Karl III. (Artikel aus Neue Deutsche Biographie) | bavarikon

Karl III. (Artikel aus Neue Deutsche Biographie)

Beschreibung

Ludwigs des Deutschen jüngster Sohn Karl III. wird von 857 an zuweilen – im ganzen siebenmal – als Mitunterfertiger von Königsurkunden genannt, die sich auf Alemannien beziehen, und begegnet 865 erstmals im Gefolge seines Vaters. In der Erbteilung vom gleichen Jahre sprach ihm Ludwig Alemannien mit Churrätien zu, während Bayern mit den vorgelagerten Marken und der Hoheit über die Slawenländer an Karlmann, Thüringen und Sachsen an Ludwig den Jüngeren fallen sollten. Wie seine Brüder übte Karl III. seitdem offenbar eine gewisse Verwaltung seines künftigen Reichsteils aus, doch bleiben die Nachrichten spärlich, zusammenhanglos und unklar. Karl III. war 869 an einem Heereszug gegen den Mährerfürsten Rastislaw beteiligt, lehnte sich aber 871 zusammen mit seinem Bruder Ludwig gegen den Vater auf, der angeblich Karlmann bevorzugte. Obgleich im März 872 zu Forchheim der Streit durch eine neue und genauere Fassung der Erbteilung beigelegt wurde, ist wieder von einer Verschwörung der Brüder Karl III. und Ludwig die Rede, die am 26.1.873 in Frankfurt aufgedeckt worden sei, aber eine rasche Aussöhnung im Gefolge hatte, denn schon am 9.4.873 richtete Ludwig der Deutsche ein Mandat an Karl III., und sowohl 873 wie 874 betraute er ihn mit politischen Missionen. Als nach dem Tode Kaiser Ludwigs II. (12.8.875) die offene Rivalität zwischen Ost- und Westfranken um die Nachfolge ausbrach, wurde Karl III. von seinem Vater nach Italien (in den Mailänder Raum) entsandt, um den Zugriff Karls des Kahlen abzuwehren, aber das Unternehmen schlug völlig fehl und endete mit Karls III. eiligem Abzug nach Bayern. Nach dem Tode Ludwigs des Deutschen (28.8.876) traten die 3 Söhne als Könige die Nachfolge in Ostfranken an. Auf einer Zusammenkunft im Nördlinger Ries bestätigten sie durch einen in deutscher Sprache aufgezeichneten (nicht erhaltenen) Eid im November 876 die schon vom Vater verfügte Teilung. Karl III., in dessen Reichsteil es keinen Metropoliten gab, bestellte zunächst den Bischof Witgar von Augsburg zum Erzkapellan, doch stieg allmählich der aus der Reichenauer Schule stammende Kanzleinotar Liutward zum Leiter des Urkundenwesens als archicancellarius auf; er wurde Anfang 880 Bischof von Vercelli, erscheint seit 883 selber als Erzkapellan und war die bei weitem einflußreichste Persönlichkeit am Hofe Karls III., der auch nach der Ausweitung seiner Herrschaft Alemannen in seinem Dienste bevorzugte. Unter seinen Kanzlisten und Kapellänen begegnen die in Sankt Gallen erzogenen Brüder Waldo und Salomon, später Bischöfe von Freising und von Konstanz. Es sind 172 Diplome Karls III. im Text erhalten, etwa 30 weitere als Deperdita ermittelt. Soweit erkennbar, verbrachte Karl III. die Jahre 877 und 878 meist in Schwaben, doch traf er sich im September 878 im nordelsässischen Modern mit seinem Bruder Ludwig, wahrscheinlich um die Teilung Lotharingiens zu regeln. Nicht Karl III., sondern Karlmann hatte 877 den westfränkischen Karl den Kahlen zum Abzug aus Italien gezwungen, aber durch schwere Erkrankung war er regierungsunfähig geworden. Der den Übergriffen mittelitalischer Fürsten und der Sarazenengefahr ausgesetzte Papst Johann VIII., der vergeblich auf westfränkische Hilfe gehofft hatte, wandte sich seit dem Frühjahr 879 mehrmals an Karl III., bot ihm die Kaiserkrone an und beschwor ihn, in Italien einzugreifen. Sein Drängen hatte zur Folge, daß Karlmann sich im August 