BuG176 Poppe: Lucas Cranach der Ältere - Begegnung und Gespräch
HomeOnline-AusgabenBuG176 Poppe: Lucas Cranach der Ältere

Lucas Cranach der Ältere  
Ausgabe: 176/2016

Lucas Cranach der Ältere

Künstler und Propagandist der Reformation

                                                              Sonja Poppe

 

Wissen Sie, wie Martin Luther aussah? – Dann vermutlich nur, weil Sie eines der unzähligen Luther-Porträts aus der Cranach`schen Werkstatt kennen. Lucas Cranach der Ältere ist der Maler, der der Reformation ein Gesicht gab. Seine Bilder trugen maßgeblich dazu bei, die reformatorischen Gedanken populär zu machen. Mit Luther und Melanchthon verbanden ihn enge Freundschaften. Fast alle bekannten Porträts der beiden stammen aus der Werkstatt des erfolgreichen Unternehmers. Ausgerechnet in einem Umfeld, in dem man Bildern besonders kritisch gegenüberstand, entdeckte er das Bild als wirkungsvolles Werbemittel für die Sache der Reformation.

Als Martin Luther 1517 seine 95 Thesen gegen den Ablasshandel veröffentlichte und Wittenberg zum Zentrum religiöser Umbrüche wurde, kannten sich Luther und Cranach schon einige Jahre. Lucas Cranach stammte aus dem oberfränkischen Kronach. Das Malerhandwerk lernte er von seinem Vater, der ebenfalls Maler war. Cranach bildete sich aber auch auf Reisen künstlerisch weiter. Unter anderem hielt er sich ab 1502 einige Jahre lang in Wien auf, knüpfte dort Kontakte zu Humanistenkreisen und feilte an seinem individuellen Malstil.
Seit 1505 lebte er als Hofmaler des sächsischen Kurfürsten Friedrich dem Weisen in Wittenberg. Seine eingängigen, farbenfrohen Bilder überzeugten auf ganzer Linie und sein durchorganisierter Betrieb ermöglichte eine außergewöhnlich rasche Erledigung von Aufgaben. So konnte sich der Maler bald eine Monopolstellung in der Gegend erarbeiten und zusätzlich Aufträge von außerhalb des Hofes annehmen. Immer auf der Suche nach neuen Betätigungsfeldern, betrieb der Künstler und Unternehmer später nebenher auch noch eine Apotheke, einen Weinausschank und eine Druckerei. Außerdem wurde er wiederholt Ratsherr und Bürgermeister in Wittenberg.
Dass die kleine Stadt zum Mittelpunkt des allgemeinen Interesses wurde, wird Lucas Cranach aufmerksam verfolgt haben. Nicht nur, weil er mit Luther befreundet war – die beiden übernahmen später sogar gegenseitig die Patenschaft für je eines ihrer Kinder – sondern auch, weil sich ihm plötzlich beruflich ganz neue Möglichkeiten boten.
Für Luthers Sache wurde er mit seinem Betrieb die treibende Kraft und lieferte Illustrationen zur Bibelübersetzung, reformatorische Flugblätter, Lutherporträts und protestantische Lehrbilder. Außerdem ließ er Luthers Schriften in seiner Druckerei drucken.

