Zwang zum Wachstum: Warum der Kapitalismus die Klimakrise nicht bewältigen kann

Zwang zum Wachstum: Warum der Kapitalismus die Klimakrise nicht bewältigen kann

Im Buch „Verkaufte Zukunft“ beschreibt Jens Beckert die Funktionslogik des Kapitalismus. Trotz fehlender Alternative sieht er Möglichkeiten zu handeln.

Alles muss raus, damit immer wieder Neues rein kann. Individualität, Wohlstand durch Wachstum und Fortschritt gehören zu unserer Identität.
Alles muss raus, damit immer wieder Neues rein kann. Individualität, Wohlstand durch Wachstum und Fortschritt gehören zu unserer Identität.blickwinkel

„Die Natur verliert immer. Wenn es um wirtschaftliche Angelegenheiten geht, ist das die Regel.“ Dieses Zitat eines ecuadorianischen Botanikers steht am Anfang des Buches „Verkaufte Zukunft – Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht“ von Jens Beckert.  Die Kernfrage des Buches ist, welche Chance es überhaupt gibt, dass die gegenwärtigen Gesellschaften die Krisen der Welt bewältigen können, allen voran die Klimakrise.

Die Antwort ist ernüchternd. Die „Funktionslogik der kapitalistischen Moderne“ blockiere eine Lösung des globalen Problems namens Klimawandel, schreibt Beckert. Sein Buch hebt sich klar von anderen Büchern zur Klima- und Biodiversitätskrise ab. Viele davon folgen dem Motto: „Die Lage ist ernst. Hier sind einige Vorschläge, wie wir sie doch noch meistern.“ Andere fordern einen Systemwandel, hin zu einer Gesellschaft des „grünen Schrumpfens“ mit Kreislaufwirtschaft und Konsumverzicht.

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Beckert jedoch zweifelt daran, dass sich die Industrieländer in absehbarer Zeit „vom Kapitalismus verabschieden“ werden. Es sei auch gar nicht klar, ob es eine reale Alternative gebe, schreibt der 1967 geborene Soziologe, der Professor an der Universität Köln und Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung ist. Denn Systemwechsel – zum Beispiel in Richtung einer „alternativen Postwachstumsgesellschaft“ – gingen mit Umbrüchen und Kämpfen einher, bei denen die Klimapolitik sogar noch weiter in den Hintergrund gedrängt werden könne. An Ländern wie China sieht man, dass sich das Modell des Wachstums eher weiter ausbreitet. China wird als „kapitalistisch dominierte Gesellschaft neuen Typs“ bezeichnet. Das Land ist mit gut 30 Prozent an den weltweiten CO₂-Emissionen beteiligt.

Die Ideologie von ungebremstem Fortschritt und Wachstum beherrscht uns

Beckert legt eine gründliche Analyse vor, warum es das grundlegende Wissen über den Klimawandel zwar seit einem halben Jahrhundert gibt, aber dennoch nichts passiert, um ihn zu stoppen. Der Ölkonzern Exxon Mobil habe bereits seit den späten 1970er-Jahren über eigene Studien verfügt, die den menschengemachten Klimawandel sehr genau vorausgesagt haben, schreibt er. Dennoch habe der Konzern laut Greenpeace bis 2014 Thinktanks, die den Klimawandel leugnen, mit über 30 Millionen Dollar unterstützt. So etwas passiert laut Beckert nicht aus Gemeinheit, sondern es liege in den inneren Gesetzen der kapitalistischen Moderne, die seit 500 Jahren unseren Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen bestimme.

