Fatih Akin: „Mir ist noch nie so viel Rassismus entgegengekommen wie bei ‚Rheingold‘“

Fatih Akin: „Mir ist noch nie so viel Rassismus entgegengekommen wie bei ‚Rheingold‘“

Ganz schön frech: Mit seinem Film „Rheingold“ über den Rapper Xatar interpretiert der Regisseur Fatih Akin den Nibelungen-Mythos post-migrantisch.

Der Regisseur Fatih Akin.
Der Regisseur Fatih Akin.Benjamin Pritzkuleit

Giwar Hajabi alias Xatar, Rapper und Musikproduzent, wurde als Kind kurdischer Eltern im Iran geboren. Sie flüchten mit ihm Mitte der 1980er-Jahre nach Deutschland. Er wuchs in einer Sozialbausiedlung in Bonn auf, driftete in die Kleinkriminalität ab, bevor er in großem Stil dealte. Als ihm eine Ladung Kokain verloren geht, plant er einen Goldraub, um seine Schulden bei dem Drogenkartell begleichen zu können. Das Verbrechen bringt ihn über Umwege in eine irakische Haftanstalt, später in ein deutsches Gefängnis. Hier nimmt er die Tracks für sein Album „Nr 415“ auf. Beim Gespräch über seinen Film „Rheingold“ (Kinostart am 27. Oktober) sagt Fatih Akin, er habe diese Lebensgeschichte vor allem als Einwanderergeschichte gelesen.

Wenn mir jemand vor ein paar Jahren prophezeit hätte, der goldige Emilio Sakraya aus „Bibi & Tina“ würde einmal überzeugend einen Gangster spielen – ich hätte es nicht geglaubt. Warum haben Sie es denn geglaubt?

Meine Frau hat es geglaubt. Sie macht seit Jahren meine Castings, und wir haben uns früh darüber verständigt, was für ein Film das wird: Machen wir einen dokumentarischem Film, mega authentisch und am besten mit den Rappern, die sich alle selbst spielen, oder ist es glamouröser. Ist es mehr Andi Dresen oder mehr Scorsese.

Sie haben sich eindeutig für Scorsese entschieden.

Genau. Und dann hat Monique die realen Figuren auf glamourös übersetzt. Sie hat eine Liste von Schauspielern gemacht, und da war Emilio dabei. Er war mir vorher schon aufgefallen, nachdem ich ihn in „Four Blocks“ gesehen habe. Die waren alle gut da, aber ihn fand ich am besten. Mit dem muss ich irgendwann mal arbeiten, dachte ich. Aber ich kam im Traum nicht drauf, dass er Xatar spielen soll. Als ich ihn auf Moniques Liste gesehen hatte, sagte ich: Was, der? Der sieht doch viel zu gut aus. Dann habe ich ihn gecastet, und es hat in meinem Kopf klick gemacht.

Wie ist denn der Stoff zu Ihnen gekommen?

Xatar und ich haben gemeinsame Bekannte. Einen Freundeskreis, der sich überschnitten hat. Darum wusste ich viel über ihn, ohne ihn persönlich kennengelernt zu haben. Irgendwann haben wir uns geschrieben. Ich hatte ihn gefragt, ob er mir mal seine Platten schicken kann. Ich weiß nicht mehr genau, ob er mir das Vinyl geschickt und seine Biografie dabei war, oder ob ich seine Biografie schon vorher gelesen hatte. Jedenfalls war ich total fasziniert: Mann, was ist das für ein Leben! Dabei war die nicht mal besonders gut geschrieben. Das war so eine Ghostwriter-Nummer. Aber trotzdem: Das Material war zwischen den Seiten.

Es ist eigentlich erstaunlich, dass da nicht sofort ein Regisseur zugegriffen hat, oder?

Mir hat Xatar gesagt, es hätten Leute danach gefragt, aber er hat ihnen den Zuschlag nicht gegeben. Er hat auf das richtige Angebot gewartet. Auf den richtigen Bittsteller.

Und Sie waren der richtige Bittsteller?

Ich war der richtige Bittsteller. Er konnte es gar nicht glauben, weil er mit meiner Arbeit andere Sachen assoziierte. Er sagte: Das ist doch alles sehr schäbig, was ich mache, du machst doch ganz andere Sachen. Bist du sicher?

Da war er dann bescheiden?

Ja. Er kann auch bescheiden sein. Ich habe ihm gesagt, dass ich in seiner Biografie andere Sachen sehe. Eine große Einwanderungsgeschichte.

