Theodor Fontane: Leben im Umbruch
ArchivDeutsches �rzteblatt PP12/2019Theodor Fontane: Leben im Umbruch

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Theodor Fontane: Leben im Umbruch

Kattermann, Vera

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Mit 73 Jahren bef�llt den Schriftsteller ein schweres Nervenleiden, das er durch die innere Auseinandersetzung mit Eltern und Kindheit heilen kann. Er sch�pft aus dem autobiografischen Schreiben so viel Freude und Lebensmut, dass eine hochkreative Schaffensphase folgt.

„Wie die Eltern sind, wie sie durch ihr bloßes Dasein auf uns wirken – das entscheidet“, Theodor Fontane in „Meine Kinderjahre“. Foto: picture alliance/akg-images
„Wie die Eltern sind, wie sie durch ihr blo�es Dasein auf uns wirken – das entscheidet“, Theodor Fontane in „Meine Kinderjahre“. Foto: picture alliance/akg-images

An einem der letzten M�rztage des Jahres 1819 hielt eine Halbchaise vor der L�wen-Apotheke in Neu-Ruppin und ein junges Paar, von dessen gemeinschaftlichem Verm�gen die Apotheke kurz vorher gekauft worden war, entstieg dem Wagen und wurde vom Hauspersonal empfangen. Der Herr � man heiratete damals (unmittelbar nach dem Kriege) sehr fr�h � war erst dreiundzwanzig, die Dame einundzwanzig Jahr alt. Es waren meine Eltern.�

Mit dieser Szenerie l�sst Theodor Fontane seine autobiografischen Aufzeichnungen beginnen. 1892 ist Fontane 73 Jahre alt, gefeierter Autor, Journalist und Theaterkritiker. Fast 800 Schauspiel-Rezensionen hat er bis dahin verfasst, �ber 4 000 Seiten umfassen seine Kriegsb�cher, in denen er (auch aus eigener Anschauung) von Kriegsschaupl�tzen berichtet. Als Zeitungskorrespondent hat er �ber mehrere Jahre aus London berichtet und wurde nach seiner R�ckkehr als Regierungsjournalist angestellt. Seine Reise-Impressionen aus der Mark Brandenburg, eine Montage aus lokaler Geschichte, Landschaftsimpressionen und Sozialstudien, sind beim Lesepublikum begeistert aufgenommen worden. So hat er mit 56 Jahren eine Existenz als freier Schriftsteller ohne gesichertes Einkommen gewagt und sich (bis zu seinem Tod 1898) in die Arbeit an insgesamt 17 Romanen und Novellen gest�rzt.

Angstanf�lle und Depression

1892 aber hat Fontane ein schweres Nervenleiden befallen. Angstanf�lle, Depressionen und Schlaflosigkeit qu�len ihn. Wiederkehrende Ehekonflikte haben ihn angegriffen, ein Freund vermutet auch �Furcht vor dem Tode�. Tochter Martha � ihrem Vater in z�rtlicher Liebe zugetan � befindet, seine Krankheit habe ihn rapide zum alten Mann gemacht, seine Jugendlichkeit und Elastizit�t seien geschwunden, er sitze ihr als gebrochener Mann gegen�ber (1). Die �rzte raten zur Unterbringung in einer Nervenheilanstalt, ein konsultierter Professor empfiehlt eine �elektrische Behandlung�. Die verabreichte �galvanische Kur�, eine minutenlange Behandlung des Gehirns mit Gleichstrom, bewirkt Besserung. Den wesentlichen Heilungsdurchbruch aber, so empfindet es Fontane, bringt ihm das autobiografische Schreiben. Zur Niederschrift seiner �Kinderjahre� hatte ihm sein Hausarzt geraten. Fontane sch�pft aus der Auseinandersetzung mit seiner Kindheit so viel Freude und Lebensmut, dass eine hochkreative Schaffensphase folgt. 1894/95 etwa schreibt er �Effi Briest� � ein Roman, der ihm bis heute Weltruhm bringt. W�hrend Sigmund Freud zur selben Zeit in Wien mit der hypnotischen Behandlung von Hysterikerinnen experimentiert und darin die ersten Schritte hin zur Entwicklung der psychoanalytischen Methode setzt, heilt Fontane im weit entfernten Berlin sein seelisches Leiden durch die innere Auseinandersetzung mit Eltern und Kindheit. Er habe sich entschieden, �to begin with the beginning� wie er in seiner Autobiografie �Meine Kinderjahre� schreibt, da im ersten Lebensjahre der ganze Mensch stecke. Seine Kindheitsgeschichte sei seine Lebensgeschichte.

