Schlüsselwörter

1 Einleitung

In Deutschland, aber auch weit darüber hinaus ist das Kommunikationsmodell von Friedemann Schulz von Thun (2005) weitgehend akzeptiert. Es geht davon aus, dass Kommunikation ein komplexer Prozess ist, bei dem die Inhalte lediglich eine (sicher nicht unwichtige) Komponente darstellen. Zumindest aber wird die inhaltliche Botschaft beeinflusst, möglicherweise gar überlagert von anderen Aspekten: Dabei spielen auch Aspekte der Beziehung eine Rolle – und hierbei kann es sogar noch komplizierter werden, denn auch eine Beziehung ist nicht statisch und wird vor allem auch von den an der Beziehung beteiligten unterschiedlich gesehen. Der Sender einer Botschaft hat eine Vorstellung davon, wie er zum Empfänger steht; aber umgekehrt hat auch der Empfänger eine Vorstellung davon, wie er zum Sender steht. Beides muss nicht deckungsgleich sein und kann zu unterschiedlichen Bewertungen des Sachverhalts auf der Inhaltsebene führen. Ähnlich komplex sind die Aspekte der Selbstoffenbarung und der Appellseite.

Im Folgenden soll vor allem darauf hingewiesen werden, dass hierbei ein Persönlichkeitsaspekt eine wichtige Rolle spielt: die innere Offenheit beziehungsweise Bereitschaft, sich auf Individuen oder Gruppen einzulassen, die andere kulturelle Werte haben und sie vertreten (Asendorpf 2018). Dieser Persönlichkeitsaspekt kann dazu führen, dass eine Kommunikation (natürlich dann auch in Abhängigkeit zu anderen Aspekten, etwa dem Inhalt oder dem Appell) erfolgreich verläuft – oder eben nicht. Der Persönlichkeitsaspekt kann, wie angedeutet, individuell geprägt sein; die Prägung kann aber auch kulturell bedingt sein (Bolten 2015, 2020, Giessen and Rink 2020). Dabei ist davon auszugehen, dass diese Persönlichkeitsprägung in einer (aufgrund der zunehmenden Urbanisierung, aber auch aufgrund der zunehmend differenzierten Herkunft der Mitglieder unserer Gesellschaft: der Migrationsströme, der Internationalisierung beziehungsweise Globalisierung) zunehmend bedeutsam wird.

Wichtig ist also, was die Kommunikationspartner überhaupt verstehen beziehungsweise akzeptieren können. Dies hängt unter anderem von ihren Werten und ihrem Weltverständnis ab.

In einer europäischen Öffentlichkeit spielt dieser Aspekt eine nochmals größere Rolle, da bereits aus historischen und kulturellen Gründen die Werte sehr unterschiedlich sein können. Offenheit gegenüber Diversität ist mithin ein wichtiges Thema im Bereich der Wirtschaftskommunikation, insbesondere im transnationalen (europäischen) Kontext – zumindest dann, wenn persönliche und wirtschaftliche Kontakte angesichts der politischen Rahmenbedingungen üblich und gar gewollt sind.

Dieses Thema spielt eine entscheidende Rolle in einem EU-Projekt (REACT, Projektnummer 621522-EPP-1-2020-1-IT-EPPKA3-IPI-SOC-IN), aus dessen Kontext der folgende Bericht stammt. Grundsätzlich ist eine Forschungsfrage des Projekts, zu erkunden, wie die Akzeptanz von Unterschieden jeglicher Art, und dabei insbesondere die Integration von Minderheiten, in der europäischen Bevölkerung gesehen wird. Dabei spielt insbesondere die jüngere Generation eine wichtige Rolle.

Dies ist natürlich ein virulentes Thema auch im Rahmen der Wirtschaftskommunikation, die vor der Herausforderung steht, dass Unternehmen zunehmend nicht nur national, sondern auf unterschiedlichen Märkten agieren, nicht nur, aber insbesondere im europäischen Kontext. Auch wenn die Wirtschaftskommunikation mithin nicht im Fokus des Projekts steht, sind die Ergebnisse in diesem Kontext von großer Relevanz.

Im Rahmen des Projekts wurden unterschiedliche Zielgruppen befragt. In diesem Beitrag sollen die Einstellungen junger Europäer dargestellt werden. Dies hat einen inhaltlichen und einen pragmatischen Grund. Inhaltlich erscheint es besonders interessant, zu untersuchen, welche Einstellungen bei einer Zielgruppe vorherrschen, die von aktuellen Tendenzen des Zeitgeists geprägt sind und deren Einstellungen und Werte daher vermutlich auch die zumindest nähere Zukunft dominieren (der vage, aber nicht unberechtigte Begriff des Zeitgeists sei an dieser Stelle benutzt, da die Erläuterung und Operationalisierung erst unten erfolgt; zum Begriff vergleiche Hiery 2001).

Der pragmatische Grund liegt darin, dass die Auswertung der Befragung zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Beitrags noch nicht abgeschlossen, bezüglich des jugendlichen Zielpublikums aber besonders weit fortgeschritten ist, sodass die Darstellung auch ergiebiger ist als bezüglich von Probanden aus anderen Altersgruppen.

Es fehlt allerdings noch die komparatistische Analyse bezüglich der Herkunftsländer und einer Differenzierung entsprechend der Herkunftskultur, zu der lediglich vorläufige Ergebnisse vorliegen. Diese deuten bisher aber auf eine überraschend deutlich Angleichung der Einstellungen zumindest bezüglich des Themas der Diversität, trotz der unterschiedlichen Herkunftsländer und der Vermutung, dass die jeweilige Herkunftskultur die Werteinstellungen unterschiedlich prägt. Offenbar ist Europa bezüglich seiner Sprachen und kultureller Prägungen sehr divergent, stellt aber gleichzeitig einen mehr oder weniger konsistenten Werteraum dar (vergleiche auch Giessen 2022). Bezüglich unserer Befragung kann dies hier (bisher) allerdings lediglich als Tendenz beschrieben werden, da die diesbezüglich Komplettauswertung noch fehlt. – Auch die Hypothese, dass der Unterschied zwischen urbanen und eher ländlichen Regionen heutzutage möglicherweise größer sein kann als zwischen europäischen Nationalkulturen kann daher derzeit noch nicht bestätigt (oder auch falsifiziert) werden.

