„Grüner Wasserstoff ist ökologisch kein Zugewinn“
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„Grüner Wasserstoff ist ökologisch kein Zugewinn“

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Luisa Neubauer wurde 1996 als jüngstes von vier Geschwistern in Hamburg geboren. Schon bevor sie Geografie studierte, engagierte sie sich in der Entwicklungshilfe. Nachdem sie 2018 bei der UN-Klimakonferenz Greta Thunberg kennenlernte, rief sie 2019 zusammen mit anderen Aktivisten die Bewegung Fridays for Future ins Leben.
Luisa Neubauer wurde 1996 als jüngstes von vier Geschwistern in Hamburg geboren. Schon bevor sie Geografie studierte, engagierte sie sich in der Entwicklungshilfe. Nachdem sie 2018 bei der UN-Klimakonferenz Greta Thunberg kennenlernte, rief sie 2019 zusammen mit anderen Aktivisten die Bewegung Fridays for Future ins Leben. © picture alliance/dpa

Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer lobt Frankfurt, kritisiert aber den Umbau des Heizkraftwerks West

Luisa Neubauer gilt als deutsches Gesicht der Klimabewegung Fridays for Future. Anlässlich des Endes unserer Serie „Mission: Energie“ wollte Redakteurin Sarah Bernhard von der 27-Jährigen wissen, wie sie die Bemühungen Frankfurts zum Klimaschutz einschätzt, wie wir das Mammutprojekt „Energiewende“ schaffen sollen und welche Rolle die Grünen dabei spielen.

Frankfurt stellt Fördermittel für Balkonkraftwerke, E-Ladesäulen, Begrünung, Bürgerengagement, Stromsparen und bald auch warmmietenneutrale energetische Modernisierung zur Verfügung, entsiegelt langsam, aber sicher Plätze, schützt das Stadtgrün und der ÖPNV fährt komplett mit Ökostrom. Frau Neubauer, sind Sie jetzt beeindruckt?

Ja, das ist alles total wichtig. Wenn wir nicht vor Ort anfangen, wo sonst? Irgendwo ist ja immer vor Ort.

Andersherum: Um bis 2035 klimaneutral zu werden, müsste die Stadt ihren jährlichen CO2-Ausstoß um sechs Millionen Tonnen oder zwei Drittel reduzieren. Von 1995 bis 2021 hat sie elf Prozent hinbekommen. Ist dieses Mammutprojekt überhaupt zu schaffen?

Was nicht zu schaffen ist: den städtischen Haushalt zu managen, wenn uns bei zwei Grad Erwärmung die Lebensgrundlagen um die Ohren fliegen. Dann wird es nur noch darum gehen, Schäden zu beseitigen, statt in Bildung oder Teilhabe zu investieren. Ja, vielleicht ist die Energiewende aufwendig und kompliziert. Aber wir müssen überlegen, was die Alternative ist. Unrealistisch ist vieles. Wir müssen entscheiden, auf was wir setzen.

Die Mainova will ihr Kohlekraftwerk demnächst zum Gaskraftwerk umbauen, das „H2-ready“ ist, und sich ans Wasserstoff-Kernnetz anschließen lassen. Trägt das zur Klimarettung bei?

Klimawissenschaftler warnen vor Überkapazitäten beim Wasserstoff, der nicht genutzt wird, weil er für die kommunale Versorgung zu teuer ist. Die zweite Gefahr, die ich hier sehe, ist, dass wir statt einer Energiewende ein Weiter-so von einem fossilen Energieträger zum anderen bekommen.

Das Argument lautet, dass man Wasserstoff mit Hilfe erneuerbarer Energie herstellen könne, so dass er „grün“ wird.

Grüner Wasserstoff ist teuer und kostbar und wird deshalb exakt da eingesetzt werden, wo es keine Möglichkeit gibt, die Energieversorgung anders zu organisieren. Es gibt kein einziges seriöses Szenario, bei dem eine kommunale Energieversorgung auch nur zu Teilen auf Wasserstoff basieren würde. Denn das ist weder ökonomisch sinnvoll noch ökologisch ein Zugewinn.

Wie sieht’s mit Fernwärme aus?

Die brauchen wir. Die Frage ist nur, was fließt da durch?

Was könnte Frankfurt zusätzlich tun?

Ganz viel. Erst mal alles Mögliche auf erneuerbare Energien umstellen. Und dann radikal den Verbrauch hinterfragen, auch da, wo es unbequeme Fragen mit sich bringt, weil man darüber nachdenken muss, wie viel man verschwendet. Wir können zum Beispiel nicht alle Verbrenner durch E-Autos ersetzen. Also müssen wir überlegen, wie wir generell unabhängiger von Autos werden. Oder nehmen wir die Ernährung: Man weiß, dass ein nicht unerheblicher Teil der Emissionen durch unökologische, ungesunde Ernährung entsteht. Also wäre es sinnvoll, das Essensangebot in öffentlichen Einrichtungen so anzupassen, dass es den Menschen so einfach wie möglich gemacht wird, gesund zu leben und ökologischen Stress abzubauen. Gerade im Lokalen kann man die Klimawende ohnehin als Gesundheitsstrategie betrachten: Wenn sich Menschen gesund ernähren, werden sie weniger krank. Das entlastet das Gesundheitssystem, die lokale Wirtschaft, die Kitas. Wenn der Verkehr abnimmt, schlafen die Menschen besser und atmen weniger schmutzige Luft ein. Wenn Städte grüner werden, werden Hitzewellen abgemildert. Das schützt alte, kranke und schwangere Menschen vor Herz-Kreislauf-Problemen.