Lutherporträts –
Die Reformation bekommt ein Gesicht

In zunächst enger Abstimmung mit seinen Arbeitgebern am Hof schuf Cranach ein Luther-Image, das er im Laufe der Zeit immer wieder anpasste und das unsere Vorstellungen vom asketischen Mönch, vom gelehrten Theologieprofessor und selbstbewussten „Junker Jörg“ bis hin zum gestandenen Reformator und Familienvater bis heute prägt.
Das erste offizielle Porträt war ein Kupferstich. Dieser zeigt Martin Luther als Mönch. In alter Tradition vor eine Nische gesetzt und mit der Bibel in der Hand wird er als Glaubensautorität dargestellt.
Zwei Jahre später folgte ein Porträt Luthers als „Junker Jörg“. Unter diesem Namen lebte der Reformator zu jener Zeit inkognito auf der Wartburg. Als jedoch der radikale Flügel der Reformation in Wittenberg für Unruhen sorgte, erschien Luther kurz in der Stadt, um die Lage zu beruhigen. Cranach nutzte diesen Besuch und schuf einen Holzschnitt, der Luther mit energischem Blick in die Welt schauen lässt. Der Betrachter erkennt sofort: Dieser Mann hat sich nicht kleinkriegen lassen. Er setzt seine Prinzipien durch, sowohl gegen Rom als auch gegen Unruhestifter aus den eigenen Reihen.
Nachdem Luther geheiratet hatte, begann Cranach mit der Fertigung, der bekannten Bildnispaare, auf denen Luther und seine Frau Katharina zu sehen sind. Sie zeigen den Reformator als gesetzten Mann und Ehemann. Im Laufe der Zeit in Statur und Alter immer wieder angepasst, entwickelten sich diese Bilder zum häufig nachgefragten Bestseller und wurden zu hunderten in Serie gefertigt. Cranach stellt in diesen Porträts einen „Star zum Anfassen“ vor. Fast scheint es, als könne man ihn einfach ansprechen, um irgendeine theologische Frage mit ihm zu diskutieren.
Die hohe Auflage der Cranach‘schen Lutherporträts machten den Reformator überall bekannt und warben um Sympathie für ihn und seine Reformation.

Die Gegner in schlechtem Licht

Die polemischen Holzschnitte, die ebenfalls in Cranachs Werkstatt entstanden waren, sollten Antipathie gegen die katholische Seite schüren. Dabei ging man ganz und gar nicht zimperlich vor, sondern man nutzte den Hunger der Menschen nach derben Späßen und Kuriositäten, um die eigenen Ansichten unters Volk zu bringen. Schwarzweißmalerische Gegenüberstellungen mit einprägsamen Bildern und wenig Text ließen die Botschaften auch für das einfache Volk verständlich werden.
Den Anfang machte das „Passional Christi und Antichrist“. Darin findet man auf einander gegenüberliegenden Seiten je einen Holzschnitt, der eine Episode aus dem Lebens- und Leidensweg Jesu mit dem Verhalten des als Antichrist charakterisierten Papstes kontrastiert. Auch wer nicht lesen konnte, erkannte sofort: Der Papst kommt dabei gar nicht gut weg. Während Jesus sich als bescheiden und demütig erweist, fallen auf Seiten des Papstes nur dessen Prunksucht und Hochmütigkeit auf.
Zwei Jahre später erschien eine weitere Kampfschrift, zu der Cranach die Illustrationen und Martin Luther und Philipp Melanchthon die Texte lieferten. „Papstesel“ und „Mönchskalb“ zeigen zwei missgestaltete Figuren – ein eselsköpfiges Wesen vor der päpstlichen Wohnburg und ein Kalb, das einen Mönch zu karikieren scheint.
Die Wirkung dieser Werke lässt sich heute wohl recht treffend mit einem sogenannten „Shitstorm“ im Internet vergleichen. Ist der Stein erst ins Rollen gebracht, haben immer mehr Leute eine Meinung zum jeweiligen Thema. Die Folgen können vernichtend sein. Auch heute noch beschleunigen Bilder diesen Prozess.
Die meisten Menschen hatten den Streit unter den Theologen damals zunächst höchstens aus der Distanz verfolgen können. Selbst unter den Herrschenden wusste sich kaum jemand eindeutig einer der beiden Seiten zuzuordnen. Die Bildpolemik Cranachs und seiner Kollegen aber machte die strittigen Themen jedem zugänglich. Um einen sachlichen Austausch ging es dabei nicht. Die Bilder bedienten Klischees oder griffen verbreitete Ängste auf. So sahen sich auch die einfachen Leute geradezu gezwungen, Position zu beziehen – natürlich für die „einzig richtige“ Seite. Plötzlich wurde die reformatorische Kritik am Ablasshandel, an der Prunksucht des Papstes oder am ausschweifenden Leben vieler Mönche auch auf der Straße diskutiert.
Die Verantwortlichen in der katholischen Kirche erkannten nur mit Verzögerung, dass die Durchschlagskraft solcher Bilder sich nicht mehr durch Zensur, Bücherverbrennungen oder durch die Bestrafung der Urheber verhindern ließ, dafür hatte sich der Buchdruck inzwischen schon zu gut etabliert. Erst einige Jahre später begannen sie mit ähnlichen Bildern zu kontern.

