Nebenwirkungen der Checkpoint-Inhibition: Der Preis des l�ngeren �berlebens nach Krebs
ArchivDeutsches �rzteblatt8/2024Nebenwirkungen der Checkpoint-Inhibition: Der Preis des l�ngeren �berlebens nach Krebs

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Nebenwirkungen der Checkpoint-Inhibition: Der Preis des l�ngeren �berlebens nach Krebs

Lenzen-Schulte, Martina

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Foto: Sebastian Kaulitzki/stock.adobe.com
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Unter den modernen Krebstherapien ist es vor allem den Checkpoint-Inhibitoren zu verdanken, dass es deutlich mehr Langzeit�berlebende gibt. Allerdings erkennt man zunehmend, dass mit sp�ten, persistierenden und ernsten unerw�nschten Folgen zu rechnen ist.

Unter den modernen Krebstherapien gelten insbesondere die Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICI) � anti-programmed death-1 (anti-PD-1), anti-PD-Ligand 1 (anti-PD-L1), anti-cytotoxic T-lymphocyte antigen-4 (anti-CTLA-4) und Lymphocyte-Activation Gene-3 (LAG-3-) Antik�rper � als au�erordentlich erfolgreich. Seit mit Ipilimumab der erste ICI im Jahr 2011 zugelassen worden ist, folgten mehrere andere ICIs f�r zahlreiche Tumorentit�ten. Bereits 2021 waren 5 863 klinische Studien allein f�r anti-PD-1 oder anti-PD-L1-Immuntherapien registriert. Jeder 3. Tumorpatient k�me f�r eine ICI-Therapie infrage, hei�t es in einer aktuellen �bersicht der MTA-SE Momentum Cardiooncology-and-Cardioimmunology-Forschungsgruppe um Prof. Dr. med. Zoltan Varga an der Semmelweis Universit�t in Budapest (1).

Allerdings induzieren diese Gamechanger aufgrund der Aktivierung des Immunsystems bei 86�96 % der Behandelten Autoimmunreaktionen als unerw�nschte Wirkungen (immune-related adverse events, irAEs). Bei 17�59 % der Betroffenen sind diese schwer oder lebensbedrohlich (2). Im Prinzip k�nnen s�mtliche Organsysteme betroffen sein. Checkpoint-Inhibitor-induzierte irAEs manifestieren sich am h�ufigsten als dermatologische Symptome (46�62 %), Kolitiden (22�48 %), Hepatitiden (7�33 %) und als endokrinologische Erkrankungen (12�34 %) wie Thyreoiditis, Hypophysitis, Adrenalitis oder Diabetes mellitus. Zu den eher selteneren unerw�nschten Wirkungen z�hlen Pneumonitiden (3�8 %), Nephritiden (1�7 %), kardiale Nebenwirkungen (5 %) und neurologische Nebenwirkungen (1�5 %) (2).

Allerdings betont das ungarische Team, dass die kardialen irAEs wenig bekannt waren und daher bislang dem Monitoring entgangen sind. Vor allem die akute, fulminant verlaufende Myokarditis verdient Aufmerksamkeit, da sie mit einer der h�chsten Mortalit�tsraten einhergeht (3). Aber auch die chronischen kardiovaskul�ren Komplikationen einer akzelerierten Arteriosklerose und Nichtmyokarditis-assoziierter Herzinsuffizienz seien zu beachten. Zudem kann es zu eher ungew�hnlichen Beschwerden wie einer als Takotsubo-Kardiomyopathie bezeichnete Anomalie der Herzwandbewegung kommen, die �hnliche Symptome wie das akute Koronarsyndrom aufweist (4). Welche Pathogenese hinter den vielf�ltigen kardialen Symptomen steckt, ist bislang jedoch noch weitgehend unklar. Die Arbeitsgruppe macht zudem darauf aufmerksam, dass in einer d�nischen Registerstudie nicht nur ein 3,2-fach erh�htes Risiko f�r Herzinsuffizienz unter ICI-Therapie (mit anti-PD-1-Antik�rpern bei Lungenkrebs) registriert wurde (5). Die Beschwerden seien zudem erst 6 Monate nach Initiierung der Behandlung aufgetreten.

