Sharon Tate – Vom Mieder zum Minirock | ray Filmmagazin
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Sharon Tate

Dossier 1969 – Sharon Tate

Vom Mieder zum Minirock

| Alexandra Seitz |
Das kurze Leben der Sharon Tate

Auf ewig wird sich die hässliche Bartfratze Charles Mansons vor das hübsche Strahlegesicht Sharon Tates schieben. Für den Rest jener Zeit, in der man sich beider noch erinnern mag, wird der Tod, der sowieso immer den Sieg über das Leben davon trägt, im Falle Tate auf eine noch viel gründlichere und totalere Weise über das Leben siegen – insofern er nämlich ihr Leben einfach auslöscht. Denn die Umstände von Sharon Tates Ableben sind derart fürchterlich, dass alles Vorangegangene in den Hintergrund rückt und dort verschattet wird bis zur Nahezu-Unsichtbarkeit.

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Um es also, einmal mehr, gesagt zu haben, weil es eben doch gesagt werden muss: In der Nacht vom 8. auf den 9. August 1969 wurden im Haus am Cielo Drive 10050, Bel Air, Los Angeles, Sharon Tate und ihre Freunde Jay Sebring, Abigail Folger und Wojciech Frykowski sowie Steven Parent, der den Hausmeister des Anwesens besuchen wollte, von vier Mitgliedern (drei Frauen und ein Mann) der sogenannten Manson Family durch Schüsse und Messerstiche ermordet. Tate, die im Jahr zuvor erst den angesagten Regisseur Roman Polanski geheiratet hatte, war 26 Jahre alt und im neunten Monat schwanger; 16 Mal wurde auf sie eingestochen und mit ihrem Blut schmierte eine der Täterinnen das Wort PIG an die Haustür; Tates ungeborenes Kind erhielt posthum den Namen Paul Richard Polanski.

Und auch dies gehört dazu: Das Motiv der Täter verdankte sich der kruden Idee, dass scheinbar von Schwarzen begangene Morde an weißen VIPs einen Rassenkrieg auslösen könnten und sich solcherart die Prophezeiungen des Sektengurus („Helter Skelter“-Chaos gefolgt von Manson’scher Weltherrschaft) endlich realisieren mochten. Wie gesagt, krude. Das macht das Ganze allerdings nur umso schlimmer. Denn die schwangere Sharon Tate und ihre Bekannten waren nicht nur zur falschen Zeit am falschen Ort, sie wurden auch noch Opfer verschwörungstheoretisch-rassistischen Schwachsinns.

Freilich stand auch der in einem größeren Zusammenhang, weswegen das grausige Verbrechen grausamerweise Eingang in die Popkultur gefunden hat. Die Gräueltat in Kalifornien gehört ebenso zu den Eckdaten der späten Sechziger wie das nur wenige Tage später (15. bis 18. August) in White Lake, Bethel, NY, stattfindende Woodstock-Festival (3 Days of Peace & Music). Während die Manson-Morde den metaphorischen Freiraum „Sechziger Jahre“ schlossen, kam in Woodstock die nonkonformistische Hippiebewegung im Mainstream an. Und in Woodstock hätte man sich Sharon Tate ebensogut vorstellen können. Denn sie galt nicht nur als eine der schönsten Frauen der Welt, sie verkörperte als Stilikone auch die Lebenslust und Offenherzigkeit einer Generation, die zu jener Zeit allerorten gegenkulturelle Fakten schuf.

Dergestalt, dass in der medialen Hysterie, die auf ihre Ermordung folgte, in einer Art perverser Umkehrung das Opfer verantwortlich gemacht wurde für das, was ihr widerfuhr. Sozusagen Strafe für ein wenig gottgefälliges Leben. Zum Beweis druckte man Stills aus Eye of the Devil. Und keineswegs hinter vorgehaltener Hand munkelte man von Drogenrausch und Sex-orgien … und das kommt eben davon, wenn man sich nicht an die Regeln hält. Um die sensationalistische Hetze auch nur im Ansatz nachvollziehen zu können, muss man den umfassenden Wandel bedenken, der sich in den Sechzigern vollzog; aufgewachsen war Tate immerhin in einer Zeit, in der US-amerikanische Frauen Bullet-BHs und Mieder trugen, geheiratet hat sie in einem Minikleid. Mit der unbeschwerten Freizügigkeit und zuversichtlichen Aufbruchsstimmung, die die Atmosphäre insbesondere in Kalifornien bis dahin geprägt hatten, war es jedenfalls vorbei und so markieren die Manson-Morde das Ende der Unschuld gleich in mehrfacher Hinsicht. Wer aber war die Frau, die in diesem schwarzen Moment der Geschichte hinter ideologisch motivierten Projektionen verschwand und deren Gesicht und Körper seither im denkbar schrecklichsten Kontext gefangen sind?

