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Deutscher Herbst Attentat auf Nato-Chef

„Ich sah einen Regen von Dreck und Steinen niederprasseln“

Vier-Sterne-General Alexander Haig war am 25. Juni 1979 auf dem Weg zur Arbeit, als an seinem Wagen eine Bombe explodierte. Doch der Plastik-Sprengstoff der RAF-Terroristen zündete nicht exakt.
Leitender Redakteur Geschichte
Die zweite RAF-Generation

Der Deutsche Herbst gilt als eine der schwersten Krisen der Bundesrepublik. Die Entführungen von Hanns Martin Schleyer und der „Landshut“ nötigten Schmidt die wohl schwierigsten Entscheidungen seiner Karriere ab.

Quelle: Die Welt

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Manchmal hilft nur Galgenhumor: „Wer den Montagmorgen erst einmal hinter sich hat, für den wird der Rest der Woche einfacher.“ Mit diesen Worten kommentierte Alexander Haig, amerikanischer Vier-Sterne-General und Oberbefehlshaber der Nato, den Mordanschlag, den er am Montag, dem 25. Juni 1979, um 8.32 Uhr unverletzt überlebte.

Es war die letzte Woche, die der 54-jährige Offizier mit Kampferfahrung im Korea- und im Vietnamkrieg im Dienste des Militärs verbrachte – er hatte sich entschlossen, in die Politik zu wechseln. Für den 29. Juni 1979 war sein offizieller Abschied von der Nato geplant, deren Streitkräfte er viereinhalb Jahre lang kommandiert hatte.

Nato-Oberbefehlshaber General Alexander Haig 1979
General Alexander Haig (1924-2010) als Nato-Oberbefehlshaber
Quelle: US Army/ Public Domain

Doch noch war einiges zu erledigen. So war Haig am 25. Juni 1979 wie fast jeden Morgen seit seinem Amtsantritt 1974 mit dem Dienstwagen, einem großen Mercedes, und Personenschützern in zwei weiteren Wagen unterwegs von seiner Dienstvilla zum Nato-Hauptquartier im belgischen Mons. Als die drei Wagen die Rue de l’Empire im Ort Obourg entlangfuhren, wurde das Heck des Mercedes nahe einem dort gelegenen großen Zementwerk plötzlich von einer starken Explosion angehoben.

„Ich hörte eine Detonation, drehte mich um und sah einen Regen von Dreck und Steinen auf uns niederprasseln“, sagte der General. Terroristen hatten in einem Regenwasserkanal unter der Straßendecke eine selbst gebaute Bombe mit etwa zwölf Kilogramm hochexplosivem Sprengstoff versteckt.

Doch der General und seine Sicherheitsleute hatten Glück im Unglück: Die Detonation erfolgte Sekundenbruchteile, nachdem Haigs Wagen mit etwa 70 Stundenkilometern über die Ladung hinweggefahren und bevor der zweite Begleitwagen über derselben Stelle war. So wurde lediglich Haigs Mercedes hinten angehoben und beim Zurückfallen beschädigt. Das folgende Auto erlitt Totalschaden, aber die Insassen wurden nur leicht verletzt.

Dieser Krater wurde in die Straße gerissen, als am 25.06.1979 in der Nähe der belgischen Stadt Casteau ein Anschlag auf den US-amerikanischen NATO-Oberbefehlhaber, General Alexander Haig, verübt wurde. Sein Wagen wurde von dem offenbar ferngesteuerten Sprengsatz beschädigt, der General und sein Fahrer blieben unverletzt. Die Explosion traf das folgende Sicherheitsfahrzeug mit voller Wucht, die beiden Sicherheitsbeamten wurden verletzt, schweben jedoch außer Lebensgefahr. |
Diesen Krater riss die RAF-Bombe in die Straße
Quelle: picture-alliance / dpa

Nach der Explosion hielt Haigs Wagen. Er selbst, sein Fahrer und sein Adjutant leisteten den hinter ihnen fahrenden Sicherheitsleuten Erste Hilfe, die Besatzung des vorderen Autos sicherte derweil die Umgebung. Auch die leicht verletzte Besatzung des zerstörten Fahrzeuges konnte schon nach wenigen Stunden das Krankenhaus wieder verlassen.

Noch einen flotten Spruch hatte Haig auf Lager, als er in der Sicherheit des Hauptquartiers angelangt war: „Ich wusste, dass die Gegend für ihre Minen berühmt ist. Dass sie ferngesteuert sind, weiß ich erst seit heute.“ Das war ein Wortspiel mit der Doppeldeutigkeit des Wortes Mine, die es im Englischen genau wie im Deutschen gibt.

Wenige Tage nach der Explosion erreichte ein Bekennerschreiben verschiedene Redaktionen in der Bundesrepublik. Darin übernahm ein „Kommando Andreas Baader“ der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) die Verantwortung. Diese Namensgebung war insofern konsequent, als auch Baader im Mai 1972 als erste Anschlagsorte seiner „Mai-Offensive“ US-Ziele ausgewählt hatte, konkret: das Hauptquartier der US-Army in Frankfurt am Main.