2 Sozialdaten der Befragten

Der Fragebogen wurde in den fünf Ländern ausgefüllt, aus dem die Partner des genannten Projekts stammen: Bulgarien, Deutschland, Griechenland, Italien und Spanien; die Regionen sind teilweise urban (Bulgarien: die Hauptstadt Sofia; Deutschland: Saarbrücken; Italien: Palermo; Spanien: Saragossa), teilweise aber auch eher ländlich geprägt (zweiter italienischen Projektpartner: eine umbrische Kleinstadt; Griechenland: Ionische Inseln).

Tab. 1 fasst die Herkunft der Probanden (also: die Befragungsorte) zusammen:

Tab. 1 Verteilung nach Befragungsort

Die Befragung erfolgte jeweils vor Ort in unterschiedlichen Schulen, wobei soweit möglich Gesamt- oder Gemeinschaftsschulen angesprochen wurden, um einen möglichst allgemeinen Überblick durch die übergreifende Verteilung der Jugendlichen nach Sozial- und Bildungsniveau zu erreichen. Dies wurde weitgehend berücksichtigt; lediglich in Griechenland, Norditalien, Spanien wurden auch Probanden aus Privatschulen befragt, sodass es dort eine Verzerrung geben kann, da an diesen Schulen vermutlich in höherem Ausmaß Jugendliche aus einem vermögenderen und deshalb bezüglich des Sozial- und eventuell auch des Bildungsniveaus höheren Elternhaus stammen. In Norditalien stammen alle Befragten aus einem Liceo Scientifico, da dies eine zentrale Schule vor Ort war – ein Sachverhalt, der doch wiederum für eine gewisse Ausgewogenheit des Samples oder zumindest nur für eine leichte Verzerrung spricht. Sieben Interviewpartner des griechischen Samples (von 71) stammen von einer entsprechenden Schule. Im spanischen Sample gibt es Schüler aus Schulen unter kirchlicher Trägerschaft, wobei hier noch nicht geklärt ist, wie sich dies auf die Sozialdaten auswirkt.

Die Verteilung der Befragten nach Nationalität deckt sich in etwa mit der Verteilung der Länder, in denen die Fragebögen ausgeteilt wurden. Wie aus Tab. 2 hervorgeht, gibt es jedoch einige Nationalitäten, die nicht zu den Ländern zurückverfolgt werden können, in denen die Datenerhebung stattfand. Dies ist ein Zeichen für die Anwesenheit ausländischer Schüler an den an der Untersuchung beteiligten Schulen. Auch dies ist übergreifend der Fall, wobei die Herkunft oder Jugendlichen mit jeweils einer Nationalität, die nicht der Nationalität am Befragungsort entspricht, durchaus unterschiedlich ist. Die größte Varianz gibt es in Deutschland mit Befragten aus weiteren Ländern wie Afghanistan, Bangladesh, Frankreich, Italien, Griechenland, Lettland, Polen, Spanien, Syrien und der Ukraine. Auffällig erscheint hier, dass es offenbar keine Befragten mit türkischer Nationalität gibt; es wird vermutet, dass die befragten Schüler mit türkischem Migrationshintergrund alle aus der mindestens dritten Generation stammen, sodass sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Dies deutet darauf hin, dass die Anzahl Befragten mit Migrationshintergrund noch deutlich höher liegt, als die Abfrage nach der Nationalität vermuten lassen würde. Die geringste Varianz gibt es im ländlichen Umbrien. Aber auch im ländlichen Griechenland gibt es zahlreiche nichtgriechische Probanden, wobei dort auffällt, dass ein gewisser Klumpen eine eigene Nationalität aufweist (Albanisch, teilweise auch mit doppelter Staatsbürgerschaft). Insgesamt hat ein knappes Fünftel der Probanden eine andere Nationalität als diejenige des Landes, in dem die Befragung stattfand; dazu kommen, wie angedeutet, sicherlich noch zahlreiche eingebürgerte Probanden mit Migrationshintergrund. Dies wird auch durch die Nennungen doppelter Staatsbürgerschaften angedeutet, wobei hier angemerkt werden muss, dass die Nennung von zwei (oder mehr) Staatsbürgerschaften im Fragebogen keine eigene Kategorie dargestellt hat.

Tab. 2 Verteilung nach Nationalität

Tab. 2 fasst die Herkunftsnationalitäten der Probanden gemäß der Angaben im Fragebogen zusammen:

Die Altersverteilung reichte von 10 bis 19 Jahren, mit einem Mittelwert von 14,7 Jahren, einem Medianwert von 5,0 Jahren und einer Standardabweichung von 1,78. Die Geschlechterverteilung ist insgesamt nicht ganz ausgewogen mit einer relativen Mehrheit der weiblichen Befragten (51,1 % vs. 47,8 %; bei vier Jugendlichen fehlen die Angaben – es wurden aber auch keine „anderen Angaben“ spezifiziert, obwohl auch dies eine Option im Fragebogen war).

Alle befragten Jugendlichen leben mithin in einer von Diversität geprägten Umwelt, wenngleich in unterschiedlicher Intensität – in Saarbrücken stärker als im ländlichen Umbrien. Die Frage war nun, wie sich die kulturelle Vielfalt auf das Leben junger Menschen und Erwachsener auswirkt und was die Einstellungen dazu sind.