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Benjamin Pritzkuleit
Zur Person
Fatih Akin, einer der erfolgreichsten Filmregisseure in Deutschland, wurde 1973 als Sohn türkischer Einwanderer in Hamburg geboren. Seinen Durchbruch hatte er mit dem Film „Gegen die Wand“, für den er 2004 den Goldenen Berlinale-Bären, den Deutschen und den Europäischen Filmpreis erhielt. Sein Film „Aus dem Nichts“ mit Diane Kruger wurde 2018 mit dm Golden Globe ausgezeichnet.

Apropos Einwanderer-Geschichte: Xatar beschreibt sich im Buch als Außenseiter am Gymnasium, die Deutschen nennen ihn Asi. Das haben Sie weggelassen. Dabei ist das ein Thema, das in Einwanderergeschichten sehr oft vorkommt.

Natürlich geht es bei dem Phänomen Xatar um Rassismus. Mir ist auch noch nie so viel Rassismus entgegengekommen wie bei der Arbeit an dem Film. Schon als ich angekündigt habe, ihn zu machen, hieß es: Was? Das ist doch so ein Asi, ein Kanake! Falsches Vorbild! In Bonn habe ich vielerorts keine Drehgenehmigung bekommen.

Könnten das nicht auch Vorbehalte gegenüber einem Kriminellen als Filmhelden sein?

Hätte ich den Film über Dagobert gemacht, wäre das nicht passiert. Auch bei den Dreharbeiten zu „Der Goldene Handschuh“ habe ich das nicht erlebt, obwohl der von einem Frauenmörder handelt. Aber die Diskriminierung in der Schule – das fand ich zu sehr aus so einer Betroffenheitsperspektive heraus erzählt: „Man hat mir keine Chance gegeben und deswegen habe ich es gemacht.“ – So las sich das für mich, und das fand ich zu unterkomplex.

Wie wollten Sie diese Einwanderungsgeschichte stattdessen erzählen?

Ich mache ja Einwanderungsgeschichten, seitdem ich Filme mache. Das ist so eine rote Linie. Mein Thema, keine Ahnung. Das taucht immer wieder auf, weil es mit meiner Herkunft zu tun hat. Ich mache das jetzt seit fast 30 Jahren und habe das Gefühl, dass sich das Land verändert hat. Als ich angefangen habe, Filme zu machen, gab es kaum Schauspieler oder Filmemacher mit Migrationshintergrund. Und heute sind es viele.

Als ich den Abspann mit all den Namen gesehen habe, dachte ich das auch.

Wenn man mit Giwar, also Xatar, durch die Ghettos reist, und zwar egal durch welches Ghetto in Deutschland, in Hamburg, in Berlin in der Nähe vom Flughafen Tegel, kommen die Kids auf die Straße gelaufen, wollen Selfies mit ihm und fragen ihn, wo das Gold ist. Er ist ein Mythos für diese Acht- bis Zehnjährigen. Und ich glaube nicht, weil er das Gold geklaut hat, sondern weil er dafür gesessen und aus dem Gefängnis diese Platte gemacht hat. Ich dachte: Ey, ich habe die Möglichkeit, neue deutsche Mythologie zu machen.

Was muss Ihnen das für einen Spaß gemacht haben, dem Film den Titel „Rheingold“ zu geben, nach der Wagner-Oper, und diesen deutschen Nibelungen-Mythos post-migrantisch zu interpretieren.

Das war die Idee. Wir sind durch Xatars alte Nachbarschaft in Bonn gefahren, er hat er mir sein Gymnasium gezeigt, wo seine Eltern ihn hin verfrachtet haben, ein Gymnasium, wo nur weiße Kids waren, nur Almans, weil es ihnen wichtig war, dass er aus dem Ghetto rauskommt, in eine bessere Schule, und die war eben in Bad Godesberg. Wenn man da durchfährt, kommt man am Drachenfels vorbei. Und Xatar sagte: Das ist übrigens dieses ganze Nibelungen-Zeug. Und ich: Woah, ich nenne den Film „Rheingold“. Da geht es ja auch um verschollenes Gold. Ich habe mir dann die Oper besorgt, die ganze Sekundärliteratur gelesen, Parallelen gebaut. Das hat Sinn ergeben.

Giwar Hajabi alias Xatar, der Regisseur Fatih Akin und der Schauspieler Emilio Sakraya bei der Filmpremiere in Hamburg. 
Giwar Hajabi alias Xatar, der Regisseur Fatih Akin und der Schauspieler Emilio Sakraya bei der Filmpremiere in Hamburg. dpa

Durch Ihren Film ist mir klar geworden, dass die Figuren in der Nibelungen-Saga auch alle Verbrecher sind.

Klar, deutsche Gangster.

Eine der ersten Szenen Ihres Films spielt in einem Konzertsaal in Teheran, westliche Musik wird gespielt, die Frauen sind unverschleiert, tragen westliche Kleidung. Dann kommen Mullahs herein und erschießen eine Frau, die sich ihnen entgegenstellt. Das frappiert einen angesichts der heutigen Lage im Iran, auch wenn Sie beim Drehen gar nichts davon wissen konnten.