 

Glaubensvermittlung ohne viele Worte

Viele Gemälde Cranachs haben lehrhaften Charakter und sollen dem Betrachter die Ideen der Reformation näherbringen. Darunter finden sich auch Werke, die – gemeinsam mit den Reformatoren – explizit als Lehrbilder entworfen worden sind. Die ersten Versuche waren noch mit großen erklärenden Textfeldern versehen. Bald jedoch entwickelte Cranach eine ausgefeilte Bildsprache, die dem Betrachter die wesentlichen Aspekte der reformatorischen Lehre pointiert vor Augen führte.
Dazu gehörte unter anderem die plakative Gegenüberstellung von Gesetz und Gnade. Die Cranach’sche Werkstatt setzte das Thema in mehreren Versionen als Gemälde, aber auch als schnell verbreitbaren Holzschnitt ins Bild, um Luthers Rechtfertigungslehre auch einfachen Menschen verständlich zu machen. Ganz neu war die Idee, Bilder zu nutzen, um den Menschen Glaubensgrundsätze nahezubringen, nicht. Bereits im Mittelalter gab es Bilder, die beispielsweise zeigten, wie man durch Fürbitten zum Heil gelangen konnte. Die Vermittlerrolle, die die Heiligen in diesen Bildern einnahmen, widersprach jedoch Luthers Lehre von der Rechtfertigung des Sünders allein durch Gottes Gnade.
Gemeinsam mit Lucas Cranach entwickelten die Reformatoren nun deshalb ein Bildkonzept, das dem von Ängsten geprägten alten Glauben den reformatorischen Glauben an die bedingungslose Annahme des Menschen durch Gott gegenüberstellte.
Auf der einen Seite sieht man einen Menschen, der von Tod und Teufel gejagt geradewegs auf die Hölle zurennt. Adam und Eva im Hintergrund erinnern an den Sündenfall und auch Mose, der auf die Zehn Gebote verweist, kann dem Gepeinigten nicht helfen. Seine Sündhaftigkeit steht ihm beständig vor Augen, während im Himmel schon das Gottesgericht droht. Ein Baum, der das Bild in zwei Hälften teilt, streckt tote Äste in diese Bildhälfte hinein.
Auf der anderen Seite sind die Äste belaubt. Darunter der gleiche Mensch, der gerade noch floh. Nun lässt er sich von Johannes dem Täufer auf Christus hinweisen, der siegreich über Tod und Teufel steht. Den Kopf des Mannes trifft ein Blutstrahl aus der Seitenwunde des Gekreuzigten. Deutlich wird: Wer sich Gott glaubend zuwendet, ist trotz aller Fehler und Schwächen schon von ihm angenommen und braucht sich nicht länger von Selbstzweifeln und der Angst vor drohenden Höllenstrafen quälen lassen. Der mittelalterlichen Angst vor einem richtenden Gott wird die Gnade Gottes entgegengesetzt.
Bis heute beeindrucken Cranachs Lehrbilder durch die plakative Einfachheit, mit der sie komplexe Glaubensinhalte zusammenfassen, und werben so für den protestantischen Glauben.