3 Forschungsdesign

3.1 Datenerhebung: Operationalisierung und Vorgehen

Im Kontext des Projekts wurde ein Forschungsdesign entwickelt, um diese Fragen zu beantworten. Zunächst soll dieses Forschungsdesign dargestellt werden. Anschließend werden die Ergebnisse entsprechend der bisher erfolgten Auswertung dargestellt. Der Beitrag schließt mit einer kurzen Diskussion der Ergebnisse.

Die Forschungsfrage sollte quantitativ untersucht werden. Dazu wurde ein Fragebogen entwickelt. Die Hauptthemen wurden mithilfe eines Concept-Mapping-Verfahrens (Novak 1998; Jackson/Trochim 2002) operationalisiert. Felice Addeo charakterisiert das Concept-Mapping als eine Art allgemeiner Skizze, mit der die Darstellung von Beziehungen zwischen unterschiedlichen Aspekten eines Themas ermöglicht werden soll (Addeo 2011: 9). Es handelt sich mithin um Soft Data, die aber durch die Konzeptionalisierung gut messbar sind. Ein solches Verfahren wird vor allem bei der Analyse informeller Prozesse eingesetzt, um ein Bild aller Ideen zu einem Thema oder einer Frage zeichnen zu können und darstellen zu können, wie diese jeweils zusammenhängen (Novak/Gowin 1997; Novak 1998; Jackson & Trochim 2002).

Dabei wurden zwei entsprechend der Literatur als „Konzepte“ bezeichnete Komplexe abgefragt:

  • Szenario: Dieses Konzept ist der Kernpunkt der Untersuchung. Der Fokus liegt bei der Art und Weise, wie kulturelle Vielfalt von den Probanden verstanden und erlebt wird. In Anlehnung an Forschungsvorgehen, die das Geschichtenerzählen zum Kern des Datenerhebungsprozesses gemacht haben, wie z. B. Vignetten (Converse/Presser 1986), wurde eine Operationalisierung entwickelt, die auf sechs verschiedenen Szenarien basiert, welche jeweils Geschichten über kulturelle Vielfalt erzählen; sobald das Szenario im Fragebogen vorgestellt wurde, wurden die Befragten gebeten, den Grad ihrer Zustimmung zu den szenariobezogenen Aussagen anzugeben.

  • „Ich, die anderen, die Welt“: Diese Operationalisierung dient dazu, ein Profil der Probanden zu erstellen, das das Ausmaß der Offenheit für kulturelle Vielfalt, die Empathiefähigkeit und die Fähigkeit zum Konfliktmanagement deutlich machen soll.

Die Konzepte wurden jeweils in Items umgesetzt, die per Fragebögen erhoben werden konnten. Dies ist relativ komplex, da die Konzepte unterschiedlicher Art sind. Jede allgemeine Informationsvariable wurde auf eine jeweils andere Art und Weise operationalisiert. Die Sozialdaten wurden überwiegend quantitativ in Nominalskalen erfasst. So wurde die Altersangabe in einer offenen Nominalskala erfasst. Beim Geschlecht gab es die Alternativen „männlich“, „weiblich“ und „divers“; dies konnte qualitativ ergänzt werden (was aber nicht geschehen ist); zudem gab es bei der Auswertung die vierte Alternative „keine Angabe“. Die Frage nach der Herkunftsnation war als offene qualitative Frage konzipiert. Die Interviewer notierten zudem noch den Schultyp.

3.2 Szenarien

Die Dimension der szenariobasierten Annahmen war besonders komplex und bedurfte mithin einer eindeutigeren operativen Zuweisung. Es wurden sechs Geschichten zu verschiedenen Arten von kulturellen Unterschieden ausgewählt und den Befragten vorgelegt. Für jedes Szenario wurde eine Reihe von Items entwickelt, um mögliche Reaktionen auf die erzählte Geschichte darzustellen. Die operative Definition dieser konzeptionellen Dimension beinhaltet die Verwendung der Erzähltechnik, in diesem Fall basierend auf der Präsentation von sechs Geschichten, die sich um verschiedene Episoden der kulturellen Vielfalt drehen.

Ein Szenario besteht also aus einer Geschichte, gefolgt von einer Reihe von Items, die verschiedene mögliche Reaktionen auf das Erzählte widerspiegeln. Jedes Item wurde so konstruiert, dass es eine emotionale oder rationale Reaktion auf das in der Geschichte Beschriebene darstellt, um die Position des Befragten in Bezug auf den spezifischen Aspekt der kulturellen Vielfalt, auf dem das Szenario basiert, zu verstehen.

Die Befragten wurden gebeten, ihre Zustimmung zu jedem Item auf einer fünfstufigen Likert-Skala von „strongly disagree“ („stimme überhaupt nicht zu“) bis zu „strongly agree“ („stimme voll und ganz zu“) zu bewerten (zudem: „disagree“ – „stimme nicht zu“; „neither / nore“ – „weder – noch“; „agree“ – „stimme zu“).

Tab. 3 zeigt die Operationalisierung der Szenarien mit der Formulierung in der englischsprachigen Originalversion und in der deutschen Übersetzung des Fragebogens:

Tab. 3 Szenarien

Im Rahmen des Projekts gab es verschiedene Diskussionen, die auch auf die kulturellen Unterschiede in den europäischen Ländern Bezug nehmen. So haben fast keine befragten Jugendlichen des deutschen Projektpartners Erfahrungen mit Sinti und Roma; die Gründe liegen ja bedauerlicherweise in der deutschen Geschichte. Die Erfahrungen sind beispielsweise in Bulgarien völlig anders. Ist die Befragung also vergleichbar? Es schien aber auch jungen Schülern in Deutschland klar zu sein, dass „Roma“ hier auch auf ein Konzept verweist, das mit eigenen Erfahrungen gefüllt werden kann. In jedem Fall wurde die Bezeichnung beibehalten.