Geboren wurde Sharon Marie Tate am 24. Januar 1943 in Dallas, Texas, als älteste von drei Töchtern des US-Army-Colonels Paul James Tate und dessen Ehefrau Doris Gwendolyn (geb. Willett). Bedingt durch die militärische Tätigkeit des Vaters waren ihre Kindheit und Jugend von zahlreichen Umzügen und diversen Auslandsaufenthalten gepägt; das Mädchen galt als schüchtern und wenig selbstsicher, zeigte aber schon früh Interesse an der Schauspielerei, wirkte in Schultheateraufführungen mit, trat in Werbespots auf, arbeitete als Fotomodell und nahm an Schönheitswettbewerben teil (– den ersten hatte sie bereits im zarten Alter von sechs Monaten gewonnen, als sie „Miss Tiny Tot of Dallas“ wurde). 1960 sorgte die 17-Jährige auf dem Cover der Militärzeitschrift „Stars and Stripes“ mit einem Foto für Aufsehen, das sie im Badeanzug und mit einem Cowboyhut auf dem Kopf rittlings im Sattel auf einer Missile zeigt. Im Jahr darauf machte sie ihren Schulabschluss an der American High School in Vicenza, Italien, wo der Vater zu jener Zeit stationiert war. In Italien ergaben sich auch erste Kontakte zum Filmbusiness sowie ein winziger Statistenauftritt in Barabbas (Richard Fleischer, 1961).

Männer vor und hinter der Kamera, denen die schöne junge Frau, no na, ins Auge stach, bestärkten sie in ihrem Vorhaben, zum Film zu gehen, und ließen Verbindungen spielen. Also übersiedelte Sharon, nachdem die Tates 1962 in die USA zurückgekehrt waren, nach Los Angeles und wurde dort von Filmways unter Vertrag genommen. Man(n) erkannte „Potenzial“, investierte in ihre Ausbildung und setzte sie in der Fernsehserie The Beverly Hillbillies ein; und als ob das sexy Babe noch ein wenig versteckt werden sollte, musste Tate in der Rolle der Sekretärin Janet Trego ihre blonde Mähne unter einer schwarzen Perücke verschwinden lassen.

In der Tat suchte man eine ganze Weile nach dem passenden Stoff, der die noch etwas ungeübte Aktrice gut zur Geltung bringen würde. Schließlich sah sich Tate aufgrund ihrer Schönheit mit sattsam bekannten Vorurteilen und Zweifeln hinsichtlich ihres Könnens konfrontiert: Wer derart gut aussah, konnte nicht auch noch talentiert sein. Es ist ein Teil von Sharon Tates Tragödie, dass ihr nicht die Zeit vergönnt war, zu zeigen, was in ihr steckte. Dabei wäre es interessant gewesen zu sehen, ob sie, die in Interviews ihr Interesse am komödiantischen Fach bekundet hatte, sich in diesem Genre wohl hätte behaupten können. Ja, wie sie sich wohl überhaupt gemacht hätte in Filmen, die es sich nicht zur ersten und letzten und sonstigen Aufgabe gewählt hätten, ihren Körper auszubeuten.