879 bereitfand, den Herrschaftsanspruch auf Italien an Karl III. abzutreten. Dieser erschien Ende Oktober in der Lombardei und nahm Anfang 880 in Ravenna die Huldigung der Großen und die päpstliche Salbung zum König von Italien entgegen. Zur Enttäuschung Johanns VIII. kehrte er jedoch im Mai 880 nach Ostfranken zurück, wo sein Bruder Ludwig inzwischen Bayern und das westliche Lotharingien an sich gebracht hatte. Karl III. traf sich in Gondreville mit seinen westfränkischen Neffen (Söhnen Ludwigs d. Stammlers) Karlmann und Ludwig III. (Juni 880) und beteiligte sich am Kampf gegen den Usurpator Boso von Vienne, der 879 ein niederburgundisch- provenzalisches Königtum errichtet hatte. Unablässig vom Papst gedrängt, zog Karl III. im November 880 wieder nach Italien und empfing am 12.2.881 in Rom die Kaiserkrone. Er blieb lange im Lande, stellte Urkunden aus, saß zu Gericht, hielt im Februar 882 mit dem Papst eine Reichsversammlung in Ravenna, aber einen wirksamen Schutz Roms brachte auch er nicht zustande. Unterdes war am 20.1.882 Ludwig der Jüngere gestorben. Karl III. kehrte im Frühjahr zurück und nahm zuerst in Bayern, dann im Mai auf einer Wormser Reichsversammlung – offenbar ohne Widerstände – die Huldigung als alleiniger König von Ostfranken entgegen. Damit aber war ihm auch die Aufgabe des Wikingerkampfes zugefallen. Mit einem stattlichen Heeresaufgebot zog er im Sommer 882 vor das normannische Hauptquartier in Ascloha (wahrscheinlicher Asselt als Elsloo, beide bei Maastricht), ließ sich aber, wie es seit Jahrzehnten schon oft geschehen war, auf eine Abmachung ein, durch die er den Abzug der Normannen erkaufte; einen ihrer Anführer namens Gottfried setzte er in Friesland ein, wo im übrigen schon seit Jahrzehnten eine Normannenherrschaft bestand. Gottfried trat in den fränkischen Reichs- und Lehnsverband ein, nahm die Taufe und vermählte sich mit Gisela, der (nicht als vollbürtig geltenden) Tochter Lothars II. Indem Karl III. auch mit ihrem Bruder Hugo ein Einvernehmen herstellte, hatte er eine gewisse Konsolidierung der Maas- und Mosellande erzielt. – Einen großen Teil des Jahres 883 verbrachte Karl III. abermals in Italien. Er traf sich in Nonantola mit dem neuen Papst Marinus I. und sprach Sanktionen gegen Herzog Wido von Spoleto aus. Auf der Rückkehr hielt er sich vom 4.-6.12.883 in Sankt Gallen auf, wo er dem Dichter Notker die Anregung zur Aufzeichnung der anekdotenhaften Gesta Karoli Magni gab. Ohne Anteil Karls III. wurde 884 bei Duisburg erfolgreich gegen die Normannen gekämpft, wurde die bayerische Ostmark dagegen durch innere und äußere Wirren erschüttert. Auf einer Zusammenkunft mit Swatopluk von Mähren schloß Karl III. im Herbst 884 einen Frieden, der zwar mit einer formellen Huldigung des Mährerfürsten verbunden war, im übrigen aber die Reichsautorität kaum gefestigt haben dürfte. Ende 884 war der Kaiser wieder in Italien. Am 7.1.885 nahm er den im Vorjahr gemaßregelten Spoletiner wieder in Gnaden auf, was gleichfalls einer politisch-militärischen Beruhigung des Landes, kaum aber der kaiserlichen Autorität zugute kam. In Westfranken war unterdes am 5.8.882 Ludwig III., am 12.12.884 Karlmann gestorben. Da ihr Halbbruder, der fünfjährige Karl (III., „der Einfältige“), als nicht vollbürtig galt und das Königtum somit vakant war, entschlossen sich die Großen des unter der Normannenplage leidenden Westreichs, zwar erst nach einigen Monaten, aber anscheinend ohne Widerstand, Karl III. auch als ihren König anzuerkennen. Von der Lombardei aus, wo ihn die