Nikolaus Blome

Es darf nicht menschenverachtend sein.

Nikolaus Blome, Autor und stellvertretender Chefredakteur der BILD, über seine Streitgespräche mit Jakob Augstein, politische Lager, die AfD, Berichterstattung über Flüchtlinge, „Pleite-Griechen“, Verantwortung als Redakteur und einen Grund, warum er nicht mehr beim „Spiegel“ ist

Nikolaus Blome

© Penguin Verlag

Anmerkung: Nikolaus Blome hat leider 41% seiner Antworten nicht freigegeben.

Das Interview entstand anlässlich der Buch-Veröffentlichung „Links oder rechts?“ von Nikolaus Blome und Jakob Augstein. Eine vorherige Absprache über Themen gab es nicht. Herr Blome spricht in dem Buch auch als Politik-Journalist (S.135 u.a.) sowie konkret als BILD-Redakteur (S.136, Zitat: „BILD kann, als Massen- und Leitmedium, in einer speziellen Situation wahrscheinlich einen Bankrun auslösen. Darüber denken Sie besser drei Mal nach.“). Ein Buchkapitel trägt den Titel „Lügt die Lügenpresse“. Das Interview fand am 04.10.2016 im BILD-Büro von Herrn Blome im Berliner Axel-Springer-Hochhaus statt und dauerte 65 Minuten. Herr Blome beantwortete im Gespräch alle gestellten Fragen, auch zur BILD-Zeitung. Eine Antwort, die mit dem Hinweis ‚off the record‘ geschah, wurde nicht verschriftlicht. Die nachträgliche Streichung mehrerer Antworten begründete Herr Blome damit, dass er nur ein Interview zu seinem Buch geben wollte.

Voranstellen möchten wir dem Interview eine öffentliche Äußerung Nikolaus Blomes zum Thema kritische Fragen, auf einer Veranstaltung in Dresden, Thalia-Buchhandlung Dr.-Külz-Ring 12, am 01.11.2016. Wir möchten auch darauf hinweisen, dass sich die BILD-Zeitung im Fall von Kritik an oder Gerichtsurteilen gegen ihre(r) Berichterstattung häufig auf die Pressefreiheit beruft.

Fragesteller: Eine Frage, die Journalismus und Pressefreiheit betrifft. Ich finde Journalisten immer ganz wichtig als kritische Instanz und die kritische Fragen stellen. Nun hat Michel Friedman gerade ein Interview geführt mit einem türkischen Minister, und das wurde danach – er hat da glaube ich kritisch gefragt – komplett einkassiert. Das kriegt er auch nicht raus. Die Fragen waren wahrscheinlich zu kritisch, keine Ahnung. Meine Frage: Wie wichtig ist es für eine funktionierende Demokratie, dass man auch kritische Fragen stellen darf?
Blome: …nicht zu lachen, weil in ganz vielen Ländern die (Frage) nicht so beantwortet wird, wie wir jetzt alle denken, dass man sie beantworten müsste. Zum Glück ist die Antwort in diesem Land klar: Es ist essentieller Bestandteil. Damit machen wir uns jetzt nicht größer als Journalisten als wir sind, aber es ist schon ein wesentlicher Bestandteil im großen selbstmurmelnden Gespräch dieser Republik miteinander, und der Frage, wohin wir gehen wollen, wo wir sein wollen, blablabla. Und wer den Mächtigen auf die Finger guckt etc. etc, mit allen Mängeln…
Augstein: …aber das tut doch die Presse immer weniger, das ist doch genau das Problem. Eigentlich…
Blome: Das sehe ich nicht so. Und um den Satz zu beenden: Es gibt aber ganz viele Länder und die sind gar nicht so weit weg, wie China oder Nordkorea
Augstein: …Polen…
Blome: …eben, wo das nicht mehr selbstverständlich ist. Wo Zeitungen einfach zugesperrt werden, weil sie freche Fragen, oder vermeintlich freche Fragen gestellt haben. Wo Leute, wie in der Türkei, eingebuchtet werden, weil sie eine Karikatur über den Chef gemacht haben. Das ist schon irre.

