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Zweiter Weltkrieg Manstein

Hitlers genialer Stratege und williger Vollstrecker

Er entwarf den Feldzug im Westen, der zur Grundlage des Blitzkrieges wurde. Auch danach gelangen Erich von Manstein spektakuläre Siege. Nach 1945 erwies er sich als Meister der Selbstverteidigung.
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Einer der herausragenden Strategen des Zweiten Weltkriegs: Erich von Manstein im Februar 1944 an der Ostfront. Kurz darauf wurde er von Hitler wegen unterschiedlicher Vorstellungen entlassen Einer der herausragenden Strategen des Zweiten Weltkriegs: Erich von Manstein im Februar 1944 an der Ostfront. Kurz darauf wurde er von Hitler wegen unterschiedlicher Vorstellungen entlassen
Einer der herausragenden Strategen des Zweiten Weltkriegs: Erich von Manstein im Februar 1944 an der Ostfront. Kurz darauf wurde er von Hitler wegen unterschiedlicher Vorstellungen... entlassen
Quelle: picture-alliance / akg-images

Die Erwartungen an den kleinen Fritz Erich waren hoch: Anderthalb Dutzend seiner Vorfahren hatten als führende Offiziere in der preußischen oder der russischen Armee gedient. Und weil eine solche Tradition fortgesetzt werden musste, hatten seine leiblichen Eltern Eduard und Helena von Lewinski schon bald nach seiner Geburt 1887 eine weitreichende Entscheidung getroffen: Sie übergaben ihr zehntes Kind der kinderlos gebliebenen Ehe von Fritz Erichs Tante Hedwig, die mit Oberst Georg von Manstein verheiratet war.

Angesichts einer so definierten Lebensaufgabe lag der Ausbildungsweg des Jungen, der nun Erich von Lewinski genannt von Manstein hieß, fest: Auf das Königliche Kadettenhaus in Plön folgte die Hauptkadettenanstalt in Groß-Lichterfelde bei Berlin, wo die künftige Elite der preußisch-deutschen Armee ausgebildet wurde. 1906 trat Erich in das 3. Garderegiment in Berlin ein und begann seine militärische Karriere. Sie sollte ihn 36 Jahre später zum Rang eines Generalfeldmarschalls führen.

Nichts allerdings deutete zunächst darauf hin, dass er der beste Stratege der Wehrmacht werden sollte. Im Ersten Weltkrieg war er zunächst kurz an der West-, dann an der Ostfront eingesetzt, wo er schon im November 1914 eine schwere Verwundung erlitt und fortan meist Stabsdienst leistete. Seine militärische Karriere schritt nur langsam voran: 1915 war er Hauptmann geworden, doch erst 13 Jahre später erfolgte die Beförderung zum Major. Immerhin: Manstein hatte es geschafft, aus dem riesigen Kriegsheer des Kaiserreichs in die vergleichsweise kleine Reichswehr der Weimarer Republik übernommen zu werden. Tausende andere adlige Offiziere mussten 1919/20 ihren vermeintlich vorgezeichneten Karriereweg aufgeben.

Nach Schlesien abgeschoben

Bis in die 30er-Jahre hinein war seinen direkten Vorgesetzten zwar bekannt, dass Manstein militärisch versiert war. Doch erst die Ernennung zum Chef der Operationsabteilung im Generalstab des Heeres 1935 bot ihm die Möglichkeit, seine Fähigkeiten auch in der Wehrmachtsführung erkennbar werden zu lassen.

Das gelang offensichtlich: Nach nur anderthalb Jahren in diesem Amt stieg der inzwischen zum Generalmajor beförderte Offizier zum Oberquartiermeister auf – traditionell das Karrieresprungbrett in der preußisch-deutschen Armee.

Doch dann wurde Manstein im April 1938 als Divisionskommandeur nach Schlesien abgeschoben – in eine militärpolitisch unbedeutende Position. War seine Karriere vielleicht doch schon beendet? Im Alter von 50 Jahren hatte er als Generalleutnant die Erwartungen seiner leiblichen und seiner Adoptiveltern gewiss erfüllt, aber konnte es das gewesen sein? Erich von Manstein jedenfalls war nicht zufrieden. Auch nicht, als er im September 1939 als Stabschef des Oberbefehlshabers Ost an führender Stelle den Angriff auf Polen organisierte.

Doch der Durchbruch kam einige Monate später: Gegen den Willen von Generalstabschef Franz Halder arbeitete Manstein im Januar und Februar 1940 einen Alternativplan für den Angriff im Westen aus und konnte ihn sogar Adolf Hitler persönlich vorstellen. Manstein schlug einen gewagten Vorstoß durch die Ardennen vor, um die Maginot-Linie zu umgehen. Als Bezeichnung dafür bürgerte sich Mansteins Wort „Sichelschnitt“ ein.

Der „Sichelschnitt“ überzeugte Hitler

Dem Diktator gefiel die Frechheit des Generals, der gegen die Wünsche seiner Vorgesetzten die eigenen Ansichten vertrat und deshalb wieder abgeschoben worden war. Neun Wochen später befahl Hitler, den Feldzug im Westen nach Mansteins Plan durchzuführen, der sich als strategisch genial erwies und wesentlich zum überraschend schnellen Sieg der Wehrmacht beitrug.

Die Beförderung zum General der Infanterie und die Verleihung des Ritterkreuzes waren die fast selbstverständliche Folge. Aber mit der Hierarchie des preußischen Militärs hatte es sich Manstein nun endgültig verdorben – seine Karriere konnte nur noch durch Erfolge in Hitlers Feldzügen weitergehen.

