Bill Kaulitz: „Das Riesenarschloch, das mir das Herz brach“

Bill Kaulitz: „Das Riesenarschloch, das mir das Herz brach“

Der Frontmann der Band Tokio Hotel offenbart sich in seiner Autobiografie: seine Liebe zu Nena, seine Sexualität und und und …

Der Musiker und Designer Bill Kaulitz bei der Berliner Fashion Week 2021.
Der Musiker und Designer Bill Kaulitz bei der Berliner Fashion Week 2021.dpa/Jörg Carstensen

Bill Kaulitz, 31, veröffentlicht in genau einer Woche seine Autobiografie. „Career Suicide: Meine ersten dreißig Jahre“ heißt das Werk, in dem uns der Frontmann der Band Tokio Hotel mit allerlei Einsichten erfreut. Zum Beispiel über seine frühe Liebe zu Nena. „Ihre glasklare, jugendliche und naive Stimme schmetterte rebellische Texte und Herzschmerz durch unser Zimmer“, schreibt Kaulitz, der mit seinem Zwillingsbruder Tom in Loitsche bei Magdeburg aufwuchs. Das bedeutete: „600 uninspirierte Seelen, absolute Tristesse“– viel mehr sei da nicht los gewesen.

So musste Nena wohl zwangsläufig zum Ereignis werden. Kaulitz: „Ein unbeschreibliches Gefühl machte sich in mir breit, als würde ein fehlendes Zahnrad in mein Herz gesetzt, damit es endlich richtig schlagen kann!“ Und als er später, da war er schon 15, bei einer Show backstage der Sängerin begegnete, habe sie ihn in den Arm genommen und gedrückt. „Ich war sofort in love“. Im Lauf der Jahre sei die Euphorie zwar abgeflaut, endete aber nie wirklich: „Witzig, auch heute zählt Nena zu den Personen, die mich ein bisschen aufgeregt machen, wenn ich sie treffe.“

„Ich hatte aufregende Erfahrungen mit Mädchen“

Und sonst? Selbstverständlich äußert sich der Künstler auch zu seiner extravaganten, androgynen und in jedem Fall mangaesken Erscheinung – der Name der Band Tokio Hotel verweist ja irgendwie auf Japan und dort möglicherweise auf die Manga genannten Comics und deren großäugiges und wuschelhaariges Personal. Wie auch immer, Kaulitz experimentierte bereits als Teenager ausgiebig mit genderfluiden Outfits, was seit jeher für Spekulationen über seine Sexualität sorgte: „Es ist bis heute meist eine der ersten Fragen, die mir gestellt werden.“

Gegenüber dem Spiegel erklärte Kaulitz seine Verwunderung darüber so: „Man denkt, die Gesellschaft ist so weit gekommen, alle sind unglaublich offen, es spielt keine Rolle, wen man liebt, wie man liebt. Aber mir begegnet das ständig.“ Also gibt Kaulitz dazu nun ganz konkret Auskunft: „Ich hatte aufregende Erfahrungen mit Mädchen“, so der mittlerweile in Los Angeles lebende Musiker. „Ich habe aber auch mal mit meinem besten Freund und seiner Freundin in einer Dreiecksbeziehung gesteckt, weil ich auf einmal in ihn verliebt war und er in mich.“

Tokio Hotel im Jahre 2008: Georg Listing, Bill Kaulitz, Tom Kaulitz und Gustav Schäfer (v.l.n.r.).
Tokio Hotel im Jahre 2008: Georg Listing, Bill Kaulitz, Tom Kaulitz und Gustav Schäfer (v.l.n.r.).imago images

Ansonsten ist Kaulitz heute stolz darauf, zu einem Vorbild für die LGBTQI-Bewegung geworden zu sein. In Russland seien männliche Fans auf ihn zugekommen, die hohe Schuhe und Make-up getragen und ihm erzählt hätten, dass er der Grund dafür sei, „dass sie sich das trauen.“ Erinnert sei auch an die Castingshow „Queen of Drags“ auf ProSieben, bei der Kaulitz neben Model Heidi Klum und Sängerin Conchita Wurst als Juror mitwirkte – in dem Wettbewerb treten Dragqueens aus Deutschland, Österreich und der Schweiz gegeneinander an. 

Und dann kommt Kaulitz noch auf den titelgebenden „Career Suicide“ zu sprechen. Der rasante Erfolg von Tokio Hotel habe ihn irgendwann überfordert. Mit Mitte 20, nach sechs Jahren Highspeed, wie er schreibt, wollte er wieder der Architekt seines eigenen Lebens werden – da lag gerade ein Burnout hinter ihm. Die Karriere wurde zu einer unerträglichen Last, Konzerte erwiesen sich als ein einziger Ausnahmezustand: „Es war, als würde eine wilde Horde über uns herfallen, und weit und breit keiner, der uns einen Rettungsring zuwirft.“

Und was ist nach der Notbremsung seines überschnellen Lebens aus ihm geworden? Wirklich angekommen sieht sich Kaulitz auch nach 30 Jahren nicht. Die große Liebe habe er jedenfalls nicht gefunden. „Alle um mich haben sich irgendwie weiterentwickelt. Ein ‚richtiges‘ Leben aus diesem Spiel gemacht. Das Riesenarschloch, das mir das Herz brach, hat geheiratet – Frau und Kind.“ Sein Zwillingsbruder Tom ist mit Heidi Klum verheiratet, Schlagzeuger Gustav hat Frau und Tochter, Bassist Georg lebt mit seiner langjähriger Freundin in Berlin.

„Und ich? Ich bin irgendwie immer noch hier und jage meinen Traum. Alleine. In meinem Haus in den Hollywood Hills. So weit entfernt wie nur möglich von dem Ort, von dem ich einmal kam.“