Prominent zu sein hat Vor- und Nachteile. Am 31. Januar 1943 war Friedrich Paulus als bis dahin ranghöchster deutscher Offizier in sowjetische Kriegsgefangenschaft gegangen. Das sicherte ihm persönlich Aufmerksamkeit, viele Gespräche, eine bevorzugte Behandlung – aber auch, in der Heimat, Hass und Verachtung.
Einen Tag zuvor, zufällig genau am zehnten Jahrestag seiner Machtübernahme, hatte Adolf Hitler den General per Funkspruch ins heftig umkämpfte Stadtzentrum von Stalingrad in den höchsten Rang erhoben, den die Wehrmacht zur Verfügung hatte: „Der Führer hat Generaloberst Paulus, den Oberbefehlshaber der ruhmreichen 6. Armee, den heldenhaften Verteidiger von Stalingrad, zum Generalfeldmarschall befördert“, meldete das Deutsche Nachrichtenbüro, die offizielle Agentur des Dritten Reiches.
Verbunden damit war eine nicht ausgesprochene, aber unmissverständliche Erwartung: Paulus sollte Selbstmord begehen, sobald seine Lage unhaltbar wurde. Er sollte sein Leben opfern und zum Märtyrer des Dritten Reiches werden. Doch genau das verweigerte er. Es war der einzige Befehl seines „Führers“, den Paulus nicht befolgte.
In den ersten zwei Februarwochen diktierte Propagandaminister Joseph Goebbels seinem Sekretär keinen Namen öfter als „Paulus“. Vom 1. bis zum 6. Februar kam der Oberbefehlshaber der 6. Arme in Stalingrad in jeder Eintragung der teils dienstlichen, teils privaten tagebuchartigen Aufzeichnungen vor, erneut am 10. und 11., am 14. und 15. sowie am 17. Februar 1943.
„Aus Moskau kommt die deprimierende Nachricht“
Goebbels schwankte, was er glauben sollte: Hatte die Rote Armee Paulus nun gefangen genommen, oder handelte es sich bei entsprechenden Mitteilungen der sowjetischen Propaganda um Desinformation? Am 2. Februar ließ er festhalten: „Aus Moskau kommt die deprimierende Nachricht, dass Paulus und 14 seiner Generäle in bolschewistische Gefangenschaft geraten seien. Diese Nachricht ist alles andere als beglückend. Man kann sich vorstellen, welche psychologischen Folgen sie haben wird, wenn sie den Tatsachen entspricht.“
Einen Tag später machte sich Hitlers Chefpropagandist selbst Mut: „Die Behandlung der angeblichen Gefangennahme von Generalfeldmarschall Paulus tritt im sowjetischen Nachrichtendienst ziemlich zurück. Wir werden also völlig im Unklaren gelassen, ob sie den Tatsachen entspricht.“ Am 5. Februar 1943 diktierte er: „Es ist immer noch die Frage, ob Generalfeldmarschall Paulus noch lebt oder ob er freiwillig in den Tod gegangen ist.“
Erst abermals 24 Stunden später akzeptierte Goebbels: „Es scheint festzustehen, dass Paulus tatsächlich in bolschewistischer Gefangenschaft ist. Die Moskauer Zeitungen bringen, wie über London berichtet wird, große Fotos, auf denen zu sehen ist, wie er sich mit zwei russischen Marschällen unterhält.“ Das traf zu.
Beunruhigen mussten die NS-Führung die Gerüchte, die kursierten. Offensichtlich, so merkte der Inlandsnachrichtendienst der SS, der SD, kritisch an, würden „Argumente der Feindsender im größeren Umfange weitergetragen“. Allerdings gab es auch Gegengerüchte, die möglicherweise von hilflosen Nationalsozialisten in Umlauf gebracht wurden, die aber auch nicht besser waren: „Vereinzelt wird die Behauptung aufgestellt, dass Generalfeldmarschall Paulus und andere führende Offiziere vor der Aufgabe des letzten Widerstandes aus Stalingrad herausgeholt worden seien.“
Am 9. März 1943 schließlich, mehr als fünf Wochen nach der Kapitulation des Südkessels von Stalingrad, diktierte Goebbels seinem Sekretär: „Sehr empört ist der Führer über das Verhalten von Generalfeldmarschall Paulus. Er glaubt genauso wie ich, dass Paulus sich so verhalten hat, wie die feindlichen Berichterstatter schildern. Er will ihn nach dem Kriege mit seiner Generalität vor ein Kriegsgericht stellen, da er einem ausdrücklichen Befehl, bis zur letzten Patrone Widerstand zu leisten, zuwidergehandelt hat.“
Zu dieser Zeit hat Paulus ganz andere Sorgen. Obwohl er, seine Generäle, ihre Entourage in höchst privilegierten Quartieren untergebracht waren, während die in Gefangenschaft geratenen Soldaten und Truppenoffiziere der 6. Armee in völlig unzureichenden Durchgangslagern wie die Fliegen starben, hatte er Wünsche. Schon am 15. Februar 1943 schrieb der ranghöchste Gefangene der UdSSR Briefe an den deutschen Botschafter in Ankara, den früheren Vizekanzler Franz von Papen, und den dortigen Militärattaché, in denen er um Verpflegung und Kleidungsstücke bat.
Später richtete er ein ähnliches Schreiben an den deutschen Militärattaché in Tokio, General Alfred Kretschmer. Darin bat er unter anderem um einen Pullover, Strümpfe, Socken, ein Paar Hosenträger, aber auch Hautcreme, Schokolade und Kekse, Kaffee, Zigaretten und Zigarren. Von den Nahrungsmitteln wünschte er sich „jeden Monat eine Sendung“. Zur Bezahlung schlug er vor, auf einen Fonds der Botschaft zurückzugreifen, bis eine „spätere Verrechnung“ möglich wäre.
Sehr erstaunlich ist eine weitere Bitte, die Paulus äußerte: Er ersuchte um die Übersendung von neuen Schulterstücken für seine Uniform. Immerhin war er am 30. Januar 1943 rechtsgültig zum Generalfeldmarschall ernannt worden, verfügte aber lediglich seit seiner Ernennung zum Generaloberst zwei Monate zuvor über die Schulterstücke mit drei Generalssternen. Feldmarschälle durften sich jedoch bis zur formellen Übergabe ihres Marschallstabes durch Hitler je vier Generalssterne auf den Schulterstücken befestigen; danach trugen sie spezielle gekreuzte Stäbe auf den Epauletten.
Friedrich Paulus – Oberbefehlshaber der 6. Armee
Persönlich übergeben hat Adolf Hitler einen Marschallstab natürlich nie an Friedrich Paulus; sie sind einander nicht mehr begegnet. Ebenfalls ist nicht bekannt, dass jemals ein Marschallstab für Paulus angefertigt worden wäre. Im Gegenteil verkündete Hitler nach Bekanntwerden von Paulus’ Gang in die Gefangenschaft, keinen General des Heeres mehr in diesen höchsten Rang befördern zu wollen. Auch das hielt er aber nicht ein: Zum 1. März 1944 ernannte er Walter Model und noch am 5. April 1945 im Führerbunker in Berlin Ferdinand Schörner zu Generalfeldmarschällen.
Obwohl also bei Hitler keinerlei Verständnis für Paulus bestand, trug er spätestens Ende August 1943 die Epauletten eines Generalfeldmarschalls, wie allerdings meist qualitativ schlechte Fotos zeigen. Jedenfalls ist nicht dokumentiert, dass ihm offiziell aus Deutschland Rangabzeichen zugesandt worden wären. Vermutlich wurden sie einfach in der Sowjetunion nachgemacht. Dafür spricht auch, dass Paulus nicht die ab dem 3. April 1941 gültigen neuen Kragenspiegel eines Feldmarschalls bekam, sondern die zuvor üblichen.
Warum machte sich die Rote Armee diesen Aufwand? Natürlich hatte Stalin ein Interesse daran, mit dem Rang seines bekanntesten Wehrmachtsgefangenen Propaganda zu machen: „Generalfeldmarschall“ las sich auf Flugblättern für deutsche Soldaten einfach besser als „Generaloberst“.
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