Literatur: Nehmen wir einfach mal an, den Teufel gibt es wirklich - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Literatur
  4. Literatur: Nehmen wir einfach mal an, den Teufel gibt es wirklich

Literatur Der neue Knausgård

Nehmen wir einfach mal an, den Teufel gibt es wirklich

Literarischer Korrespondent
Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård
Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausgård
Quelle: Dominik Asbach
Hier können Sie unsere WELT-Podcasts hören
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.
Was, wenn all unsere Mythen und Jenseitsvisionen wahr wären und das Totenreich gleich um die Ecke liegt? In „Das dritte Königreich“ spielt Karl Ove Knausgård dieses Gedankenexperiment radikal durch und betrachtet den Tod aus allen Perspektiven.

Zuerst die gute Nachricht. Der neue Knausgård ist der bislang schmalste seiner aktuellen Roman-Serie über Gott und die Welt, Leben und Sterben, Tod und Teufel. „Der Morgenstern“ hatte knapp 900 Seiten, „Die Wölfe aus dem Wald der Ewigkeit“ dann rund 1050. „Das dritte Königreich“ begnügt sich nun mit 650. (Es folgen allerdings noch zwei weitere Bände; der vierte ist im Herbst in Norwegen erschienen.)

Jetzt die schlechte Nachricht. Oder vielleicht sagen wir besser: die „böse“? Der neue Band ist der bislang finsterste der Reihe. Er rückt ins Zentrum, was im ersten Band schon vorbereitet wurde und nach Knausgårds Selbstauskunft ein Entstehungskern für das neue Großprojekt war: einen unfassbar grausamen Ritualmord an den Mitgliedern einer Black-Metal-Band. Der Stoff geht auf ein reales Verbrechen in der norwegischen Metal-Szene zurück; 1993 ermordete der Musiker und Burzum-Gründer Varg Vikernes den Gitarristen der Band Mayhem, Euronymus.

Karl Ove Knausgård lässt im Roman drei Teufelsanbeter einer Bergener Band in einem satanistischen Opferfest zugrunde gehen; die Kriminalpolizei ermittelt, kommt aber nicht voran. Dämonische Mächte können nicht ausgeschlossen werden. Das schockierende Verbrechen liefert einen Cliffhanger der verschlungenen, wie zu Serien-Episoden gefügten Handlung.

Es ist zugleich der negative Gegenpol zu den Parallelstorys rund um jenen unerklärlichen neuen Stern am Himmel, der zu bewirken scheint, dass niemand mehr stirbt. (Selbst dann nicht, wenn sich einer mit der Schrotflinte erschießt.) Schwarze gegen weiße Magie, wenn man so will. Wie das Ringen zwischen Gut und Böse ausgeht, das werden wir erst in ein paar Jahren wissen.

Man muss mindestens den ersten „Morgenstern“-Band gelesen haben, will man der Geschichte folgen. Den zweiten Band, der in die 1980er-Jahre zurückführt und in seinem zweiten Teil fast komplett in Russland spielt, nicht unbedingt. Aber „Das dritte Königreich“ greift die verwickelten Fäden des an wenigen Sommertagen in Bergen spielenden ersten Teils wieder auf, erzählt sie aber aus anderen Perspektiven, stellt weitere Links her. Das Schicksal von Arne und seiner an einer bipolaren Störung erkrankten Künstlerfrau Tove etwa wird nun aus ihrer Sicht erzählt, einschließlich der Stimmen, die sie hört und die ihr unheimliche Befehle erteilen. (An die umgebrachten Kätzchen der Kinder erinnern wir uns noch mit Grauen.)