Interview mit Nikolaus Blome vom 04.10.2016

Herr Blome, Sie streiten mit Jakob Augstein stets auf hohem Niveau. Wünschen Sie sich so einen konstruktiven Streit häufiger auch von Politikern?
Blome: So einen streitbaren Dialog gibt es, im letzten Jahrzehnt allerdings etwas weniger als es gut wäre. Denn wir haben auf Bundesebene und vielfach auf Landesebene Große Koalitionen. Wenn es ein strittiges Thema gibt, das des zivilisiert ausgetragenen Streites wert wäre, fehlen in der großen Koalition in der Regel die Stichwortgeber aus einer der beiden großen Volksparteien. Wenn die aus Gründen der Koalitions- bzw. Regierungsraison nicht mitmachen, fehlt ein großer Teil des Echo-Raums, ohne den es keine großen Debatten gibt.

Und niemand wagt sich aus der Deckung?
Blome: Die Parteien wollen, wenn es irgendwie geht, eine weitere Große Koalition vermeiden – und sie tun gut daran. Denn es ist nicht gut für die Volksparteien und auch nicht für das politische Klima. Das ist nicht zuletzt einer der Gründe für das Erstarken der AfD: Diese Partei kann behaupten – obwohl es nicht stimmt – dass es eine so genannte Mainstream-Politik gibt, ‚eine Soße‘, ein Kartell. Diesem Eindruck leistet man – unfreiwillig, aber immerhin – Vorschub durch eine Große Koalition.

Ihr gemeinsam mit Augstein veröffentlichtes Buch heißt „Links oder rechts“. Doch fällt die Zuordnung von Politikern und Parteien zu einem Lager heute oft schwer.
Blome: Nicht zuletzt durch die Flüchtlingskrise hat sich die deutsche Gesellschaft in weiten Teilen repolitisiert, vielleicht auch polarisiert und an den Rändern radikalisiert. Nur hat man mit der streitbaren Auseinandersetzung zwischen Lagern hierzulande die letzten zehn Jahre vergleichsweise wenig Erfahrung gehabt und muss es wieder üben. Die Themen sind aber groß genug, um sie gut nach den traditionellen Links-Rechts-Lagern zu tranchieren.

Ein Beispiel: Ist ‚pro Europäische Union‘ heute links oder rechts?
Blome:. Pro EU, das würde, so pauschal, vermutlich eine große Mehrheit der Deutschen unterschreiben. Aber wenn Sie fragen: Wollen wir eine wesentlich tiefer integrierte EU, wollen wir sie Richtung Staat bzw. Bundesstaat entwickeln? – Da sind Sie sehr schnell bei Lagern, da würde ich der SPD immer mehr Integrationswillen unterstellen als der CDU.

Sie schreiben im Buch-Vorwort: „Es werden die Lager sein, die Deutschland zusammenhalten.“ Ist das Erstarken der AfD also hilfreich für Deutschland?
Blome: Das ist zweischneidig. Die AfD könnte zu einer Revitalisierung der politischen Lager führen – und das wäre gut. Allerdings birgt der Einzug der AfD in die Landtage und den Bundestag die erhöhte Gefahr, dass es ’nur noch‘ für eine Große Koalition reicht.

Sie stellen im Buch die Frage, ob der Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag ein kollektiver Verrat an unserem Erinnern der Shoa wäre. Warum beantworten Sie das mit Nein?
Blome: Weil ich der AfD so viel Macht nicht zubilligen will. Ich finde einen Bundestag ohne die AfD zwar besser als einen mit, aber ich halte es nicht für einen finalen Bruch mit der politischen Kultur Deutschlands, wenn es zum Einzug der AfD kommen sollte. Unsere Demokratie hält die AfD allemal aus.

Eine ähnliche Frage im Buch lautet: „Müssen wir es als ’normal‘ hinnehmen, dass es eine mehr oder weniger fremdenfeindliche Partei in Deutschland gibt?
Blome: Tatsache ist, dass es so etwas in fast allen europäischen Ländern gibt, zum Teil wesentlich schlimmer als das, was die AfD aufführt. Trotzdem beschleicht einen das seltsame Gefühl, dass bestimmte Dinge im politischen Raum von einer politischen Partei, die sich noch dazu ‚bürgerlich‘ nennt, aussprechbar werden, die zuvor nicht aussprechbar waren. Sinngemäß zu sagen, „so einen farbigen Fußballspieler wollen wir hier nicht haben“, wäre bis vor kurzem in jeder ernstzunehmenden Partei sanktioniert worden. In der AfD hat es Herr Gauland blendend überlebt.

Macht Ihnen das Sorge?
Blome: Ja. Da findet eine Entgrenzung statt. Die hat freilich auch etwas mit langjähriger, übertriebener Tabuisierung bestimmter Fragen oder Antworten zu tun. Die jetzige Situation hätten wir nicht, wenn man rechtzeitig ein paar Fragen zu Zuwanderung, Multikulti oder Leitkultur etc. in größerer Gelassenheit, Offenheit und meinetwegen auch Schärfe gestellt und beantwortet hätte.

