Christel Guillaume ist in Berlin gestorben. Sie war eine erfolgreiche Agentin der Stasi im Westen. Vor allem aber war sie die Ehefrau des Kanzleramtsspions: Frau im Schatten

Frau im Schatten

BERLIN, 24. März. Sie habe ein insgesamt verpfuschtes Leben gehabt, sagte Christel Guillaume 1990, dem letzten Jahr der DDR, in einem Dokumentarfilm. Für fünfundvierzig Minuten war sie da aus dem Schatten ihres Mannes getreten, dem als Kanzleramtsspion in die deutsch-deutsche Geschichte eingegangenen Stasi-Offizier Günter Guillaume. Danach aber war sie wieder vergessen. Anders als ihr Mann musste sie in keinem Spionageprozess als Zeugin auftreten, in keiner Reportage über ihr Leben als Agentin in Bonn erzählen, in keiner Talkshow Rede und Antwort stehen. Sie war nicht gefragt. Nur Günter Guillaume. Am vergangenen Sonnabend ist Christel Guillaume, die wieder ihren Mädchennamen Boom angenommen hatte, in Berlin gestorben. Sie wurde 76 Jahre alt.1956 waren Christel und Günter Guillaume in die Bundesrepublik ausgereist - zwei von insgesamt 279 189 DDR-Bürgern, die ihrem Land im Jahr des ungarischen Volksaufstandes den Rücken kehrten. Nur dass die Guillaumes dies aus einer anderen politischen Überzeugung taten als die anderen DDR-Flüchtlinge - sie kamen als "Schläfer" der Stasi in den Westen."Boom am Dom"Die Übersiedelung des Agentenpärchens ließ sich das MfS einiges kosten. 20 000 D-Mark spendierte die Hauptverwaltung A (HVA) für ein Fotofachgeschäft, das die Guillaumes gemeinsam mit Christels Mutter Erna Boom in Frankfurt eröffneten. "Boom am Dom" hieß der Laden, der als Tarnung für die Agententätigkeit herhalten sollte. Schon bald nach ihrer Ankunft im Westen begannen die Guillaumes damit, sich politisch zu betätigen. Von der kommunalen Ebene sollten sie sich langsam, aber stetig nach oben arbeiten, lautete die Vorgabe der HVA. Während Günter Guillaume lange Jahre nicht über den SPD-Unterbezirk Frankfurt herauskam, machte seine Frau schnell Karriere. Anfang der sechziger Jahre wurde sie Büroleiterin bei Willi Birkelbach, einem einflussreichen SPD-Politiker in Hessen. Birkelbach gehörte dem Parteivorstand der SPD an, saß als Abgeordneter in wichtigen Ausschüssen des Bundestages und amtierte eine Zeitlang als Staatssekretär in der hessischen Landesregierung. Strategiepapiere der SPD und geheime Nato-Unterlagen gingen über seinen Tisch - und landeten dank Christel Guillaume bei der Stasi in Ost-Berlin. Trotz ihrer Erfolge aber blieb Christel Guillaume bei der HVA nur "Günters Frau". Die Stasi hatte Günter Guillaume als Führungsoffizier seiner Ehefrau eingesetzt. Eine Zurücksetzung, unter der die ehrgeizige und erfolgreiche Agentin litt. Dieses Untergebenenverhältnis habe auch die Ehe der beiden zerstört, meint Pierre Boom, der Sohn der Guillaumes. "Schon damals, in den sechziger Jahren, hielt meine Eltern nur noch der gemeinsame Auftrag zusammen", sagt er. 1969 schaffte es Günter Guillaume nach Bonn. 1970 kam er ins Kanzleramt, zwei Jahre später wurde er einer von drei Referenten des Bundeskanzlers. Und auch seine Frau war auf dem Sprung in die Bundeshauptstadt. Sie stand vor der Berufung auf die Hardthöhe - in das Sekretariat von Verteidigungsminister Leber. Als Quelle wäre sie dort für die Stasi wohl noch wichtiger gewesen als ihr Mann im Kanzleramt. Dazu kam es aber nicht mehr. Am 24. April 1974 wurde das Ehepaar Guillaume in Bonn festgenommen. Im Spionageprozess bekam Günter Guillaume die längere Haftstrafe: dreizehn Jahre für ihn, acht für seine Frau. Im Januar 1981 wurde Christel Guillaume gegen sechs BND-Agenten ausgetauscht. Ihr Mann folgte im Oktober des gleichen Jahres. Nur zwei Monate später wurde ihre Ehe geschieden. Die beiden Ex-Agenten tingelten fortan getrennt für die Stasi durch Foren mit MfS-Mitarbeitern und SED-Funktionären, wo sie immer und immer wieder ihre Spionagegeschichte erzählen durften.Anders als Günter Guillaume, der bald nach der Scheidung wieder heiratete, blieb Christel bis zum Ende ihres Lebens allein. Nach der Wende gab sie ihr Haus in Hohen Neuendorf auf und zog nach Berlin-Wilmersdorf. Pierre Boom hat in den letzten Jahren das Gespräch mit seiner zurückgezogen lebenden Mutter gesucht. Über ihre Zeit als Agentin sprach er mit ihr, über das Leben danach und über seinen 1995 verstorbenen Vater. Er hat ein Buch geschrieben, das er jetzt auf einer Lesereise durch Deutschland vorstellt. Es ist ein Buch über seinen Vater.Foto: Christel und Günter Guillaume vor dem Beginn ihres Spionageprozesses 1975 in der Bundesrepublik.