Ein Genickschlag zur Rettung eines Lebenswerks? - Frank Wilmes macht den Düsseldorfer Stadtteil „Himmelgeist“ zum Schauplatz eines Mordes : literaturkritik.de

Ein Genickschlag zur Rettung eines Lebenswerks?

Frank Wilmes macht den Düsseldorfer Stadtteil „Himmelgeist“ zum Schauplatz eines Mordes

Von Rainer RönschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Rönsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Krimidebüt von Frank Wilmes, Ein letzter Frühling am Rhein (2021), war inhaltlich und sprachlich vortrefflich gelungen. Nun ist sein zweites Buch erschienen, Himmelgeist. Der Titel bezeichnet kein jenseitiges Wesen, sondern einen südlichen Stadtteil von Düsseldorf, den die Bewohner „unser Dorf“ nennen. Der aus dem Münsterland stammende und seit Jahrzehnten in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens lebende Autor hat 17 Jahre lang in Himmelgeist gewohnt, kennt sich also bestens dort aus, wo ein großer Teil der Handlung spielt. Er nutzt diesen „Heimvorteil“ für eine geradezu plastische Milieuschilderung.

Mit einem „sauberen“ Genickschlag umgebracht wurde der 48-jährige Immobilienhai Alex Ahlers. Das Porträt dieses seine Kunden manipulierenden Profiteurs gelingt dem Autor vortrefflich und mündet in dem knappen Satz: „Er war, in Wahrheit, ein Nehmer.“ Dies verbarg Ahlers geschickt mit altmodischer Büroeinrichtung und seriöser Kleidung sowie einem von ihm als Kraftakt empfundenen Lächeln. Der Selbstzufriedene wusste nicht, wie verhasst er war.

So überzeugend wie die Psyche dieses „Alphatiers“ wird die Atmosphäre seines letzten Abends geschildert: „Der geneigte Himmel stimmte den Abend mit violettem Blau ein, begleitet von einem zarten Orange, wechselte dann in ein tiefes Rot, ehe die Nacht alle Farben ins Dunkle zog.“

Kriminalhauptkommissar Kilian Stockberger leitet die Ermittlungen. Ihm zur Seite stehen Cosima Wagner (kühne Namenswahl!), Miko Reichenhall und der Gerichtsmediziner Dr. Albert Justus. Sie werden knapp, aber prägnant charakterisiert.

Die Ermittlungen beginnen am Sonntag des von Stockberger nicht sonderlich geschätzten Schützenfestes; der Todeszeitpunkt lag wahrscheinlich nahe der vergangenen Mitternacht. Stockbergers Gedanken fahren Karussell, auch hin zum befreundeten Psychologen Dr. Robert Kirsch. Der hat Ahlers nicht kennengelernt, nimmt aber an, der sei „nach außen der starke Mann und nach innen das schwache Männlein“ gewesen.

Stockberger begegnet bei Befragungen einer Abwehrhaltung, die davon ausgeht, das Böse komme niemals aus dem Inneren einer Wohlfühlgemeinschaft. Immer schärfer wird sein Bild von dem Toten, der „abseits von Anstand, Würde und Ehre“ aus einem kleinen Erbe ein Vermögen gemacht hat. Im einkommensschwachen Stadtteil Oberbilk setzte er auf „Aufwertung“ und verdiente prächtig an Immobilien, die er sanieren ließ, nachdem er die Mieter vertrieben oder mit einer betrügerischen „Zukunftsprämie“ fortgelockt hatte.

Rätselhaft erscheint, dass der Architekt Michael Flügel, dessen Firma eine Düsseldorfer Institution ist, mit Ahlers zusammengearbeitet hat. Er stirbt plötzlich an einer Herzkrankheit, und seine Tochter und Geschäftsführerin Susanne gibt ihm ein Alibi für die Tatzeit. Aus anderer Quelle wird klar, dass Flügel die Geschäftsbeziehung mit Ahlers beenden wollte, als der Unredlichkeiten verlangte.

Mit einem schönen Sprachbild werden die Schwierigkeiten der Ermittler verdeutlicht: Sieht man das Tatmotiv als Schlüssel, so passt der in zu viele Schlösser, weil Ahlers sich die Gegend zum Feindesland gemacht hat. Neben 18 brutal betrogenen Wohnungskäufern kommen als Täter in Frage: ein Fitnesscoach, der für Ahlers die Drecksarbeit erledigte und allerhand von Genickschlägen versteht, und ein Lehrer, der eine hasserfüllte Website gegen Ahlers betreibt.

Der Spannungsbogen um die „verknotete Angelegenheit“ hängt durch, sobald es allzu ausführlich um die Probleme von Stockbergers Lieblingsrestaurant geht. Von einem Betrüger im Gefängnis erfährt der Kriminalist, ein „Meister Grauhaar“ habe Material über Ahlers gesammelt, um es einer Zeitung zu übergeben. Und jemand hat Ahlers in einem Restaurant hektisch auf eine telefonische Nachricht reagieren sehen, die offenbar von einem älteren Herrn vor der Tür stammte. Beide Male könnte Michael Flügel gemeint sein.

Die Kriminalisten werden nicht als Genies dargestellt. Trotzdem wundert man sich, wie spät sie die „rätselhafte“ Buchstabenkombination „HG“ als Himmelgeist erkennen. Ein schlimmer Blackout passiert Cosima Wagner, die Susanne Flügel im Krankenhaus besucht, ohne deren Freundin nach ihrem Namen zu fragen oder sich rechtzeitig an ihr Gesicht zu erinnern. Hier sei verraten, dass es sich um eine Escort-Dame handelt – nicht aber, welche Rolle sie noch spielen wird.

Gegen Ende lernt man den neuen, höchst unsympathischen Chef der Firma Flügel kennen, „ein kleines Schweinchen vor dem Herrn“, und hätte nichts dagegen, wenn er als Mörder entlarvt würde. Doch das Tatmotiv findet sich auf einem alten Video auf Ahlers‘ Handy, dessen Inhalt ein Lebenswerk und die Zukunft eines geliebten Kindes zerstören könnte. Wie im Debütroman kommt das Schlusskapitel ohne Ermittler aus. Da schaut der Mond wie eine liebende Mutter, wird dann aber Zeuge eines Mordes.

Frank Wilmes bringt seine psychologischen und sprachlichen Fertigkeiten wieder überzeugend ins Spiel, wobei ihm die negativen Figuren besonders gut gelingen. Doch beim Korrekturlesen hat es gehapert. Da verlagert jemand seine Beine „längst“ zur Hüfte, und eine Escort-Dame wird zweimal „Alice Wunderbar“ genannt, danach aber „Alice Wunderland“.

Titelbild

Frank Wilmes: Himmelgeist.
Books on Demand, Norderstedt 2024.
384 Seiten,
ISBN-13: 9783758326202

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