Hat Sie Jakob Augstein eigentlich mal so überzeugen können, dass Sie einen eigenen Standpunkt revidiert haben?
Blome: Augstein hat oft mit Wahrnehmungen argumentiert, während ich gesagt habe: 2+2=4. Sprich, ich habe versucht, ihn rational, faktisch zu widerlegen. Doch er hat möglicherweise früher erkannt als ich, welche Wirkmacht heute diese Irrationalitäten haben. Sie können mit bestimmten Leuten, anders als ich dachte, nicht mehr wirklich rational diskutieren.

Wie meinen Sie das?
Blome: Es sind nicht mehr nur die 5%, die es immer gibt, die hinter allem eine Verschwörung des CIA oder KGB sehen. Sondern es sind ganz normale Leute, die Sie bei Themen wie Flüchtlingen oder dem Euro nicht mehr mit rationalen Argumenten und den Grundrechenarten erreichen. Ich muss zur Kenntnis nehmen, dass die Zahl dieser Leute gerade rasant wächst. Und ich habe im Moment keine Antwort darauf, wie man mit ihnen umgehen soll.

Welchen Ihrer politischen Standpunkte würden Sie als am am weitesten links bezeichnen?
Blome: Ich weiß nicht, ob es links ist, aber viele nehmen es so wahr: Ich finde es bodenlos, dass Leute, die einen großen Konzern wie VW an die Wand setzen, hinterher noch Boni kriegen. Dass sich da Leute, gerade auch bei den Banken, die Tasche voll machen, während die kleinen Leute mit ihren Steuergeldern für den Schaden aufkommen – das finde ich unfassbar. Das ist eine unsägliche Umverteilung von unten nach oben. Das klingt jetzt wie Klassenkampf, aber in Wahrheit ist das natürlich eine liberale, marktwirtschaftliche Position, keine linke.

Eine ähnliche Diskussion führten Sie mit Jakob Augstein 2012 über Christian Wulff und den Ehrensold, den er nach dem Ausscheiden aus dem Amt als Bundespräsident erhält. Ihr Standpunkt damals war, Wulff solle den Ehrensold nicht kriegen. Sind Sie heute, nachdem Wulff von allen Vorwürfen freigesprochen wurde, immer noch dieser Ansicht?
Blome: Juristisch ist er freigesprochen worden. Was Christian Wulff aber nie begriffen hat – und da sind wir schnell beim Thema Ehrensold – ist, dass es für das Amt des Bundespräsidenten nicht reicht, juristisch nicht angreifbar zu sein. Sondern Sie müssen auch politisch unangreifbar sein, moralisch unangreifbar – dann erfüllen Sie langsam aber sicher die Bedingungen, um ein guter Bundespräsident zu sein.

Ihr Standpunkt hat sich also nicht geändert?
Blome:. Christian Wulff ist wegen seines Unvermögens, durch eine schwer zu verstehende Borniertheit und eine Reihe von Fehltritten aus dem Amt geflogen. Er war moralisch in höchstem angreifbar. Das passt nun wirklich nicht zum Sinn und Begriff von „Ehrensold“. Das können Sie keinem erklären.

Sie sagen, Politiker sollen nicht moralisch angreifbar sein…
Blome: Zumindest nicht in solchen Ämtern. Dass Politiker Menschen sind und Fehler machen – vollkommen d’accord. Wir wollen ja keine Roboter da haben. Aber das war schon etwas Anderes bei Christian Wulff.

Moralisch nicht angreifbar sein, gilt dieser Leitsatz auch für Journalisten?
Blome: Da wir uns als Journalisten im öffentlichen Raum bewegen, ist es OK, wenn auf uns mindestens auch kritisch geschaut wird, auf das, was wir so tun. Aber wir sind nicht gewählt, wir vertreten niemanden im Sinne von Wählerschaft. Insofern sind es nicht dieselben Maßstäbe wie bei Politikern.

Welche Rolle spielte Moral in Ihrem journalistischen Werdegang?
Blome: Moral ist für mich ein Kriterium zum Beurteilen von Vorgängen oder Personen. Aber gewiss nicht das Einzige. Sie können keine Politik machen, wenn Sie zu 100 Prozent Moral leben wollen. Politiker müssen manches Mal Kompromisse mit einzelnen moralischen Leitregeln machen – sonst gibt es keine Politik.

