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Porträtfoto von Erwin Lahousen

Erwin Lahousen: Offizier gegen Hitler

Am 20. Juli 2014 jährt sich das Attentat des Wehrmachtsoffiziers Claus Schenk Graf von Stauffenberg auf Adolf Hitler zum 70. Mal. Den militärischen Widerstandskämpfern in Österreich blieb die Anerkennung lange Zeit versagt - ganz anders als in Deutschland. Das gilt auch für den in Wien geborenen und fast in Vergessenheit geratenen Erwin Lahousen.

Zeitgeschichte 18.07.2014

"Erwin Lahousen hat einige Male begründet, dass er nicht mehr länger zuschauen konnte bei diesen Verbrechen", sagt der Zeithistoriker Gerhard Jagschitz. Er kennt die Geschichte des österreichischen Geheimdienstoffiziers, der sich im Zweiten Weltkrieg in den militärischen Widerstand begab und nach Kriegsende bei den Nürnberger Prozessen aussagte - als Zeuge der Anklage.

Vor allem die Verbrechen der Wehrmacht in Polen und Russland bringen Lahousen zum Umdenken. Über Massenerschießungen an Juden berichtet er, nach Beginn des Russlandfeldzuges 1941: "Die hierbei entwickelten Situationen sind so erschütternd, dass sie nicht beschrieben werden können. Die Folgen auf die deutschen Kommandos sind unausbleiblich. Im Allgemeinen kann die Exekution nur unter Betäubung durch Alkohol durchgeführt werden."

Steile Karriere

Erwin Lahousen beim Prozess in Nürnberg

ORF/Zvacek

Erwin Lahousen beim Prozess in Nürnberg

Programmhinweise:

Zum 70-jährigen Jahrestag des Hitler-Attentats durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg zeigt "Universum History" am Freitag den 18. Juli ab 22:40 Uhr die Dokumentation "Stauffenberg - Die wahre Geschichte", ORF 2.

Am gleichen Tag widmet sich ein Beitrag in der ZiB2 dem Widerstandskämpfer Erwin Lahousen, um 22:10 Uhr, samt ausführlichem Interview mit seiner Witwe Stefanie Lahousen.

Literatur:

  • DÖW (Hrsg.) Jahrbuch 2009, Bewaffneter Widerstand - Widerstand im Militär, Wien 2009
  • Peter Broucek, Militärischer Widerstand, Studien zur österreichischen Staatsgesinnung und NS-Abwehr, Wien: Böhlau Verlag 2008
  • K. Glaubauf, St. Lahousen, Generalmajor Erwin Lahousen-Vivremont - Ein Linzer Abwehroffizier im militärischen Widerstand, LIT - Verlag, Berlin - Hamburg - Münster 2005
  • Guido Knopp: Hitlers Krieger. Bertelsmann, München 1998

Erwin Lahousen hat zu diesem Zeitpunkt eine steile Karriere vorzuweisen: Seit 1939 leitet er die Abteilung II in der Abwehr, dem militärischen Geheimdienst. Fortan steuert er von Berlin aus eine Geheimdiensttruppe, die mit ihren Aktionen wichtige Voraussetzungen für die Durchführung von Militäroperationen der Wehrmacht schafft.

Als Aufgabengebiet der Abteilung II gilt die "Sabotage und Zersetzung der Wehrkraft im Feindesland". Zeithistoriker Gerhard Jagschitz präzisiert: "Da ging es im Wesentlichen darum, Sabotage- und Terroraktionen zu unternehmen, die dazu führen sollten, dass der Nachschub im Krieg gestört wird, dass also bestimmte Operationen des Feindes verunmöglicht wurden."

Bereits zu Kriegsbeginn hat Erwin Lahousen begonnen, ein Diensttagebuch zu führen. Lahousens Chef, der Leiter des Geheimdienstes der Wehrmacht, Wilhelm Canaris, hatte ihn und seinen Kollegen 1939 folgende Anordnung erteilt: "Schreiben Sie das nieder, meine Herren. Sie werden einmal Rede und Antwort stehen müssen."

Abscheu vor den Gräueltaten

Erwin Lahousen sieht die abscheuliche Fratze des NS-Terrors aus unmittelbarer Nähe. Durch die Geheimdienstaktionen seiner Abteilung verfügt er erstens über bestes Wissen. Zweitens ist er aufgrund der vielen Dienstreisen, alleine oder gemeinsam mit seinem Chef, Wilhelm Canaris, nicht selten Zeuge der Erschießungs- und Ausrottungsmaßnahmen.

