Martin Scorsese erhält Goldenen Ehrenbären der Berlinale: „Die Leute sagen, morgen werden wir alle sterben“

Martin Scorsese auf der Berlinale: „Die Leute sagen, morgen werden wir alle sterben“

Die Berlinale ehrt Martin Scorsese mit dem Goldenen Ehrenbären. Scorsese ehrt die Berlinale mit seiner puren Präsenz. Aber: Was hat Scorsese auf seiner Pressekonferenz gesagt?

Martin Scorsese auf der Berlinale
Martin Scorsese auf der BerlinaleOdd Andersen/afp

Martin Scorsese ist in der Stadt. Und die Berlinale ist ganz aus dem Häuschen an diesem mit grauen Wolken verhangenen Dienstagnachmittag, dem 20. Februar. Schon um 15.45 Uhr, eine Stunde bevor Scorsese hier im Hyatt Hotel am Potsdamer Platz aufschlagen soll, tummeln sich aufgeregt gut einhundert Autogrammjäger an den Absperrungen rund um die Tür, wo Scorsese später vorfahren wird.

In ihre Mappen haben die Fans Fotos und Miniatur-Filmplakate gesteckt, die sie sich signieren lassen wollen: „Casino“, „Departed“, „Wolf Of Wall Street“ und natürlich: „GoodFellas“. Eine handverlesene Highlight-Auswahl der mehr als 70 Filme, an denen Kultregisseur Martin Scorsese mitwirkte. Ein filmisches Œuvre, für das er dieses Jahr auf der 74. Berlinale mit dem Goldenen Ehrenbären prämiert wird. Wobei Scorsese freilich auch die Berlinale beehrt, allein mit seiner Hollywoodglanz-Präsenz auf dem Festival. Menschen von diesem filmischen Kaliber hat Berlin bitter nötig, um mit Cannes und Venedig in einer Liga spielen zu können.

Auch drinnen in der Hyatt-Lobby herrscht schon helle Aufregung. Zwischenzeitlich will die Security niemanden von der Presse mehr hochlassen in den Raum der Pressekonferenz mit Martin Scorsese: Es sei schon übertrieben voll, heißt es. Eine Stunde vor der PK?! Viele können es kaum glauben. Beim nicht minder glamourösen Hollywoodstar Kristen Stewart (die 2023 Berlinale-Jurypräsidentin war) am vergangenen Sonntag konnte man noch eine halbe Stunde vor der PK mühelos freie Plätze ergattern.

Dann entpuppt sich die Ansage aber doch als Fake News: Die Security lässt schließlich noch Dutzende Journalisten und Fotografen hoch in den Saal. Drinnen wird schon aufgeregt geplaudert. Auffällig bei den Sprachen: Neben Englisch und Deutsch hört man auch nicht wenig Italienisch. Aus Italien (genauer gesagt: aus Sizilien) sind Scorseses Großeltern einst in die USA emigriert. Scorsese selbst wuchs in Little Italy, Manhattan, auf. Nun also: Little Italy am Potsdamer Platz an diesem Dienstagnachmittag.

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Martin Scorsese auf der Berlinale: „Lasst uns miteinander sprechen!“

Um 16.45 Uhr reißt es die Menschen aus den Sitzen im PK-Raum, viele zücken ihre Handys für digitale Schnappschüsse. Und die Profi-Fotografen bringen ihre Profi-Objektive in Stellung. Gleich werden sie dieselbe Luft wie Scorsese atmen. Großer Applaus um 16.48 Uhr, Scorsese ist hier. Er trägt ein marineblaues Sakko. Der scheidende Berlinale-Chef Carlo Chatrian stellt Scorsese vor als einen, der keine Vorstellungsworte mehr brauche. So ist es.

Wozu sind Filmfestivals gut, will Chatrian von Scorsese wissen. Vielleicht auch eine Frage, die ihm, Chatrian, mitunter gestellt wird. „Um neue Stimmen einzuführen“, sagt Scorsese. Zum Aufregenden gehöre es für ihn dann auch, dass die Stimmen, die bleiben, im Laufe der Jahre immer neue Aspekte offenbaren: „Auch Beethoven-Sinfonien ändern sich mit der Zeit“, sagt Scorsese. Er schwärmt mit schneller, ausgesprochen wacher, scheinbar jetlagloser Stimme von der Faszination der Filmkunst: „Die Leute sagen, morgen werden wir alle sterben. Aber bis dahin sind wir noch da. Lasst uns alle miteinander sprechen, auch durch die Kunst.“