Eine andere Diskussion betraf die Frage, ob die Antwortvorgaben nicht zu normativ seien. Die Entscheidung über den Fragebogen traf letztlich der Projektkoordinator; es herrschte aber Einigkeit darüber, dass heutzutage in allen Partnerländern der entsprechende Diskurs auf beiden Seiten moralisch so aufgeladen ist, dass die Fragen die Positionen entsprechend der aktuellen Diskussionen adäquat wiedergeben und die Jugendlichen sich einer entsprechenden politischen beziehungsweise weltanschaulichen Position zuordnen können.

3.3 „Ich, die anderen, die Welt“

Die Operationalisierung der Dimension „Ich, die anderen, die Welt“ stützt sich auf eine Skala mit sieben Items, die psychologische Merkmale der Schüler im Zusammenhang mit Emotionen, Offenheit gegenüber kultureller Vielfalt, Empathie, Konflikten und Zuhören betreffen.

Tab. 4 zeigt die Operationalisierung der Dimension „Ich, die anderen, die Welt“ mit der Formulierung in der englischsprachigen Originalversion und in der deutschen Übersetzung des Fragebogens:

Tab. 4 „Ich, die anderen, die Welt“

Auch hier wurde diskutiert, ob die Antwortvorgaben zu normativ seien. Auch in diesem Fall traf der Projektkoordinator die Entscheidung, die Fragen so beizubehalten; auch hier lag der Entscheidung der Eindruck zugrunde, dass in allen Partnerländern der Diskurs mit diesen Aussagen adäquat wiedergegeben wird und sich die Jugendlichen einer entsprechenden politischen beziehungsweise weltanschaulichen Position zuordnen können.

Die Befragten wurden gebeten, auf einer fünfstufigen Likert-Skala, die von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „stimme voll und ganz zu“ reichte, zu bewerten, wie sehr sie mit den einzelnen Items sympathisierten.

3.4 Datenanalyse

Die Jugendlichen wurden durch ein nicht-probabilistisches Verfahren, das sogenannte Convenience Sampling, ausgewählt: Alle Projektpartner erhielten einen Link zur Plattform SurveyMonkey, auf der die Fragebögen gehostet wurden; die Mitglieder jedes Projektpartners in den fünf Ländern beziehungsweise den sechs europäischen Regionen teilten die Links mit ihren Kontaktpersonen in ihren Partnerschulen, die die Fragebögen wiederum unter ihren Schülern verteilten.

Zur Beantwortung der Hauptforschungsfrage wurden verschiedene statistische Verfahren eingesetzt, die es uns ermöglichten, die allgemeinen Tendenzen der gesammelten Antworten zu verstehen und die Daten weiter zu analysieren. Mit dem Softwarepaket SPSS 23 wurden univariate, bivariate und multivariate Analysen durchgeführt. Die wichtigsten Ergebnisse der bisherigen statistischen Auswertung werden im Folgenden dargestellt.

4 Ergebnisse

4.1 Szenarien

4.1.1 Einleitung

Zunächst werden die Ergebnisse der sechs Szenarien dargestellt, mit denen die Orientierungen und Prädispositionen der Schüler gegenüber verschiedenen Situationen und Themen im Zusammenhang mit kultureller Vielfalt ermittelt werden sollten.

Dabei wurden für jede Geschichte alle Items zu einem zusammengesetzten Indikator beziehungsweise Index kombiniert, um die Position der Befragten zu dem spezifischen Aspekt der kulturellen Vielfalt zu quantifizieren, der mit dem Szenario untersucht wurde. Konkret wurden die Indizes konstruiert, um den Grad der Akzeptanz kultureller Vielfalt zu ermitteln: Je höher die Punktzahl, desto größer ist der Respekt für andere Kulturen, die in dem Szenario dargestellt werden. Eine hohe Punktzahl bedeutet, dass der Befragte bei allen Items mit „stimme voll und ganz zu“ oder „stimme zu“ geantwortet hat; umgekehrt bedeutet eine niedrige Punktzahl, dass der Befragte immer mit „stimme überhaupt nicht zu“ oder „stimme nicht zu“ geantwortet hat. Natürlich wurden Items, die eine entgegengesetzte semantische Polarität hatten, gerade umgekehrt bepunktet. Um die Interpretation der Ergebnisse zu vereinfachen und den Lesern die Arbeit zu erleichtern, wurden die Punktzahlen der Indizes in drei Kategorien eingeteilt: niedrig, mittel und hoch.

4.1.2 Der Junge vor dem Supermarkt

Das erste Szenario heißt „Der Junge vor dem Supermarkt“ und schildert eine Geschichte von Armut und Ausgrenzung:

Daniel sieht jeden Tag, wenn er am Supermarkt in der Nähe der Schule vorbeikommt, einen Ausländer, einen kleinen Jungen, der um Almosen bettelt. Jemand, der vorbeigeht, gibt ihm eine Münze, aber die meisten Leute, die vorbeigehen, scheinen ihn zu ignorieren...

Die überwiegende Mehrheit der Befragten zeigte Einfühlungsvermögen und Verständnis für Daniels schlechte Bedingungen (erstes und drittes Item in Tab. 5): Wenn man „stimme voll und ganz zu“ oder „stimme zu“ zusammen betrachtet, erhielten die Items eine Bewertung von über 70 %. Umgekehrt wird der Satz, der eine negative Emotion gegenüber Daniel ausdrückt, von mehr als 77 % der Schüler abgelehnt.

Tab. 5 Szenario „Der Junge vor dem Supermarkt“

Die Analyse der zusammengesetzten Indikatoren, die durch die Kombination der Antworten der Befragten auf die drei Items erstellt wurden, bestätigt die oben genannten Ergebnisse: 83,0 % der Schüler zeigen Sympathie für Daniel (Tab. 6).

