Karoline Herfurth: „Die gesamte Welt ist von der männlichen Perspektive geprägt“

Karoline Herfurth: „Die gesamte Welt ist von der männlichen Perspektive geprägt“

Die Ernst-Lubitsch-Preisträgerin über Schönheitsideale, was KI mit Gleichberechtigung zu tun hat und wo das größte Machtgefälle in unserer Gesellschaft liegt.

Karoline Herfurth ist die diesjährige Gewinnerin des Ernst-Lubitsch-Preises. 
Karoline Herfurth ist die diesjährige Gewinnerin des Ernst-Lubitsch-Preises. Anne Wilk

Zwischen Gesellschaftsidealen, Geschlechterrollen und Familienbildern – Karoline Herfurths Komödien erzählen die Geschichten von vielen unterschiedlichen Frauen und davon, wie sie sich durchs Leben beißen. Sowohl in „Wunderschön“ als auch in „Einfach mal was Schönes“ gibt es Grund zu lachen und zu weinen. Urkomische Momente treffen auf ernste, politische Angelegenheiten. Die Berlinerin Karoline Herfurth, 39, die in beiden Filmen die Hauptrolle spielt und gleichzeitig Regie führt, hat ein Händchen dafür, Humor und Leichtigkeit mit ernsten Themen zu verbinden.

Damit steht sie natürlich ganz in der Tradition von Ernst Lubitsch, der mit Filmen wie „Ninotschka“ oder „Sein oder Nichtsein“ schon in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewiesen hat, dass kein Stoff so schwer ist, dass man ihn nicht mit Witz und auch ein bisschen Wahnsinn erzählen kann. Nach ihm ist die Auszeichnung für die beste komödiantische Leistung benannt, die Karoline Herfurth diesen Mittwoch in der Astor Film Lounge am Kudamm verliehen bekommt.

Karoline Herfurth, wo erwischen wir Sie gerade?

Im Büro. Ich schreibe gerade an meinem nächsten Kinofilm. Mehr kann ich dazu leider noch nicht verraten, ich bin noch mitten in der Entwicklungsarbeit.

Was für ein Tempo. Wieder ein neuer Kinofilm, und gerade werden Sie für gleich zwei erfolgreiche Komödien mit dem Ernst-Lubitsch-Preis geehrt. Was freut Sie am meisten an der Auszeichnung?

Hätte ich in den 30ern und 40ern in New York gelebt, wären es die Filme von Lubitsch gewesen, für die ich mein Taschengeld gespart hätte. Außerdem freut es mich einfach, dass komödiantische Leistung geehrt wird. Eine Auszeichnung von Filmjournalistinnen und -journalisten zu erhalten, die durchaus kritisch werden können, ist einfach wunderschön – im wahrsten Sinne des Wortes.

Ihre Komödien „Wunderschön“ und „Einfach mal was Schönes“ erzählen Geschichten von vielen verschiedenen Frauen. Warum haben Sie sich entschieden, Frauen in den Mittelpunkt zu stellen?

Ich will Realitäten aus weiblicher Perspektive erzählen. Geschichten von Frauen sind immer noch unsichtbar und bekommen zu wenig Bühne. Ich finde es großartig, dass sich das schon mehr verändert. Und trotzdem ist gesellschaftlicher Fortschritt nicht automatisch produktiv für die Gleichberechtigung: Künstlicher Intelligenz etwa wird unterstellt, die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen weiter zu vertiefen, anstatt sie zu beheben.

Wieso das?

KI arbeitet mit einem riesigen Pool an Daten. Das, was darin mehr vorhanden ist, sprich die männliche Perspektive, lässt die KI auch in ihrem Schaffen mehr präsent sein. Wen das interessiert, dem kann ich nur das Buch „Unsichtbare Frauen“ der Soziologin Caroline Criado-Perez empfehlen. Mich hat das völlig von den Socken gehauen. Dabei habe ich schon mit 23 Jahren in meinem Soziologiestudium Bekanntschaft mit der harten Realität gemacht, dass wir nicht alle gleichberechtigt sind.

Wie fielen die Reaktionen auf die Themenauswahl Ihrer Komödien aus?