formelle Einladung (ut veniat in Franciam) etwa im April 885 erreichte, begab sich Karl III. ins westliche Lotharingien und nahm in Gondreville längeren Aufenthalt. Aber in eben diesem Reichslande hatte sich durch einen gemeinsamen Aufstand Hugos und seines normannischen Schwagers Gottfried eine neue Gefahr zusammengebraut, deren man sich nur noch durch heimtückische Gewalttat zu erwehren wußte: mit Wissen und Willen des Kaisers wurde Gottfried bei einer Verhandlung erschlagen, Hugo nach Gondreville gelockt, gefangengesetzt und geblendet ( circa Mai 885). Damit waren sowohl die 40jährige Normannenherrschaft in Friesland wie die Karolingerlinie des einstigen Mittelreiches erloschen. Karl III. nahm im Juni 885 in der Pfalz Ponthion die Huldigung der westfränkischen Großen entgegen. Abgesehen von der inzwischen sehr geschrumpften und nicht als legitim geltenden, freilich auch nicht beseitigten Herrschaft Bosos in Niederburgund war somit 885 das fränkisch- karolingische Gesamtreich wieder unter einem Kaiser vereinigt. Aber es war keine Rückkehr zu den politischen Konzeptionen Karls des Großen oder Ludwigs des Frommen, es war nur eine dynastische Zufalls- und Notlösung. Nicht regelmäßig, aber in wiederholten Fällen unterschied die Urkundendatierung Karls III. seither nach Kaiser- und Königsjahren in Ostfranken, Italien und Westfranken – ein Anzeichen dafür, daß das wiedervereinigte Großreich nur noch eine Summe von Teilreichen war. Wenn es aber gelang, diese Gesamtheit an die nächste Generation weiterzugeben? Die dynastische Frage der Nachfolge konnte eben in dieser Situation eine unabsehbare Bedeutung gewinnen. Es gab keinen unbestritten legitimen, aber 3 unechte Sprossen des karolingischen Mannesstammes: den eben genannten westfränkischen Karl (III.), Karls III. eigenen, gleichfalls noch sehr jungen Sohn Bernhard und seinen etwa 35jährigen Neffen Arnulf, den Sohn Karlmanns und Markgrafen in Kärnten. Diesem aber, der allein regierungsfähig war, wollte Karl III. den Weg verlegen und stattdessen seinem Sohn Bernhard die Nachfolge sichern. Das freilich war – nach allem, was in Lotharingien und Westfranken vorausgegangen war, und angesichts strenger gewordener Grundsätze des Eherechtes – ein schwieriges Unterfangen. Im Sommer 885 nach Ostfranken zurückgekehrt, hielt Karl III. daher eine Beratung in Frankfurt und gedachte sein Vorhaben mit Hilfe der päpstlichen Autorität durchzusetzen. Von Karl III. eingeladen, trat Hadrian III. (seit 884) die Reise zum Kaiserhof an, wurde aber noch in Italien vom Tode ereilt ( circa September 885); damit hatte sich Karls III. Plan zerschlagen. Ohne sein Befragen wurde in Rom der Papst Stephan V. erhoben; erzürnt entsandte Karl III. seinen Berater Liutward nach Rom, um den Gewählten abzusetzen, ließ sich aber durch den Nachweis ordnungsgemäßer Erhebung und Weihe beruhigen. Auch der neue Papst mahnte den Kaiser an seine Schutzpflicht, aber sein Zutrauen war so sehr gesunken, daß er bald auch mit den Griechen und mit Spoleto Verbindung aufnahm. Im gleichen Herbst 885 stieß ein großes Normannenheer die Seine aufwärts vor und begann im November mit der Belagerung der Inselstadt Paris, die von Graf Odo und Bischof Gauzlin mühsam verteidigt wurde. Karl III. entsandte Anfang 886 ein ostfränkisches Aufgebot zum Schutz von Paris, begab sich indes selber nochmals über die Alpen, freilich wiederum nicht nach Rom, wohin er nur von neuem Liutward ausschickte. Ende März hielt er eine Reichsversammlung in Pavia, mußte aber bald zurückkehren, da die