Schwere Spielsucht des Vaters

Wenn also �im ersten Lebensjahre der ganze Mensch steckt�, was verstehen wir dann vom Menschen Fontane? Beide Eltern entstammen franz�sischen Immigrantenfamilien und heiraten nach heutigen Ma�st�ben sehr jung. Der Vater hatte sich mit 17 Jahren freiwillig zum Kriegsdienst im Einsatz gegen die napoleonischen Heere gemeldet. �Mein Vater erhielt eine Kugel in den Tornister, die, nach Durchbohrung eines kleinen W�schevorrats, in den Pergamentbl�ttern einer dicken Brieftasche steckenblieb. Diese Brieftasche, mit der Kugel darin, habe ich mir oft zeigen lassen.� W�rde man heute beim Vater als 17-j�hrigem Soldaten eine Kriegstraumatisierung annehmen? Der Vater jedenfalls wird im Laufe seines Lebens eine schwere Spielsucht entwickeln (was die Ehe auf Dauer zerr�tten wird � die Eltern trennen sich 1847). Und liebt die Schilderung von Schlachten unter ber�hmten Gener�len. Was �brigens auch Teil von Fontanes Schulbildung wird, denn die Eltern entschlie�en sich vor�bergehend, die schulische Erziehung des Sohnes selbst zu �bernehmen. �So sonderbar diese Stunden auch waren, so hab ich dabei doch mehr gelernt als bei manchem ber�hmten Lehrer. (�) Ich verdanke diesen Unterrichtsstunden eigentlich alles Beste, jedenfalls alles Brauchbarste, was ich wei�.� Und schildert dann herrlich lakonisch, wie der Vater immer wieder auf seine Lieblingsthemen der historischen Kriegsf�hrung zu sprechen kam, diese mit dem Sohn szenisch nachspielte und dabei manches Allgemeinwissen und manche Anekdote einzuflechten verstand. Der strengen Ehefrau gegen�ber nannte er dies seine �sokratische Methode�. Es offenbart sich in den Schilderungen ein liebevolles Verh�ltnis zu einem alles andere als preu�isch strengen Vater, der sein Leben lang �am liebsten in der Welt herumkutschiert� w�re. Es ist insgesamt bewegend, wie genau der Schriftsteller seine Eltern charakterisiert, wie gleicherma�en liebevoll, respektvoll und doch schonungslos klar auch in der Kritik. Die zugleich warmherzige wie n�chterne Distanz charakterisiert �berhaupt seinen Schreibstil. Die in der Autobiografie geschilderte Wiederbegegnung mit dem Vater als altem Mann ist denn auch ein bewegendes Zeugnis von z�rtlicher Liebe eines Sohnes zu seinem Vater trotz all dessen augenzwinkernd skizzierten Macken.

Fontanes autobiografischer Roman „Meine Kinderjahre“ erscheint erstmals im Jahre 1894. Foto: H.-P.Haack; CC BY-SA 3.0
Fontanes autobiografischer Roman „Meine Kinderjahre“ erscheint erstmals im Jahre 1894. Foto: H.-P.Haack; CC BY-SA 3.0

