Die Georges: Zwei Mannsbilder
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Die Georges: Zwei Mannsbilder

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Heinrich George 1942 mit Götz. © picture alliance / akg-images

Thomas Medicus’ Doppelbiografie über Heinrich und Götz George.

Zum Programm der Berliner Fahrgastschifffahrt gehört die 7-Seen-Rundfahrt am Wannsee. Gleich nach dem Start biegt der Ausflugsdampfer in den Kleinen Wannsee ein, und der Kapitän versäumt nicht zu erwähnen, dass die Villa zur linken Seite einst von dem berühmten Schauspieler Heinrich George und dessen Familie bewohnt wurde. Der Vater von Schimanski, Sie wissen schon.

Im Mai 1945 haben sich hier dramatische Szenen zugetragen. Aus Furcht vor der Einnahme der Villa durch russische Soldaten war George mit seiner Frau, der Schauspielerin Berta Drews, und den Söhnen Jan und Götz, unter Beschuss auf die Westseite des Sees geflüchtet und hatten vorübergehend in der dort gelegenen Siemensvilla Unterschlupf gefunden. Obwohl sie schon bald wieder in das Anwesen zurückkehren konnten, war das mondäne Leben vorbei. Heinrich George wurde mehrfach verhaftet und wieder freigelassen, ehe er in Sachsenhausen bei Oranienburg interniert wurde, wo die sowjetische Militäradministration im ehemaligen KZ ein Speziallager für NS-Funktionäre der unteren und mittleren Ebene, Angehörige der Wehrmacht und andere eingerichtet hatte.

Heinrich George hat Sachsenhausen nicht mehr verlassen. Er starb, stark ausgemergelt, im September 1946, kurz vor seinem 53. Geburtstag, vermutlich an den Folgen einer Blinddarmentzündung. Seine Familie erfuhr davon erst zwei Monate später.

Georges Tod ist der tragische Schlusspunkt eines Schauspielers, der auf der Bühne und vor der Kamera durch seine Impulsivität und radikale Gegenwärtigkeit begeistert hatte. George spielte nicht, er war Goethes Reichsritter Götz von Berlichingen. Und er war Döblins Franz Biberkopf in der Verfilmung des Romans „Berlin Alexanderplatz“, der nach einem Gefängnisaufenthalt an der großen Stadt und dem Versuch scheitert, ein anständiger Mensch zu bleiben.

Im kollektiven Gedächtnis sind vor allem jene Mannsbilder haften geblieben, die Heinrich George im buchstäblichen Sinn des Wortes verkörperte. Er war ein Raufbold und Haudegen, angetrieben von dionysischer Spielfreude schien er sein Publikum förmlich mitreißen zu wollen. Verblasst bis unbekannt ist indes die Entwicklung des gefeierten Bühnenschauspielers, der, nachdem er mühelos den Weg zum Film gefunden hatte, sich willfährig in den Dienst des nationalsozialistischen Propagandaapparats einbinden ließ.

In seiner Doppelbiografie verdichtet Thomas Medicus die sehr unterschiedlich verlaufenden Lebensgeschichten der beiden Volksschauspieler zum Porträt einer deutschen Künstlerfamilie, in der sich die deutsche Geschichte der letzten 100 Jahre in teilweise kuriosen Koinzidenzen spiegelt – und bricht. Dass George 1912 sein erstes Engagement am Kolberger Stadttheater erhielt, schreibt Medicus, erwies sich als schicksalsträchtiger Zufall. Wenn der Ostseeraum eine Grundströmung in Georges Leben gewesen sei, so wurde Kolberg ein Leitmotiv. „Mit Kolberg begann seine Karriere, mit ,Kolberg‘, dem Film, endete sie mehr als 30 Jahre später.“

Dazwischen liegt nicht nur eine einzigartige Künstlerkarriere, sondern auch eine Lebensgeschichte, die den jungen Heinrich George nach ersten Erfolgen auf Provinzbühnen auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkrieges führte. Medicus macht deutlich, dass dies keine biografische Episode war, die ein reifer werdender Mensch einfach abstreift. Wie Hunderttausende seiner Generation schleppte George ein Kriegstrauma mit sich herum, das er bisweilen in Alkohol ertränkte und in Wutausbrüchen, aber auch ausdrucksstark in seiner Bühnenpräsenz ausagierte. Er gehöre zu den Darstellern, so schrieb Carl Zuckmayer in seiner Autobiografie „Als wär’s ein Stück von mir“ über George, „die – nur durch die Kraft ihrer Phantasie – den eigenen Körper überspielen“, ihn „in der Gestalt ihrer Rolle auflösen können.“ Zuckmayer hat früh erlebt, wie George wie im Rausch nackt auf einen Tisch gesprungen war, als ginge es für ihn darum, die eigenen Dämonen zu bannen.

Auf verhängnisvolle Weise taucht Heinrich George später auch in Zuckmayers „Geheimreport“ auf, in dem dieser ihn als „einen der Führer des nazistischen Theaters“ beschreibt. Ein vernichtendes Urteil, das Medicus mit zahlreichen Details über Georges Verstrickungen mit dem NS-Regime anreichert, ohne die Faszination für diesen Theaterberserker ins Gegenteil zu verkehren. Wenn Medicus Georges Film- und Theaterrollen mit dessen Lebensstationen abgleicht, steht immer auch die Frage im Raum, ob es eine Alternative für den einstigen Heroen einer pazifistisch-proletarischen Darstellungskunst gegeben hätte.

Piscator, Brecht, alle wichtigen Theaterleute hatten doch mit George gearbeitet, Max Beckmann hatte ihn gemalt. Auf fatale Weise beantwortete George die Frage selbst in der Rolle seines Lebens als Götz von Berlichingen, wo er einerseits den Kult des Authentischen auf die Spitze trieb, andererseits daran teilhatte, dass Goethes Stück ideologisch instrumentalisiert werden konnte.

Ungleich raffinierter war Georges Kollege Gustaf Gründgens mit der Versuchung einer Karriere im Dritten Reich umgegangen. Dessen feinfühlig-hintersinnige Art zu spielen, noch im Sich-Verstecken herausfordernd zu sein, war einem ungestümen Temperament wie Heinrich George nicht gegeben. Er war ein Getriebener und als solcher nicht nur wehrlos gegenüber den Avancen eines Joseph Goebbels, sondern wohl auch zu eitel. Während George als Intendant des Schiller-Theaters willfährig agierte, bat Gründgens mit Verweis auf seine Homosexualität um seine Entlassung aus der Intendanz des Deutschen Schauspielhauses, allerdings vergeblich.

Das übermächtige Bild des oft auch als unbeherrscht-strafender Vater auftretenden Heinrich George wurde der junge Götz nicht los, obwohl er gerade einmal acht Jahre alt war, als der Vater in Sachsenhausen einsaß und nicht mehr zurückkehrte. Schon zu Lebzeiten war Heinrich George für seine Söhne ein abwesender Vater. Götz hatte dessen Statur geerbt und nicht zuletzt wohl auch die Überzeugung, dass der Körper ein sorgsam zu formendes Instrument des Schauspielers sei.

Die Aussicht auf freie Berufswahl ist für das Kind zweier Schauspieler gering. Solch profaner Determinismus galt auch für Götz George. Die Familienlegende besagt, dass er den einzigen Satz, der dem Kind in einem Krippenspiel aufgetragen war, nicht über die Lippen brachte. Eine Schmach, schreibt Medicus, und legt nahe, dass sich in dieser Szene der Kern zu einem anderen Rollenbild anbahnte, in dem Götz George als Kommissar Schimanski der „Tatort“-Reihe aus Duisburg den Typus eines Macho verkörperte, der auch etwas verletzlich war und es sein durfte. Der Körperpanzer des Schauspielers barg darin auch die Möglichkeit zum Maskensprung.

Unser George/Schimanski-Bild ist hinreichend gegenwärtig, so dass es gar nicht einfach ist, den Interpretationen eines Autors unwidersprochen zu folgen. Ungemein verdienstvoll hingegen ist Medicus’ Biografie dort, wo sie die filmischen Anfänge des Götz George ausleuchtet, insbesondere in Wolfgang Staudtes „Herrenpartie“ und dem von Arthur Brauner produzieren Film „Mensch und Bestie“, wo Götz George in Werken mitwirkte, die eine bedeutende Station der frühen bundesrepublikanischen Erinnerungskultur markierten. Der Sohn betrieb bereits in seinem frühen filmischen Werk eine ganz besondere Form der Auseinandersetzung mit dem Vater-Imago.

Die Doppelbiografie schließt mit einer Spekulation über die Frage, warum Götz George ein Angebot von Steven Spielberg ablehnte, eine Rolle in dessen Film „Schindlers Liste“ zu übernehmen. „Hätte Spielberg für Götz George werden können, was Visconti für Romy Schneider war? Ein biografischer Bruch, ein Abschied von den Eltern?“

Thomas Medicus kettet den Sohn Götz in seiner subtilen Erzählung über eine deutsche Familie noch einmal an den übermächtigen Vater, zeigt aber auch, dass gerade die Kunst Möglichkeiten zur Entfesselung und zur Befreiung bietet.

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