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Die Wannseekonferenz: Massenmord, geplant von Beamten

Am 20. Januar 1942 entschieden 15 Nazi-Führer und hohe Beamte, Millionen von Juden zu ermorden. Einer dieser Beamten war Wilhelm Stuckart. Jung, Nazi und Gesetzestreu – Leute wie er beschlossen kalt und nüchtern die Shoah.
von Peter Brinkmann · 17. Mai 2012
Schreibtischtäter: Wilhelm Stuckart verwaltete den millionenfachen Massenmord an den europäischen Juden.
Schreibtischtäter: Wilhelm Stuckart verwaltete den millionenfachen Massenmord an den europäischen Juden.

Am 20. Januar 1942 entschieden 15 Nazi-Führer und hohe Beamte Millionen von Juden zu ermorden. Einer dieser Beamten war Dr. Wilhelm Stuckart. Gerade 39 Jahre alt und schon Staatssekretär im Reichsministerium des Innern: Jung, Nazi und Gesetzestreu – Leute wie er beschlossen kalt und nüchtern die Shoah.

Wilhelm Stuckart (1902-1953) war einer der wichtigsten juristischen Interpreten des NS-Staates. Er entwarf die Nürnberger Rassegesetze und legte damit das juristische Fundament für die staatlich legitimierte Ermordung von fast 6 Millionen Menschen im Namen der Nazi-Ideologie der „vorherrschenden“ arischen Rasse. Stuckart überlebte die Nazi-Zeit und plusterte sich nach 1945 in der neuen demokratischen Bundesrepublik als jemand auf, der in einer „sauberen“ Verwaltung gearbeitet habe.

Eifrige Beamte im Nazi-Staat

1942 saß der „saubere“ Beamte mit den anderen Massenmördern am Tisch in der Berliner Wannsee Villa. Nach 1945 erklärte Stuckart allerdings, er habe sich als Beamter im Innenministerium dem Morden stets widersetzt. Mit dieser Legende räumt Hans-Christian Jaschs Buch „Staatssekretär Wilhelm Stuckart und die Judenpolitik“ gründlich auf.

Schon am 7. April 1933, also knapp 60 Tage nach Hitlers „Machtergreifung“, wurde das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ erlassen. Damit war die Grundlage für die „Ausschaltung“ all derjenigen geschaffen wurden, die den Nazis nicht genehm waren. Ausgearbeitet von den überwiegend sehr jungen Juristen in den Ministerien für Inneres und Justiz. Einer von ihnen war Dr. Stuckart.

Eifriger Nazi Parteigänger

Nach der Machtübernahme setzten die Nationalsozialisten diese jungen Parteifreunde in die wichtigen Referenten- und Abteilungsleiter Positionen in Ministerien. Den fachlich geschulten Laufbahnbeamten aus der Weimarer Republik wurden diese Vertrauen der neuen Machthaber vorgesetzt. Ziel war es, die Verwaltung im nationalsozialistischen Sinne umgestalten. Diese jungen Parteigänger hatten alle eines gemeinsam: Sie waren fanatische Gefolgsleute von Hitler und seiner Nazi-Partei. Sie waren ehrgeizig und radikal und wollten das auch zeigen.

Stuckart war 31 Jahre alt, als er, der promovierte Jurist, Staatssekretär im Kultusministerium wurde. Schon als Referendar in Wiesbaden war er als Rechtsberater bei der NSDAP tätig gewesen. 1930 tritt er in die NSDAP ein. 1933 beginnt seine Karriere: Er wird kommissarischer Oberbürgermeister von Stettin, noch im gleichen Jahr Leiter der Abteilung für Unterricht und Erziehung im Range eines „kommissarischen" Ministerialdirektors im preußischen Kulturministerium. Im Juni 1933 wird Stuckart Staatssekretär im Preußischen Kultusministerium und drei Monate später Mitglied des preußischen Staatsrates.

1934 war er dann Reichsstaatssekretär im Reichs-Erziehungsministrium (REM). Später OLG-Präsident in Darmstadt, ab 1935 wieder  Staatssekretär  im Reichs- und Preußischen Ministerium des Innern. Und nun konnte der Beamte seine Nazi Gesinnung richtig zeigen. Was er auch tat. Stuckart leitete die Verfassungsabteilung und wirkte so an den verbrecherischen  Rassegesetzen mit. 1936 Mitglied der SS. 1944  SS-Obergruppenführer. Im Krieg war er mit Siedlungs-, Volkszugehörigkeits-, Grenzziehungs- und „Judenangelegenheiten" befasst. Und so kam er in den Teilnehmerkreis der  Wannseekonferenz am 20. Januar 1942. Thema: Die „Endlösung der Judenfrage". 1945 taucht er dann in der Regierung Dönitz als Vize-Reichs-Erziehungsminister und Innenminister auf. Nazi durch und durch, bis zum Ende. Schon früh ein Nazi, schön früh besessen von der Idee der „Judenvernichtung“. Er war ein Mittäter.

Genug der Beschönigung

Stuckart glaubte an die Nazis. Heute wissen wir, dass von den 15 hochrangigen Nazis in der Wannsee-Villa nicht ein einziger gegen den geplanten Tod von 11 Millionen Menschen auch nur zaghaft protestierte. Sie alle mussten wissen, dass sie als Henker am Tisch saßen. Denn auf der Konferenz ging es nicht darum ob man die Juden töten wollte, sondern darum wie man sie töten wollte. Hier waren die Methoden gefragt.

Adolf Eichmann – er führte am Wannsee Protokoll – sagte über Dr. Stuckart in seinem Prozess in Jerusalem: „Es wurde von Töten und Eliminieren gesprochen. Ich könnte mich gar nicht mehr über die Sache erinnern, wenn ich nicht gedacht hätte: Schau, der Stuckart, den man immer als einen sehr genauen, heiligen Gesetzes-Onkel betrachtete, der ist hier sehr unparagraphenmäßg gewesen."

Der Autor Hans Christian Jasch – Jurist, Regierungsdirektor im Bundesministerium des Innern, langjähriger freier Mitarbeiter in der Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz in Berlin – zeigt welche Rolle die Juristen bei der Planung, Organisation und Durchführung des Völkermordes an den europäischen Juden spielten. Dieses Buch muss jeder lesen, der glaubt, es seien wenige Nazis gewesen, die die Shoah geplant hatten. Stuckart steht für Viele.

Hans-Christian Jasch: „Staatssekretär Wilhelm Stuckart und die Judenpolitik. Der Mythos von der sauberen Verwaltung“, Oldenbourg Verlag, München 2012, 534 Seiten, 74,80 Euro, ISBN 978-3-486-70313-9

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