Sp�tes Auftreten in einem Drittel

�ber die Beobachtung, dass viele Betroffene Late-onset-Folgen, die sich erst 90 Tage nach Therapiebeginn manifestieren, zu gew�rtigen haben, wird inzwischen h�ufiger berichtet. Prof. med. Dr. Volker Arndt, Leiter der Arbeitsgruppe Cancer Survivorship am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg, hat mit seinem Team eine �bersicht der Daten aus versorgungsnahen, �real-world� Studien publiziert (6). �Wir k�nnen best�tigen, dass sich rund 30 % der Nebenwirkungen erst 1 Jahr nach Therapiebeginn manifestieren�, erl�utert der Epidemiologe.

Arndt hebt hervor, dass es neben sehr spezifischen Autoimmunsymptomen � wie einem Karpaltunnelsyndrom oder einer Uveitis � auch eher unspezifische Reaktionen wie Fatigue g�be, von denen man nicht sagen k�nne, ob es sich um eine ICI-assoziierte Symptomatik handele oder dies der Krebserkrankung als solcher geschuldet sei. Wichtig ist ihm der Aspekt der finanziellen Belastung der Betroffenen. Immerhin sei ein Drittel noch im erwerbsf�higen Alter. Unter denen mit l�ngerfristig kontrollierter Tumorerkrankung kehrten 90 % wieder ins Erwerbsleben zur�ck. �Unter solchen Umst�nden k�nnen sp�t auftretende oder lang anhaltende Therapienebenwirkungen die Lebensqualit�t der �berlebenden erheblich einschr�nken oder sogar zum Therapieabbruch f�hren�, h�lt er fest. Schon jetzt machen die Cancer Survivor rund 5 % der Bev�lkerung aus (7).

Wenn es zu irAEs kommt, lassen diese sich h�ufig mit einer immunsuppressiven Therapie beherrschen. In erster Linie kommen hier Kortikosteroide zum Einsatz. Allerdings gilt es zu bedenken, dass Kortikosteroide oder andere Immunsuppressiva den onkologischen Therapieerfolg gef�hrden k�nnten (8).

Refrakt�re F�lle sind selten

�Zudem gibt es eine kleine Gruppe von Betroffenen, die uns vor gro�e therapeutische Herausforderungen stellt, weil sie eine weitere Immunmodulation ben�tigt�, erl�utert Prof. Dr. med. Lucie Heinzerling, Direktorin am Hautkrebszentrum der Ludwig-Maximilians-Universit�tsklinik in M�nchen. Das sind Patienten mit steroid-refrakt�ren (sr-irAEs) und steroid-abh�ngigen Nebenwirkungen. Mit ihrer Arbeitsgruppe fand sie in einer retrospektiven Analyse von 406 Patienten, dass solche sr-irAEs einer ICI-Therapie in 28 % bleibende Folgen hatten und in 12 % neben der Zweitlinien- eine Drittlinientherapie ben�tigten (9).

�Diese sr-irAEs betreffen zwar mit gut 6 % eine vergleichsweise kleine Gruppe. Allerdings haben wir bisher wenig Daten dazu, mit welchen Therapien wir hier am besten helfen k�nnten�, sagt die Dermatoonkologin und erg�nzt: �In unserer j�ngsten Studie mit Analyse von 1 398 F�llen bei insgesamt 17 Tumortypen fanden wir, dass TNF-Inhibitoren zumindest schneller wirken als andere Immunsuppressiva.� (10) Am Hauttumorzentrum der LMU werden aktuell unterschiedliche Zweitlinientherapien bei sr-irAEs inklusive der immunmodulierenden extrakorporalen Photopherese prospektiv miteinander verglichen (11).

In dem internationalen Nebenwirkungsregister SERIO (Info) werden in Kooperation mit dem Paul-Ehrlich-Institut seltene, komplexe, therapierefrakt�re und lebensver�ndernde Immuntherapie-induzierte Nebenwirkungen gesammelt. Ebenso werden Patienten dokumentiert, die nicht Teil klinischer Studien sind, wie Patienten mit Autoimmunerkrankungen oder Transplantierte. �Der Fokus liegt darauf, Evidenz f�r die schweren und seltenen Nebenwirkungen zu generieren�, erl�utert Heinzerling, �denn wir erfassen auch biologische Proben und k�nnen so translationale Forschungsprojekte zu dem Thema durchf�hren�.