Tab. 6 Szenario „Der Junge vor dem Supermarkt“: Index (Prozentangaben)

4.1.3 Das Einwanderungszentrum in der Nachbarschaft

Das zweite Szenario „Das Einwanderungszentrum in der Nachbarschaft“ befasst sich mit einem aktuellen und potenziell spaltenden Thema, der Eröffnung eines Einwanderungszentrums (Tab. 7):

In der Nachbarschaft wurde gerade ein neues Einwandereraufnahmezentrum eingerichtet. Die Bewohner haben unterschiedlich reagiert. Einige sind dagegen, andere nicht...

Tab. 7 Szenario „Das Einwandererzentrum in der Nachbarschaft“

Die Datenanalyse zeigt, dass die Mehrheit der Jugendlichen der Meinung ist, die Einrichtung eines Einwanderungszentrums sei kein Grund zur Sorge, da sie Integration für ein erreichbares und wünschenswertes Ziel betrachten. Das am meisten unterstützte Item (stimme voll zu + stimme zu = 81,9 %) besagt, dass es notwendig ist, die Ansichten der Migranten zu verstehen. Im Gegensatz dazu wird das Item 1, das eine Meinung gegen das Zentrum ausdrückt, von der Mehrheit (56,3 %) der Befragten nicht befürwortet (stimme überhaupt nicht zu + stimme nicht zu).

Der Index zeigt, dass 75,9 % der Befragten die Eröffnung eines Einwanderungszentrums befürworten; sie sind also offen gegenüber Migranten (Tab. 8).

Tab. 8 Szenario „Das Einwandererzentrum in der Nachbarschaft“: Index (Prozentangaben)

Allerdings gibt es einen beträchtlichen Anteil von Befragten (21,0 %), die keine eindeutige Meinung zu diesem Thema haben (d. h. Befragte, welche die Antwort „weder – noch“ wählten oder die gemischte und mithin uneindeutige Antworten gaben).

4.1.4 Macht ein Schleier einen Unterschied?

Religiöse Überzeugungen stehen im Mittelpunkt der dritten auf dem Szenario basierenden Annahmen. Das Szenario „Macht ein Schleier einen Unterschied?“ erzählte den Schülern die folgende Episode:

Ein muslimisches Mädchen ist neu in die Klasse gekommen. Sie trägt einen Schleier. Die Reaktionen ihrer Klassenkameraden waren unterschiedlich. Für einige gibt es keine Probleme, andere sind verärgert und misstrauisch, vor allem, weil dieses Mädchen schlecht Deutsch spricht. Auch bei den Lehrern gab es unterschiedliche Reaktionen, auch wenn sie es nicht ausdrücklich sagten.

Die Datenanalyse der Antworten auf die für dieses Szenario entwickelten Items bezieht sich auf das Thema religiöser Toleranz (Tab. 9):

Tab. 9 Szenario „Macht ein Schleier einen Unterschied?“

Während die befragten Jugendlichen die kulturelle Vielfalt im Hinblick auf religiöse Überzeugungen zu respektieren scheinen, erhielt das dritte Item („Das Tragen eines Schleiers für ein Mädchen ist eine Einschränkung ihrer Freiheit als Frau“) sehr gemischte Antworten. Tatsächlich sind die Meinungen der Jugendlichen hier fast gleichmäßig aufgeteilt in diejenigen, die nicht zustimmen, diejenigen, die keine klare Position haben, und diejenigen, die zustimmen (Tab. 10).

Tab. 10 Szenario „Macht ein Schleier einen Unterschied?“: Index (Prozentangaben)

Der Index spiegelt die angedeuteten Ergebnisse recht gut wider, da die Zustimmung, obwohl insgesamt doch über 50 %, niedriger ist als bei den beiden Indizes, die in den vorherigen Szenarien erstellt wurden: 50,9 % zeigen eine klare Bereitschaft, Vielfalt in Bezug auf religiöse Überzeugungen zu respektieren und zu akzeptieren, während 39,4 % in dieser Hinsicht eher skeptisch sind.

4.1.5 Ein ,anderes‘ Mädchen

Das Szenario „Ein ,anderes‘ Mädchen“ befasst sich mit einem sensiblen Thema: Mobbinghandlungen gegenüber einer Mitschülerin, die eine nicht-normative sexuelle und geschlechtliche Identität zum Ausdruck bringt:

Diana ist ein besonderes Mädchen, ein wenig maskulin, sie kleidet sich nicht wie ihre Mitschülerinnen und trägt kein Make-up; sie scheint kein Interesse an einem Freund zu haben, sondern ist eher an gleichgeschlechtlichen Partnern interessiert. Aus diesem Grund machen sich einige ihrer Mitschüler über sie lustig, und sie haben auch Bilder von ihr mit bösen Kommentaren in den Klassenchat geschickt. ….

Die Analyse ergibt das folgende Antwortverhalten (Tab. 11):

Tab. 11 Szenario „Ein ,anderes‘ Mädchen“

Das Szenario spricht die Frage der kulturellen Vielfalt im Zusammenhang mit der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtsidentität an.

Aus den Antworten geht hervor, dass diesbezüglich ebenfalls eine hohe Akzeptanz bei den befragten Jugendlichen existiert. In der Tat stimmten fast alle Befragten (89,3 %) der Aussage zu, dass es nicht fair sei, sich über jemanden lustig zu machen, nur weil sie eine andere sexuelle Ausrichtung hat. Darüber hinaus werden die zwei kritischen Items (die sich gegen die Freiheit richten, die eigene Identität auszudrücken, und dagegen, dass die Schule ein Diskussionsforum für diese Themen sein soll), von der großen Mehrheit der Befragten abgelehnt (mit 67,1 % beziehungsweise 68,8 %).