Vom Wesen der Kirche – der Wittenberger Reformationsaltar

Der Altar der Wittenberger Stadtkirche St. Marien bietet ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie Cranach den Menschen den evangelischen Glauben in Bildern nahebrachte. Die vier Tafeln auf der Vorderseite fassen zusammen, was „Kirche“ nach protestantischem Verständnis bedeutet. Im siebten Artikel des Augsburger Bekenntnisses hatte Philipp Melanchthon formuliert: Die Kirche ist „die Versammlung aller Gläubigen […], bei denen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakramente laut dem Evangelium gereicht werden.“ In gewohnt einprägsamer Weise setzt Lucas Cranach diese Aussage in seinem Altarwerk ins Bild.
Die Mitteltafel zeigt das letzte Abendmahl. Das Brot wurde bereits ausgeteilt. Johannes legt den Kopf an Jesu Brust. Eine Hand Jesu ruht auf dessen Schulter. Mit der anderen schiebt er dem grimmig
blickenden Judas einen Bissen in den Mund – sogar der Verräter wird vom gemeinsamen Abendmahl nicht ausgeschlossen. Rechts vorne im Bild ist Martin Luther als einer der Jünger dargestellt. Von einem Mundschenk nimmt er einen Becher voll Wein entgegen. Die Szene erinnert an die Wiedereinführung des Abendmahls in beiderlei Gestalt durch die Reformatoren.
Auf dem linken Seitenflügel ist die Taufe zu sehen. Dass ausgerechnet Philipp Melanchthon das Kind tauft, ist bemerkenswert, da er nie zum Pfarrer ordiniert worden war. Vielleicht soll das ein Hinweis sein auf Luthers Lehre vom „Priestertum aller Gläubigen“. Denn er hatte betont: „Was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon Priester, Bischof und Papst geweiht sei.“ Eine besondere Priesterweihe hielt Luther für überflüssig.
Die rechte Seitentafel zeigt die Beichte. Auch hier hat Cranach einen bekannten Wittenberger Reformator festgehalten – Stadtpfarrer Johannes Bugenhagen sitzt in einem offenen Beichtstuhl. Vor ihm kniet ein bußfertiger Mann. Ein anderer scheint sich unbußfertig davonschleichen zu wollen. Bugenhagen übt das „Amt der Schlüssel“ aus. Dem Bußfertigen schließt er das Himmelreich auf, dem Unbußfertigen wird es verschlossen bleiben. Cranach stellt die Beichte neben Taufe und Abendmahl, weil auch Luther sie anfangs noch zu den Sakramenten gezählt hatte. Von dieser Vorstellung kam der Reformator später allerdings ab.
Die Predella, die Bildtafel im Sockel unterhalb der großen Mitteltafel, zeigt den predigenden Martin Luther und seine aufmerksam lauschende Gemeinde. Luthers linke Hand ruht auf der Bibel als der Grundlage seiner Predigt. Mit der Rechten weist er auf den Gekreuzigten, der zwischen ihm und der Gemeinde steht. Die Predella fasst drei der vier reformatorischen Grundsätze zusammen. Allein die Schrift, auf die Martin Luther seine Predigt stützt, vermittelt die Heilsbotschaft, auf die sich der Glaube stützt. Allein der Glaube, den die lauschende Gemeinde hier zum Ausdruck bringt, führt zum Heil. Und dieses Heil wiederum geht allein von Christus aus, auf den Martin Luther hinweist. Den vierten reformatorischen Grundsatz schließlich veranschaulichen alle Tafeln gemeinsam: Zum Heil kommt der Mensch allein durch die Gnade Gottes, die ihm in den Sakramenten Taufe und Abendmahl, aber auch in der Beichte und der Predigt zugesagt wird.
Cranachs Altarwerk macht deutlich: Der protestantische Glaube bedarf der Kirche als Heilsmittlerin, wie sie von den Altgläubigen dargestellt wurde, genauso wenig wie der Heiligen, die auf den Bildtafeln völlig fehlen. Selbst die Geistlichen sind nicht durch einen besonderen Weihestand aus der Gruppe der Gläubigen herausgehoben. Die wichtigste Grundlage, auf die die Kirche sich nach protestantischem Verständnis stützt, ist Jesus Christus. Bezeichnenderweise hat Cranach den Gekreuzigten wie einen Stützpfeiler mitten in den Sockelteil des Altarwerks gesetzt. Er, Christus, ist das Fundament auf dem die Kirche ruht. Auch die Gemeinschaft der Gläubigen und die Predigt des Evangeliums sind wichtige Grundlagen, die sich im Sockelteil wiederfinden. Hinzu kommen die Sakramente, die die Kirche „verwaltet“.
Was sich in Worten nur schwer ausdrücken lässt, führt Lucas Cranach der Ältere dem Betrachter in bemerkenswerter Einfachheit vor Augen. Der Reformationsaltar wirft bis heute einen wohltuend klaren Blick auf das, was die evangelische Kirche im Kern ausmacht.