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Er war zwar kein überzeugter nationalsozialistischer Offizier wie der drei Jahre ältere Generalfeldmarschall Walter von Reichenau. Aber Manstein hatte auch keinen inneren Kompass, der ihn das Verbrecherische in den Befehlen der politischen Führung erkennen ließ.

An der Vorbereitung des Angriffs auf die Sowjetunion war er unbeteiligt. Doch er setzte Weisungen wie den Kommissarbefehl rücksichtslos um und teilte das auch in die Heimat mit. Am 22. Juli 1941 schrieb er an seine Frau: „Die Russen, von ihren Kommissaren getrieben, sind sehr zäh.“ Später sollte Manstein behaupten, in seinem Zuständigkeitsgebiet sei der mörderische Befehl nicht umgesetzt worden. Doch das war eine reine Schutzbehauptung, wie erhaltene Akten beweisen.

„Rächer für alle Grausamkeiten“

Persönlich verantwortete er einen anderen Befehl vom 20. November 1941, der an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ: „Das jüdisch-bolschewistische System muss ein für allemal ausgerottet werden. Nie wieder darf es in unseren europäischen Lebensraum eingreifen. Der deutsche Soldat hat daher nicht einfach die Aufgabe, die militärischen Machtmittel dieses Systems zu zerschlagen. Er tritt auch als Rächer für alle Grausamkeiten, die ihm und dem deutschen Volk zugefügt wurden, auf.“

Ganz offen machte sich Manstein in dieser Weisung den Rassenwahn Hitlers zu eigen: „Für die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum, dem geistigen Träger des bolschewistischen Terrors, muss der Soldat Verständnis aufbringen. Sie ist auch notwendig, um alle Erhebungen, die meist von Juden angezettelt werden, im Keime zu ersticken.“

Statt einfach einen ähnlich lautenden Befehl von Reichenau zu übernehmen, wie das andere hohe Generäle taten, formulierte Erich von Manstein eine eigenständige Weisung. Das erhaltene Original trägt seine Paraphe. Doch auch davon wollte er nach 1945 nichts mehr wissen.

Im Sommer 1942 gelang Manstein mit einem irrsinnigen Aufwand an Menschen und Material die Eroberung der sowjetischen Festung Sewastopol. Weil Goebbels den Kampf um den Hafen auf der Krim zur Entscheidungsschlacht stilisiert hatte, wurde Manstein zum Generalfeldmarschall befördert. Er war nun neben Erwin Rommel und noch vor Heinz Guderian der populärste Soldat der Wehrmacht.

Doch die Zeit der Siege war vorüber. Als den Sowjets die Einschließung Stalingrads gelang, sollte Manstein den Entsatzangriff leiten, als Oberbefehlshaber der neuen Heeresgruppe Don. Sein Plan misslang jedoch, wegen schlechter Witterung, Materialmangels und wohl auch wegen Hitlers Einmischung. Auch konnte Manstein sich nicht dazu durchringen, seinem Untergebenen Friedrich Paulus den Ausbruch aus Stalingrad zu befehlen.

Keine Unterstützung des Widerstands

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Trotzdem konnte die Wehrmacht an der Ostfront noch siegen, wie Manstein im März 1943 in der dritten Schlacht um Charkow bewies. Doch der Erfolg hielt nicht lange vor. Längst hatte der Generalfeldmarschall erkannt, dass die Niederlage der Wehrmacht unausweichlich sein würde. Zu einer entschiedenen Unterstützung des militärischen Widerstandes konnte er sich aber nicht durchringen, obwohl er Ende März 1944 in die „Führerreserve“ versetzt worden war und kein aktives Kommando mehr bekam.

Mehr Erfolg hatte Erich von Manstein nach 1945. Zwar wurde er – unter komfortablen Umständen – interniert und auch wegen Kriegsverbrechen angeklagt. Doch vor allem arbeitete er nun an seinem persönlichen Nachruhm und der „Ehrenrettung“ des preußisch-deutschen Militärs. Er erklärte, warum die Wehrmacht den Zweiten Weltkrieg verloren hatte – auf einfache und seinerzeit populäre, aber für einen führenden Militär doch eigenwillige Weise: Hitler war schuld.

Mit seinen Memoiren „Verlorene Siege“, einer groben Verzeichnung der wirklichen Verhältnisse in der militärischen Führung des Dritten Reiches, prägte Manstein für Jahrzehnte die Wahrnehmung der Kriegsgeneration. Das Buch, erstmals 1955 erschienen, liegt seit 2009 in 19. Auflage der Originalausgabe vor – nicht gerechnet unzählige Sonderausgaben.

Seit 1943 war der innovative Stratege zum Experten für Rückzüge geworden. Doch seine militärische Vollendung erklomm er erst in der Disziplin der Selbstverteidigung. Seine eigene Rolle bei Kriegsverbrechen und Holocaust blendete er aus, stilisierte sich zum „Nur-Soldaten“.

Als Erich von Manstein im 86. Lebensjahr 1973 starb, als vorletzter von Hitlers Generalfeldmarschällen, erhielt er ein Begräbnis mit allen militärischen Ehren. Sogar der Generalinspekteur der Bundeswehr sprach einige Worte. Erst jüngere kritische Historiker wie Johannes Hürter oder der Manstein-Biograf Oliver von Wrochem haben das Bild geradegerückt. Ohne Zweifel war Erich von Lewinski genannt von Manstein ein hochbegabter Offizier. Doch seinen größten Sieg errang er erst lange nach dem Krieg.

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