Das gilt dann auch für Politik-Journalismus?
Blome: Ich meinte es so: Das Grundverständnis dafür, dass Politik kein lupenreines moralisches Geschäft sein kann, das habe ich. Insofern nehme ich Moral nicht zum alleinigen Maßstab beim Beurteilen politischer Vorgänge.

Könnte man eine große, gewinnbringende Tageszeitung machen, wenn Moral der oberste Maßstab ist?
Blome: Ich verstehe die Frage nicht. Was würde das für die Berichterstattung bedeuten? Dass wir bestimmte Themen weglassen, die jemand unmoralisch findet? Das kann es gewiss nicht sein.

Sie schreiben im Buch: „BILD kann, als Massen- und Leitmedium, in einer speziellen Situation vermutlich einen Bankrun auslösen. Darüber denken Sie besser drei Mal nach.“ Dass Sie also vorher drei mal überlegen…
Blome: In bestimmten, sehr zugespitzten Situationen tue ich das, ja. Die Reichweite von BILD, Print und Digital, ist immens. Das bringt eine gewisse Verantwortung mit sich.

Welche Verantwortung ergibt sich dadurch für Sie?
Blome: Im Buch geht es um ein Wochenende in 2008, zu Beginn der großen Banken- und Finanzkrise. Aufgrund bestimmter Hinweise und Fakten hätte man die Schlagzeile machen können: „Sind bald die Geldautomaten in Deutschland leer?“ Journalistisch wäre das durchaus sauber gewesen, aber dann überlegt eine Redaktion auch: Was löst das womöglich aus?

Angesichts der Reichweite: Glauben Sie, dass BILD zu den wachsenden Ressentiments gegenüber Flüchtlingen beigetragen hat?
Blome: Ich höre derzeit immer nur den gegenteiligen Vorwurf, nämlich dass die BILD blind, naiv, euphorisch über Flüchtlinge positiv berichtet hätte. Es ist interessant zu hören, dass es auch den anderen Vorwurf gibt – also können wir nicht so viel falsch gemacht haben.

Ein Beispiel: Die BILD schrieb im Januar 2016, dass die Polizei in Kiel „vor Flüchtlingskriminalität kapituliert!“. Grundlage war ein Papier vom Oktober 2015 der Polizeidirektion Kiel, in dem es heißt dass „ein Personenfeststellungsverfahren oder erkennungsdienstliche Behandlung“ bei „einfachen/niedrigschwelligen Delikten … regelmäßig ausscheidet“. Der BILD-Bericht wurde von der Polizei umgehend dementiert.
Blome:

 

 

 

Die Kieler Polizei gab aufgrund der Berichterstattung eine Pressekonferenz und erklärte, dass Strafanzeigen „in jedem Einzelfall“ erstattet wurden, und dass „in keinem Fall eine andere Behandlung zur Maßgabe erklärt wurde wie bei deutschen Tatverdächtigen auch“.
Blome:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein anderes Beispiel: BILD veröffentlichte einen Auszug aus dem Buch „Soko Asyl“ des Leiters der Braunschweiger Kripo Ulf Küch. Dieser schreibt darin u.a. „Diejenigen (Flüchtlinge), die wir verfolgen, sind eine winzige Minderheit, deren Anteil im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt“ und „es darf nicht sein, dass die große Mehrheit der dankbaren und friedlichen Flüchtlinge mit diesen Personen über einen Kamm geschoren wird und am Ende unter deren Aktivitäten leiden muss.“ Der BILD-Artikel trug die Überschrift „Polizist packt über Flüchtlingskriminalität aus: Manche Banden klauen auf Bestellung“. Nochmal die Frage: Kann es sein, dass Sie mit solchen Artikeln zu den Ressentiments gegenüber Flüchtlingen beitragen?
Blome:

 

 

 

 

 

Und diesen Hinweis bringen Sie als große Headline?
Blome:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Doch die Skandalisierung von Flüchtlingskriminalität fällt in BILD größer aus als in anderen Medien, wo berichtet wird, dass sich die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge rechtskonform verhält.
Blome:

 

 

 

 

 

 

 

 

Die meisten Hauseinbrüche werden von Deutschen begangen.“ Könnte das eine „Bild“-Schlagzeile sein?
Blome:

 

