Der Krebs setzt eine Mutter unter Zugzwang: Etwa ein Jahr bleibt ihr, um eine Familiensache zu „reparieren“. Die Tochter willigt in die Sterbebegleitung ein – schweren Herzens, denn die Verletzungen, die ihre Mutter ihr zugef�gt hat, sitzen tief. F�r beide ist es die letzte Chance. Und auch in einer anderen Familiensache ist die Anwesenheit der Sterbenden hilfreich... „Mama geht nicht mehr“ ist nicht der ultimative Herbst-Film, kein schwerbl�tiges Sterbedrama, sondern ein „Familienfilm“, in dem eine Sterbende den Lebenden die Augen �ffnet. Die Geschichte beginnt unrund, die Dramaturgie bleibt konventionell, mit dem Sterbethema findet der Film aber nach 30 Minuten seinen Ton. Millowitsch spielt konsequent ihre Rolle zu Ende, die Tochter darf sich ver�ndern und Mina Tander endlich strahlen!
Foto: ZDF / Frank Dicks"Hallo" – so als wenn nie etwas vorgefallen w�re, schneit Mutter Karin (Mariele Millowitsch) nach Jahren in den Alltag ihrer ungl�cklichen Tochter (Mina Tander).
Endlich mal hat sich Karin (Mariele Millowitsch) auch privat einen Wunsch erf�llt – doch aus dem professionellen Tauchkursus wird nichts. Jetzt hei�t es f�r die so viel besch�ftigte Chef�rztin vor allem eintauchen in die so rigoros verdr�ngte Vergangenheit: Zu ihrer Tochter Steffi (Mina Tander) und deren Familie, Ehemann Basti (Simon Schwarz) und Sohn Timo (Erik Linnerud), hat sie seit Jahren keinen Kontakt mehr. Das soll, das muss jetzt anders werden. Karin hat Bauchspeicheldr�senkrebs. Ihr Arzt & bester Freund (Andr� Jung) gibt ihr maximal ein Jahr. Das k�nnte reichen, um die Familiensache zu „reparieren“ – und so steht die einstige Rabenmutter bald mit Sack und Pack vor der T�r des noblen K�lner Eigenheims von Steffi und Basti. Schweren Herzens willigt die Tochter in die Sterbebegleitung ein. Die Verletzungen, die ihre Mutter ihr zugef�gt hat, sitzen offenbar tief, aber sie l�sst sich davon �berzeugen, dass es f�r beide die letzte Chance ist – f�r ihre Mutter, um in Frieden zu gehen, und f�r sie, um in Frieden zu leben. Karin merkt aber recht schnell, dass ihre Anwesenheit durchaus noch zu mehr gut sein kann. Denn mit der Ehe ihrer Tochter steht es nicht zum Besten, Steffi scheint ihr Selbstbewusstsein verloren zu haben und gegen�ber ihrem Sohn l�sst sie mehr die gestrenge Lehrerin als die liebende Mutter raush�ngen. Der Apfel f�llt nicht weit vom Stamm. In dieser Familie wurde nie viel geredet. Das muss jetzt anders werden!
Foto: ZDF / Frank DicksDer verbiesterten Steffi (Mina Tander) k�nnen es ihre M�nner, Ehemann Basti (Simon Schwarz) und Sohn Timo (Erik Linnerud), nicht recht machen. Die stellen sich bei allem aber auch mehr als d�mlich an. Von der Aff�re ihres G�nnergatten mit seiner Sprechstundenhilfe wei� sie noch nicht mal etwas. Wird Mutter helfen k�nnen?
Soundtrack: Dinah Washington ("What a difference a day makes"), Adele ("Hello"), Feist ("Let it die"), Van Morrison ("Wild Night"), Damien Rice ("Older Chests"), Hot Chocolate ("You sexy thing"), A.M.P. ("Heavy Weather")
Die Geschichte von „Mama geht nicht mehr“ auf ihren thematisch-moralischen Kern verdichtet, liest sich wie ein schwerbl�tiges Drama, der ultimative Herbst-Fernsehfilm, eine Art Sterbebegleitung f�r Anf�nger. Der Film von Vivian Naefe beginnt jedoch ganz anders. Mariele Millowitsch begegnet einem vor der Diagnose als strahlende Heldin, die auch danach ihre pragmatische Zuversicht nicht ablegt. Ihre Kinder�rztin hat offenbar gelernt, mit ihren Gef�hlen sachlich und klar zu verfahren, und sie ist auch in der Lage, mit sich selbst im Angesicht des Todes rasch und schonungslos ins Gericht zu gehen. Gelegentlich mischt sich etwas Galgenhumor in ihre pointierten Bemerkungen – auch wenn der Adressat daf�r vor allem der Zuschauer ist, so passt diese unsentimentale Kaltschn�uzigkeit gleichsam auch gut zu dieser Frau, die selbst noch kurz vorm Tod mitten im Leben steht. Was in der ersten halben Stunde des Films dagegen weniger �berzeugt, sind die aufgesetzt komischen Momente, Situationen in der Schule mit Problemkind Timo, unpassend auf gewitzt getrimmte Dialogwechsel oder Uraltgags (der behandelte Arzt ist der Dreist-Parker, den die Heldin kurz zuvor noch verbal zusammengefaltet hat), die in der Tonart so gar nicht passen wollen zu dem existentiell Verhandelten. Da fragt man sich, ob hier die Sterbegeschichte blo� zum Zwecke der erz�hlten Familiengeschichte eingebaut worden ist, um den Plot mit der n�tigen Fallh�he zu versehen. Und weil die kontr�ren Tonlagen nebeneinander stehen, fungieren �fter� Songs als Stimmungsbarometer: Wenn Adele ihr „Hello“ anstimmt, wei� man, jetzt wird es gef�hlig oder gar tieftraurig. Dramaturgisch ist der Film auch in der zweiten H�lfte eher Mittelma�. Nichts gegen den L�sungsimpuls und den ausgestellten Optimismus solcher Geschichten; was jedoch nervt, sind Wendepunkte mit Ansage, auf die Stefan Kuhlmann & Murmel Clausen nicht verzichten: Gerade scheint alles gut zu werden zwischen der biestigen Steffi & ihrem Fremdgeher-Gatten, da steht pl�tzlich die Aff�re wortw�rtlich im Raum.