Wer hier Marx herausliest, liegt nicht falsch. Beckert betont aber, dass die Zerstörung der Natur in der Kritik am Kapitalismus lange wenig Aufmerksamkeit bekommen habe. Und damit die Tatsache, dass die Vernichtung der Lebensgrundlagen aller – also auch der eigenen – in Kauf genommen werde, wenn es um kurzfristige Gewinninteressen gehe. Das Gemeinschaftsgut der natürlichen Umwelt sei eine ausbeutbare Ressource, die am Markt mit Gewinn verkauft und dabei zugleich zerstört werde. Für moralische Appelle zur Vermeidung ökologischer Schäden sei eine kapitalistische Wirtschaft taub, solange diese Appelle keinen Preis hätten. „In diesem Sinn spreche ich von ‚verkaufter Zukunft‘“, schreibt Beckert. 

Eine zentrale Rolle spiele die kulturelle Identität der kapitalistischen Moderne. Sie sei in der Zeit der Aufklärung entstanden, mit Wurzeln in der Antike und der Renaissance. Zu dieser Identität gehörten „eine neue Definition des Verhältnisses von Mensch und Natur, die Idee der Steigerung des Wohlstands durch immer weiteren Fortschritt in einer prinzipiell offenen Zukunft sowie die Durchsetzung einer Moral des Individualismus“. Um es auf den Punkt zu bringen: Tief im System stecken die Entfremdung von der Natur, die grenzenlose Ausbeutung aller Ressourcen, die Vorstellung von ungebremstem Fortschritt und Wachstum, das Versprechen individueller Entfaltung in Job, Konsum und Freizeit. „Die bittere Wahrheit ist: Wir verkaufen unsere Zukunft für die nächsten Quartalszahlen, das kommende Wahlergebnis und das heutige Vergnügen“, heißt es in einer Ankündigung zum Buch.

Es gibt kein „Wir“, das vernünftig im Interesse der Umwelt handeln kann

Wie tief all dies in uns allen steckt, zeigen die Diskussionen rund um erneuerbare Energien, um möglichen Konsumverzicht und Einschränkungen. In diesem Zusammenhang stellt Beckert auch das oft beschworene „Wir“ infrage, das man in Diskussionen zum Klimawandel hört: „Wir müssten doch nur x machen“ oder: „Warum beschließen wir nicht endlich y?“ Das Beispiel „x“ könnte der Ausbau der Windkraft sein, „y“ die Festlegung von Nutzungsgrenzen für natürliche Ressourcen oder höhere Preise für Benzin und Fleisch. Der Funktionslogik des Systems unterliegen „wir“ alle: Unternehmen, Politiker, Wähler und Konsumenten. 

Wie dies funktioniert, zeigt der Autor am Beispiel der fossilen Energiewirtschaft, deren Macht seit Jahrzehnten darauf gerichtet sei, „effektiven Klimaschutz zu verhindern, zu verzögern, zu verwässern oder ihm auszuweichen“, schreibt er. Die Öl- und Gasindustrie habe ein globales Umsatzvolumen von etwa fünf Billionen Euro und mache pro Jahr etwa eine Billion Gewinn. Im System profitierten viele davon: die Manager mit Millionen-Gehältern und Boni, andere Industriezweige, Pensionsfonds, private Investoren und ganze Staaten – als Lizenzgeber, Eigentümer und Steuereinnehmer – sowie die Bürger als Arbeitnehmer, Kapitalanleger, Autofahrer, Urlaubsreisende und Nutzer von Energie.

Durch die Verbrennung fossiler Energieträger würden jährlich 34 Milliarden Tonnen CO₂ ausgestoßen. Doch es gebe kaum Anreize, die Förderung fossiler Energieträger aufzugeben. Denn die befürchteten Folgen des Klimawandels träten für viele Menschen erst in der Zukunft ein. Manche zweifelten auch ganz daran, zumal Naturereignisse zwar häufiger, heftiger und länger aufträten, sich aber einzeln kaum kausal dem Klimawandel zurechnen ließen. Die zukünftigen Schäden würden heruntergerechnet. Lobbyisten übten gezielten Einfluss auf die Politik aus. Allein die fünf größten westlichen Ölkonzerne gäben jährlich etwa 200 Millionen US-Dollar dafür aus.