Im Laufe ihrer kurzen Karriere spielte Tate in gerade einmal sechs Kinofilmen mit, von denen keiner, also nicht einer, sonderlich gute Kritiken bekam. Ihren „Introducing Sharon Tate“-Credit erhielt sie in dem eigenartig-reizvollen Mystery-Cheapie Eye of the Devil (J. Lee Thompson, 1967), in dem sie einen beeindruckenden Cast aus David Niven, Deborah Kerr, Donald Pleasence, Flora Robson und David Hemmings bereichert. Einmal wird ihre Figur der betörenden Hexe Odile de Caray von Nivens Figur des Marquis de Montfaucon mit der Reitpeitsche traktiert – eine deutlich sexuell konnotierte Szene, nicht nur weil Odile die Schläge zu genießen scheint, auch ihr knackiger Lederdress weckt Assoziationen. Wer sich davon nicht ablenken lässt, sieht die geradezu magnetisch wirkende Aura, die Sharon Tate hier vollkommen mühelos verströmt. Ein weiterer „Introducing …“-Credit folgt in Don’t Make Waves (Alexander Mackendrick, 1967), den sie als Baywatch-Babe in Malibu im Bikini verbringt und in dem sie Tony Curtis’ Carlo vor dem Ertrinken rettet; wobei uns ein POV-Shot aus Carlos Perspektive ihren wackelnden Hintern zeigt. Wenig besser ergeht es ihrer tollpatschigen Agentin Freya Carlson in der James-Bond-Parodie The Wrecking Crew (Phil Karlson, 1968), in der sie an der Seite Dean Martins, der locker ihr Großvater sein könnte, zwar komisches Talent zeigen darf, jedoch nur in Verbindung mit viel Haut. Wie im übrigen auch Verkäuferin Pat in 12 + 1 (Nicolas Gessner, 1969) – Tates letztem Film, der erst nach ihrem Tod in die Kinos kam –, die bekleidet in einen Swimming Pool springt und quasi nackt wieder herauskommt.

Außerordentlich unangenehm berührt einen heute der unverholene Sexismus jener in Tates wenigen Filmen umso zahlreicheren Szenen, in denen ihr Körper auf die sprichwörtlichen „tits and ass“ reduziert wird. Roman Polanskis Dance of the Vampires (1967) macht da keine Ausnahme; als naive, rothaarige Sarah Shagal sitzt Tate in ihrer ersten Szene nackt in einem Badebottich; ein Anblick, der dem von Polanski selbst dargestellten, nicht minder naiven Vampirjäger-Assistenten Alfred den Kopf verdreht, sodass der den ganzen Film über eigentlich nur noch „Sarah, Sarah“ stammeln kann und am Ende natürlich von ihr gebissen wird. In der Realität ging es Polanski bekanntlich nicht anders, er und Sharon verliebten sich und avancierten zu einem der angesagtesten Paare der Dekade, ein glamouröser Fixstern des Hippie-Jet-Sets und der Partyszenen von Swinging London und Los Angeles, leicht skandalisiert nicht nur, weil Flower Power vom Establishment nunmal misstrauisch beäugt wurde, sondern auch, weil die beiden zunächst ohne Trauschein zusammenlebten. Die Hochzeit im Januar 1968 in London war sodann ein mediales Großereignis.

Ihre wichtigste und ernsthafteste Rolle, jene, die ihr auch eine Golden-Globe-Nominierung als „New Star of the Year“ einbrachte, spielte Sharon Tate in der Bestseller-Verfilmung Valley of the Dolls (Mark Robson, 1967). Wieder dient ihre Figur des Revue-Girls Jennifer North, das schließlich in französischen Softcore-Filmen landet, dem männlichen Blick als Eye Candy. Diesmal aber ist sie sich dessen voll bewusst; und wenn sie am Ende äußert: „Honey, let’s face it, all I know is how to take off my clothes“, dann hat sie zuvor nicht nur all diejenigen Lügen gestraft, die ihr schauspielerisch nichts zutrauten, dann ist das auch ein sarkastischer Meta-Kommentar zur triebgesteuert diskriminierenden Wahrnehmung ihrer Person und zur Typecasting-Falle, in der sie steckte.

„Sexy little me“ nannte Tate ihre so rasch etablierte Leinwandpersona und war wohl nicht so ganz zufrieden mit dem Verlauf, den ihre Hollywood-Karriere zu nehmen drohte. Aber ehe sie daran noch etwas ändern konnte, wurde sie schwanger. Und dann war sie tot.