Die Diskussion über ein Energieembargo Deutschlands gegen Russland läuft aus Sicht von Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), verquer. „Das Frieren ist noch das wenigste, das passiert als letztes, denn die privaten Haushalte wären die letzten, denen man beim Gas die Versorgungshähne zudreht“, sagte er am Rande des WELT-Wirtschaftsgipfels im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin.
Zunächst würde, wenn Gas fehlt, es bei der Industrie reduziert, die etwa die Hälfte des Gases nutze, das aus Russland nach Deutschland komme. „Produktionsstillstand, Arbeitsausfall, Arbeitslosigkeit wären die Folgen“, sagte Hüther.
Die verbreitete Erwartung, das Deutschland die entstehende Gas-Lücke im Fall eines Lieferstopps aus Russland in absehbarer Zeit schließen könnte, teilte Hüther nicht. Bei Öl und Steinkohle, die über Schiffe kämen, sei es möglich, den Bedarf bis Jahresende auf den Weltmärkten zu organisieren. „Bei Gas sieht das ganz anders aus, das ist leitungsgebunden.“
Neben dem Hinweis auf die möglicherweise fatalen Folgen für die deutsche Wirtschaft und viele Arbeitsplätze äußerte der Ökonom Zweifel, dass eine solche Sanktion überhaupt die gewünschte Wirkung hätte. „Putin finanziert den Krieg mit Rubel, der Sold wird in Rubel bezahlt, die Militärausstattung kommt aus den entsprechenden militärindustriellen Komplexen Russlands“, sagte Hüther. Auf die Energiedevisen aus Deutschland sei Präsident Wladimir Putin für den Krieg gegen die Ukraine also nicht angewiesen.
Den von FDP-Finanzminister Christian Lindner ins Spiel gebrachten Tankrabatt für alle Autofahrer lehnte Hüther ab, er brachte stattdessen ein Mobilitätsgeld ins Spiel. Ein pauschaler Rabatt in Höhe von 30 Cent oder 40 Cent, wie Lindner vorschwebt, würde pauschal jeden Autofahrer begünstigen.
Es müsse in erster Linie um private Haushalte mit geringem und mittlerem Einkommen gehen, die in Flächenländern unterwegs seien und keine andere Wahl hätten, als das Auto zu nutzen. „Die Politik sollte besser direkt bei Haushalten ansetzen, die wenig ausweichen können, als beim Preis, der alle begünstigt“, sagte Hüther. Ähnlich wie bei der Heizkostenpauschale für Wohngeldempfänger könne dies mittels eines Mobilitätsgeldes geschehen.
Mit einer Prognose zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung hielt sich Hüther zurück. „Die prognostizierten 3,5 Prozent Wirtschaftswachstum werden wir sicherlich nicht erreichen“, sagte er.
Ob das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr tatsächlich schrumpfe, hänge sehr stark davon ab, wie „lange, wie erschütternd dieser Krieg noch verläuft“. Die Gefahr sei, dass der Schock durch unterbrochene Lieferketten und hohe Energiepreise bei Unternehmen auf die Konsumenten und damit die Nachfrageseite durchschlage. Dann würden die hohen Ersparnisse vieler Haushalte, die in Pandemiezeiten angehäuft wurden, auch jetzt nicht ausgegeben.
Eine Inflationsrate in Höhe von sechs Prozent hält Hüther angesichts der jüngsten Energiepreisentwicklung für das Gesamtjahr für möglich. Wobei es auch hier für eine Prognose noch zu früh sei.
„Es kann sein, dass sich die Preise im Laufe des Jahres noch einmal ganz anders entwickeln – auch nach unten“, sagte er. Beim Öl sehe man gerade, wie schnell der Preis rauf, aber auch wieder ein Stück heruntergehen könne. Das Szenario einer Stagflation mit einem schwachen Wirtschaftswachstum und hoher Inflation hält er mehr denn je für realistisch.
„Alles auf Aktien“ ist der tägliche Börsen-Shot aus der WELT-Wirtschaftsredaktion. Jeden Morgen ab 7 Uhr mit den Finanzjournalisten von WELT. Für Börsen-Kenner und Einsteiger. Abonnieren Sie den Podcast bei Spotify, Apple Podcast, Amazon Music und Deezer. Oder direkt per RSS-Feed.