Hinter „grünen Fassaden“ wird kräftig weiter Öl und Gas gefördert

Könnten die Profite aber „nicht einfach auf neue Geschäftsfelder im Bereich der erneuerbaren Energien verlagert werden?“, fragt Beckert. „Die Antwort lautet Nein, denn die getätigten Investitionen in Förderfelder und Pipelines sind in der Regel noch nicht abgeschrieben.“ Außerdem seien die Gewinne aus der Förderung von Öl und Gas bedeutend höher als die aus Investitionen in erneuerbare Energien. Das hänge mit dem stärkeren Wettbewerb in den Märkten für Letztere zusammen.

Beckert konstatiert, dass sich durchaus etwas ändere. Es gehe um einen „Machtkampf zwischen der Industrie und jenen politischen Kräften, die dem Klimaschutz Vorrang vor den Gewinnen einräumen wollen“, schreibt er. Der Druck von Politik und Zivilgesellschaft wachse. Immer mehr Unternehmen setzten auf klimafreundlichere Technologien. Doch wie der Kampf ausgehe, sei nicht klar. Sehr viel stehe auf dem Spiel. „Die potenziell verloren gehenden Vermögenswerte aus dem Anlagevermögen der fossilen Energiewirtschaft werden bis 2050 auf 13 bis 17 Billionen US-Dollar geschätzt, ein bedeutender Teil davon ist staatliches Eigentum.“

Da die direkte Leugnung des Klimawandels heute keine gangbare Unternehmensstrategie mehr sei, habe die fossile Energiewirtschaft ihre Vorgehensweise verändert. Sie tätige vermehrt Investitionen in erneuerbare Energien und habe ihre Selbstdarstellung so verändert, dass sie als Vorkämpferin der Energiewende erscheine. Für den Klimawandel verantwortlich seien in dieser Darstellung nicht sie, sondern die „Verbraucher der Energie“ – andere Industrien und private Konsumenten. Die gesellschaftliche Verantwortung wird sozusagen delegiert, während hinter „grünen Fassaden“ weltweit die Förderung von Öl und Gas weiter ausgebaut statt verringert werde. Beckert bringt dafür erschreckende Zahlen.

„Grünes Wachstum“ kann die ökologische Krise nicht überwinden

Der Autor setzt sich auch mit der These auseinander, die ökologische Krise könne durch „grünes Wachstum“ überwunden werden: etwa über technischen Fortschritt. Damit hofft man, ein Schrumpfen der Wirtschaft, Konsumverzicht und eine konsequente Kreislaufwirtschaft zu vermeiden. Doch für Beckert ist die Wachstumsideologie das Kernproblem. Die Energiemengen, die für die Aufrechterhaltung derzeitiger Konsummuster im globalen Norden notwendig wären, ließen sich ohne Kohle, Öl und Gas auf absehbare Zeit gar nicht bereitstellen, schreibt er. Und die Investitionen in klimaneutral gepriesene Technologien blieben weit hinter dem zurück, was für das Erreichen der Klimaziele erforderlich wäre. 

Zugleich aber sei eine „Politik des Schrumpfens“ nicht durchzusetzen.  Denn der Wachstumszwang sei strukturell in der kapitalistischen Moderne verankert. Beckert sieht eher den Klimawandel selbst als neue Quelle von Gewinnen: durch den Verkauf von mehr Klima- und Solaranlagen, den Bau von Dämmen, die Entwicklung neuer Getreidesorten, neue Technologien zur CO₂-Speicherung, zur Beeinflussung der Atmosphäre und vieles andere. „Der Technologismus ist Teil einer ‚Versprechensmaschine‘, die auch den Klimawandel noch zum Bestandteil ‚eines unendlichen Fortschritts‘ erklärt“, schreibt Beckert.

Die aktuell dringend nötige Vollbremsung, die schnelle Reduzierung der Ressourcenbelastungen unter die planetaren Grenzen werden nicht kommen, so der Autor. Die Erde werde sich weiter erwärmen, mit möglicherweise dramatischen Folgen – zum Beispiel, dass im 22. Jahrhundert drei Milliarden Menschen in Gebieten leben müssten, die aufgrund großer Hitze und Trockenheit für den menschlichen Organismus unbewohnbar sind. 

