filmrezension.de: Filmkritik Reise nach Jerusalem (2018)  
 
24.01.2018
Schlimmer geht's immer

Reise nach Jerusalem (2018)


Reise nach Jerusalem (2018): Eva L�bau (rechts) Alice (Eva L�bau), 39 Jahre alt, findet keinen Job mehr und ist Single. Das Leben geht an der jungen Frau vorbei. Wie im beliebten, titelgebenden Spiel f�r Kinder und Erwachsene, "Reise nach Jerusalem", muss man zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, sonst bleibt kein Stuhl �brig. Alice hat den Anschluss verpasst, die Arbeitsagentur schickt sie b�rokratisch in unn�tige, qu�lende Bewerbungstrainings, anstatt zu helfen. Schlimmer geht's nimmer? Nicht f�r Alice.
Und nicht f�r den Zuschauer. In Regisseurin Lucia Chiarlas Spielfilmdeb�t sind Alices Qualen auch Qualen f�r diesen: Der Film hat den Nachteil, dass er sich nie weiterentwickelt, erst am Schluss des Films greift die Filmheldin durch, fl�chtet aus der Misere, auch wenn diese damit nicht endet, aber f�r sie wie f�r den Zuschauer ist die Flucht eine Katharsis. Zuvor bem�ht Chiarla Realismus, aber dabei zu viel des Guten. Der Film dreht sich wie die "Reise nach Jerusalem"-Spieler lange im Kreis.

Schauspielerin Eva L�bau kennt der Zuschauer aus Maren Ades Film "Der Wald vor lauter B�umen": Dort spielte L�bau eine Rolle, die der Figur aus "Reise nach Jerusalem" sehr �hnelt, eine angehende Lehrerin, die auf Grund mangelnder sozialer Erfahrung alles falsch macht. Ades Film endet mit einer Fahrt, einer Flucht, bei der die nunmehr Ex-Lehrerin im Auto sitzt. Sie merkt: Sie steuert den Wagen nicht mehr, er f�hrt sowieso, sie klettert auf die R�ckbank, er f�hrt weiter geradeaus. Ins Ungewisse, vielleicht ins Unendliche.

Reise nach Jerusalem (2018): Filmplakat L�baus Alice in "Reise nach Jerusalem" ist ein sehr �hnlicher Charakter, sicher bewusst wegen ihrer Rolle in "Der Wald vor lauter B�umen" hat Chiarla L�bau f�r ihren Film gecastet: Alice hat zwar viel Sozialkompetenz und viele Freunde, aber einsam ist sie doch. Nichts klappt, vor allem erh�lt sie auf Bewerbungen nur Absagen als Online-Redakteurin und Content-Managerin. Alice wird im Verlauf des Films eine (Zahn-)Krone verlieren (und erst am Schluss mal eine Krone gewinnen). Geld ist Mangelware, mit Tankgutscheinen f�r Aushilfsjobs versucht sie sich �ber Wasser zu halten. Sie wird klauen und l�gen, nicht nur ihre Eltern �ber ihre prek�re Lage falsch informieren. Zweifellos aus Scham, ohne dass es gesagt wird, aber der Film macht dies offensichtlich. Die Arbeitsagentur schickt die verzweifelt einen Job Suchende in Ma�nahmen, die ihr nicht neu sind. Realistisch beschreibt der Film, wie Alice von den Ma�nahmen inkompetenter, aber selbstbewusster Dozenten gequ�lt wird. Damit wird aber auch der Zuschauer gepiesackt: Regisseurin Chiarla, eine Italienerin, die seit 2005 in Berlin lebt, setzt auf realistisch dargestellte Ereignisse in diesem Lebensabschnitt der jungen Frau. Von diesen Schilderungen weicht der Film knapp zwei Stunden lang nicht ab, erst am Ende mit dem Ausbruch Alices aus ihrem Berliner Leben. Zu lange setzt Chiarla auf die dem Zuschauer, wenn er zur Empathie f�hig ist oder schon mal in �hnlicher Lage war, durchaus vertrauten Begebenheiten. Mit den exakt zwei Stunden Laufzeit ist der Film viel zu lang, man w�nscht sich eine Straffung. Und man w�nscht sich als Zuschauer einen magischen Realismus anstelle des stets durchgezogenen knallharten Realismus. Des Lebens Misere, wenn es denn mal gar nicht l�uft, stellt Chiarla allerdings genau beobachtet dar.  

Michael Dlugosch / Wertung: * * (2 von 5) 
 

Quelle der Fotos: Kess Film

 
Filmdaten 
 
Reise nach Jerusalem (2018)  
 
Deutschland 2018
Regie & Drehbuch: Lucia Chiarla;
Darsteller: Eva L�bau (Alice), Beniamino Brogi, Veronika Nowag-Jones, Axel Werner, Jan Henrik Stahlberg u.a.;
Produzenten: Giulio Baraldi, Lorenzo Baraldi; Kamera: Ralf Noack; Musik: Tobias Vethake; Schnitt: Aletta von Vietinghoff;

Länge: 118,30 Minuten; FSK: ab 6 Jahren; deutscher Kinostart: 15. November 2018

Ein Wettbewerbsfilm des 39. Filmfestivals Max Oph�ls Preis 2018



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Zitat

"Horrorfilme funktionieren immer. Aber in Zyklen. Wenn ein Horrorfilm gut l�uft, machen Leute viele Horrorfilme, �berladen den Markt, bis da zu viele Horrorfilme sind, und die Leute werden mit dem Drehen von Horrorfilmen herunterfahren. Und dann beginnt es von Neuem."

Regisseur, Schauspieler und Produzent Roger Corman (5. April 1926 - 9. Mai 2024)

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