Ukraine: Vitali Klitschko greift Selenskyj an und sieht das Land auf dem Weg in den Autoritarismus

Klitschko greift Selenskyj an und sieht die Ukraine auf dem Weg in den Autoritarismus

Wolodymyr Selenskyj wird von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko stark kritisiert. Die Demokratie in der Ukraine sei in Gefahr.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hebt die Rolle der deutschen Militärhilfe für die ukrainische Flugabwehr hervor.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hebt die Rolle der deutschen Militärhilfe für die ukrainische Flugabwehr hervor.Efrem Lukatsky/AP

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko wirft dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ungewöhnlich deutlich „Fehler“ vor. „Die Leute fragen sich, wieso wir auf diesen Krieg nicht besser vorbereitet waren. Wieso Selenskyj bis zum Schluss verneinte, dass es dazu kommen werde“, sagte Klitschko dem schweizerischen Nachrichtenportal 20 Minuten.

„Es gab zu viele Informationen, die sich mit der Realität nicht deckten“, sagte der Ex-Boxweltmeister, der um mehr Ehrlichkeit warb mit Blick auf die wahre Lage der Ukraine in ihrem Kampf gegen Russlands Angriffskrieg. „Selenskyj zahlt für die Fehler, die er gemacht hat“, so Klitschko.

Saluschnyj werden politische Ambitionen nachgesagt

„Selbstverständlich können wir euphorisch unser Volk und unsere Partner anlügen. Aber das kann man nicht ewig machen“, sagte Klitschko weiter in dem Interview, das am Sonntag mehrere ukrainische und russische Medien aufgriffen. Der 52-Jährige stellte sich auch demonstrativ auf die Seite des ukrainischen Oberkommandierenden der Streitkräfte, Walerij Saluschnyj, der zur Verärgerung Selenskyjs unlängst von einer Pattsituation in dem Krieg gesprochen hatte.

Saluschnyj hatte in einem Gastbeitrag geschrieben, dass sich das ukrainische und das russische Militär in einer Pattsituation befinden würden. Viele Beobachter werteten die Äußerungen als Kritik an Wolodymyr Selenskyj und seine Versprechen aus dem Frühjahr 2023, die Gegenoffensive der Ukraine würde am Ende des Jahres mit einem Sieg enden. Saluschnyj werden politische Ambitionen nachgesagt. In der ukrainischen Presse heißt es, dass Saluschnyj Interesse hätte, Selenskyj bei den nächsten Präsidentschaftswahlen herauszufordern. Außerdem heißt es, gebe es Konflikte zwischen dem Präsidialamt und dem Militär. 

Vitali Klitschko, Oberbürgermeister der Stadt Kiew, spricht im Stadtrat.
Vitali Klitschko, Oberbürgermeister der Stadt Kiew, spricht im Stadtrat.dpa/Hendrik Schmidt

Ukrainische Bürgermeister sollen entmachtet werden

Kiews Bürgermeister Klitschko galt schon lange vor den öffentlichen Konflikten als Konkurrent von Selenskyj. In einer Spiegel-Reportage, die am 1. Dezember 2023 veröffentlicht wurde, wird Klitschko mit scharfer Kritik am ukrainischen Präsidenten zitiert. Im Spiegel-Text heißt es: „Klitschko sieht die Ukraine auf dem Weg in den Autoritarismus. ‚Wir unterscheiden uns dann irgendwann nicht mehr von Russland, wo alles von der Laune eines einzelnen Mannes abhängt‘, behauptet er. ‚Es gibt derzeit nur noch eine unabhängige Institution, aber auf die wird ein enormer Druck ausgeübt: die lokale Selbstverwaltung.‘ Das ist Klitschkos Herzensthema, er ist Chef des ukrainischen Städtebunds.“

In dem Text heißt es weiter, dass die ukrainischen Bürgermeister entmachtet werden sollen, damit der Präsident gestärkt werde und somit auch die Zentralverwaltung. „Ist die Demokratie in der Ukraine bedroht?“, will der Spiegel wissen. „Klitschko schweigt eine Viertelminute, als lege er sich eine komplizierte Antwort zurecht, er schürzt seine Lippen. Dann sagt er einfach: Ja. Aber, fügt er hinzu: ‚Aus der Ukraine einfach so einen autoritären Staat machen, ist fast unmöglich.‘ Dazu seien die Ukrainer zu freiheitsliebend.“

Sowohl das Interview als auch das Spiegel-Porträt wurden in zahlreichen ukrainischen als auch russischen Medien aufgegriffen.

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