Foto: ZDF / Frank DicksDramaturgisch hakt es mitunter. Uraltgags m�ssen her. Millowitsch, B�er, Schwarz
Beim Sehen von „Mama geht nicht mehr“ d�rfte das jene Zuschauer, die diesem Film gerne folgen (und das f�llt nach rund 30 Minuten nicht schwer), kaum st�ren. Denn die zweite H�lfte steht dann immer mehr im Zeichen des Todes. Je n�her es ans Sterben geht, umso st�rker wird der Film. Der Tod sorgt nun f�r eine homogene Stimmungslage, die Naefe und ihre Autoren zu Beginn nicht gefunden haben. Die Krankheit �bernimmt quasi die Regie. Dennoch �bertreiben es auch jetzt die Macher nicht mit der Schwermut der Geschichte. Nat�rlich gibt es zwei, drei Momente oder S�tze („Wenn du nicht die Gr��e gehabt h�ttest, mir zu verzeihen – ich w�rde einsam und verbiestert sterben“), die extrem am Wasser gebaut sind, sie muss es geben, und sie sind eindrucksvoll, aber nie zu lang. Das ist �berhaupt ein wesentliches dramaturgisches Prinzip des Films, das aufgeht: die extremen Tonlagen werden deutlich angespielt, aber nie ausgespielt. Das ist gerade bei den Situationen, in denen das Sterben thematisiert wird, so wichtig, da sonst das Drama �berm�chtig und das Schwere alles andere erdr�cken w�rde. Aber darum geht es ja unter anderem auch in der Handlung: Der Tod soll dem Leben eine neue Perspektive weisen; im Angesicht des Todes relativieren sich die Probleme des Alltags – das alles schwingt mit in dieser Geschichte, die vor allem sehr konkret erz�hlt, wie die Sterbende den Lebenden die Augen �ffnet. Das bleibt angenehm kitscharm, ist ganz im tough-pragmatischen Stil der Hauptfigur gehalten. Guckt, was noch m�glich ist in eurer Ehe, w�re wohl ihr Rat. Je schw�cher die Sterbenskranke wird, umso weniger redet sie ihrer Tochter in deren Angelegenheiten rein. Nur die Sache mit dem Sohn kl�rt sie noch auf ihre sehr direkte Art: Aber sp�testens als sich Timo aus Solidarit�t mit der Gro�mutter den Kopf kahl rasiert, erkennt auch die Mutter, was f�r ein sensibler Junge hinter ihrem �bergewichtig-nerdigen Teenagersohn steckt. Eine Erkenntnis gibt es am Ende auch f�r den Kritiker (und vielleicht auch einige kritische Zuschauer): So wie die beiden Frauen die Ernte ihrer Beziehungsarbeit einfahren, so „lernt“ man als Zuschauer, dass es nicht verlorene Liebesm�h war, dem Film nach dem etwas unrunden Start eine zweite Chance zu geben. Sonst h�tte man verpasst, wie uneitel ganz im Gestus ihrer Rolle Millowitsch ihre Sterbende zu Ende spielt, und wie die frustrierte Tochter ihre Strenge und Biestigkeit nach und nach ablegt. Und man h�tte auch verpasst, Mina Tanders lange Zeit hinter Trotz versteckte Sch�nheit so wunderbar von innen heraus strahlen zu sehen. (Text-Stand: 14.10.2016)
Foto: ZDF / Frank DicksIn der zweiten H�lfte des Films legt sich das Sterbethema �ber alle anderen Konflikte und Geschichten und es �bernimmt quasi auch die Regie: Jetzt findet der Film von Vivian Naefe die passende Tonlage, ber�hrt, bekommt Tiefe, ohne schwer zu sein.
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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