Im Kapitel �Wie wir erzogen wurden� stellt Fontane fest: �... gar nicht � und ausgezeichnet. Wie die Eltern sind, wie sie durch ihr blo�es Dasein auf uns wirken � das entscheidet.� Und weiter: �Versteht man (�) unter Erziehung ein fortgesetztes Aufpassen, Ermahnen und Verbessern, ein (�) Lohnen und Strafen, so wurden wir gar nicht erzogen; versteht man aber unter Erziehung nichts weiter als (�) das Bestreben, einen jungen Baum bei kaum f�hlbarer Befestigung an einen Stab, in reiner Luft frisch, fr�hlich, frei aufwachsen zu lassen, so wurden wir ganz wundervoll erzogen.� Das gl�nzende Bild � man ahnt wie gut es dem alten, depressiven Mann bekommen sein muss, es zu erinnern � wird jedoch von anderen Stellen in der Autobiografie konterkariert, in der Fontane die nerv�se Strenge seiner Mutter beschreibt, die mit �rascher Hand� und �nach dem Prinzipe nur nicht weichlich� Schl�ge austeilte. Ihr Credo ist, dass Loben und Anerkennen den Charakter verd�rbe. Fontane reflektiert ebenso kritisch wie zur�ckhaltend: �Ein Schlag zuviel konnte nie schaden. (�) gewi� ein guter Grundsatz und ich mag ihn nicht tadeln, trotzdem er mir nichts geholfen und zu meiner Abh�rtung nichts beigetragen hat; aber (�) meine Mutter ging im Hartanfassen dann und wann etwas weit.� Das K�mmen der Haare des Sohnes: �Eh nicht Blut kam, eh war die Sache nicht vorbei.� Die Behandlung aufgesprungener Haut der Kinder: mit Zitronenscheiben. M�tterliche z�rtliche N�he vermissen wir in den Beschreibungen, die Mutter-beziehung erscheint eher gepr�gt von Strenge und Freude am Qu�len. Wurzelt hier gar Fontanes inneres Lebensmotto �Independenz ist alles�? Vielleicht ist es kein Zufall, dass Fontane just mit der Beschreibung ungl�cklicher Ehefrauen im Konflikt zwischen Unterwerfung und Anpassung an die gesellschaftlichen Normen und dem Wunsch nach Selbstbestimmung so ber�hmt wurde � �berraschend �hnlich �brigens zu Sigmund Freuds Themenfeldern, wenn auch in einer ganz anderen Disziplin. Tochter Martha jedenfalls, 1860 geboren und Zeit ihres Lebens ausgewiesenes �Papakind�, lebt lange unverheiratet ein unkonventionelles und von vielen in Nervenheilanstalten behandelten Krisen gezeichnetes Leben, das sie als 56-j�hrige Alkohols�chtige durch einen Sprung aus dem Fenster vermutlich selbst beendet hat.

Ein gelungenes Leben

Theodor Fontanes Leben aber darf man wohl getrost als gelungen bezeichnen. Im Gegensatz zu seinen Eltern war die Beziehung zu seiner Ehefrau Martha zumeist von gegenseitigem Respekt und Wohlwollen getragen. Als junger Mann tritt er zwar in die Fu�stapfen des Vaters und versucht ebenso wie dieser eine berufliche Laufbahn als Apotheker. Anders als der Vater, der Zeit seines Lebens beruflich ungl�cklich und gelangweilt blieb, vermag er jedoch, den ungeliebten Beruf aufzugeben und sich ebenso umsichtig wie konsequent eine Karriere als Schriftsteller aufzubauen. Erstaunlich: Die durch Industrialisierung bedingten massiven gesellschaftlichen Umw�lzungen, deren Zeuge er ja war (1841 wird etwa von Borsig die erste Lokomotive in Deutschland produziert), hat Fontane nie unmittelbar zum Thema gemacht. Sie spiegeln sich allenfalls in den seelischen Konflikten der von ihm portr�tierten b�rgerlichen Gesellschaft. Nur 16 Jahre nach Fontanes Tod bricht der Erste Weltkrieg aus, 35 Jahre sp�ter wird Hitler zum Reichskanzler gew�hlt. Die am Zeithorizont heraufdr�uenden Verheerungen und D�monen aber sind in der vermeintlich heilen Welt des Kindes Theodor nicht einmal zu ahnen. �Es war�, endet Fontane die Biografie, �eine gl�ckliche Zeit gewesen; sp�ter � den Sp�tabend meines Lebens ausgenommen � hatt ich immer nur vereinzelte gl�ckliche Stunden. Damals aber, als ich in Haus und Hof umherspielte und drau�en meine Schlachten schlug, damals war ich unschuldigen Herzens und geweckten Geistes gewesen, voll Anlauf und Aufschwung, ein richtiger Junge, guter Leute Kind. Alles war Poesie.� Wie gut, dass ein umsichtiger Hausarzt im rechten Moment die ressourcenaktivierende Wirkung des autobiografischen Schreibens f�r das literarische Genie Fontane erkannte. Vera Kattermann

1.
Dieterle R: Die Tochter. Das Leben der Martha Fontane. M�nchen (Carl Hanser) 2006.
2.
Fontane T: Meine Kinderjahre. Autobiografischer Roman. Frankfurt /Main (Ullstein) 1979.
1. Dieterle R: Die Tochter. Das Leben der Martha Fontane. M�nchen (Carl Hanser) 2006.
2.Fontane T: Meine Kinderjahre. Autobiografischer Roman. Frankfurt /Main (Ullstein) 1979.

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