Wie im vorhergehenden Szenario gab es jedoch einen Punkt, bei dem sich die Jugendlichen fast gleichmäßig auf Kritiker (34,6 %), Unentschlossene (36,2 %) und Befürworter (29,2 %) aufteilten: bei dem Item „Das sind Dinge, die privat bleiben und nicht öffentlich geteilt werden sollten“. Es ist daher anzunehmen, dass die Entscheidung, die eigene sexuelle Orientierung offenzulegen oder sie im Gegenteil als reine Privatsache zu betrachten, in diesem Fall als eine Angelegenheit betrachtet wird, die über die Akzeptanz der kulturellen Vielfalt hinausgeht. Da die semantische Ausrichtung dieses Items in Bezug auf die Akzeptanz unterschiedlicher sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten nicht mit Sicherheit geklärt werden konnte, wurde es aus den zum Index zusammengefassten Variablen ausgeschlossen (Tab. 12).

Tab. 12 Szenario „Ein ,anderes‘ Mädchen?“: Index (Prozentangaben)

Die Gesamtpunktzahl deutet an, dass 63,0 % der Jugendlichen die Existenz verschiedener Geschlechtsidentitäten und sexueller Orientierungen akzeptieren und positiv bewerten. Nur 6,0 % der Befragten lehnen nicht-normative sexuelle und geschlechtliche Identitäten ab.

4.1.6 Andere Kulturen

Das fünfte Szenario „Andere Kulturen“ fokussiert sich auf Begegnungen mit jungen Menschen, die einer anderen Kultur angehören, in diesem Fall der Roma. Die Geschichte lautet:

Dario ist ein Junge aus einem Roma-Lager. Er schwänzt oft die Schule, auch weil das Lager sehr weit entfernt und schlecht angebunden ist. In einigen Fächern hat er schlechte Noten, auch weil er wahrscheinlich zu Hause keine Hilfe beim Lernen hat. Er hat nur wenig Kontakt zu den anderen Mitschülern; er bevorzugt diejenigen, die − wie er − aus dem Lager kommen.

Die Analyse ergibt das folgende Antwortverhalten (Tab. 13):

Tab. 13 Szenario „Andrer Kulturen“

Die Mehrheit der Jugendlichen hat offenbar kein Problem damit hat, andere Kulturen zu akzeptieren, auch wenn sie als von der eigenen Kultur entfernt wahrgenommen werden. Item 3 (88,6 %) und Item 2 (85,2 %) werden deutlich akzeptiert. Offensichtlich herrscht auch die Überzeugung vor, dass der Roma-Junge mithilfe der Bildungseinrichtungen integriert werden kann. Allerdings will fast ein Drittel der Befragten keine Position zu dieser Frage einnehmen (29,5 %).

Die kumulierten Ergebnisse bestätigen dies: 67,7 % der befragten Jugendlichen befürworten die Integration auch von Mitgliedern als sehr entfernt wahrgenommener Kulturen; immerhin ein Viertel der Befragten (25,4 %) äußert aber eine gewisse Skepsis (Tab. 14).

Tab. 14 Szenario „Andere Kulturen“: Index (Prozentangaben)

4.1.7 Böse Witze

Das letzte Szenario „Böse Witze“ befasst sich mit dem Thema Mobbing in der Schule und beschreibt eine Episode, die im normalen Schulalltag vorkommen kann:

Einige Schüler haben es auf Giulio abgesehen, einen Klassenkameraden, der besonders schüchtern ist, und machen sich über ihn lustig. Wenn das passiert, schauen die anderen Jungs oft zu, ohne einzugreifen, und jemand lacht sogar. Seit ein paar Tagen kommt Giulio nicht mehr zum Unterricht; es heißt, seine Eltern hätten beschlossen, ihn die Schule wechseln zu lassen.

Hier sind die Resultate eindeutig: Die Jugendlichen verurteilen Mobbing in all seinen Formen ganz eindeutig (Tab. 15):

Tab. 15 Szenario „Böse Witze“

Die überwiegende Mehrheit der Befragten ist der Meinung, dass die Schule ein Ort respektvollen Umgangs sein sollte, in dem jeder seine Identität zum Ausdruck bringen kann (91,5 %), und die ein sicheres Umfeld bietet (84,9 %). Demnach lehnte auch die Mehrheit der Befragten die beiden Sätze ab, wonach sich die Schule nicht mit den persönlichen Problemen der Schüler befassen sollte (76,5 %) und wonach die Schule ein Ort sei, an dem schüchterne und sensible Menschen dazu verdammt seien, von anderen gemobbt zu werden (61,0 %) (Tab. 16).

Tab. 16 Szenario „Böse Witze“: Index (Prozentangaben)

Mobbing ist mithin ein Problem, für das die Schüler sehr sensibilisiert sind: Die Ergebnisse der Indexanalyse zeigen, dass 79,7 % der Befragten der Modalität ,hoch‘ zuzuordnen sind. Sie sind mithin deutlich der Meinung, dass die Schule ein integrativer Ort sein sollte.

4.1.8 Überblick über die Bewertung der Szenarien

Das Balkendiagramm fasst die Ergebnisse aller Indizes zusammen, und es zeigt sich, dass die befragten europäischen Jugendlichen mehrheitlich kulturelle Unterschiede zu akzeptieren und zu respektieren scheinen. Dennoch gibt es auffällige Unterschiede im Hinblick auf die Toleranz bezüglich der unterschiedlichen Szenarien (Tab. 17):

Tab. 17 Überblick über die Bewertung der Szenarien

Diversität wird mehrheitlich in allen Fällen befürwortet. Dies bedeutet aber offenbar nicht, dass allen Gründen gleich viel Toleranz entgegengebracht wird. Vielmehr differenzieren die befragten Jugendlichen.

Soziale Ausgrenzung wird am deutlichsten verurteilt. Mehr als drei Viertel der befragten Jugendlichen lehnen im Rahmen eines Szenarios, das als Ursache für Probleme eine (defensive, nicht aggressive) Charaktereigenschaft wie die Schüchternheit hat, Mobbing ab und treten für einen respektvollen Umgang miteinander ein.