Empört zeigt sich Lahousen über den Umgang der Deutschen mit russischen Kriegsgefangenen. Mehr als drei Millionen sowjetische Soldaten wurden in den ersten Feldzugsmonaten 1941 unter unmenschlichen Bedingungen gefangengenommen, ihr Tod bewusst miteinkalkuliert. Schon im Frühjahr 1942 waren zwei der drei Millionen Soldaten der Roten Armee zu Tode gekommen. Gerhard Jagschitz: "Die vielen Morde, die er, sowohl an den Juden als auch im Gebiet der Sowjetunion gesehen hat, konnte er niemals akzeptieren."

Die Bombe von Smolensk

Vor diesem Hintergrund entschließt sich Lahousen zur Tat. Mehrfach überliefert ist seine Rolle beim Attentatsversuch im März 1943 in Smolensk - durchgeführt durch Henning von Treskow und Fabian von Schlabrendorff, beide Stauffenberg-Vertraute: Im Vorfeld hatte Lahousen den Sprengstoff besorgt - offenbar stammte er von britischen Agenten, die der deutschen Abwehr samt Sprengstoff ins Netz gegangen waren.

Diesen Sprengstoff bringt Erwin Lahousen am 7. März 1943 mit ins Hauptquartier der Heeresgruppe Mitte nach Smolensk, im heutigen Russland. Dort übergibt er ihn an Henning von Tresckow und Fabian von Schlabrendorff. Am 13. März wird der Sprengstoff - in Form eines Pakets mit zwei Flaschen Cognac - an Bord des Flugzeugs gebracht, mit dem Adolf Hitler reist. Doch die Bombe geht nicht hoch - und die Planungen beginnen erneut.

Aussage in Nürnberg

Erwin Lahousen kann jetzt nicht mehr aktiv eingreifen. Denn vor seiner Ernennung zum General - dem nächsten Schritt in der militärischen Laufbahn - steht ein sechsmonatiger Fronteinsatz auf dem Programm. 1944 wird er schwer verwundet. Nach Kriegsende kommt er in Kriegsgefangenschaft, in US-amerikanische und britische. Im November 1945 sagt er schließlich im Hauptkriegsverbrecherprozess in Nürnberg aus.

Einem Gefängnispsychologen sagte er vor Gericht: "Ich muss aussagen für alle die, die sie ermordet haben." Sein Entschluss in Nürnberg auszusagen, macht ihn, in den Augen vieler ehemaliger Nationalsozialisten, zum Verräter. Überliefert ist ein Zitat vom - in Nürnberg angeklagten - Reichsmarschall Herrmann Göhring in Richtung Erwin Lahousens: "Da haben wir eines von den Schweinen, das wir am 20. Juli vergessen haben umzulegen. Jetzt wundere ich mich nicht mehr, dass wir den Krieg verloren haben."

Späte Aufarbeitung

Nach seinen Zeugenaussagen in Nürnberg bleibt Lahousen in Kriegsgefangenschaft. Erst im Juni 1947 kehrt er nach Österreich heim und lässt sich in Tirol nieder, lernt dort seine zweite Frau, Stefanie Lahousen, kennen, die in erster Ehe mit Theodor Znideric, einst Staatssekretär in der Regierung Kurt Schuschnigg, verheiratet war. Znideric war 1945 verstorben, die erste Frau Lahousens, Margarethe, im Jahr 1950.

In dieser Zeit nach dem Krieg erleidet Erwin Lahousen von Altnazis Anfeindungen, unter denen er leidet - wie sich Stefanie Lahousen erinnert. Am 24. Februar 1955 stirbt Erwin Lahousen, 57-jährig, an seinem dritten Herzinfarkt in Innsbruck.

"In Österreich ist der militärische Widerstand generell erst sehr spät anerkannt worden, das ist in den 1980er und 1990er Jahren passiert", erklärt Gerhard Jagschitz. "In Deutschland war das anders, die Deutschen haben den Widerstand gegen Hitler zur neuen Identifizierung ihres Staates gebraucht, das war ein Teil ihres neuen staatlichen Bewusstseins."

Nach Robert Bernardis, einem wichtigen Mitverschwörer Stauffenbergs, hat die Stadt Linz im Jahre 1994 eine Straße benannt. Eine ähnliche Würdigung für Erwin Lahousen gibt es bis heute nicht.

Gregor Stuhlpfarrer, Universum History

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