Normannennot einen neuen Höhepunkt erreicht hatte. In Paris war Bischof Gauzlin gestorben, das ostfränkische Entsatzheer hatte nichts ausgerichtet. Karl III. holte zu einer großen Aktion aus und erschien im Herbst 886 mit einem starken Aufgebot vor Paris, wagte aber wieder keinen Kampf, sondern erkaufte die Aufhebung der Belagerung und gab den Normannen den Durchzug nach Burgund frei. Während des Winters 886/87, den er im Elsaß verbrachte, wurde Karl III., längst kränkelnd, vollends von dem schweren Siechtum der ostfränkischen Spätkarolinger befallen. Die Frage seiner Regierungsunfähigkeit und der Nachfolge drängte zur Entscheidung. Nachdem inzwischen mit dem Tode Bosos (11.1.887) dessen usurpiertes Königtum erloschen war, fiel die Wahl Karls III. – der zur Ausschließung Arnulfs entschlossen blieb – auf Bosos Sohn Ludwig, der durch seine Mutter Irmingard ein Enkel Kaiser Ludwigs II., freilich kaum älter als 4 Jahre war. Ihn lud Karl III. nach Kirchen (bei Lörrach) zu sich und adoptierte ihn als Sohn und König (Mai 887). Aber die Mißstimmung der ostfränkischen Großen brach sich Bahn. Gleichfalls in Kirchen zwangen sie den Kaiser im Juni, seinen Erzkanzler Liutward von Vercelli zu entlassen und statt seiner Erzbischof Liutbert von Mainz zu bestellen. Liutward aber wandte sich zu Arnulf nach Bayern, während die Kaiserin Richardis sich von ihrem hoffnungslos erkrankten Gemahl trennte und in ihr Kloster Andlau¶ eintrat. Die Einberufung einer ostfränkischen Reichsversammlung nach Tribur löste die Katastrophe Karls III. aus. Vor Arnulf, der mit einem bayerisch- slawischen Aufgebot heranrückte, wich Karl III. nach Frankfurt aus. Die versammelten Großen sagten sich von dem offenkundig regierungsunfähigen Kaiser los und riefen Arnulf zu ihrem König aus. Karl III. fügte sich kampflos. Aus Frankfurt ist vom 17.11.887 seine letzte, vom 27.11.887 Arnulfs erste Urkunde datiert. Die Frage, wie die anderen Teilreiche auf diesen Umschwung in Ostfranken reagieren würden, stellte sich nicht, da Karl III. bereits kaum 2 Monate später starb. Schon den Zeitgenossen erschien Karl III. (dessen Beiname Crassus, „der Dicke“, erst seit dem 12. Jahrhundert vereinzelt begegnet und jedes historischen Wertes entbehrt) als alles andere denn eine starke Persönlichkeit. Ob dieses Urteil gerecht ist, steht dahin, denn der schon früh gesundheitlich labile Herrscher sah sich schrittweise vor geradezu übermenschliche Aufgaben gestellt. In einer Zeit, als die Teilreiche sich bereits in ein gewisses Eigenbewußtsein eingelebt hatten, erwies sich das karolingische Legitimitätsprinzip immer noch als so stark, daß ein Erbfolgezufall die verspätete nominelle Zusammenfassung eines Großreiches zustande kommen ließ, dessen zentrale Regierung und Verteidigung schlechthin unmöglich geworden waren. Diese inneren und äußeren Gegebenheiten trafen dann mit dem Abreißen der legitimen dynastischen Kontinuität zusammen, so daß der Sturz Karls III. die endgültige Auflösung des fränkisch- karolingischen Großreiches zur Folge hatte und insofern einen Wendepunkt der europäischen Geschichte bedeutet. Dagegen ist es nicht übertrieben, in Karl III. eine Schlüsselgestalt für die Entstehungsgeschichte des Deutschen Reiches zu sehen, denn der Erbfolgezufall, der ihm bis 882 die Königsgewalt in ganz Ostfranken zuspielte, kam früh genug, um ein Auseinanderleben der 3 ostfränkischen Reichsteile zu verhindern.

Autor

Schieffer, Theodor

Rechtehinweis Beschreibung

CC BY-NC-ND 4.0

Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften