Wenige konnten so beanspruchen wie er, immer „jung“ geblieben zu sein: Albert Speer, der Architekt, der auch noch mit über 80 Jahren „der Junior“ hieß, Sohn von Hitlers Lieblingsarchitekten und Rüstungsminister Albert Speer, Inhaber eines der größten deutschen Architekturbüros, Stadtplaner, Architekturprofessor, Weltreisender und Weltentwerfer.
Er erwies sich auch in seinem Denken bis zuletzt als „jünger“ und flexibler als viele seiner Standeskollegen. Jetzt ist der Vordenker der „intelligenten Stadt“, der „nachhaltigen Stadt“, der neuen Urbanität mit 83 Jahren in seiner Heimatstadt Frankfurt am Main gestorben.
Abkehr von den Konzepten des Vaters
Mit ihm hat das Land einen seiner wichtigsten Gestalter der „zweiten“ Nachkriegszeit verloren. Denn mit seinen Planungen löste Speer all das ab und auf, was die erste Nachkriegsgeneration wie ein Evangelium vor sich her getragen hatte: die autogerechte Stadt, die einseitig (und einförmig) funktionelle Stadt, die freilandfressende Suburbia.
Ohne Getöse darum zu machen war es eine einzige beharrliche Absetzbewegung von dem, was sein Vater entwickelt und in seinen „Wiederaufbaustäben“ der letzten Kriegsjahre institutionalisiert hatte und was nach 1945 zur fast generalstabsmäßigen Leitlinie des Städtebaus geworden war.
Auftrumpfendes, großmäuliges Gebaren war diesem Mann, der von sich sagen konnte, dass er als Kind auf dem Obersalzberg noch selbst auf den Knien des Diktators gesessen hatte, von Grund auf fremd. Aber Albert Speer jr., der nie für eine Polemik gegen seinen Vater zu haben gewesen ist, wollte zeitlebens ein „anderer Speer“ sein. Das war ein fast heroischer Vorsatz, denn es bedeutete ja, die wirkmächtigen, monumentalen Bilder einer „Welthauptstadt Germania“ vergessen zu machen, die sein Vater entworfen und mit denen er die Selbstinszenierung des Dritten Reiches geprägt hatte.
Genie, das sich durchsetzte
Dass Speer „der Jüngere“, der seinen Vater kaum gekannt hat, im Alleingang, ohne Protektion, diese Ablösung und selbstständige Neubestimmung geschafft hat, ist ein seltenes Beispiel dafür, mit welcher Vehemenz Genie sich durchzusetzen vermag. Im Alter konnte Speer jr. von sich sagen, dass er mit seinem Büro AS & P – Albert Speer und Partner – eines der weltweit erfolgreichsten Planerbüros aufgebaut hatte und mit immer noch wachsendem Erfolg leitete.
Der Deutsche ist damit zu einer der einflussreichsten Planerpersönlichkeiten überhaupt geworden – ohne dass er sich der Verführungsmittel der Ideologen bedient hätte. „Die Idealstadt reizt mich nicht,“ war eines seiner Statements, und es klang fast trocken. Den großen Utopien, die alle gescheitert sind, hat er keine neuen entgegengesetzt. Sein Evangelium war die behutsame Entwicklung der Stadt aus ihrer Substanz und ihren Rahmenbedingungen heraus.
„Tendenz zur Festivalisierung“
Für die Zukunftspropheten einer „Telepolis“, einer neuen, sich im elektronischen „Netz“ etablierenden Urbanität, hatte er milden Spott: „Die ganz normalen Dinge, Einkaufen, Geld abheben, das werden wir sicher bald elektronisch machen. Doch das Interesse, lebendigen Menschen zu begegnen, Realität zu schmecken, das wird dann eher noch wachsen.“ Ein Vorzeichen dafür sah er in der „Tendenz zur Festivalisierung“ der Städte, wie sie sich in der Love Parade, in Rock-Festivals oder aber im Museumsuferfest von Frankfurt abzeichne.
Die von Speer konzipierten „neuen“ Städte in Saudi-Arabien, Libyen, Nepal und China – in Deutschland am ehesten Frankfurt am Main – sind das Produkt sorgfältiger Studien von Klima, Wind, Vegetation, Wasser, Topografie, Verkehr und Bevölkerungsstruktur. Sie gründen sich auf die je unterschiedlichen traditionellen Prinzipien des Städtebaus, der Landschaftsgestaltung, des Wohnens und Arbeitens, die mit der „Intelligenz“ modernster Infrastrukturtechnologien verknüpft und weiterentwickelt werden.
Und doch können sie in einem wesentlichen Zug die Nähe zu Speer senior nicht verleugnen: Auch sie sind von einem Denken ins Große, Weltumwälzende getragen, nur eben mit ganz anderer, eigener, eigensinniger Konnotation.
Evolution als Revolution
Speers „junge“, bis auf den Tag „moderne“, zukunftsträchtige Planungsstrategien, die in den von ihm entwickelten Städten beispielgebend und urteilsbildend wirken, haben sich in Deutschland heute schon so stark durchgesetzt, dass ihr innovativer, evolutionärer, ja revolutionärer Impuls vielfach kaum noch auffällt. „Mein Credo ist es,“ sagte er schon vor Jahrzehnten, „dass wir ökologischer und nachhaltiger in der Planung werden müssen. In den Städten werden so viel Flächen frei, dass wir überhaupt nicht mehr auf der grünen Wiese bauen müssten. Das mag zwar auf den ersten Blick teurer erscheinen, aber im Endeffekt bringt es riesige Einsparungen: kürzere Wege, weniger Verkehr, geringerer Aufwand für Infrastruktur, geringerer Ressourcenverbrauch, ökologische Entlastung.“
So gehörte Speer auch zu den ersten, die zu einer neuen Verkehrsplanung aufriefen. Jahrzehnte vor der Dieselaffäre erkannte er: „Das Autoaufkommen in den Großstädten ist schon jetzt so enorm, dass, wenn alle zur gleichen Zeit fahren wollten, keiner mehr fahren könnte.“ Daher müssten Wege gefunden werden, Alternativen zu entwickeln und das Auto nur noch „in vertretbaren Maßen“ in die Städte hineinzulassen.
Doch er hütete sich, in das Horn von Weltverbesserern zu stoßen. „Ich verteufle ja das Auto nicht, es gehört zu unserem Leben. Es gehört auch in die Innenstadt, aber in verträglichem Maß.“ Ein solcher Mahner wird fehlen. Er fehlt heute schon.