auch wenn sich viele amerikanische Designschaffende von der britischen Bewegung inspirieren ließen, orientierten sie sich eher am Massenkonsum und arbeiteten mit Maschinen, um vereinfachte Arts and Crafts-Werke herzustellen, die sich leichter verkaufen ließen.
Nach jahrzehntelanger Vorherrschaft begann das Arts and Crafts Movement in den 1920er Jahren zugunsten von Art déco und Modernismus zu verblassen. Trotz seiner edlen Absichten war seine Ideologie mit einem grundlegenden Fehler behaftet: Durch den Blick in die Vergangenheit konnte es nicht mit der Gegenwart mithalten. Der handwerkliche Charakter des Designs erwies sich nicht nur als zu arbeitsintensiv für die Anforderungen des 20. Jahrhunderts, sondern führte auch dazu, dass die Produkte unerschwinglich wurden – weit entfernt von den sozialistischen Idealen.
Doch das Erbe des Arts and Crafts Movements sollte sich in anderen Bewegungen fortsetzen. in den 1920-Jahren erlebte es eine Wiederauferstehung im Mingei-Stil in Japan und die Vorstellungen über Form, Funktion und Material inspirierten später die Bauhaus-Schule.
Arts and Crafts im Grafikdesign
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Ein Jahrhundert später erlebt das Arts and Crafts Movement eine Wiederauferstehung im modernen Grafikdesign. Während die physischen Maschinen der industriellen Revolution in unserem heutigen Alltag weniger verbreitet sind, hat die digitale Ära zu einer neuen Art der Massenproduktion mit Softwaretools geführt. Das Ergebnis ist eine Fülle an Designs, die sich ausgelutscht, simpel und seelenlos anfühlen. Es ist daher kein Wunder, weshalb viele Designer und Designerinnen auf die Vergangenheit blicken, um die Handwerkskunst zurück ins Grafikdesign zu bringen.
Die Reiz von Arts and Crafts liegt in seiner Fähigkeit, Designprojekte persönlich und handgefertigt wirken zu lassen. Aber wie funktioniert das in unserer digitalen Zeit? Schließlich ging es beim Arts and Crafts Movement vorrangig um Architektur und Inneinrichtung. Doch was ist mit Grafikdesign? Um das zu beantworten, lass uns einen Blick auf ein paar moderne Beispiele werfen.
Wie auch sein Vorgänger sucht Arts and Crafts in der Vergangenheit nach Inspiration – vor allem bei der mittelalterlichen Kunst. Das bedeutet, dass klassische Themen wie Engelsfiguren, Glasmalerei und Natursymbolik an moderne Marken angepasst werden.
Naturmotive sind vor allem in illustrativen Mustern präsent und erinnern an die Tapeten von Morris & Co. Diese enthalten in der Regel Ranken mit Blättern und blühende Arrangements, die oftmals als Rahmen für andere Designelemente wie Typografie oder ein zentrales Bild genutzt werden.
Doch das moderne Arts and Crafts beschränkt sich nicht auf Illustration oder Bilder. Typografische Formen können durch dekorative Striche im Arts and Crafts-Stil daherkommen. Während diese natürlichen Rundungen auf subtile Weise handgezeichnete, illuminierte Buchstaben imitieren, sorgt ein aktueller Trend dafür, dass sie sich von einer ansonsten gewöhnlichen Buchstabenform absetzen. Dadurch wird ein Kontrast geschaffen, der den dekorativen Schriftzug hervorhebt, als ob er aus der Uniformität ausbrechen würde.
Und schließlich – und das ist vielleicht das Wichtigste – geht es bei Arts and Crafts um Technik. Selbst wenn das Design am Computer erstellt wurde, sollte es nicht so aussehen, als wäre es von einem Computer erstellt. Arts and Crafts soll an alte, handgefertigte Kunst erinnern und nutzt illustrative Techniken wie lose fließende Linien, Kreuzschraffuren und malerische Texturen. Bewunderung für die Materialien war immer ein essenzieller Punkt, weshalb du deine Designs am besten von Hand erstellst, bevor du sie auf den Computer bringst.
Designe nicht, sondern stelle her
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Arts and Crafts war eine Bewegung, die es sich zum Ziel gemacht hat, das Schöne in den Mittelpunkt zu stellen. Es kämpfte gegen die Art und Weise, wie industrielle Maschinen das ästhetische Erlebnis sowohl für Kunstschaffende als auch Konsumenten zerstörte. Obwohl es das durch die Anlehnung an vorindustrielle Gotikstile erreicht hat, geht es im Arts and Crafts Movement (vielleicht mehr als bei jeder anderen dekorativen Bewegung) eher um sein Ethos als um einen bestimmten Look. Um Arts and Crafts in deinen Design nutzen zu können, musst du bereit sein, dir die Hände schmutzig zu machen und dich mit den Materialien und der Funktionalität dessen, was du kreierst, auseinanderzusetzen. Arts and Crafts ist mehr als Kleber und Holzstäbchen – es ist Design mit Herz.