Partei von Sahra Wagenknecht: Welche überraschende Zielgruppe sie ansprechen will | Abendzeitung München

Welche überraschende Zielgruppe die neue Partei von Sahra Wagenknecht ansprechen möchte

Die neue Partei von Sahra Wagenknecht buhlt in Bayern nicht nur gezielt um AfD-Wähler. Eine wichtige Zielgruppe sind auch migrantische Niedriglöhner. Wie das gehen soll? Die AZ hat recherchiert.
| Tobias Lill
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
25  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen
Sahra Wagenknecht (Mitte), sitzt mit Mitgliedern ihres Bündnis dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" im Bundestag.
Sahra Wagenknecht (Mitte), sitzt mit Mitgliedern ihres Bündnis dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" im Bundestag. © Britta Pedersen/dpa

Berlin/München - Sie gilt vielen als Hoffnung, den Aufstieg der AfD zu stoppen: die künftige Wagenknecht-Partei. Denn Sahra Wagenknecht und ihre Getreuen buhlen bundesweit gezielt um die Wähler der Rechtsextremen. Als sich am Dienstag vergangener Woche der für den Landesvorsitz als gesetzt geltende Klaus Ernst in München vorstellte, umschmeichelte er geschickt jene, die sich von den etablierten Parteien abgewandt haben.

Unter Applaus des Publikums sagte der Schweinfurter Bundestagsabgeordnete: "Der Meinungskorridor wird bei uns so eng, dass du dir schon überlegen musst, mit wem du beim Pinkeln stehst." Heftig kritisierte der 69-Jährige frühere Impfpflichtpläne. Und über AfD-Wähler sagte er, viele von ihnen seien nicht rechtsradikal.

Dafür soll die neue Partei von Sahra Wagenknecht stehen

Seiner alten Partei warf der Ex-Linke vor, diese sei zuletzt "nur mehr auf Minderheitenthemen eingegangen". Unter tosendem Beifall sagte er: "Wenn die Umbenennung der Mohrenköpfe urplötzlich wichtiger wird als die Höhe der Renten, dann hat der Rentner damit ein Problem." Ernst hat beste Chancen bayerischer Spitzenkandidat für die Europawahl zu werden.

Punkten will die Partei laut dem früheren Gewerkschafter mit der Forderung nach höheren Renten und Löhnen sowie einer Stärkung der Arbeitnehmervertreter. Auch die Ablehnung von Waffenlieferungen an die Ukraine sowie eine strikte Begrenzung der Flüchtlingszahlen gehören zur DNA der Partei, die am 8. Januar gegründet werden soll.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

In Ostdeutschland kommt die Wagenknecht-Bewegung mit diesem Themenmix in Umfragen auf Top-Werte. Doch in Bayern ist die Konkurrenz an Parteien, die Ampel-Gegnern ein Ventil bieten, nicht zuletzt dank Populisten-Ikone und Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger weit größer.

Die Wagenknecht-Partei buhlt auch um Menschen mit Migrationshintergrund

Zudem ist in Städten wie München und Nürnberg das Wählerklientel der Unzufriedenen ein anderes als in Ostdeutschland: Hier hat der Industriearbeiter, der wegen des Verbrenner-Ausstiegs oder der hohen Energiepreise um seinen Job bangt, oft einen Migrationshintergrund - ebenso das Heer an schlecht bezahlten Paketboten, Altenpflegerinnen, Fleischern oder Reinigungskräften. Das weiß auch das Wagenknecht-Lager.

Wagenknechts Initiative "Aufstehen" war Rohrkrepierer

"Wir sollten alle, die Migrationshintergrund haben und seit Jahren in Deutschland arbeiten, Steuern zahlen und irgendwie versuchen, über die Runden zu kommen, ansprechen", sagt Hans-Christian Lange. Viele dieser Menschen hätten Ängste, weil sich "die Zuwanderung überschlage".

Lange zählt als bayerischer "Aufstehen"-Vorsitzender zu den Strippenziehern bei der Gründung des Landesverbands. Die außerparlamentarische Bewegung "Aufstehen" wurde 2018 von Wagenknecht ins Leben gerufen, war letztlich jedoch ein Rohrkrepierer.

Eine maßgebliche Rolle in der Wagenknecht-Partei werden auch Mitglieder der IG Metall spielen – allen voran Harald Flassbeck, früherer Bevollmächtigter der IG Metall München. Er sagt: "Viele Arbeitnehmer mit und ohne Migrationshintergrund haben bei der derzeitigen unkontrollierten Zuwanderung die Befürchtung, dass unser Sozialsystem kollabiert." Auch gebe es bereits heute "viel zu wenige Sozialwohnungen".