 

 

 

 

 

Bilder für den Glauben?

Dass Lucas Cranach und die Wittenberger Reformatoren so konsequent auf Bilder setzten, um den Menschen die reformatorischen Ideen nahezubringen, erstaunt umso mehr, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass Bilder damals unter massiver Kritik standen.
Die Menschen des Mittelalters hatten vielfach nicht zwischen Bild und Abgebildetem unterschieden. Sie richteten sich mit ihren Anliegen also an die Heiligenbilder in den Kirchen, als sprächen sie mit den Heiligen selbst. Reformatoren, wie Andreas Karlstadt, Ulrich Zwingli und Johannes Calvin hielten das für Götzendienst und riefen zur Entfernung aller Bildwerke aus den Kirchen auf, was zum sogenannten Bildersturm führte.
Auch Luther sprach sich deutlich gegen den mittelalterlichen Umgang mit religiösen Bildern aus. Die glorifizierenden Heiligenbilder in katholischen Kirchen, von denen sich Menschen Heilszuwachs erhofften, hielt er für äußerst schädlich. Anders aber als viele andere Reformatoren fand er Bilder „zum Ansehen, zum Zeugnis, zum Gedächtnis, zum Zeichen“ durchaus für sinnvoll – allerdings nur, solange man sie „nicht anbete“. Und, so betonte er: „Das ist die allerbeste Art zu lehren, wenn man zu dem Wort das Exempel oder Beispiel gibt. Denn dieselben machen, dass man die Rede klar versteht und auch viel leichter behält.“
Bilder als „Exempel“, damit komplizierte Glaubensthemen einfacher zugänglich werden – genau das waren Cranachs reformatorische Lehrbilder. Doch was war mit den unzähligen Lutherporträts, die die Cranach’sche Werkstatt verließen? Dass auch sie geeignet waren, eine Verherrlichung des Reformators als Quasi-Heiligen voranzutreiben, zeigen Werke anderer Künstler, die Cranachs Bilder aufgriffen und durch Heiligenattribute ergänzten. Plötzlich erschien da der Mönch Luther mit Heiligenschein – ein völliger Widerspruch zu seinen Lehren.
Von Luther selbst sind jedoch keine bemerkenswerten Kommentare zu Cranachs Porträts überliefert. War ihm das Image, das durch diese Bilder geprägt wurde, wichtiger als die möglichen Gefahren? Hatten die Bilder gar keine so große Bedeutung für ihn, weil er, wie Cranach schon unter das erste Porträt schrieb, um seiner eigenen Gedanken willen im Gedächtnis bleiben wollte und nicht durch seine vergängliche Erscheinung?
Wir wissen das nicht. Sicher aber ist: Mit seinen Porträts, Altarwerken und Lehrbildern hat Cranach der Reformation ein unverkennbares Gesicht gegeben.
„Man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt […] fragen, und den selbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und danach dolmetschen, so verstehen sie es denn und merken, dass man Deutsch mit ihnen redet“, erklärte Luther sein Vorgehen bei der Übersetzung der Bibel. Die Sprache, die er auf diese Weise fand, machte die Bibel erstmals zu einem allgemeinverständlichen Buch.
Cranachs reformatorische Bilder folgen dem gleichen Ansatz. Seine Bildsprache griff auf, was die Menschen schon kannten und sie veranschaulichte die Aspekte der neuen Lehre dadurch besonders eindrücklich.
Cranach und Luther sind nicht in ihrer Malerstube bzw. in ihrer Kirche stehengeblieben, sondern sie haben aktiv die damals neuen Medien genutzt, um ihre Ideen zu verbreiten. Sie haben den Menschen „aufs Maul“ geschaut und an ihren Sehgewohnheiten angeknüpft – ganz ohne sich anzubiedern –, denn sie hatten eine Botschaft, von der sie selbst überzeugt waren.

 

 

Literaturhinweis:

Sonja Poppe: Bibel und Bild.
Die Cranachschule als Malwerkstatt der Reformation,
Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2014