Lesen Sie auch

Es ist nicht das einzige Mal, dass Knausgård den technischen Schwierigkeitsgrad zusätzlich erhöht, als wolle er zeigen, dass ihm erzählerisch nichts unmöglich ist. Sogar in die Perspektive des bereits hirntoten, dann auf unerklärbare Weise wiederbelebten Schlaganfallpatienten denkt sich Knausgård hinein, nachdem er zuvor lange die Denkweise des Neurologen erkundet hat, der sich aus wissenschaftlicher Sicht mit dem rätselhaften Fall befasst.

Der Roman ist als literarische Form bekanntlich ein Omnivor, ein Allesfresser, und Knausgårds mit Mystery- und Horrorelementen angereicherter Essayismus ist das Paradebeispiel dafür: Hirnforschung, Theologie, Philosophie, Kriminalwissenschaft, Kunst und Musik – jeder denkbare Blickwinkel auf das Thema Tod wird aufgegriffen.

Was den Roman wie schon seine Vorgängerbände dennoch regelrecht soghaft lesbar macht, ist gerade ihre Normalität, die in jeder einzelnen Figur an die Alltagsschilderungen der „Min Kamp“-Bände erinnert, auch wenn diesmal nichts direkt autobiografisch ist. Während damals die Banalität des Lebens mit der künstlerischen Berufung kollidierte (der tägliche „Kampf“ eben um die Rettung der Einzigartigkeit des Werks); so ist es nun das außergewöhnliche Phänomen des Todes, das auf unterschiedlichste Weise in diese Durchschnittsbiografien einbricht.

Erst indem der Tod aller Kreaturen für ein paar Tage aufgehoben (oder aufgeschoben?) wird, werden die Menschen sich ihrer Sterblichkeit als Grundbedingung ihres Seins bewusst. So enthält der Roman auch das Ehedrama zwischen der an ihrem Glauben verzweifelnden Pfarrerin Kathrine und dem engagierten, aber langweiligen Lehrer Gaute; die Midlife-Crisis des Polizisten Geir, der sich zwischen zwei Frauen nicht entscheiden kann; die psychischen Probleme und Angststörungen einer Teenagerin, die wegen ihrer tiefen Stimme gemobbt wird, und noch vieles, vieles mehr.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.
Anzeige

Dass Knausgård nichts Menschliches fremd ist, wissen wir. Dass ihm auch das Übermenschliche und Übersinnliche vertraut ist, zeigt er mit jedem neuen Band des Zyklus, der von einem einfachen Gedankenexperiment ausgeht: Was, wenn all die Mythen, Ängste, Träume, Visionen wahr wären, das Totenreich kein kulturgeschichtlicher Topos, sondern gleich um die Ecke, der Teufel kein Wahn, sondern ein äußerst mächtiger Akteur wäre. Und die Überwindung des Todes eine Eilmeldung in den Nachrichten.

Dann würden beispielsweise die Beerdigungsunternehmen Umsatzprobleme bekommen – Karl Ove Knausgård hat in diesem faszinierenden Werk schlicht an alles gedacht.

Karl Ove Knausgård: „Das dritte Königreich“. Aus dem Norwegischen von Paul Berf. Luchterhand, 656 Seiten, 28 Euro.

An dieser Stelle finden Sie Inhalte von Drittanbietern
Um eingebettete Inhalte anzuzeigen, ist deine widerrufliche Einwilligung in die Übermittlung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten notwendig, da die Anbieter der eingebetteten Inhalte als Drittanbieter diese Einwilligung verlangen [In diesem Zusammenhang können auch Nutzungsprofile (u.a. auf Basis von Cookie-IDs) gebildet und angereichert werden, auch außerhalb des EWR]. Indem du den Schalter auf „an“ stellst, stimmst du diesen (jederzeit widerruflich) zu. Dies umfasst auch deine Einwilligung in die Übermittlung bestimmter personenbezogener Daten in Drittländer, u.a. die USA, nach Art. 49 (1) (a) DSGVO. Mehr Informationen dazu findest du hier. Du kannst deine Einwilligung jederzeit über den Schalter und über Privatsphäre am Seitenende widerrufen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema