Geheime Staatsaffären | Kritik | Film | critic.de

Geheime Staatsaffären – Kritik

Jeanne wird als Richterin geachtet und gefürchtet. Sie steht vor der Aufgabe eine geheime Staatsaffäre aufzudecken, die bis in die höchste Regierungsebene reicht. Claude Chabrol zeigt wie der Tanz um die Macht selbst blütenreine Ideale korrumpiert.

Geheime Staatsaffären

Monsieur Humeau, der Chef eines großen Unternehmens, wirkt fahrig und nervös. Er kratzt sich ununterbrochen, benutzt sogar sein Handy um den Juckreiz zu stillen, während er an alle Umstehenden hektische Anweisungen verteilt. Wenige Minuten später wird er verhaftet. Was anfangs eher nebensächlich erscheint, zieht sich durch den ganzen Film: die Allergie Humeaus stellt seine Achillesferse dar, eine Schwäche die Jeanne, die Heldin des Films, gnadenlos ausnutzt. Sie ist eine Zynikerin und – wie die Frauenfiguren bei Chabrol so oft – eine äußerst zweifelhafte Person.

Seit den 50er Jahren versucht Chabrol die Bourgeoisie zu entlarven; daran hat sich bis heute nichts geändert und so wundert es nicht, dass auch sein neuer Film Geheime Staatsaffären (L’ivresse du pouvoir) – inspiriert von der Affäre um Elf Aquitaine – an dieses Sujet anknüpft. Vordergründig geht es um die wirtschaftliche und politische Elite des Landes, die im Sumpf der Korruption versinkt. Der eigentliche Fokus liegt jedoch auf der alles andere als charmanten Jeanne Charmant Killman (Isabelle Huppert). Sie ist eine Frau, die sich ihre Reputation und ihren Status hart erkämpfen musste und es genießt, das wohlhabende männliche Bürgertum zu Fall zu bringen, allen voran Humeau (François Berleand). Wie bei seinem Film Die Blume des Bösen (La fleur du mal, 2003) prangert Chabrol in Geheime Staatsaffären die moralische Verschiebung an: Die in Erscheinung tretenden Figuren verlieren das Bewusstsein für die eigenen Verfehlungen. Daher dreht sich die Handlung denn auch weniger um die Affäre an sich, als um die im Strudel der Macht verhafteten Menschen, um Verführung und korrumpierte Ideale.

Geheime Staatsaffären

Oft wurde Chabrol als Frauenregisseur bezeichnet, denn wie bei Hitchcock haben weibliche Heldinnen auch bei ihm eine große Tradition. Seine Musen sind unter anderen Stéphane Audran, Sandrine Bonnaire und Isabelle Huppert. Letztere steht für Geheime Staatsaffären zum siebten Mal unter seiner Regie vor der Kamera. Chabrol wirft seine Frauenfiguren in eine feindliche Umgebung, von der sie sich abzusetzen versuchen, die sie jedoch auch bestimmt. Seine Heldinnen sind dabei nicht über jeden Zweifel erhaben - auch Jeanne nicht. Ob ihrer Ambivalenz fällt es schwer sich mit ihr zu identifizieren. Sie ist als Person zuwider; ihr verzweifelter Versuch sich durchzusetzen und ihr unvermeidbares Scheitern bringen sie dem Zuschauer jedoch auch näher. Der Kampf gegen die Korruption wird schließlich zum Versuch die eigene Position zu wahren, und so bangt man trotz aller Abneigung über weite Strecken des Films mit Jeanne mit; allerdings auch mit ihrem Opfer Humeau. Denn beide haben eines gemeinsam: Sie sind bloße Marionetten in den Händen anderer.

In Geheime Staatsaffären treten wenige Handlungsorte in Erscheinung. Die wesentlichen Szenen spielen im Büro der Richterin und deren Wohnung, die zwei gegensätzliche Pole bilden: das Öffentliche und das Private. Die beiden zu Beginn noch völlig voneinander getrennten Sphären durchdringen sich bald. Jeannes Neffe Félix (Thomas Chabrol) hat dabei die Funktion eines Mittlers, der die Richterin in langen Diskussionen dazu bringt, Stellung zu beziehen. Er ist der Resonanzkasten, der ihr hilft die Gedanken zu ordnen.

Geheime Staatsaffären

Gespräche und Worte haben auch in den übrigen Szenen des Films eine große Bedeutung. Allerdings sind weniger die fallenden Bemerkungen von Belang, als der Effekt der Worte. Sie dienen dem einen Zweck: Raum zu schaffen, die Schwächen des anderen aufzudecken. Unterhaltungen mutieren zu Rededuellen, die erst enden, wenn das Gegenüber nicht mehr kontern kann. Darin mag der zäh anmutende Beginn des Films begründet sein. Es fallen viele Worte, die im ersten Moment belanglos wirken, jedoch verschlüsselt sind und es dauert, bis man das Beziehungsgeflecht der Figuren durchblickt und das Spiel hinter dem Gesagten erfasst. Das wechselnde Identifikationsangebot bewirkt zusätzlich eine Orientierungslosigkeit, die erst nach und nach weicht. Spannend ist dagegen das Verhältnis Jeannes zu den Angeklagten. Sie lässt sich von der Macht mitreißen, die sie während der Verhöre inne hat und genießt es zu demütigen. Schonungslos fängt die Kamera menschliche Affekte ein. Sie weilt unerträglich lange auf den Gesichtern der Angeklagten, die sich mühsam aus der Bredouille zu winden versuchen. Durch parallel montierte Großaufnahmen der Richterin und ihrer ‚Opfer’ tritt die Demütigung der in den Skandal verwickelten Männer in den Vordergrund. Die rituellen Verhöre sind unangenehm und dennoch faszinieren sie; der Zuschauer wird unfreiwilliger Zeuge äußerst intimer Szenen. Dieser Dynamik ist es zu verdanken, dass Geheime Staatsaffären letzten Endes doch noch einen bleibenden Eindruck hinterlässt.

Trailer zu „Geheime Staatsaffären“


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