Glaziologin ist Wissenschafterin des Jahres - tirol.ORF.at
Glaziologin Andrea Fischer mit Eisbohrkern
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Wissenschaft

Glaziologin ist Wissenschafterin des Jahres

Gletscherforscherin Andrea Fischer ist vom Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zur „Wissenschafterin des Jahres 2023“ gewählt worden. Die 50-Jährige macht seit Jahren auf die massive Gletscherschmelze in den Alpen aufmerksam.

Der Klub der Bildungs- und Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten will mit der heuer zum 30. Mal durchgeführten Wahl vor allem das Bemühen von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern auszeichnen, ihre Arbeit und ihr Fach einer breiten Öffentlichkeit verständlich zu machen. Damit soll auch das Bewusstsein für die Bedeutung von Forschung gesteigert werden.

Forschungsergebnisse verständlich kommunizieren

Der Leiterin der ÖAW-Forschungsgruppe „Mensch-Umwelt-Beziehung, Hochgebirge" und ihrem Team sei es ein Anliegen, unsere Forschungsergebnisse verständlich zu kommunizieren, weil sie das Gefühl habe, dass etwas sehr Ungewöhnliches passiere. „Den Klimawandel sieht man an den Gletschern am drastischsten, am besten und am intuitivsten“, sagte Fischer. Wenn man Bilder des Gletscherrückgangs sehe und Berichte darüber höre, „versteht man sofort, dass hier Dinge im Gang sind, denen wir Aufmerksamkeit schenken sollten“.

Andrea Fischer sitzt an einem Schreibtisch und arbeitet an einem Laptop
APA/EXPA/JOHANN GRODER
Andrea Fischer untersucht seit vielen Jahren die Entwicklung der Gletscher

„Diese Botschaften der Gletscher sind wichtig, weil wir in den sehr entwickelten Ländern natürlich zu den Hauptverursachern des Klimawandels zählen und auch die nötigen Ressourcen haben, um Methoden zu entwickeln und eine Vorreiterrolle einzunehmen, um den Klimawandel zu begrenzen“, sagte die Glaziologin, deren Arbeit auch von internationalen Medien, von der „Süddeutschen Zeitung“ über den „Guardian“ bis zur „Washington Post“, rezipiert wird. Die Auszeichnung zeige ihr, dass die Dinge, die sie und ihr Team zu erzählen versuchen, von den Menschen gehört werden.

Gletscher in Ostalpen bis 2050 verschwunden

Vor zehn Jahren verneinte Fischer noch die Frage, ob sie eine Gefahr sehe, dass die Gletscher ganz verschwinden. Mittlerweile geht sie davon aus, dass dies in den Ostalpen bereits 2050 der Fall sein wird. Der Grund dafür sei die stark geänderte Dynamik der Klimaerwärmung. „Dadurch passiert die Schmelze nicht nur an der Oberfläche, sondern im gleichen Ausmaß auch am Untergrund. Die Gletscher sind großflächig unterhöhlt, das Schmelzwasser und die durchströmende warme Luft verdoppeln die Schmelzraten."

Die Veränderung geht dabei rasant: „Als ich begonnen habe, Gletscher zu vermessen, haben wir selbst im September zu Mittag kein Schmelzwasser vorgefunden. Jetzt stehen wir im November am Gletscher und es tropft.“ Die hohen Temperaturen würden soweit in das Gestein eindringen, dass dort tiefere Schichten auftauen und es zu großräumigen Steinschlag- und Felssturz-Aktivitäten komme.

„Das sind völlig neue Prozesse, deren Auswirkungen wir jetzt noch nicht zu 100 Prozent voraussagen können, auf die wir wirklich genau hinschauen müssen“, so die ehemalige Staatsmeisterin im Eisklettern und begeisterte Bergsportlerin.

Viele Effekte sind den Forschern noch unbekannt

So wie man sich eine Gletscherschmelze im aktuellen Ausmaß lange nicht vorstellen konnte, könnte es auch im gesamten Klimasystem Effekte geben, die man noch nicht kenne. „Und das sollte uns besonders vorsichtig werden lassen“, betonte die Wissenschafterin des Jahres.

Es gehe dabei nicht nur um die Begrenzung der Treibhausgasemissionen zur Eindämmung des Temperaturanstiegs, „sondern auch darum, welche Anpassungsmaßnahmen wir jetzt treffen müssen, um in den Alpen, die ein sehr sensibler Bereich sind, was Naturgefahren betrifft, weiter gut leben zu können“.

Andrea Fischer
APA/EXPA/JOHANN GRODER
Andrea Fischer ist Wissenschafterin am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften

Tausende Jahre altes Klimaarchiv geht verloren

Mit der Gletscherschmelze geht auch ein einzigartiges, 6.000 Jahre zurückreichendes Klimaarchiv verloren, denn im Eis eingeschlossen finden sich verschiedene Hinweise auf das frühere Klima. Fischer und ihre Kollegen versuchen daher in intensiven Arbeitseinsätzen, mit Bohrungen Eiskerne aus den schwindenden Gletschern zu bergen und so diese gefrorenen Daten zur Klimageschichte zu retten.

Angesichts der Bedeutung des Themas mutet es verwunderlich an, dass die schon lange zurückreichenden Gletschermessungen in Österreich weitgehend auf freiwilliger Basis durch engagierte Einzelpersonen bzw. auf Vereinsbasis erfolgen.

Keine öffentlich finanzierte Permafrost-Messung

Mitte des 19. Jahrhunderts sei bei der Gründung der Hydrografischen Dienste und der Zentralanstalt für Metrologie und Geodynamik auf die Glaziologie vergessen worden. „Das haben wir bis heute nicht aufgeholt“. So gebe es hierzulande keine einzige öffentlich finanzierte Permafrost-Messung. Dabei reiche der Permafrost teilweise bis auf 1.200 Meter Seehöhe, wodurch auch das Siedlungsgebiet durch dessen Auftauen bedroht sei. Fischer erachtet es deshalb als „sehr wichtig, dass wir die Forschung auf gesündere Füße stellen und eine Basisfinanzierung für die verschiedenen Messreihen finden“.

In den vergangenen Jahren haben der Ökologe Franz Essl (2022), der Komplexitätsforscher Peter Klimek (2021), die Virologin Elisabeth Puchhammer (2020), die Historikerin Barbara Stelzl-Marx (2019) und der Chemiker Nuno Maulide (2018) die Auszeichnung erhalten.