Die neue Strategie zur Beschleunigung der Klimawende scheint zu sein, dass die Bürger auch finanziell profitieren, etwa durch Balkonkraftwerke. Finden Sie das sinnvoll?

Total! Vor allem dann, wenn man gleichzeitig mit erzählt, dass wir es gemeinsam schaffen können, dass die Leute Bock haben, ganz viele kleine Schritte zu machen. Das fühlt sich erst mal nicht revolutionär an, so eine PV-Anlage bei sich zu Hause. Aber es ist letztlich eine Energierevolution. Wir müssen vielleicht unsere Vorstellungskraft ein bisschen trainieren, um zu sehen: Jedes Mal, wenn ich mich entscheide, auf ein öffentliches Verkehrsmittel umzusteigen, bei meiner Arbeit nachfrage, wie man nachhaltiger werden möchte oder in ein Balkonkraftwerk investiere, ist das ein kleiner Teil einer großen und wunderschönen Wende weg von der Klimakatastrophe.

Andererseits verzögert die FPD das Klimageld weiter und SPD und Grünen ist es offensichtlich nicht wichtig genug, es durchzusetzen. Verstehen Sie das?

Das ist das beste Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte. Wir wissen, dass Klimaschutz, der nicht gerecht ist, in der Regel nicht nachhaltig ist, weil er Menschen nervt, überfordert, belastet. Dabei wäre das Klimageld so ein guter und sinnvoller Schritt, um zu zeigen, dass man die Menschen nicht aus dem Blick verliert. Wir retten das Klima ja nicht um des Klimas, sondern um der Menschen willen.

Helfen die Grünen oder schaden sie der Klimabewegung gerade eher?

Wir stehen vor der größten Transformation der vergangenen 100 Jahre, von der jeder einzelne Lebensbereich betroffen sein wird - und das Ganze soll eine mittelgroße Partei umsetzen, während alle anderen als Kritiker danebenstehen und uns nicht angesprochen fühlen? Das ist doch merkwürdig! Es ist ein großes Problem, dass viele denken, die Grünen seien stärker zuständig als alle anderen. Ja, sie hatten ein paar Jahre länger Zeit, sich Konzepte zu überlegen, weil sie das Problem früher erkannt haben. Aber jede demokratische Partei ist gefragt, ihren Teil beizutragen, und wenn sie bessere Ideen hat, diese auch vorzustellen und durchzusetzen.

Aber es macht ja keiner.

Stimmt, das passiert nicht ausreichend, weil die Parteien denken, dass sie damit nicht gewinnen können. Oder weil sie die Dringlichkeit des Themas noch nicht erkannt haben. Aber das sind nur Erklärungen, keine Gründe.

Und wie stehen Sie zu radikaleren Klimabewegungen wie der Letzten Generation? Braucht es solche radikalen Maßnahmen, um gehört zu werden?

Wir brauchen erst mal jede Form der Unterstützung, da können wir nicht wählerisch sein. Aber am besten wirken radikale Protestformen, wenn drum herum auch andere Formen des Einsatzes stattfinden. Wenn sich die Menschen in ihren Betrieben, WGs, Schulen, Sportstudios oder Kleingärten schon mit ökologischen Fragen beschäftigen, ist es gut, wenn jemand wie die Letzte Generation sagt: Hört noch mal her, es ist superdringend! Wenn das alleine steht und alle nur darüber nachdenken, wie genervt sie davon sind, während um sie herum die Welt untergeht, dann lenken solche Aktionen eher ab.

Fühlen Sie sich manchmal ohnmächtig, weil alles viel zu langsam geht?

Bevor wir auf die Straße gegangen sind, ist alles noch viel langsamer gegangen. Deshalb kann ich voller Selbstbewusstsein sagen: Es könnte schlimmer sein.

Und sind Sie manchmal wütend auf die ältere Generation, die auf ihrem Wohlstand hockt und nicht versteht, dass er gefährdet ist, wenn wir die Klimaziele reißen?

Nö, wütend nicht. Ich gucke mehr auf die Menschen, die was tun, als auf die, die nichts tun. Aber ich finde die Argumentation nicht so überzeugend, dass die Generation, die hauptverantwortlich dafür ist, dass wir vor so einem riesengroßen ökologischen Desaster stehen, jetzt auch noch meint, bei der Lösung im Weg stehen zu müssen. Andererseits muss man auch aufpassen, dass man das nicht zu sehr verallgemeinert. Ich sehe, dass auch in dieser Generation wahnsinnig viel passiert und Menschen tolle Dinge auf den Weg bringen. Wir sollten uns von Menschen, für die das nicht gilt und die manchmal Friedrich Merz heißen, nicht entmutigen lassen.

Was ist Ihr Konzept für eine klimaneutrale Energiegewinnung, die die Leute mitnimmt?

Meinen Sie, dass sich die Ölkonzerne, die seit Jahrzehnten Übergewinne erwirtschaften und dabei die Gesundheit der Menschen ruinieren und enorme Umweltschäden verursachen, jemals überlegt haben, wie sie die Menschen mitnehmen?! Aber natürlich ist es gut, dass wir auf der anderen Seite überlegen, wie wir die Klimawende demokratisch gestalten können. Nun geht es aber ja nicht darum, ein Nirwana zu schaffen. Wir haben einen klimatischen Kollaps und müssen um jeden Preis von den fossilen Energien wegkommen. Den wichtigsten Hebel bedienen wir aber sowieso schon automatisch: Erneuerbare Energien werden eher selten von Autokraten kontrolliert. Das finde ich schon mal ein gutes Argument.

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