Die Werte liegen beim Szenario, in dem es um ein Einwanderungszentrum in der Nachbarschaft geht, immer noch bei über drei Vierteln der Befragten. Hier hat sich bei Rückfragen gezeigt, dass ein Teil der Befragten dieses Szenario eher unter sozialen Gesichtspunkten sieht (und soziale Ausgrenzung wird, wie erwähnt, besonders stark zurückgewiesen); ein Teil der Befragten hat das Szenario aber so interpretiert, dass das Einwanderungszentrum in der Nachbarschaft kulturelle Probleme verursachen könnte. Möglicherweise ist dies der Grund dafür, dass die Werte etwas niedriger liegen als beim eindeutig sozialen Thema des offenbar aus Not bettelnden Jungen. Die große Mehrheit der Befragten ist, wie auch das nächstplatzierte Szenario zeigt (,Andere Kulturen‘ mit einem Befürwortungswert von über zwei Dritteln der Befragten), auch anderen Kulturen gegenüber offen, aber die Werte sind doch niedriger als beim eindeutig sozial konnotierten Szenario. Dies mag den niedrigeren Wert (insbesondere im Vergleich zum Szenario mit dem ,Jungen vor dem Supermarkt‘) erklären. In jedem Fall sind mehr als zwei Drittel der Befragten anderen Kulturen gegenüber offen.

Im Fall unterschiedlicher sexueller Orientierungen sinkt der Toleranzwert ab und liegt bei etwas unter zwei Dritteln der Befragten. Den niedrigsten Wert aller Szenarien finden wir bezüglich der Offenheit gegenüber einer spezifischen kulturellen Ausdrucksform, dem Schleier. Aber auch hier liegt der Toleranzwert bei über fünfzig Prozent.

4.2 Ich, die anderen, die Welt

4.2.1 Einleitung

In einem weiteren Schritt sollten Daten über psychologische Aspekte in Bezug auf das Selbst der Jugendlichen gesammelt werden. Das Selbstkonzept bezieht sich auf das Wissen, das man auf bewusster Ebene über sich selbst hat – in Bezug auf das physische Erscheinungsbild, seine Einstellungen, seine zwischenmenschlichen Beziehungen, die Art und Weise, wie man von anderen gesehen zu werden glaubt, die Art und Weise, wie man die Welt sieht, was man erwartet und die Gefühle, die man zu haben glaubt (Palmonari/Pombeni/Kirchler 1989). Die operationelle Definition dieser Dimension umfasste sieben Items, die sich auf persönliche Eigenschaften wie Emotionen, Grad der Offenheit für kulturelle Vielfalt, Einfühlungsvermögen, Konfliktmanagement und Zuhören konzentrierten.

Die Befragten wurden gebeten, auf einer fünfstufigen Likert-Skala, die von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „stimme voll und ganz zu“ reichte, zu bewerten, wie sehr sie den einzelnen Items zustimmten (Tab. 18).

Tab. 18 Ich, die anderen, die Welt

Fast alle Fragen wurden von siebzig Prozent oder mehr der befragten Jugendlichen unterstützt (die Prozentzahlen beziehen sich auf die Summe der Antworten „stimme voll und ganz zu“ und „stimme zu“). Die Aussage, die das Konzept der Offenheit für kulturelle Vielfalt wahrscheinlich am besten repräsentiert („Ich bin daran interessiert, die Standpunkte und Erfahrungen anderer anzuhören, auch wenn sie sich von meinen unterscheiden“), erhielt den höchsten Prozentsatz an Zustimmung (85,6 %). Auch weitere Aussagen wurden von rund drei Vierteln der befragten Jugendlichen positiv beantwortet: „Ich versuche immer, mich in die Lage der anderen zu versetzen“ mit 77,8 %, sowie „Ich weiß, was meine Freunde fühlen, auch wenn sie es mir nicht sagen“ mit 74,9 %. Die geringste Zustimmung, aber auch hier noch mit über fünfzig Prozent positiven Werten, erhielt (zur Überraschung der Projektleitung) der Punkt, der sich auf Umweltfragen bezog: „Die sozialen und ökologischen Probleme der Welt und die möglichen Lösungen sind Themen, die mich emotional berühren“ (52,4 %).

5 Sekundäranalyse

5.1 Einleitung

Der letzte Schritt der Datenanalyse bestand in der Durchführung einer explorativen Faktorenanalyse (EFA), um die in den erhobenen Daten enthaltenen Informationen zu synthetisieren. Die EFA ist insbesondere nützlich, um einen oder mehrere latente Faktoren zu ermitteln, die einer Reihe von gemessenen Variablen zugrunde liegen, um anschließend alle diese Informationen mit einer geringeren Anzahl von Variablen (nämlich Indizes) darzustellen.

5.2 Szenarien

Die EFA wurde zunächst bezüglich der sechs Szenarien durchgeführt. In der Statistik misst die erklärte Varianz den Anteil, zu dem ein mathematisches Modell die Variation (Streuung) eines bestimmten Datensatzes erklärt. Hier zeigen die EFA-Ergebnisse, dass der extrahierte Faktor die gesammelten Daten mit 49,6 % erklärter Varianz am besten darstellt. Außerdem wurden alle statistischen Tests erfüllt (KMO, Bartlett-Test und Cronbachs Alpha), was bestätigt, dass alle Bedingungen für die Durchführung einer EFA erfüllt waren. In Anbetracht der Tatsache, dass alle Indizes gute Faktorladungen aufweisen, wurden sie nach demselben Verfahren kombiniert. Auf diese Weise wurde ein Index erstellt, der sich auf die „Offenheit für kulturelle Vielfalt“ der Jugendlichen bezieht (Tab. 19).

Tab. 19 Ergebnisse der Faktorenanalyse (erklärbare Varianz: 49,6 %; Kaiser–Meyer–Olkin-Test: 0,824; Bartlett-Test, p < 0,000; Cronbach’s Alpha: =  0,789.)

