Die Handlung dieses w�hrend des Zweiten Weltkriegs im tiefsten Schwarzwald spielenden Dreiecksdramas ist ungew�hnlich: In „Ende der Schonzeit“, vom SWR als Auftakt 2014 zur Reihe „Deb�t im Dritten“ ausgestrahlt, bittet ein Bauer einen Fl�chtling, seine Frau zu schw�ngern – und die will mehr. Dokumentarfilmerin Franziska Schlotterer erz�hlt die Geschichte �ber ungleiche Machtverh�ltnisse, die einen an sich moralischen Menschen korrumpierbar machen, in n�chternen Bildern; die Hauptdarsteller sind herausragend.
Film und Fernsehen haben wahrlich schon viele Dreiecksgeschichten erz�hlt, aber „Ende der Schonzeit“, das Deb�t von Franziska Schlotterer, ist eine der ungew�hnlichsten. Neudeutsch w�rde man das Abkommen der Beteiligten eine „Win-Win“-Situation nennen. Damals, 1942, sagte man „Eine Hand w�scht die andere“: Der Bauer Fritz gew�hrt dem Juden Albert, der in die Schweiz fl�chten will, Unterschlupf. Der Hof liegt irgendwo im Schwarzwald weit au�erhalb des n�chstes Dorfes, Besuch bekommen Fritz und seine Frau Emma nur selten. Das Ehepaar ist kinderlos, allerdings ungewollt, und weil Landwirtschaft ohne Stammhalter sinnlos ist, hat Fritz eine abenteuerlich anmutende Idee: Albert soll Emma schw�ngern.
Foto: SWR / Eikon S�dwestEine Dreiecksgeschichte mit politischer Dimension. Hobmeier, Wagner & Friedel
Das klingt grotesk, wirkt aber dank Schlotterers Inszenierung wie selbstverst�ndlich. Die mehrfach ausgezeichnete Dokumentarfilmerin schildert die Ereignisse ihres vom SWR als Auftakt zur diesj�hrigen Reihe „Deb�t im Dritten“ ausgestrahlten Spielfilm-Erstlings zwar aus Sicht Alberts (Christian Friedel), doch die faszinierendere Figur ist der wortkarge Fritz. Auch wenn Brigitte Hobmeier bei der internationalen Premiere des Films in Montreal als beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet wurde: Herausragend ist vor allem Hans-Jochen Wagner. Seine Verk�rperung des Bauern verhilft „Ende der Schonzeit“ erst zu jener Plausibilit�t, der die Geschichte ihre Glaubw�rdigkeit verdankt; und das ist nicht blo� eine Frage der Dialoge. Fritz mag ein einfacher und auch etwas vierschr�tiger Zeitgenosse sein, ist aber kein schlechter Mensch. Im Gegensatz zu Emma hat er keinerlei Vorbehalte gegen Albert, blo� weil der Jude ist. Ob es ihm wirklich um den Erben geht oder ob er nur den H�nseleien der anderen M�nner ein Ende setzen will, l�sst das Drehbuch von Gwendolyn Bellmann und Franziska Schlotterer offen. Den Vorgang als solchen betrachtet Fritz leidenschaftslos: Wenn eine Kuh kalben soll, wird ihr ein Stier zugef�hrt. Was die Kuh davon h�lt, das ist dem Bauern egal.
Foto: SWR / Eikon S�dwestEin bisschen Mitleid (mit dem Juden), aber auch viel Eigennutz. Wagner & Friedel
Franziska Schlotterer �ber die Dreharbeiten zu „Ende der Schonzeit“:
„Hilfreich war es, dass wir nicht im Studio, sondern auf diesem wunderbaren alten authentischen Bauernhof gedreht haben. Wir haben alle zusammen f�r f�nf Wochen im Nachbarort gewohnt, kaum einer ist je am Wochenende nach Hause gefahren.So f�hlte es sich an, als ob wir alle irgendwie in unserem Film leben.“
Foto: SWR / Eikon S�dwestEin arbeitsreiches und (wort)karges Leben. Hans-Jochen Wagner, Brigitte Hobmeier
Diese Haltung spiegelt sich auch in Wagners Gesichtsz�gen. Allein seine K�rpersprache deutet an, dass Fritz tief im Innern Empfindungen verbirgt, die niemanden etwas angehen; schon gar nicht seine Frau. Brigitte Hobmeier hat die interessanteste Rolle des Trios, denn Emma entdeckt die Wonnen der k�rperlichen Liebe. In den entsprechenden Szenen bleibt Schlotterer indes jenem Stil treu, der den gesamten Film pr�gt. Die langen, unaufgeregten Einstellungen verraten die Dokumentaristin und m�gen auch mit dem Budget zu tun haben, passen aber perfekt zur Geschichte und bieten zudem die M�glichkeit, den Schauspielern in aller Ruhe bei ihrer formidablen Arbeit zuzuschauen. Diskret zieht sich Bernd Fischers Kamera gemeinsam mit Fritz aus dem Schlafgemach zur�ck, als Albert erstmals zur Tat schreitet; winzige Momente gen�gen, um sp�ter zu verdeutlichen, dass er den Vorgang im Gegensatz zum grobschl�chtigen Fritz nicht blo� als Zeugungsakt betrachtet. Prompt will Emma mehr.
Das Drehbuch bettet den entstandenen Hauptstrang in eine lange R�ckblende. Der Film beginnt 1970 in Israel: Ein junger Mann (Max Mauff) sucht seinen Vater. Geschickt z�gern die Autorinnen hinaus, was sich erst sp�t als eigentliches Motiv entpuppt: Gleich zwei der Hauptfiguren nutzen die historischen Rahmenbedingungen, um Rache zu nehmen. F�r Schlotterer erz�hlt „Ende der Schonzeit“ ohnehin das System des „Dritten Reichs“ im Kleinen. Sie will am Beispiel der Dreiecksgeschichte „die verheerenden Auswirkungen beschreiben, die die NS-Dikatur auf die zwischenmenschlichen Beziehungen hatte.“ Aus ihrer Sicht sind die drei Hauptfiguren „Gefangene ihrer Situation“. Darin liegt der Reiz des Films: dass alle Beteiligten wie Opfer wirken, sich aber jeder auf seine Weise schuldig macht.
Foto: SWR / Eikon S�dwestDie B�uerin Emma l�sst sich von dem Juden begatten. Danach wird vieles anders...
Tilmann P. Gangloff ist seit 1985 freiberuflicher Fernseh- und Filmkritiker f�r Tageszeitungen und Fachzeitschriften, seit 1990 regelm��iges Mitglied der Jury f�r den Grimme-Preis sowie Mitglied diverser anderer Fernsehpreisjurys.