Ich habe schon das Buch als etwas sehr Aktuelles begriffen. Ich bin ja ein Gastarbeiterkind, und das ist next generation. Viele von denen sind Flüchtlingskinder. Ich musste an die syrischen Flüchtlinge von 2015 denken. Die Generation meiner Eltern hat dieses Land mitgeprägt und in 20, 30 Jahren werden die Syrer und Afghanen dieses Land prägen. Ich rede von Ärzten, Handwerkern, Kulturschaffenden und überhaupt. Den Rohschnitt habe ich Freunden gezeigt, da war gerade der Ukraine-Krieg losgegangen. Die Reaktion war: Ey, das ist voll aktuell, Flüchtlinge kommen hierher und du zeigst, was aus Flüchtlingen wird. Das ist jetzt wieder ein halbes Jahr her. Und jetzt Iran. Ich glaube, dieser Film ist immer aktuell. Das ist kein Zufall, es ist nicht Zeitgeist oder Momentum. Flucht und Vertreibung werden immer relevant sein.

Mir ist aufgefallen, dass in dem Film öfter ganz selbstverständlich die Frage gestellt wird: Wo kommst du her? Was für ein Landsmann bist du? Das ist ja eine Frage, die in Verruf geraten ist.

Wenn jemand fragt, wo jemand herkommt, empfinde ich das nicht automatisch als rassistisch. Es kommt drauf an, in welchem Zusammenhang das gefragt wird. Das kenne ich aus der Türkei. Man fragt oft: „Aus welcher Stadt bist du?“ Es ist eine der allerersten Fragen, die gestellt wird beim Small Talk. Man fragt das aus einer grundsätzlichen Neugier, aber es hat sich auch eine Ablehnung gegen die Frage entwickelt. Aber wenn ich jetzt sage, ich komme vom Schwarzen Meer und mein Gegenüber kommt auch vom Schwarzen Meer, dann hilft er mir bestimmt mit irgendwas aus. Wenn die Frage im Film gestellt wird, ist das so ein Tribal-Ding. Der Frager will herausfinden, ob der andere von seinem Stamm ist: Ah, du bist auch Kurde. Welches Kurdisch sprichst du? Es ist ein Einordnen des Gegenübers.

Emilio Sakraya als Giwar Hajabi alias Xatar in einer Szene von Fatih Akins Film „Rheingold“.
Emilio Sakraya als Giwar Hajabi alias Xatar in einer Szene von Fatih Akins Film „Rheingold“.Warner Bros

Apropos Kurden, Xatar ist Kurde, seine Freunde sind es.

Und die Mafia im Film auch.

Als Sie „The Cut“ gedreht haben, der den Völkermord an den Armeniern thematisiert, gab es Ärger mit ultra-nationalen Türken. Könnte so was hier auch passieren, weil der Film von Kurden handelt?

Es gibt eine Sorte Faschisten, die gehen die Wände hoch, wenn man von dem Wort kurdisch nur das k benutzt. So eine Form von Faschismus und Rassismus gibt es, und ich glaube nicht mal, dass das eine marginale Gruppe ist. Aber das ist mir egal. Ich bin in diesem Land als eine Minderheit aufgewachsen, und das hat bewirkt, dass ich mich automatisch mit Minderheiten auf der ganzen Welt identifiziere. Ob das Chiapas ist oder die Aborigines, Kurden, Armenier, Uiguren. Jeder Mensch ist irgendwo auf der Welt eine Minderheit.

Der Film ist Ihrem Vater gewidmet. Er ist letztes Jahr gestorben. Was bedeutet er für Sie?

Mein Vater und ich hatten ein sehr enges Verhältnis. Er war der beste Typ der Welt. Der rechtschaffenste, fairste, ehrlichste und loyalste Typ, den ich kenne. Ihm habe ich auch den Zugang zu Xatars Welt zu verdanken. Die haben mich sehr respektiert, weil mein Vater ein Hadsch war. Er war in Mekka. Und Xatar und seine ganze Gang sind Moslems. Religion bedeutet ihnen viel. Mein Vater hat mir da wirklich Türen geöffnet. Da ich die ganzen religiösen Codes aus meiner Kindheit kenne, konnte ich in diese Welt tief eintauchen. Aber das ist nicht der Grund für die Widmung. Filme sind wie Tätowierungen. Die bleiben ewig. Wir sind irgendwann weg, aber die Filme werden in irgendwelchen Mediatheken oder Cinematheken landen. Das wird in 100 Jahren  geguckt. Und jedes Mal, wenn jemand den Film zu Ende guckt und das im Abspann liest, denkt er an meinen Vater und somit an das Leben.