Um die Interpretation zu erleichtern, wurden die Werte auch hier in eine Skala von 0 bis 100 umgerechnet. Der Mittelwert liegt dann bei 63,4; der Median bei 64,6; die Standardabweichung beträgt 19,1.

Die Ergebnisse deuten, wie erwartet, auf ein gutes Maß an „Offenheit für kulturelle Vielfalt“ hin. Allerdings deutet die Standardabweichung von etwa 19 auf eine gewisse Heterogenität in der Stichprobe hin: Während die Mehrzahl der Jugendlichen offen gegenüber kultureller Vielfalt sind, fällt es einer nicht ganz vernachlässigbaren Minderheit schwerer, dies zu akzeptieren.

5.3 „Ich, die anderen, die Welt“

Die Ergebnisse der EFA, die auf die Items der Befragung „Ich, die anderen, die Welt“ angewendet wurde, führte zu folgenden Ergebnissen (Tab. 20):

Tab. 20 Ergebnisse der Faktorenanalyse (erklärbare Varianz: 49,6 %; Kaiser–Meyer–Olkin-Test: 0,819; Bartlett-Test, p < 0,000; Cronbach’s Alpha: =  0,760.)

Der Wert von 49,6 % erklärter Varianz deutet an, dass die EFA-Ergebnisse mit der Extraktion eines Faktors die gesammelten Daten am besten repräsentiert. Der KMO-Test liegt über 0,8, und der Bartlett-Signifikanztest ist kleiner als 0,05. Mithin waren alle Bedingungen für die Durchführung einer EFA erfüllt. Darüber hinaus bestätigt Cronbachs Alpha von über 0,750 die hohe Zuverlässigkeit des Instruments.

Alle Themen haben eine hohe Faktorladung; es ist mithin davon auszugehen, dass sie alle in einem inneren Zusammenhang stehen und daher zur Bewertung des Faktors beitragen. Aus rein inhaltlicher Sicht bedeutet dies, dass alle Themen einen konzeptionellen Zusammenhang darstellen, der mit „Offenheit gegenüber anderen“ umschrieben werden kann.

Auch hier wurde ein Wert „Offenheit gegenüber anderen“ erstellt. Schließlich wurden die Indexwerte in einen Bereich von 0 bis 100 transformiert, um ihre Interpretation zu vereinfachen. Dabei erhalten wir folgende Werte: Mittelwert: 68,3; Median: 68,5; die Standardabweichung beträgt 17,7. Der Mittelwert ist recht hoch (68,3); unsere Befragten zeichnen sich also durch ein hohes Maß an Offenheit gegenüber anderen aus. Der Wert der Standardabweichung (17,7) deutet jedoch auf eine beträchtliche Varianz zwischen den jeweiligen Werten hin; dies bedeutet, dass zwar die große Mehrheit der Jugendlichen eine große Offenheit gegenüber anderen haben, dass es aber eben auch eine nicht unbeträchtliche Menge von Befragten gibt, bei denen dies nicht der Fall ist, und die nicht untergehen sollten und stets mitberücksichtigt werden müssen.

6 Diskussion

Wir können feststellen, dass die an der Befragung teilnehmenden Jugendlichen in fünf europäischen Ländern beziehungsweise sechs Regionen grundsätzlich eine große Offenheit gegenüber anderen und ihren kulturellen Gepflogenheiten und Werten aufweisen, wenngleich es durchaus Unterschiede gibt. So wurde beispielsweise der Schleier und teilweise auch unübliche sexuelle Orientierungen weit weniger akzeptiert als andere Aspekte sozialer und kultureller Diversität. Große Offenheit besteht aber bezüglich der Einschätzung des Verhalten zu und mit Geflüchteten und Migranten.

Die Standardabweichung deutet aber auch ein unterschiedliches Antwortverhalten einer zumindest nicht ganz vernachlässigbaren Gruppe an. Eine weitere Analyse der einzelnen Rückläufe der Projektpartner wäre notwendig, um zu eruieren, ob sich dieses differierende Antwortverhalten durch alle Stichproben durchzieht oder ob es Unterschiede gibt, die sich dann auf die unterschiedlichen Länder beziehen können oder eher die Frage, ob die Stichprobe in einem urbanen oder in einem ländlichen Umfeld erhoben wurde. Diese Folgeanalysen sind noch zu leisten. Zudem gibt es möglicherweise noch ein tertium comparationis, und es scheinen noch andere Aspekte eine Rolle zu spielen, die möglicherweise in historischen (und weniger in nationalen) kulturellen Traditionen liegen kann. In jedem Fall scheint es so zu sein, dass sich die Jugendlichen aus Deutschland, Spanien und dem ländlichen Norditalien durch ein tendenziell eher einheitliches Antwortverhalten auszeichnen, während es einen zweiten Block mit Jugendlichen aus dem urbanen Süditalien, den ländlich geprägten ionischen Inseln und Bulgarien gibt (Giessen 2022). Hier müssen weitere Untersuchungen Klarheit schaffen.

Allerdings ist auch deutlich, dass die Unterschiede auch zwischen diesen beiden ,Blöcken‘ nicht gravierend zu sein scheinen. Insofern kann bezüglich der befragten Jugendlichen in den fünf europäischen Ländern beziehungsweise sechs Regionen von einem gemeinsamen ,Werteraum‘ ausgegangen werden. Diversität ist ein (heute und bei den befragten Jugendlichen) überall in Europa akzeptiertes Thema und ein Wert, der mehrheitlich akzeptiert ist.

7 Dank

Die Daten dieser Studie stammen aus dem Kontext eines Erasmus Projekt der EU-Kommission (Re-ACT, Projektnummer 621522-EPP-1-2020-1-IT-EPPKA3-IPI-SOC-IN). Ich danke dem Projektgeber und den Projektpartnern, insbesondere I. Ippolito vom italienischen Projektpartner für die Unterstützung, Daten und Informationen, ohne die dieser Beitrag nicht möglich gewesen wäre.