Da die Checkpoint-Inhibitor-Therapie in immer fr�heren Tumorstadien durchgef�hrt wird, kommt absehbar eine gro�e Zahl von Survivorn mit persistierenden Nebenwirkungen oder Folgesch�den auf das Gesundheitssystem zu. Laut einer weiteren M�nchener Analyse m�ssen 40�42 % der ICI-Therapierten mit der Persistenz von irAEs rechnen (12). Diese reduzierten bekannterma�en signifikant die Lebensqualit�t. Es m�sse daher dringend mehr f�r die Pr�vention der irAEs, f�r eine Risikokalkulation und die Verbesserung der Therapie getan werden, lautet die Forderung beider Experten.

Immun-Checkpoint-Inhibitoren für die onkologische Immuntherapie
Tabelle
Immun-Checkpoint-Inhibitoren f�r die onkologische Immuntherapie

Info

SERIO � side effect registry immuno-oncology � ist ein Onlineregister, das bislang mehr als 1 500 Nebenwirkungen von Immuntherapien gesammelt hat, auch solche von Immun-Checkpoint-Inhibitoren. Die Daten stammen aus 58 Zentren und umfassen Patienten mit 17 Tumorentit�ten. SERIO wird in Kooperation mit dem Paul-Ehrlich-Institut betrieben (15, 16).


Info

Etwa 52 % aller M�nner und 45 % aller Frauen erkranken im Verlauf ihres Lebens an Krebs. 60 % von ihnen �berleben die b�sartige Erkrankung 5 Jahre oder l�nger. Hierzulande leben derzeit circa 5 Millionen Personen mit einer akuten oder �berstandenen Krebserkrankung (13, 14).

