Doppelmoral: Empörung über Georgiens NGO-Gesetz und seine westlichen Vorbilder | Telepolis

Doppelmoral: Empörung über Georgiens NGO-Gesetz und seine westlichen Vorbilder

Zwei Figuren, gekleidet wie aus dem Comicstrip Spion & Spion, stehen sich gegenüber

Bild: Marnie Joyce / CC BY 2.0 Deed

EU und USA warnen vor Autoritarismus. Über ein US-amerikanisches Gesetz und das EU-Paket zur "Verteidigung der Demokratie" spricht jedoch niemand. Ein Einwurf

Quod licet Iovi non licet bovi. Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen (noch lange) nicht erlaubt. An diesen bildungsbürgerlichen Allgemeinplatz über (Vor-)Herrschaft und (Deutungs-)Hoheit fühlt sich der Autor erinnert, wenn er sich die aktuelle politische Situation in Georgien besieht.

Denn der Furor, mit dem die transatlantische Allianz den Protest gegen das neue georgische Gesetz über "ausländische Akteure" begegnet, wirkt fadenscheinig und scheinheilig – vorausgesetzt, man kennt die unübersehbaren Parallelen zur Gesetzgebung der vermeintlichen Freiheitsverteidiger.

Neben der Kommunikationswissenschaftlerin Sabine Schiffer und der Zeitung Junge Welt, die zuletzt vor einem "neuen Maidan" warnte, haben auch einige Telepolis-User im Kommentarbereich des jüngsten Artikels zum Thema bereits auf diese Parallelen hingewiesen.

Lächerlicher als die Doppelmoral, die der "kollektive Westen" in Georgien an den Tag legt, wirken vor diesem Hintergrund nur diejenigen, die das Narrativ von Gut gegen Böse, Demokratie gegen Autoritarismus noch glauben. Egal wem.

Das "russische Gesetz"

Das am 14. Mai im georgischen Parlament verabschiedete Gesetz "Über die Transparenz ausländischer Einflussnahme" verlangt von NGOs, die mehr als 20 Prozent ihrer Finanzierung aus dem Ausland erhalten, sich als "ausländische Akteure" zu registrieren, öffentliche Kommunikation entsprechend zu kennzeichnen und ihre Einkommensquellen offenzulegen.

Das Gesetz betrifft auch Medienunternehmen und Internetplattformen, die Informationen in georgischer Sprache verbreiten. Bei Nichtbeachtung drohen Strafzahlungen.

Die amtierende Regierungskoalition aus den Parteien "Georgischer Traum" und "Volksmacht" hatte das Gesetz am 10. März 2023 zunächst zurückgezogen, nachdem die von Präsidentin Salome Surabischwili unterstützte Opposition ihre Ablehnung des Gesetzes in umfangreichen Straßenprotesten kundgetan hatte.

Bereits einen Tag nach der nun erfolgten Verabschiedung des umstrittenen Gesetzes unterzeichneten die Vorsitzenden der auswärtigen Ausschüsse von 15 Ländern sowie des Europäischen Parlaments umgehend eine Erklärung, die von den USA eingebracht wurde.

Die Unterzeichnenden verurteilen darin das Gesetz als "Unterminierung der Demokratie" und stellen den auch hierzulande gebräuchlichen Vergleich zu jenem "russischen Gesetz" an, das der Kreml missbrauche, um die Opposition zum Schweigen zu bringen.

Brüssel ließ indes verlauten, dass das georgische Gesetz "europäischen Werten" widerspreche und warnte davor, dass seine Verabschiedung den Beitritt des im Dezember zum Kandidaten erklärten Georgien zur EU erheblich erschweren würde.

Die Krux an diesen hochtrabenden Verlautbarungen: Sowohl Georgien als auch Russland berufen sich bei den genannten Gesetzen auf den Westen als Vorbild.

Aus dem "Rückschritt" wird im Westen "Transparenz"

So beteuerte die Regierungspartei Georgischer Traum, dass das Gesetz nach dem Modell des Foreign Agents Registration Act (FARA) entworfen wurde.

