Reine Geschmacksache - Die Filmstarts-Kritik auf FILMSTARTS.de
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    Reine Geschmacksache
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,0
    lau
    Reine Geschmacksache
    Von Christoph Petersen

    Egal ob als einarmiger TV-Kommissar im „Polizeiruf“, als zorniger „Faust“ in Jan Bosses Inszenierung am Hamburger Schauspielhaus oder als schließlich schwanzloser, an der Midlife-Crisis dahinvegetierender Schriftsteller in Oskar Roehlers „Suck My Dick“: Edgar Selge zählt zu recht zu den ausdrucksstärksten deutschen Darstellern überhaupt. Wenn ein solches Schauspiel-Schwergewicht nun die Hauptrolle im Kinodebüt eines jungen Regisseurs übernimmt, erweist sich dies zumindest im Falle von Ingo Raspers Komödie „Reine Geschmackssache“ als Segen und Fluch zugleich. Natürlich setzt Selge erfolgreich eine ganze Reihe an erinnerungswürdigen Ausrufezeichen. Zugleich nimmt seine Darstellung aber plötzlich auch so viel Platz ein, dass dem Rest des Films ein wenig die Luft zum Atmen fehlt.

    Wolfgang „Wolfi“ Zenker (Edgar Selge) ist 52, Handelsvertreter für gediegene Damenoberbekleidung und hat sich gerade eine neue Mercedes S-Klasse zugelegt, die er sich eigentlich gar nicht leisten kann. Doch das sind bei weitem nicht all seine Probleme. Sein junger Kollege Steven Brockmüller (Roman Knizka) schnappt ihm mit seiner neuen, jugendlich-hippen Kollektion die ganzen Aufträge weg. Und den Lappen haben sie dem notorischen Raser auch abgenommen. Weil er ohne Wagen aber nicht zu seinen Kunden kommt, muss Wolfi zu drastischeren Maßnahmen greifen. Eigentlich wollte sein 18-jähriger Sohn Karsten (Florian Bartholomäi) ja mit zwei Freundinnen eine Sprachreise nach Spanien machen, doch nun wird er von seinem Vater stattdessen dazu verdonnert, ihn die nächsten Wochen zu chauffieren. Natürlich tut dies dem eh schon angespannten Vater-Sohn-Verhältnis nicht sonderlich gut, und so gehen die Geschäftsfahrten auch allesamt nicht unbedingt harmonisch vonstatten. Während Wolfi sich immer tiefer in seinen Lebenslügen verstrickt, bewegt sich Karsten hingegen eher in Richtung Coming-Out. Dieser hat sich nämlich ausgerechnet in Konkurrent Steven verknallt und kann sich nur schwer vorstellen, welche Nachricht seinen Vater härter treffen wird – sein Schwulsein oder doch die unglückliche Wahl seines Lovers...

    Wolfgang ist ein selbstverliebter Egoist, ein Scheusal wie es im Buche steht. Und Edgar Selge hat sichtlich Spaß daran, sich in der Rolle des totalen Unsympathen so richtig auszutoben. So sind die ersten Szenen, in denen seine rücksichtslose Ich-Bezogenheit vorgeführt wird, auch wirklich lustig geraten. Wenn er seinem Sohn auf dem Weg zum Flughafen plötzlich verbietet, seinen Urlaub anzutreten, bleibt einem das Lachen sogar kurzzeitig im Halse stecken. Doch damit ist der Höhepunkt von Wolfis egoistischem Treiben eigentlich auch schon erreicht, und das nach gerade einmal schlappen zehn Minuten. In der Folge benimmt sich Wolfgang zwar weiterhin ständig daneben, doch es findet kaum mehr eine Steigerung statt. Stattdessen fühlt es sich an, als ob man immer wieder denselben Witz erzählt bekommt – erst lacht man lauthals, dann schmunzelt man amüsiert und schließlich nimmt man ihn nur noch müde lächelnd zur Kenntnis. Die Figur des abgedrehten Handelsvertreters hätte einem Kurzfilm wohl erheblich besser zu Gesicht gestanden, tritt für einen abendfüllenden Spielfilm einfach zu sehr auf der Stelle. Da kann auch Selges eindrucksvoll-exzentrisches Spiel nur noch bedingt etwas ausrichten.

    Auf Dauer interessanter, aber von Selges lauten Auftritten leider stets ein wenig im Hintergrund gehalten, sind die Figuren von Mutter und Sohn Zenker. Vor allem die Entwicklung der von Franziska Walser angenehm zurückhaltend gespielten Erika ist spannend geraten. Von ihren Freundinnen zur Trennung von Wolfgang getrieben, entschließt sie sich schließlich doch dazu, ihrem Mann beizustehen. Ein ungewohnt differenzierter Blick auf Emanzipation. Dagegen fällt die Zeichnung des schwulen Sohns schon erheblich gewöhnlicher aus, auch nimmt man Florian Bartholomäi und Roman Knizka ihre Verliebtheit – trotz einiger gelungen-romantischer Momente – nicht immer ab. Aber zumindest passiert zwischen den beiden etwas, was man von der Vater-Sohn-Beziehung, die ja eigentlich im Mittelpunkt des Films stehen sollte, nicht gerade behaupten kann. Bis zum Schluss kommen die beiden konsequent nicht miteinander klar, nur um sich dann halbwegs aus dem Nichts heraus in die Arme zu fallen – ohne jede vorherige Entwicklung bleibt diese konstruierte Happy-End-Auflösung auf jeder Ebene spekulativ und unglaubwürdig.

    Fazit: „Reine Geschmackssache“ setzt voll und ganz auf die exzentrischen Auftritte von Edgar Selge. Doch die allein reichen nicht aus, um aus einer amüsanten Kurzfilmidee einen tragenden 90-Minüter zu machen.

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