Axel Springer und die Juden
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Axel Springer und die Juden

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Eine kritische Nachahmung der Bild-Zeitung im Jüdischen Museum in Frankfurt.
Eine kritische Nachahmung der Bild-Zeitung im Jüdischen Museum in Frankfurt. © dpa

Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt beleuchtet das seltsame Nachkriegs-Kapitel um das Verhältnis von Axel Springer und den Juden.

Axel Cäsar Springer steht auf dem Ölberg und blickt hinab auf Jerusalem. Er steht allein dort. „Wie Moses vor dem Heiligen Land“, flüstert mir Dmitrij Belkin zu, der Kurator der Ausstellung. „Oder wie Jesus, dem der Satan die Herrlichkeiten der Welt zeigt“, denke ich.

Der Gang durch die Ausstellung „Bild dir dein Volk! Axel Springer und die Juden“ im Jüdischen Museum Frankfurt zeigt: Wir haben beide recht. Axel Cäsar Springer ist der Moses der Deutschen, der sein Volk ins Gelobte Land führen möchte, damit es sich aussöhne mit den Juden. Man kann fragen, ob Aussöhnung der richtige Begriff sei. Man kann auch fragen, ob es nicht vielmehr darum ginge, dass die Mörder um Vergebung bitten, dass die, die zuschauten, als Juden vertrieben und ermordet wurden, um Vergebung bitten, dass die Nachkommen der Mörder um Vergebung bitten. Juden haben da gar keine Bringschuld. Darum kommt einem der Begriff der Aussöhnung so völlig falsch vor.

Besser als das verduckste Schweigen der Mehrheit

Aber so falsch er ist, er ist doch besser als das verdruckste Schweigen, mit dem die Mehrheit der Deutschen diese Frage in den ersten Jahrzehnten nach dem Versuch, alle Juden zu vernichten, behandelte. Besser ist er vor allem darum, weil er ein Handeln zur Folge hatte. Die Zeitungen des Springer-Konzerns berichteten täglich über den Auschwitz-Prozess, über den Eichmann-Prozess. Sie traten immer wieder ein gegen die Verjährung der Naziverbrechen. Die Springer-Presse gehörte nicht zum Schweigekartell der Nachkriegsjahre, das den Holocaust vergessen machen wollte.

Seit 1967 unterschreibt jeder Springer-Redakteur einen Vertrag, in dem er sich verpflichtet, sich einzusetzen für das „Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen; hierzu gehört auch die Unterstützung der Lebensrechte des israelischen Volkes“. Man könnte darin einfach nur eine Absicherung sehen, dass kein Antisemit in dieser Redaktion schreiben soll. Aber man läge falsch damit. Axel Cäsar Springer war umringt von alten Nazis. Seine Erfolgsautoren, seine engsten Ratgeber waren alte Nazis. Paul Karl Schmitt, Ex-Chef des Presseamtes des NS-Außenministeriums und SS-Obersturmbannführer, war nicht nur unter dem Pseudonym Paul Carell einer der erfolgreichsten Autoren der Nachkriegszeit. Seine Kriegsromane verherrlichten die Taten der Wehrmacht. Er war auch bis zum Tode Springers einer von dessen engsten Mitarbeitern. Im umfangreichen Nachkriegswerk des Paul Karl Schmitt soll es keine Zeile geben, in der er versucht zu begreifen, was er dachte und was er tat. Es gibt auch nicht den kleinsten Anhaltspunkt, folgt man der Ausstellung, dass er seine Auffassungen nach 1945 geändert hatte. Gleiches gilt für SS-Hauptsturmführer Horst Mahnke.

Hans Zehrer, einer der drei Männer des konservativ-revolutionären Tat-Kreises der Weimarer Republik, die in Springers Beraterkreis wirkten, überredete Springer, sich direkt bei Chrustschow für eine Wiedervereinigung der Deutschen einzusetzen. Also Abstand zu nehmen von Adenauers Westbindung hin zu einem dritten Weg zwischen Ost und West. Als das scheiterte, ließ Springer den von ihm bis dahin grenzenlos bewunderten Zehrer fallen. Man kann sich vorstellen, dass keiner dieser Herren jenen Vertrag mit der berühmten Klausel unterschrieben hat. Sie waren ja schon lange bevor er eingerichtet wurde, Springers engste Gefolgsleute und Inspiratoren.