FARA zeigt nicht nur namentliche Verwandtschaft zum "demokratischen Rückschritt" ("backslide", Sprecher des US-Außenministeriums Ned Price) in Georgien, sondern ist auch inhaltlich schwer von dem "russischen Gesetz" (im Wortlaut hier) zu unterscheiden, das der Westen als Negativbeispiel anführt.

Gleiches gilt übrigens für das ebenfalls geopolitisch umkämpfte Moldau (Telepolis berichtete).

Der FARA wurde 1938 in den USA eingeführt, um ausländischen Einflüssen auf die amerikanische Politik im Allgemeinen und Propaganda aus Nazi-Deutschland im Besonderen entgegenzuwirken. In den ersten Jahren des Gesetzes lag der Fokus auf der strafrechtlichen Verfolgung umstürzlerischer Aktivitäten. Ab 1966 fokussierte sich der FARA stärker auf politische Lobbyarbeit.

Ein wirklicher Gegensatz zu erkennen ist derweil auch nicht zum "Paket zur Verteidigung der Demokratie: Gegen verdeckte Einflussnahme aus dem Ausland", das die Europäische Kommission im Dezember vergangenen Jahres verabschiedete.

Der sogenannte Rechtsvorschlag sieht vor, "im Vorfeld der Europawahl 2024 verdeckte ausländische Einflussnahme und dubiose Finanzierungen verstärkt unter die Lupe (zu) nehmen." Die Kommission reklamiert dabei für sich genauso das Ziel der "Transparenz" wie der Georgische Traum:

Wir sollten es Putin oder irgendeinem anderen Autokraten nicht ermöglichen, verdeckt in unsere demokratischen Prozesse einzugreifen. Wir werden die Bedrohung durch ausländische Einflussnahme durch ein neues Gesetz angehen, das Transparenz vorschreibt.

Věra Jourová, Vizepräsidentin für Werte und Transparenz

FARA: Warnung vor Repression ist bekannt

Wie Europa im Juni steht auch Georgien im Oktober vor einer Parlamentswahl. Die georgische Opposition sieht durch das Gesetz ihre Hoffnung auf einen "Regimewechsel" getrübt und fürchtet um eine Unterdrückung der Opposition und die Einschränkung der Pressefreiheit.

Nicht mehr verwunderlich für den Leser dürfte sein, dass das US-amerikanische FARA-Gesetz für genau die gleiche drohende Repression der Zivilgesellschaft kritisiert wurde. So erst im vergangenen Jahr vom US-Magazin The Nation.

Im besagten Artikel wird das FARA-Gesetz für seine weitreichende Verfügungsgewalt kritisiert, die es dem Justizministerium erlaube, Aktivisten zu überwachen, einzuschüchtern und zu kriminalisieren. Die Autoren warnen davor, dass eine Anwendung zu finanziellem Ruin und einem Abschreckungseffekt führen könnte, der in krassem Gegensatz zum First Amendment stehe.

Besonders stellen die Autoren dabei die "Black Liberation"-Bewegung und den Fall des Vorsitzenden der African People’s Socialist Party, Omali Yeshitela, heraus, der am 29. Juli 2022 vom FBI mit einer Razzia überrascht und neun Monate später wegen "Verschwörung zur Förderung russischer Interessen in den USA" angeklagt wurde.

Vergleiche zwischen dem FARA und den "Ausländische-Akteure"-Gesetzen, wie sie in Russland oder eben Georgien praktiziert werden, sind bereits gezogen worden.

Während manche Beobachter den Unterschied darin erkannt haben wollen, dass das russische Gesetz mehr repressives Vorgehen und strengere Sanktionen erlaubt, wird der zunehmend "aufgerüstete" FARA andererseits von interessierter Seite für genau diese "Hebelwirkung" gerühmt.