Was sein Lieblingsgericht sei, will eine Journalistin wissen. Na gut, da hat man einmal im Leben die Chance, Scorsese eine Frage zu stellen, und dann das? Aber Scorsese antwortet bereitwillig: „Lasagne ist prima. Man bekommt sie überall, aber die meiner Mama ist wirklich super.“ Ein anderer Journalist will es wirklich wissen: Was sei die Rolle der Filmkritik, fragt er. Scorsese betont, dass es ohne Filmemacher keine Filmkritiker geben könne. Und die Macher setzten sich dann dem Risiko der Kritik aus. Kuration sei das Schlüsselwort, sagt Scorsese. Gerade heutzutage, mit einer Fülle verfügbarer Filme, brauche es eine gewisse Anleitung, um sich filmisch zu orientieren – sei es nach Taiwan oder Hongkong. „Was angesagt ist, ändert sich von Tag zu Tag“, so Scorsese. „Aber manches bewahrt seine Kraft für lange Zeit. Filmkritik kann dabei helfen, sich darauf zu fokussieren.“

Martin Scorsese in Berlin: „Die individuelle Stimme kann sich auf TikTok ausdrücken“

Eine Journalistin will von Scorsese, der so leidenschaftlich über andere Filmemacher (gerade auch Spielberg) spricht, wissen, wie er eigentlich über sich selbst und sein Wirken denkt: „Die Ambition verliert man nie“, sagt Scorsese. Und wie man es ganz genau angehe, mit welchem Storytelling, welchen Bildwinkeln – all das müsse auch er sich immer wieder neu überlegen. Wie denkt Scorsese über technische Neuerungen? „Die individuelle Stimme kann sich auf TikTok ausdrücken“, sagt er, „aber auch in einem Vier-Stunden-Film. Wir sollten aber nicht Sklaven der Technologie sein, sondern die Technik kontrollieren.“ Wer wollte da widersprechen? Andererseits: Dass ein so altehrwürdiger Regisseur sich offen für das Generation-Z-Medium TikTok äußert, hätte man vielleicht nicht erwartet. Es zeigt aber: Dieser Mann bewahrt sich seinen wachen Geist. Er setzt sich passioniert für Filmrestauration ein. Aber er ist kein Konservativer.

Was waren die besten 30 Sekunden seines Lebens, fragt eine Frau aus Georgien. „Sie meinen, der beste ...?“, fragt Scorsese mit dramaturgisch effektvoll gesetzter Pause. Er hat die Lacher ganz auf seiner Seite. Dann schwenkt er aber elegant zum Kurzfilm über: Schwarz-Weiß-Aufnahmen für eine Werbung, die er einst für Armani gemacht habe, sagt Scorsese. Das seien echt gute 30 Sekunden geworden. „Ich weiß aber nicht, ob Mister Armani dadurch mehr verkauft hat.“

Scorsese war kürzlich beim Papst im Vatikan. Dazu stellt eine Kollegin eine Frage. „Mein Interesse am Katholizismus hat auch zum Film ‚Silence‘ geführt. Der wurde auch im Vatikan gezeigt. Dadurch habe ich den Papst öfter getroffen. Er wollte mit mir auch über die Essenz des Christentums sprechen.“ Er selbst möchte auch einen „unterhaltsamen Film“ darüber machen, sagt er. Und kurz vor Ende der PK erfahren wir noch: Mit den Rolling Stones würde er gerne noch mal arbeiten. Und die stehen ja für viele Menschen auf der Welt auf einer Stufe mit dem Papst, wenn nicht sogar mit Gott. Wie Meister Scorsese selbst, natürlich.

Um 17.22 Uhr ist schon Schluss mit lustig, leider. Rainer Rother, der Künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek, winkt streng ab: keine Fragen mehr an Scorsese. Im Raum ist man ernüchtert. Andererseits: Ein bisschen ausruhen muss auch ein so munterer Geist sich vermutlich ab und zu. Schließlich hat er noch was vor auf dieser Berlinale. Auch wenn er sich keinen Bären mehr erjagen muss. Der ist ihm ja schon sicher, ganz wie es sich gehört für einen der Größten. Aber vielleicht hat Scorsese ja die Zeit, die ein oder andere Berliner Lasagne zu testen. Auch wenn klar sein wird: Niemand nimmt es auf mit Mama.