Wirklich berührend. Mich haben sehr viele Menschen unterschiedlichen Alters und Geschlechts über alle möglichen Kanäle kontaktiert, weil sie mir sagen wollten, was der Film für sie bedeutet. Wenn sich die Menschen abgeholt und gemeint fühlen, ist das ein wahnsinnig schöner Erfolg, und mir ehrlich gesagt auch der größte. Überrascht hat mich die Aussage, dass Männer in meinem Film nicht gut weggekommen seien. Dabei finde ich: Milan in „Wunderschön“ zum Beispiel ist ein großartiger Mann. Ich glaube, es ist einfach ungewohnt, dass Männer nicht im Mittelpunkt einer Erzählung stehen und wie sonst das meiste zu sagen zu haben.

Ist die deutsche Filmlandschaft also noch wesentlich von der männlichen Perspektive geprägt?

Die gesamte Welt ist hauptsächlich von der männlichen Perspektive geprägt. Das glaube ich nicht nur, sondern das geht auch aus allen statistischen Erhebungen hervor.

Sowohl in „Wunderschön“ als auch in „Einfach mal was Schönes“ geht es in vielerlei Hinsicht darum, wie Frauen mit gesellschaftlichen Erwartungen umgehen. Wie war Ihr eigener Umgang mit solchen Idealen?

Zuerst habe ich mich extrem daran abgekämpft. Spätestens mit elf habe ich angefangen, meinen Körper zu hinterfragen. Ich habe mich wahnsinnig lange damit beschäftigt, wie ich aussehe oder wie dick meine Oberschenkel sind. Wie ich als Frau oder als Mädchen zu sein habe. Und das, obwohl es in meiner Kindheit sowohl bei meinen Eltern als auch in der Waldorfschule immer in Ordnung war, Normen infrage zu stellen. Trotzdem merkt man, dass die Ungleichheit der Geschlechter viel weiter greift als solche Institutionen. Sie ist einfach allgegenwärtig.

Was hat Ihnen geholfen, sich von Normen zu lösen?

Zum einen Vorbilder, zum anderen das Älterwerden. Erst mit Mitte 20 habe ich gemerkt, dass mich diese Versteifung auf Körperbilder unglaublich stresst und ich daran meine ganze Kraft und jede Lebensfreude verliere.

Wer ist ein Vorbild für Sie?

Ich sage immer: Es gibt bei mir ein Leben vor und nach Nora Tschirner. Ich halte sie für eine Visionärin. Ihr Film „Embrace“ thematisiert, wie Frauen vom Schönheitswahn betroffen sind und was sie dadurch zu verlieren haben. Das hat mich unglaublich bewegt und letztendlich dazu geführt, dass „Wunderschön“ entstanden ist.

Was hat Sie dazu gebracht, in „Einfach mal was Schönes“ den Fokus auf Frauenrollen in Familien zu richten?

Die ursprüngliche Idee stammt von meiner Autorin Monika Fässler. Ich persönlich bin der Meinung, dass in der Zeit zwischen 30 und 40 Jahren ein „Coming of Age 2.0“ passiert. In dem Alter löst man sich aus seiner Sozialisation heraus und rein in eine eigene Lebensgestaltung: Was ist das Leben, das mich glücklich macht? Was viele Erwachsene beschäftigt, ist die Beziehung zu den eigenen Eltern. Das begleitet einen ein Leben lang. Ich glaube aber, erst oder gerade in dem Alter ist eine Umgestaltung möglich. Als Kind ist man existenziell abhängig von seinen Eltern. Dadurch entsteht für mich das größte Machtgefälle überhaupt in der Gesellschaft. Kinder sind ihren Eltern einfach absolut ausgeliefert. Sich zu lösen und die Beziehung als erwachsener Mensch auf Augenhöhe gestalten zu können, das geht erst, wenn man selbst im Leben steht und unabhängig geworden ist.

Selbst dann ist es manchmal nicht einfach: Karla, die von Ihnen gespielt wird, ist 39 und fühlt sich verpflichtet, sich um ihre alkoholkranke Mutter zu kümmern. Sie befindet sich im Zwiespalt, weil sie Angst hat, ihre Mutter alleine zu lassen, braucht aber gleichzeitig mehr Freiraum, um sich auf ihr eigenes Leben konzentrieren zu können.

