Lesetipp mit O-Tönen

Nicolaus Sombart – Rendezvous mit dem Weltgeist. Heidelberger Reminiszenzen. 1945 - 1951

Stand
AUTOR/IN
Anja Höfer

In diesem Jahr wäre der Soziologe, Freigeist und Dandy Nicolaus Sombart 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass legt der Berliner Elfenbein Verlag sehr schöne Neuausgaben der ersten drei Bände von Sombarts Memoiren vor: es geht um seine „Jugend in Berlin“ in den 30er und 40er Jahren, um die Studienzeit in den „Heidelberger Reminiszenzen“ unmittelbar nach Kriegsende und um die „Pariser Lehrjahre“ in den 50ern.

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Er war ein Freigeist, ein Dandy – und er führte über viele Jahre einen legendären Salon in Berlin: Nicolaus Sombart, der Kultursoziologe und Schriftsteller, hätte in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. Geboren am 10. Mai 1923 in Berlin als Sohn des Nationalökonomen Werner Sombart und seiner rumänischen Frau Corina, die auch schon Gastgeberin eines legendären Salons war. An seinen Vater, der bei seiner Geburt bereits 60 Jahre alt war, erinnerte sich Nicolaus Sombart so:

Später als ich dann Schüler war, ein 16-/17-Jähriger sprach er mit mir wie mit einem Gleichaltrigen, sprach über seine Buchprojekte, über seine Probleme, über seine Lektüren. Er las damals den ganzen Balzac, den ganzen Dickens, den ganzen Zola. Ich fragte, warum liest Du das alles? Und er sagte: Ja, ich bereite mich auf das große Examen vor. Da war er schon 76, so alt wie ich jetzt bin und hatte so einen gewissen Humor und sah die Sachen mit einer großen Distanz. Aber er liebte es zu reden und er fragte mich um meine Meinung. Vorher las er mir vor. Das Vorlesen spielte eine große Rolle in meinem Elternhaus. Die Eltern lasen sich vor, es gab kein Fernsehen und ähnliche Ablenkungen. Und Abends nach dem Abendessen wurden meine Schwester und ich auf unsere Zimmer geschickt und dann wurde vorgelesen: Grimms Märchen, Andersens Märchen, als wir größer Waren Schwabs Sagen des klassischen Altertums, Robinson Crusoe und Don Quichotte. Vorgelesen und dann darüber auch gesprochen, erklärt, um was es sich handelte. Mein Vater, obwohl er es merkwürdig fand, dass er so kleine Kinder hatte – er sprach von seinen selbstgerechten Enkeln – hat sich sehr um uns, auf jeden Fall um mich, gekümmert. Was ich las, dann später die Aufsätze, die ich schreiben sollte, das waren so Deutschaufsätze und das war ein sehr lebendiger Austausch.

Ein lebendiger Austausch und viel Vorlesen im Hause Sombart in Berlin. In diesem Jahr wäre der Soziologe und Autor Nicolaus Sombart 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass legt der Berliner Elfenbein Verlag sehr schöne Neuausgaben der ersten drei Bände von Sombarts Memoiren vor: es geht um seine – so der Titel – „Jugend in Berlin“ in den 30er und 40er Jahren, um die Studienzeit in den „Heidelberger Reminiszenzen“ unmittelbar nach Kriegsende und um die „Pariser Lehrjahre“ in den 50ern. Die in Frankreich lehrende Literaturwissenschaftlerin Carolin Fischer hat die drei Bände herausgegeben.

Den lebendigen Austausch, den er im Elternhaus gelernt hatte, den setzte Sombart auch in späteren Jahren fort: Lange war er Leiter der Kulturabteilung des Europarates in Straßburg, ein Bildungsbürger, ein Großbürger, der ein bisschen wie aus der Zeit gefallen zu sein schien. Dazu passte auch sein legendärer Berliner Salon, der fast 20 Jahre – von 1985 bis 2007 – existierte und jeden Sonntag nachmittag einen illustren Kreis von Gästen versammelte. Was für ihn, neben Austausch und Geselligkeit, die Idee des Salons ausmachte, das erklärte Nicolaus Sombart einmal so:

Dass sich in Salons zu verschiedenen Zeiten und mit verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Motivierungen im Grunde genommen Gegengesellschaften bilden, das heißt: Gegeneliten. Das ist die aristokratische Fronde gegen den Hof, lange vor den bürgerlichen Salons, in denen überhaupt die Männer erstmal erzogen wurden, dass sie nicht in die Gobelins pissten und nicht ihren Nasenrotz in den Jabeaus des dames säuberten. Das war eine Gegengesellschaft gegen den Hof, der ja auch ganz männlich dominiert war, trotz der Damen, die eine Rolle spielten. Und da bildete sich dann also auch die Literatur, das Theater usw. Bezog da Kräfte her durch einen gesellschaftlichen Kreis, der sich bestätigen wollte, damit auch seine Machtansprüche anmelden wollte.

Der Salon als Gegengesellschaft. So sah ihn Nicolaus Sombart, selbst Gastgeber eines legendären Berliner Salons. 2008 starb Sombart, in diesem Jahr wäre er 100 Jahre alt geworden. Im feinen Berliner Elfenbein Verlag sind gerade Neuausgaben der ersten drei Bände von Sombarts Memoiren erschienen: „Jugend in Berlin“, „Rendezvous mit dem Weltgeist: Heidelberger Reminiszenzen“ und „Pariser Lehrjahre“. Und eine Biographie Nicolaus Sombarts gibt es jetzt auch, im Böhlau Verlag erschienen und geschrieben von Günter Erbe: „Utopist, Libertin, Dandy“.

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