Sie schreiben im Buch: „Der Euro ist ein Erziehungsprojekt, und nach der Lage der Dinge sind es die Südeuropäer, die etwas lernen müssen.“ Das klingt nun deutlich milder als „Griechenland muss den Euro verlassen“, wie sie im April 2010 in BILD schrieben. Wollen Sie heute immer noch, dass Griechenland den Euro verlässt?
Blome: Ich glaube nach wie vor, dass die Griechen im Laufe der fünf Jahre von 2010 an, deutlich besser daran getan hätten, auszutreten. Der einzige Hebel, den die griechische Wirtschaft damals hatte, war eine kompetitive Abwertung, und das kann man nicht im Euro.
Seit Sommer 2015 ist beschlossen, dass sie drin bleiben. Aber von den Problemen sind die wenigsten an der Wurzel bereinigt. Dieses Land ist nach wie vor kein Staat, der funktioniert. Manches ist besser geworden, aber bei weitem nicht genug.

Die Griechenland-Berichterstattung der BILD wurde häufig kritisiert. Stefan Niggemeier fragte einmal in seinem Blog, wer mit der Bezeichnung „Pleite-Griechen“ eigentlich gemeint war. Die Bevölkerung? Die Politiker? Alle zusammen?
Blome: Alle zusammen. Ein Land, dass seine Rechnungen staatlicherseits, vielfach auch seitens der einzelnen Bürger, nicht bezahlen kann und darum bei anderen Staaten um Hilfe bitten muss, ist als ‚pleite‘ zu bezeichnen. Da können Sie jetzt „Pleite-Staat“, „Pleite-Griechenland“ oder eben „Pleite-Griechen“ schreiben. So ist der Begriff entstanden.

Und dass man den Begriff in BILD permanent wiederholt hat?
Blome: Das ist vorwiegend dem Umstand geschuldet, dass wir so viele Texte über das Thema gemacht haben.

Und dass Sie die Bürger mithineinziehen in die Verantwortung, das ist gerecht?
Blome: Ich nehme zur Kenntnis, dass sich manche Griechen ungerecht behandelt gefühlt haben. Zur ganzen Wahrheit gehört aber, dass sich in Griechenland nie eine Partei durchsetzen konnte, die gesagt hat: Achtung, wir leben über unsere Verhältnisse, das geht so nicht weiter. Achtung, dieser Staat ist nicht funktionstüchtig, er ist in Teilen korrupt. Wir müssen jetzt anfangen zu reformieren und reine zu machen. So eine Partei hat sich nie gebildet und ist nie gewählt worden. Das sagt auch ein bisschen etwas über die Wähler, mithin die Griechen.

Aber wenn dann ein griechisches Restaurant in Deutschland böse Briefe bekommt, so etwas gab es ja tatsächlich, wenn die also im Alltag konfrontiert werden mit Hass – daran haben Sie kein Interesse, oder?
Blome: Gab es so etwas? Ich will die BILD nicht kleiner machen als sie ist, und die Berichterstattung über Griechenland war wirklich eines der Kernmerkmale der Jahre 2011, 2012. Aber ich hafte nicht für den letzten Irren im Land.

Sie erwähnen im Dialog mit Augstein ja Ihre eigene Hochzeit, bzw. den Polterabend, wo Ihre Freunde gepoltert hätten „Nikolaus kann nur lachen, wenn andere hinfallen.“ Was meinten Ihre Freunde damit?
Blome: Da wurde ich am Abend vor der Hochzeit schön veräppelt, wie man eben bei Poltereien so durch den Kakao gezogen wird von Freunden.

Hat der Satz denn einen wahren Hintergrund?
Blome: Eigentlich nicht. Ich lache gerne und mache mich manchmal auch lustig über andere Leute, das stimmt schon. Aber noch im grünen Bereich, glaube ich.

Viele Leser haben (z.B. auf Facebook) kritisiert, wie BILD über einen Sportler berichtet hat, der tatsächlich hingefallen ist: Ein Geher brach bei den Olympischen Spielen in Rio über die 50km-Distanz mehrfach zusammen, hatte Verdauungsprobleme, konnte seinen Durchfall nicht zurückhalten und verlor zeitweise die Orientierung. Bild zeigte Fotos davon und kommentierte u.a. mit „Dieser Gang ging in die Hose.“ Wie kann es sein, dass BILD sich über so etwas lustig macht?
Blome:

 

 

 

 

 

 

 

Aber Witze wie „Er war kurz davor, aus Sch**** Gold zu machen. Doch dann läuft’s beim 50-km-Geher Yohann Diniz – so richtig“ oder „Dieser Gang ging in die Hose.“ Warum muss das in Ihre Zeitung?
Blome:

 

 

 

 

 

 

Gehört Schadenfreude in eine Zeitung, Ihrer Meinung nach?
Blome: Sie müssen Schadenfreude nicht an jeder Ecke Vorschub leisten, aber natürlich ist Schadenfreude ein zutiefst menschliches Gefühl. Ich habe kein schlechtes Gewissen, wenn ich mal irgendwie irgendwo schadenfroh bin. Es darf nur nicht überhand nehmen und es darf nicht menschenverachtend sein.