Fahndungsfoto des mutmaßlichen RAF-Terroristen Werner Lotze. (Aufnahme aus den 70er Jahren). Lotze, der Anfang der 80er Jahre der RAF den Rücken kehrte und mit seiner Frau und der 1982 geborenen Tochter unter falscher Idenitität in der DDR lebte, wurde am 15.6.1990 in Cottbus von den DDR-Ermittlungsbehörden festgenommen. Das Bayerische Oberlandesgericht verurteilte ihn am 31.1.1991 unter Anwendung der Kronzeugenregelung wegen Mordes, vierfachen Mordversuchs, schwerer räuberischer Erpressung und eines mißglückten Sprengstoffanschlags auf den NATO-General Alexander Haig 1979 zu zwölf Jahren Haft. Das Urteil wurde in einer Zweitauflage des Prozesses am 10.3.1992 um ein Jahr vermindert. | Verwendung weltweit
Werner Lotze (Jg. 1952) löste die Explosion aus (Fahndungsfoto)
Quelle: picture-alliance / dpa

Ausführlich erklärten die Täter das Misslingen ihrer Mordaktion: „Wir hatten unter die Straßendecke einer Brücke auf dem Weg von Haigs Wohnsitz zum Nato-Hauptquartier einen 1,80 Meter langen Tunnel gegraben und die Ladung (20 Kilogramm Plastik) etwa 40 Zentimeter tief angebracht. Die Zündung wurde über ein 200 Meter langes Elektrokabel in dem Moment ausgelöst, als Haigs Mercedes mit der Vordertür auf der Höhe der Ladung war. Wir hatten vorher ausgerechnet, dass sich sein Wagen zwei Meter in der Zehntelsekunde bewegt. Unser Fehler war, dass wir dachten, die Explosion auch bei einer so hohen Geschwindigkeit noch exakt genug mit der Hand auslösen zu können.“

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Allerdings stimmte einiges nicht: Die Ladung bestand in Wirklichkeit nicht aus 20, sondern etwa aus zwölf Kilogramm Sprengstoff. Der Tunnel war nicht eigens gegraben worden, sondern die Terroristen hatten sich eines Entwässerungskanals bedient, den sie höchstens etwas erweitert hatten.

Fahndungsfoto der RAF-Terroristin Susanne Albrecht nach dem Mord an dem Bankier Jürgen Ponto im Juli 1977. Frau Albrecht wurde am 3. Juni 1991 wegen des Mordes an dem Bankier Jürgen Ponto und dem fehlgeschlagenen dreifachen Mordversuch an dem NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig sowie zwei Sicherheitsbeamten 1979 zu zwölf Jahren Haft verurteilt. | Verwendung weltweit
Susanne Albrecht (Jg. 1951) war Mittäterin des Anschlags auf Haig (Fahndungsfoto)
Quelle: picture-alliance / dpa

Den Finger am Zündknopf hatte Werner Lotze gehabt, ein damals 27-jährige Linksradikaler. Seit 1976 hatte er zum RAF-Umfeld gehört, war aber erst im August 1978 in den inneren Kreis, die „Kommandoebene“, aufgestiegen – so genannt, weil sich aus diesem Kreis von Personen die „Kommandos“ rekrutierten, die einzelne Anschläge konkret ausübten.

Zum „Kommando Andreas Baader“ gehörten außer Lotze mindestens noch Rolf Clemens Wagner und Susanne Albrecht. Jedenfalls wurden diese drei Anfang der 90er-Jahre für den Anschlag verurteilt – Lotze und Albrecht, die beide 1980 aus der RAF ausgestiegen und in der DDR abgetaucht waren, hatten umfassend ausgesagt und Wagner belastet.

Er war bereits wenige Monate nach dem Anschlag auf Haig in Zürich bei einem Banküberfall festgenommen worden, bei dem eine Passantin erschossen worden war. Deshalb und wegen der nachgewiesenen Beteiligung an der Entführung und Ermordung von Hanns Martin Schleyer war Wagner zu „lebenslänglich“ verurteilt worden. Die Strafe konnte durch die zusätzlich zwölf Jahre wegen seiner Rolle beim Haig-Attentat nicht mehr erhöht werden.

Fahndungsbild des RAF-Terroristen Rolf-Clemens Wagner aus dem Jahr 1985 (Archivfoto). Bundespräsident Johannes Rau hat den an der Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer beteiligten Ex-Terroristen Rolf Clemens Wagner begnadigt. Dies teilte das Bundespräsidialamt am Mittwoch (03.12.2003) in Berlin mit. Der 59 Jahre alte Wagner gehörte der «Roten Armee Fraktion» (RAF) an. Seit seiner Festnahme im November 1979 saß er 24 Jahre in Haft. dpa (nur s/w) |
Rolf-Clemens Wagner (1944-2014) blieb bis zum Ende seines Lebens überzeugter Terrorist (Fahndungsfoto)
Quelle: picture-alliance / dpa/dpaweb

Aber immerhin sorgte die weitere Verurteilung dafür, dass er nicht schon wie andere zu „lebenslänglich“ verurteilte RAF-Mörder nach 18 oder 19 Jahren freikam, sondern 24 Jahre hinter Gittern saß. Ende 2003 kam er frei und lebte noch zehn Jahre. Von seinen Verbrechen distanzierte er sich nie, sondern verhöhnte noch in einem Interview die Opfer. Albrecht und Lotze hingegen, die sich glaubhaft vom Terror losgesagt hatten, mussten lediglich knapp die Hälfte der verhängten Haftstrafen von zwölf Jahren absitzen, bevor sie auf Bewährung freigelassen und resozialisiert wurden.

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Dieser Artikel wurde erstmals 2019 veröffentlicht.

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