Die Pflege der Eltern und die Verantwortung für deren Nöte und Sorgen zu übernehmen, das ist ein großes Thema in unserer Gesellschaft. Dieses Gefühl der Verantwortung infrage zu stellen, ist durchaus nicht einfach. Im Film muss Karla aber lernen, dass sie nicht zuständig für das Leben ihrer Mutter ist. Ich glaube, es ist wichtig, die Erlaubnis in die Welt zu tragen, sich von den Bedürfnissen der Eltern loszulösen. Trotzdem lag es mir am Herzen, es liebevoll zu gestalten. Karla trennt sich liebevoll in diesem Aspekt von ihrer Mutter – und öffnet so eine Tür für eine neue Beziehung.

Das ist nur ein Beispiel der vielen schwierigen Themen, die Sie in der Komödie aufgreifen und bei denen es Ihnen gelungen ist, sie dennoch mit Humor und Leichtigkeit zu erzählen. Wie funktioniert das: im selben Film zu lachen und zu weinen?

Das funktioniert wunderbar. Genau das wünsche ich mir von einer Komödie – als Kinogängerin wie auch als Filmschaffende. Ich liebe diese Mischung und finde es wichtig, auch politische Inhalte in Komödien zu behandeln. Oder Dinge, die wehtun. Die Balance zwischen leichten und schweren Momenten zu finden, das ist genau das, was mich als Filmemacherin interessiert.

Haben Sie einen Lieblingsfilm von Ernst Lubitsch?

„Rendezvous nach Ladenschluss“ mag ich sehr. Ich liebe Liebesfilme. Der Anfang erinnert mich sogar ein bisschen an „SMS für Dich“, dabei habe ich den Film erst im Anschluss gesehen.

Ist es nicht schwierig, Regie zu führen und gleichzeitig die Hauptrolle zu spielen?

Das sind zwei sehr konträre Aufgaben, die sich gegenseitig fast ausschließen. Als Regisseurin ist meine Aufgabe, immer ansprechbar zu sein und die Übersicht über die ganze Geschichte zu behalten. Als Schauspielerin hingegen muss ich alle Menschen am Set ausblenden und mit Haut und Haar in die Situation versinken. Diesen Spagat zu halten, ist sehr herausfordernd.

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Markus Wächter / Berliner Zeitung
Zur Person
Karoline Herfurth wurde 1984 in Ost-Berlin geboren. Als Kind war sie Mitglied des Kinderzirkus Cabuwazi. Hans-Christian Schmid entdeckte sie 2000 für seinen Film „Crazy“ fürs Kino,  international bekannt wurde sie 2006 als Mirabellenmädchen in Tom Tykwers „Das Parfüm“. Große Erfolge waren ihre Rolle als Frau Schnabelstedt in „Fack ju Göhte“ und „Fack ju Göhte 2“ und als Tanja Doretti in den „Rico und Oscar“-Verfilmungen. Seit 2015 führt sie auch Regie. Für  „Wunderschön“ und „Einfach mal was Schönes“ (beide 2022) wird Karoline Herfurth an diesem Mittwoch mit dem Ernst-Lubitsch-Preis ausgezeichnet. Beide Filme inszenierte sie und spielte jeweils auch die Hauptrolle. Sie lebt in Berlin.

Was machen Sie lieber: Regie führen oder schauspielern?

Ich finde es total toll, den Luxus zu haben, mich nicht entscheiden zu müssen. Dieses Privileg werde ich auch nicht aufgeben. (lacht)

Bei der namensgebenden Stelle im Film sagt Karlas Schwester, sie wolle „einfach mal was Schönes“ machen. Was kommt Ihnen in den Kopf, wenn Sie an „einfach mal was Schönes“ denken?

Einfach mal mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren und dabei Podcasts hören, mit Freunden wegfahren und ein Lagerfeuer machen. Oder Spieleabende mit meinen Brüdern. Feiern ist auch was Schönes, aber genauso liebe ich es, sonntags im Bett zu liegen. Es gibt viele wunderschöne Dinge. Was man nie vergessen sollte: Die Verbindungen zu anderen sind das, was uns wirklich glücklich macht im Leben. Dort hinzugucken und in einer Gemeinschaft zu denken, ist das Allerwichtigste. Wir haben uns angewöhnt, sehr individualistisch zu leben und zu handeln. Eine Figur, die ich mal gespielt habe, sagte den tollen Spruch: „I am when we are.“ Das finde ich so treffend – ein gutes Lebensmotto, im Kleinen wie im Großen. Uns geht es nur dann gut, wenn es allen um uns herum gut geht. Das ist das, worauf wir als Gemeinschaft hinarbeiten müssen.