FARA als Werkzeug des Establishments

Seit der US-Präsidentschaftswahl 2017 und der vermeintlich entscheidenden russischen Einflussnahme auf den öffentlichen Diskurs wird der FARA Medienberichten zufolge bis zu 30 Prozent häufiger durchgesetzt als jemals zuvor.

Gleichzeitig werfen Kritiker den Behörden eine selektive Wahrnehmung ihres Auftrags vor, etwa wenn es um das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC) geht, das der Politologe John Mearsheimer als Herzstück der sogenannten Israel-Lobby bezeichnet.

Im US-Magazin Foreign Affairs, Haus-Publikation des einflussreichen Council on Foreign Relations, heißt es mit Blick auf die "Wiederbelebung" des FARA in Bezug auf die drohende Gefahr Donald Trump:

Die Untersuchung von Trumps Wahlkampf 2016 und seiner Regierung hat das FARA wiederbelebt, das in den vergangenen Jahrzehnten nur zu einer Handvoll erfolgreicher Verurteilungen geführt hatte.

FARA ist nicht länger ein vergessener und oft ignorierter Teil der Reformen aus der Zeit des New Deal. Acht Jahrzehnte nach seiner Verabschiedung ist FARA endlich das Papier wert, auf dem es geschrieben wurde.

Foreign Affairs: The Danger of Banning Foreign Lobbying

Selbstverständlich aber verbiete sich ein Vergleich zwischen FARA und Gesetzen, die aus den Staaten speziell der ehemaligen Sowjetunion stammen:

Ungarn, Russland und andere Länder haben den Präzedenzfall des FARA zynisch ausgenutzt, um ihre eigenen Gesetze für "ausländische Agenten" zu erlassen, die speziell darauf abzielen, zivilgesellschaftliche Gruppen zu diskreditieren, die pro-demokratische Reformen vorantreiben.

Ein vollständiges Verbot würde leider den perfekten Vorwand für diese Autokratien und Diktaturen bieten, um endlich die Axt an jede Gruppe anzulegen, die sie mit ausländischer Finanzierung in Verbindung bringen können, einschließlich seit langem tätiger US-Organisationen, die versuchen, die steigende Flut des Autoritarismus in vielen Teilen der Welt aufzuhalten.

Foreign Affairs: The Danger of Banning Foreign Lobbying

Schaut man in die Datenbank von FARA, wo neben Russlands Nachrichtenagentur TASS und das China Global News Television Network (CGNTV) auch eine Reihe von Einzelpersonen gelistet sind, fällt der Widerspruch deutlich ins Auge. Gespiegelt wird das freilich von der Liste von Akteuren, die in Russland als potenzielle Staatsfeinde gelten.

Nur stellt sich für manche dabei eben die Frage: Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?

Interessante und ignorierte Lobbies

Bevor der Leser auf die falsche Idee verfällt, hier würde Russland das Wort oder die Bedrohung durch ausländische Einflussnahme kleingeredet werden: Zweck dieses Artikels ist es, auf die falsche Gewichtung hinzuweisen, die politischen Ereignissen in Georgien (und anderswo) zuteil wird.

Der Kampf zwischen gut und böse, USA und BRICS, rechts und links bleibt letztlich ein Kampf, mit wenigen Profiteuren und der Gemeinschaft als dem größten Verlierer.

Dass die Offenlegung der Einflüsse zumal auf solche Organisationen, die sich oft genug lediglich den Anstrich eines zivilgesellschaftlichen Engagements geben, im Interesse der Bevölkerung eines jeden Landes liegt, sollte eine Binse sein.

In einem Land, das sich noch bis vor Kurzem vehement gegen ein Lobbyregister gewehrt hat und mit seinen Regelungen zum exekutiven Fußabdruck noch immer hinter den Erwartungen zurückbleibt, ist es aber vielleicht keine Selbstverständlichkeit.

Zum kürzlich veröffentlichten EU-Lobbyreport findet sich jedenfalls nicht einmal ein Bruchteil der Pressemeldungen, die zu Georgien publiziert wurden.