1.
Gergely TG, Drobni ZD, Kallikourdis M, et al.: Immune checkpoints in cardiac physiology and pathology: therapeutic targets for heart failure. Nat Rev Cardiol 26. Januar 2024. DOI: 10.1038/s41569�023�00986�9 CrossRef MEDLINE
2.
Heinzerling L, de Toni EN, Schett G, Hundorfean G, Zimmer L: Checkpoint Inhibitors. Dtsch Arztebl Int 2019; 116 (8): 119�26 CrossRef
3.
Wang DY, Salem JE, Cohen JV, et al.: Fatal Toxic Effects Associated With Immune Checkpoint Inhibitors: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Oncol 2018; 4 (12): 1721�8 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.
Escudier M, Cautela J, Malissen N, et al.: Clinical Features, Management, and Outcomes of Immune Checkpoint Inhibitor-Related Cardiotoxicity. Circulation 2017; 136 (21): 2085�7 CrossRef MEDLINE
5.
D�Souza M, Nielsen D, Svane IM, et al.: The risk of cardiac events in patients receiving immune checkpoint inhibitors: a nationwide Danish study. Eur Heart J 2021; 42 (16): 1621�31 CrossRef MEDLINE
6.
G�ven DC, Thong MS, Arndt V: Survivorship outcomes in patients treated with immune checkpoint inhibitors: a scoping review. J Cancer Surviv 4. Januar 2024. DOI: 10.1007/s11764�023�01507-w CrossRef MEDLINE
7.
Miller KD, Nogueira L, Devasia T, et al.: Cancer treatment and survivorship statistics, 2022. CA Cancer J Clin 2022; 72 (5): 409�36 CrossRef MEDLINE
8.
The Lancet Oncology. Immunotherapy: balancing the risks and benefits. Lancet Oncol Februar 2024; 25 (2): 147 CrossRef MEDLINE
9.
Tomsitz D, Ruf T, Zierold S, French LE, et al.: Steroid-Refractory Immune-Related Adverse Events Induced by Checkpoint Inhibitors. Cancers (Basel) 2023; 15 (9): 2538 CrossRef MEDLINE PubMed Central
10.
Ertl C, Ruf T, Mentzer D, et al.: The side effect registry immuno-oncology (SERIO) � A tool for systematic analysis of immunotherapy-induced side effects. Eur J Cancer 2024; 199: 113505 CrossRef MEDLINE
11.
Clinical Trials NCT05700565.
12.
Schulz TU, Zierold S, Sachse MM, et al.: Persistent immune-related adverse events after cessation of checkpoint inhibitor therapy: Prevalence and impact on patients� health-related quality of life. Eur J Cancer 2022; 176: 88�99 CrossRef MEDLINE
13.
Robert Koch-Institut (eds.) und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (eds.): Krebs in Deutschland f�r 2019/2020. Berlin, 2023.
14.
https://www.dkfz.de/de/cancer-survivorship/index.php (last accessed on 10 April 2024).
15.
https://serio-registry.org/ (last accessed on 10 April 2024).
16.
https://www.ccc-muenchen.de/arzte/nebenwirkungsregister-serio/0393d574fe406927 (last accessed on 10 April 2024).
Immun-Checkpoint-Inhibitoren für die onkologische Immuntherapie
Tabelle
Immun-Checkpoint-Inhibitoren f�r die onkologische Immuntherapie
1.Gergely TG, Drobni ZD, Kallikourdis M, et al.: Immune checkpoints in cardiac physiology and pathology: therapeutic targets for heart failure. Nat Rev Cardiol 26. Januar 2024. DOI: 10.1038/s41569�023�00986�9 CrossRef MEDLINE
2.Heinzerling L, de Toni EN, Schett G, Hundorfean G, Zimmer L: Checkpoint Inhibitors. Dtsch Arztebl Int 2019; 116 (8): 119�26 CrossRef
3.Wang DY, Salem JE, Cohen JV, et al.: Fatal Toxic Effects Associated With Immune Checkpoint Inhibitors: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA Oncol 2018; 4 (12): 1721�8 CrossRef MEDLINE PubMed Central
4.Escudier M, Cautela J, Malissen N, et al.: Clinical Features, Management, and Outcomes of Immune Checkpoint Inhibitor-Related Cardiotoxicity. Circulation 2017; 136 (21): 2085�7 CrossRef MEDLINE
5.D�Souza M, Nielsen D, Svane IM, et al.: The risk of cardiac events in patients receiving immune checkpoint inhibitors: a nationwide Danish study. Eur Heart J 2021; 42 (16): 1621�31 CrossRef MEDLINE
6.G�ven DC, Thong MS, Arndt V: Survivorship outcomes in patients treated with immune checkpoint inhibitors: a scoping review. J Cancer Surviv 4. Januar 2024. DOI: 10.1007/s11764�023�01507-w CrossRef MEDLINE
7.Miller KD, Nogueira L, Devasia T, et al.: Cancer treatment and survivorship statistics, 2022. CA Cancer J Clin 2022; 72 (5): 409�36 CrossRef MEDLINE
8.The Lancet Oncology. Immunotherapy: balancing the risks and benefits. Lancet Oncol Februar 2024; 25 (2): 147 CrossRef MEDLINE
9.Tomsitz D, Ruf T, Zierold S, French LE, et al.: Steroid-Refractory Immune-Related Adverse Events Induced by Checkpoint Inhibitors. Cancers (Basel) 2023; 15 (9): 2538 CrossRef MEDLINE PubMed Central
10.Ertl C, Ruf T, Mentzer D, et al.: The side effect registry immuno-oncology (SERIO) � A tool for systematic analysis of immunotherapy-induced side effects. Eur J Cancer 2024; 199: 113505 CrossRef MEDLINE
11.Clinical Trials NCT05700565.
12.Schulz TU, Zierold S, Sachse MM, et al.: Persistent immune-related adverse events after cessation of checkpoint inhibitor therapy: Prevalence and impact on patients� health-related quality of life. Eur J Cancer 2022; 176: 88�99 CrossRef MEDLINE
13.Robert Koch-Institut (eds.) und die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland e.V. (eds.): Krebs in Deutschland f�r 2019/2020. Berlin, 2023.
14.https://www.dkfz.de/de/cancer-survivorship/index.php (last accessed on 10 April 2024).
15.https://serio-registry.org/ (last accessed on 10 April 2024).
16.https://www.ccc-muenchen.de/arzte/nebenwirkungsregister-serio/0393d574fe406927 (last accessed on 10 April 2024).

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