Politik sollte den Gestus moralischer Überlegenheit endlich ablegen

Gibt es also gar keine Hoffnung? Was ein neues System betrifft: nein, so Beckert. Es gebe aber trotzdem viele Möglichkeiten zu handeln. In deren Mittelpunkt stünden die Verhinderung eines „ungebremsten Klimawandels“ sowie Anpassungen: mit neu konzipierten Wassersystemen, neuen Formen der Landwirtschaft, einem Umbau der Städte, Strategien gegen wachsende Konflikte in Gesellschaften und zwischen Staaten. „Forschungen zeigen, dass die Zustimmungsbereitschaft von Wählern bei Maßnahmen zur Klimaanpassung höher liegt als bei Maßnahmen zum Klimaschutz“, schreibt der Autor. Während es bei Themen wie Wärmepumpen und Benzinpreisen Unmut gebe, habe man weniger gegen Hochwasserschutz am eigenen Ort, die Ausstattung von Schulen mit einer Klimaanlage oder die Bepflanzung städtischer Plätze mit Bäumen.

„Mein Vorschlag wäre, sich stärker an ebenjenen als lebenspraktische Verbesserung erfahrbaren Maßnahmen der Klimaanpassung zu orientieren“, schreibt Beckert. Er verbindet damit die Hoffnung, dass sich dadurch das Bewusstsein vieler Menschen verändere „und allmählich ein soziales Klima entsteht, das die Handlungsbereitschaft stärkt“. Der heute zu beobachtende Gestus moralischer Überlegenheit seitens der Politik sollte vermieden werden. Klimaschutz werde nicht zu haben sein, ohne dass man verschiedene Interessen berücksichtige, Belastungen sozial ausgleiche und die finanzielle Unterstützung des globalen Südens ausweite, so Beckert. „Und hier liegt die vielleicht zentrale politische Botschaft meines Buches.“

Öffentliche Daseinsvorsorge muss in den Mittelpunkt gestellt werden

Scharf kritisiert Beckert das Ausbluten öffentlicher Haushalte, das in den vergangenen Jahrzehnten zu einer Krise öffentlicher Infrastrukturen geführt habe – unabhängig vom Klimawandel. Die öffentliche Daseinsvorsorge müsse wieder in den Mittelpunkt gestellt werden: im Verkehr, in Schulen und Universitäten, in der Gesundheitsversorgung, mit grünen Infrastrukturen, die allen Bürgern bei der Anpassung an den Klimawandel zugutekommen. „In dieser Situation wird schmerzhaft bewusst, wie fehlgeleitet die einseitig auf den Markt setzende Politik der letzten Jahrzehnte war“, schreibt Beckert in seinem Buch, das für den Deutschen Sachbuchpreis 2024 nominiert ist, der am 11. Juni in Hamburg vergeben wird.

Beckert ist sich bewusst, dass Pessimismus und Zukunftspanik zu einem Niedergang der Gesellschaft führen. Er plädiert für „positiv besetzte Zukunftsbilder“ und „reale Utopien“, die lokal in Reallaboren ausprobiert werden sollten. Solche Projekte gibt es ja bereits an vielen Orten. Vielleicht könnten die Parameter der Systemlogik dadurch ein wenig verschoben werden. „Das wäre keine Kleinigkeit, auch wenn das nicht zu einer hinreichenden Reaktion auf den Klimawandel führen wird“, schreibt Beckert. Aber möglicherweise zu einer Verzögerung und Abmilderung. „Inwieweit dies tatsächlich gelingt, wird darüber entscheiden, wie unsere Kinder und Enkelkinder leben und über uns urteilen.“

Jens Beckert: Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024. 238 Seiten. Gebundenes Buch, 28 Euro.