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Er warnt in Zeiten knapper Haushalte und hoher Kosten für Flüchtlinge vor Einsparungen bei der Arbeitslosen-, Renten,- und Krankenversicherung. Schließlich sei die Sozialversicherung das "Kapital für Menschen, die kein eigenes Kapital besitzen". Flassbeck: "Wenn die Altparteien die Zukunftsängste dieser Menschen ignorieren, treiben sie sie in die Arme von rechtsradikalen Parteien."

"Bündnis Sahra Wagenknecht": Unterstützung aus der Industrie

Auch Daniel Abdelati, der als Facharbeiter in der Autobranche arbeitet, hat sich der Wagenknecht-Bewegung angeschlossen, weil er sich Sorgen um die Demokratie macht, sagt er. Sowohl unter Arbeitern mit als auch ohne Migrationshintergrund gebe es im Autobau "einen Rechtsruck".

Der 38-Jährige, dessen Vater 1978 aus Ägypten nach Deutschland kam, durfte sich am Dienstag ebenfalls den knapp 100 Sympathisanten vorstellen: "Viele Menschen mit Migrationshintergrund sind gegen unkontrollierte Zuwanderung." Sie fürchteten Lohndumping, höhere Sozialkosten und hätten Angst um den sozialen Frieden, warnte Abdelati.

Lesen Sie auch

Lesen Sie auch

Zu den bayerischen Wagenknecht-Anhängern zählt auch Murat Yilmaz: Der frühere Bandarbeiter und heutige Taxifahrer machte als "Betriebsrats-Rebell bei BMW" Schlagzeilen. Der frühere Chef einer kleinen Bandarbeiter- und Leiharbeitergewerkschaft ist überzeugt: "Geringverdiener oder die migrantische Unterschicht sind doch die großen Verlierer der heutigen Politik." Yilmaz kritisiert die Flüchtlingspolitik scharf. Wenn mehr als zwei Millionen Schutzsuchende in weniger als einem Jahrzehnt nach Deutschland kämen, würde dies vor allem für Zugewanderte, die schon lange hier leben, massive Konkurrenz um knappe Ressourcen bedeuten. Bei Wohnraum oder Kita-Plätzen etwa.

Für Aufstehen-Chef Lange ist jedenfalls klar: "Wir werden künftige Wahlkämpfe auch stark auf Menschen mit Migrationshintergrund ausrichten."

Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
25 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
  • Der wahre tscharlie am 21.12.2023 18:05 Uhr / Bewertung:

    Je mehr ich das Thema verfolge, verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass die BSW die Ur-Ängste der Menschen bedient und sie für ihre Zwecke nutzt.

    Ein Beispiel....ein Häuslebauer lebt jahrzehntelang ruhig in seinem Haus. Nun wird in seiner Nähe eine Flüchtlingsunterkunft gebaut, schon fühlt er sich "bedroht". Ausländer sowieso, der Wert seines Haus kann sinken usw. Ich will die ganzen Klischees garnicht aufzählen.

    Und genau das bedient sie bei dem Werben um Migranten. Die haben sich über Jahre etwas aufgebaut, zu recht, aber das ist nun "bedroht", durch noch mehr Migranten. Deshalb muß man die "Flut" stoppen, damit der Wohlstand für die Alteingesessenen erhalten bleibt.
    Parallel dazu bedient sie auch das rechte Lager.
    Sahra Wagenknecht ist eine sehr intelligende Frau, nur wird ihr Vorhaben, von links bis rechts alle Strömungen abzudecken letztendlich scheitern.
    Denn in der Politik kann man es nie ALLEN recht machen. Das sollte sie eigentl. wissen.

  • Sarah-Muc am 21.12.2023 19:43 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Der wahre tscharlie

    Das ist eine saubere Analyse. Ich schätze Sarah Wagenknecht sehr nur bei BSW frag ich mich , was sie damit eigentlich erreichen will.

  • Der wahre tscharlie am 22.12.2023 19:29 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Sarah-Muc

    Ich frage mich sowieso, wieso sie im Osten soviel Zuspruch bekommt.
    Denn die Linken haben die letzten Jahre ja an Zuspruch dort verloren.
    Ich vermute mal, das liegt am Ausländerthema.

    Dieses Thema belegt eigentlich die AfD. In Teilen wird sie ja als rechtsradikal eingestuft, auch wenn viele Wähler nicht rechtsradikal sind.
    Was liegt also da näher, eine Partei zu wählen, die NICHT den Nimbus einer Rechtsradikalität hat, aber auch gegen die Zuwanderung ist.
    Wäre eigentlich logisch.