Der jüdische Ernst Cramer spielt wichtige Rolle im Verlag

Im Verlag spielte auch der Jude Ernst Cramer eine wichtige Rolle. 1939 hatte er gerade noch rechtzeitig das Dritte Reich verlassen. Alle seine Verwandten blieben und wurden umgebracht. 1945 kehrte er als Soldat der USA zurück. Von 1958 bis 2010 arbeitete er als Berater des Springer-Verlages. Wie er sich in Deutschland fühlte? Wie er sich im Springer-Verlag fühlte? Wie er sich am Konferenztisch zusammen mit Schmidt und Mahnke fühlte? Fast kein Wort dazu. Das Gespräch mit ihm im Katalog gibt darüber keine Auskunft. Es verweigert sie. Es war kein Foto zu finden, das ihn zusammen mit seinen Konkurrenten um Springers offenes Ohr zeigt, erklärt mir Dmitrij Belkin.

Ihm haben wir diese Ausstellung zu verdanken. Sie war seine Idee. Es bedurfte wohl eines erst in den letzten Jahren aus Russland eingewanderten Juden, Jahrgang 1971, um uns diese Ausstellung zu schenken. Eine Ausstellung, in der es nicht um Axel Cäsar Springer geht, sondern allein um dessen Verhältnis zu Juden, um dessen sehr besondere Judenpolitik. Wie es zu der sehr eigentümlichen Springer’schen deutsch-jüdischen, jüdisch-deutschen Heilsgeschichte kam, darüber schweigt die Ausstellung. Denn darüber schweigen die Quellen. Das Archiv des Verlages stand zur Verfügung. Nicht aber das persönliche Archiv Springers.

Man verfügt also nur über das, was veröffentlicht wurde. Man weiß nichts über die Aktivitäten Springers während des Dritten Reiches. Als bekannt wurde, dass in Springer-Zeitungen während der Nazizeit Antisemitisches erschienen war, beauftragte Springer Paul Karl Schmidt und nicht etwa Ernst Cramer mit einer Untersuchung. Die ergab dann, dass Springer mit der Hetze, die in den Blättern erschienen war, nichts zu tun hatte. Seitdem ist dem niemand mehr nachgegangen.

Springer war im Dritten Reich mit einer – so die Naziterminologie – Halbjüdin verheiratet gewesen. Mit dieser Tochter einer Jüdin hatte er eine Tochter. Nach jüdischem Gesetz war Springer also Vater einer Jüdin. In keiner seiner überlieferten Äußerungen zum Judentum, über seine Haltung zu ihm, spielt das auch nur die geringste Rolle. Die Tochter stand den Ausstellungsmachern nicht für ein Gespräch zur Verfügung. Das sei alles privat, erklärte sie, und das solle es auch bleiben. Diese Aussöhnung schließt doch sehr viel Verschweigen ein.

Natürlich spielt Israel eine wichtige Rolle in der Frankfurter Ausstellung. Die Siege im Sechstagekrieg als israelische Fortsetzung von Rommels Taten zu betrachten, war der Beitrag der Springer-Zeitungen zur Analyse jener Tage. Dass Israel das geteilte Jerusalem wiedervereinigt hatte, wurde Springer so etwas wie ein Omen für die Wiedervereinigung Berlins, für die Wiedervereinigung Deutschlands. Das jüdische Volk hatte fast 2000 Jahre lang auf „nächstes Jahr in Jerusalem“ gewartet. So beharrlich sollten auch die Deutschen sein, empfahl ihnen Springer. Die Wiedervereinigung war für Springer kein politisches Ziel, sondern ein Glaube. Für die Schuld der Judenvernichtung zahlte Deutschland mit der Spaltung. Die Aussöhnung mit den Juden, mit Israel würde Deutschland wiedervereinigen.

Wir haben es mit einer Nationalreligion zu tun. Ohr, Prophet, wenn nicht ihr Messias war – in seinen exaltiertesten Momenten ganz sicher – Axel Cäsar Springer. Er wird die Vorstandssitzungen, bei denen alte Nazis und alte Juden nebeneinander unter seinem Vorsitz saßen, genossen haben als symbolische Orte der Aussöhnung. Als Abendmahl. Man kann sich die Rolle, die er dabei sich selbst zumaß, wahrscheinlich nicht groß genug vorstellen. Auf seinem Grabstein stand immerhin: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Axel Cäsar Springer“.

Jüdisches Museum Frankfurt: bis 29. Juli. Begleitband im Wallstein Verlag, 19,90 Euro.

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