Was ein Gruppen-Coming-out im Fußball bewirken könnte
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„Schwuler Pass“: Was ein Gruppen-Coming-out im Fußball bewirken könnte

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Noch hatte kein aktiver Fußballprofi in Deutschland sein Coming-out. Ex-Fußballer Marcus Urban will das ändern. Ein queerer Sportverein hofft auf „mehrere Top-Spieler“.

Das vom schwulen Ex-Jugendnationalspieler Marcus Urban angekündigte Gruppen-Coming-out im Profifußball soll am Freitag (17. Mai), dem Internationalen Tag gegen Homophobie, stattfinden. Es könnte einen Knalleffekt ergeben, weit über Deutschlands Grenzen hinaus.

Urban selbst war der erste deutsche Ex-Profifußballer, der sich 2007 outete – und weltweit erst der zweite. Bis heute haben sich nur eine Handvoll Kicker auf der ganzen Welt als homosexuell geoutet, die Angst vor Imageverlust und schlussendlich auch finanziellen Einbußen ist noch immer groß.

König Fußball scheint auch kurz vor der EM 2024 im Juni in Deutschland vor allem ein Sport für „echte Männer“ zu sein. Ein schwuler Kicker passt offenbar nicht ins Bild, trotz zahlreicher Pride-Paraden und wachsender Aufmerksamkeit für LGBTQIA+-Rechte. Urban will mit seinem Netzwerk „Fußball für Vielfalt“ wachrütteln und aufzeigen, dass auch im „Echte-Kerle“-Sport Platz für queere Menschen ist.

Queerer Sportverein in Berlin: „Viele Spieler haben lange Zeit mit ihrer Sexualität gehadert“

Ein Fußballfan hat Regenbogenfahnen in den Haaren.
Der 17. Mai soll demnach das erste Angebot von vielen sein, sich öffentlich und in einer Gruppe zu outen. © Christian Charisius/dpa

„Viele Spieler im Verein haben lange Zeit mit ihrer Sexualität gehadert. Sie können ja nicht schwul sein, denn sie lieben ja Fußball“, sagt Sebastian Rätzel (41) vom queeren Sportverein Vorspiel in Berlin. Im November 1986 wurde der Verein zunächst als Schwuler Sportverein SSV gegründet, inzwischen bietet er 30 Sportarten an, das Herzstück ist dabei der Fußballverein.

Rätzel selbst ist seit 2010 mit dabei und war mit dem Verein bereits Europapokalsieger bei der schwul-lesbischen Europameisterschaft. Seit seinem dreizehnten Lebensjahr kickt der schwule Mann in Vereinen. „Als ich Teenager war, gab es die einzigen queeren Menschen ab und zu im Fernsehen, beispielsweise Dirk Bach oder Hape Kerkeling. Das hat sich zum Glück inzwischen geändert und macht es heute vielen Jugendlichen sicherlich leichter, sich so anzunehmen, wie sie sind. Im Fußball wäre das noch einmal ein ganz anderer Schritt.“

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Coming-out von Promis im Fußball könnte gegen Diskriminierung helfen

Ein wirklich prominentes Coming-Out könnte der queeren Jugend in Deutschland sehr viel Rückenwind geben – wenn sich selbst ein „echter Kerl“ outet, mit welchen Argumenten wollen Mitschüler dann auf dem Pausenhof noch gegen die „blöde Schwuchtel“ anstänkern? Genau solchen Aussagen begegnete Rätzel immer wieder, bis heute wird noch von einem „schwulen Pass“ gesprochen, wenn das Zusammenspiel auf dem Rasen nicht so funktioniert wie gewünscht.

„Der Verein war von Beginn an ein Safe Space, um überhaupt Fußball spielen zu können als offen queerer Mensch in den 80er und 90er Jahren, zum anderen war die Gruppe natürlich auch ein Anlaufpunkt, um andere Menschen kennenzulernen. Ein Verein ist zudem ja auch oft sowas wie eine Ersatzfamilie.“ Das oberste Ziel ist dabei bis heute, einen diskriminierungsfreien Raum zu schaffen, in dem jeder willkommen ist: „Wir haben auch heterosexuelle Spieler bei uns im Team.“

LGBTQIA+-Akzeptanz und Fußball: „Andere Sportarten sind da schon deutlich weiter“

Doch woher kommt sie, diese starke Diskrepanz zwischen Fußball und Homosexualität? „Der Fußball gilt bis heute als die männlichste aller Sportarten. Andere Sportarten sind da schon deutlich weiter“, sagt Rätzel. Die bisher prominenteste geoutete Persönlichkeit aus der deutschen Fußballwelt ist Thomas Hitzlsperger (42) – er outete sich allerdings erst nach seiner aktiven Karriere als Nationalspieler 2014. Zehn Jahre später hat sich an der Grundproblematik offenbar nicht viel verändert.

„Dass sich während seiner aktiven Karriere in der Bundesliga noch keiner geoutet hat, hat sicherlich auch damit zu tun, dass sonst der Fokus und der Hass auf eine Person gelegt werden würde. Es ist nach wie vor ein großes Risiko, sich zu outen“, sagt Rätzel, der gespannt auf ein mögliches Gruppen-Outing im Fußball blickt. „Was sicherlich helfen würde, wäre, wenn sich mehrere Top-Spieler outen würden, am besten aus jedem großen Verein. Es ist für einen Fan schwieriger, einen gegnerischen Spieler homophob zu beleidigen, wenn man selbst einen queeren Spieler in der Mannschaft hat.“

Dies ist ein Artikel von BuzzFeed News Deutschland. Wir sind ein Teil des IPPEN.MEDIA-Netzwerkes. Hier gibt es alle Beiträge von BuzzFeed News Deutschand.

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Was sich queere Fußballer und Fußballerinnen wünschen: „Kein Thema mehr – weil es egal wird“

Zu einem Outing drängen will Rätzel niemanden: Eine „Vorbildfunktion“ würde er sich dennoch erhoffen. Wird es dieses Mal klappen und die Fußballwelt im positiven Sinne erschüttert werden? „Wir sind sehr gespannt, was passiert. Es gibt durch das Sichtbarmachen immer die Chance, dass sich etwas verändert.“ Mit einem möglichen Gruppen-Outing verändert sich nicht alles sofort, die homofeindlichen Hardliner werden weiter versuchen, Hass zu schüren. „Die Menschen, die Hass verbreiten, sind immer die lautesten. Die Frage ist dann: Wie sehr steht die schweigende Mehrheit auf und schweigt nicht mehr?“

Diese Schweigsamkeit ist ein großer Kritikpunkt bei den Clubs und Fußballvereinen im Land. Abseits von einzelnen Kampagnen passiert zu wenig. „Leider werden noch homophobe Beleidigungen als Fan-Gesänge gegen die gegnerischen Fans verwendet. Da muss man ein Stück weit auch die Verbände mit in die Pflicht nehmen“, sagt Rätzel. Aktuell sehe er immer wieder auch transfeindliche Banner in den Fankurven, die nicht einmal sanktioniert werden würden.

„Es geht nicht darum, eine Minderheit hervorzuheben. Im Gegenteil sogar – die meisten queeren Menschen, die ich kenne, wären froh, wenn das gar kein Thema mehr wäre, einfach deswegen, weil es egal geworden ist.“

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