Im Buch streiten Sie mit Jakob Augstein über viele Seiten, oft sind Ihre Antworten im Buch länger als Ihre Artikel in BILD. Dort nimmt der Politik-Teil am Tag nur 1-2 Seiten ein. Ist Ihnen das nicht zu wenig?
Blome: Es könnte noch mehr sein, das werden aber die Kollegen nicht so gerne hören. Das ist aber auch das Spannende, Politik so zu verdichten und zu erklären oder die Debatten mit exklusiven Nachrichten zu befeuern. Und von diesen Exklusiv-Nachrichten passen offenbar so viele auf die Seiten, dass BILD in den ersten neun Monaten des Jahres das meistzitierte Medium in Deutschland war, vor dem Spiegel. Dazu kommt: BILD.de bestücken wir höchst erfolgreich mit politischen und wirtschaftlichen Themen, Reportagen, Analysen, Kommentaren – in jeder gewünschten Länge und Breite.

Auf den Auf den anderen Seiten dominieren Sport, Promis, Skandale, Sensationen. Warum geht da nicht mehr Politik?
Blome:

 

 

 

 

 

 

 

Interessieren Sie sich persönlich für die Skandale, Unfälle, Voyeurismus etc. auf den anderen Seiten?
Blome:

 

 

Hellmuth Karasek sagte bei uns im Interview: „Ich würde nie eine politische Entscheidung aufgrund der BILD-Lektüre treffen“.
Blome:

Ja, zum Beispiel.
Blome:

Aber Sie wollen doch vermutlich die Leute zum Denken anregen, wollen ihnen Informationen mitgeben, so dass sie am Wahltag informiert sind über die politische Lage. Wie würden Sie Karasek, wenn er noch unter uns wäre, vom Gegenteil überzeugen?
Blome:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Und es reicht in dieser Verkürzung für eine Wahlentscheidung?
Blome:

 

Nun stehe ich aber vor diesem Gegensatz: Ich sehe zwei Hochintellektuelle, Sie und Herrn Karasek, und der eine sagt über die Arbeit des anderen: „Die BILD ist ein Medium, das ich so ernst nehme, wie ich Stefan Raab ernst nehme.“ Können Sie mir helfen, diesen Gegensatz aufzulösen?
Blome:

 

 

 

Sie schreiben es ja selbst, in Ihrem Buch.
Blome:

 

 

Die Otto Brenner Stiftung schrieb 2012 in einer Studie, BILD praktiziere Journalismus nur „vorübergehend“. Ist Ihnen das nicht zu wenig?
Blome:

 

Die Stiftung hat viele BILD-Artikel analysiert, Interviews mit Experten geführt, verweist auf Quellen, Literatur…
Blome:

 

 

 

 

 

Mit der letzten Frage komme ich nochmal zum Anfang unseres Gesprächs zurück: Die kurze Dauer Ihrer Tätigkeit beim „Spiegel“ – war das ein Links-Rechts-Problem?
Blome: Nein, für mich nicht. Ich finde, dass es der Politik gut täte, sich so aufzustellen. Aber die Zeiten, als Sie Zeitungen blind verorten können, die sind zum Glück vorbei. Ich wünsche mir eine kluge Zeitung, aber keine, die immer sagt „Was die CDU macht ist richtig“ – und das auch dann noch, wenn die CDU am nächsten Tag das Gegenteil macht.

Die Links-Rechts-Konturen im Zeitungsgeschäft sind also verschwunden?
Blome: Das war zumindest lange Jahre der Trend. Ich glaube also nicht, dass der „Spiegel“ heute besonders links ist. Das war bei meinem Wechsel dorthin auch nicht das Entscheidende. Da ging es eher um die Frage, ob weite Teile der Heft-Redaktion verstehen, dass eine glorreiche Vergangenheit nicht automatisch auch die Zukunft sichert.

Kommentar schreiben

* Erforderliche Angaben. Emailadresse wird nicht veröffentlicht.