Filmwertung: |
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| 5/10 |
Vom jungen Piercingstudiobesitzer und Kampfsportler zum Filmemacher – dank dem ungewöhnlichen autodidaktischen Werdegang wird Tarek Ehlail hier und da sogar als „ungeschliffener Rohdiamant“ inmitten der öden heimischen Filmlandschaft gehandelt. Nach drei Filmen und einigen Interviews kommt man zu dem Schluss:
Ehlail nimmt sich filmisch genau das vor, was sich Punks, Links- und Rechtsradikale sowie leicht überdrehte Fussballfans fürs Wochenende vornehmen – eine große Schlägerei. Und kriegerische Zwecke heiligen alles? Wie bereitwillig man sich auch darauf einlässt, kommt nach dem in seiner Übernommenheit fast quälenden Überfluss vor allem das eine Adjektiv in den Sinn – hohl.
Ehlails neuester Film „Volt“ ist zunächst politisch relevant ausgestattet. Die dystopische Handlung spielt im Deutschland einer nahen Zukunft. Als Spätfolgen der Flüchtlingskrise, so heißt es, herrscht Politik der totalen Segregation. Die Ausgrenzung der Dazugekommenen ist in der Inszenierung vor allem eine räumliche, im Hinblick auf etwa die Herkunft der Figuren und auch sonst ist sie jedoch nicht immer nachvollziehbar. Man sieht ein Stück Zaun, hinter dem die Bewohner einer Transitzone angeblich mitten im Nirgendwo an der deutschen Grenze gehalten werden. Man sieht brennende Mülltonnen, an denen Hände gewärmt werden; man sieht Baugerüste und klirrende Metallstangen, auf denen große Stoff- und Plastikfetzen als Raumtrennung flattern. Wasser kommt aus Zisternen, Süßes wird hereingeschmuggelt. Das Ganze unterlegt mit schweren Beats.
Als Gegenpart – umzäunte Wohnkomplexe für die heimische Mittelschicht, die man in der Todesstille und Betonkälte dieser Welt nie zu Augen bekommt. Frauen sieht man außer den wenigen dramaturgisch bedingten Ausnahmen ohnehin so gut wie gar nicht.
Es ist hier ganz klar eine Männerwelt, ein „erlebnisorientiertes“ Kino. In „Volts“ Krisenszenario hasst man sich und jeder misstraut dem anderen. Ganz wichtig im Zentrum – die Polizei als die Zone der hohen Intensität zwischen denjenigen, deren Befehle sie exekutieren, und denjenigen, die damit nicht einverstanden sind. Ehlail erklärt in seinem Regiekommentar, dass man in einem Zusammenhang wie diesem sich entscheiden müsse, auf welcher Seite man steht. Dabei spricht er gern von „oben“ und „unten“. Sein erster Langfilm „Chaostage – We Are Punks!“ von 2007 handelte ebenfalls von Polizeigewalt. In „Gegengerade – Niemand siegt am Millerntor“ von 2011 ist ihre Darstellung so absurd brutal und im selben Zuge so schleimig melodramatisch, dass nicht nur zahlreiche unschuldige FC St. Pauli-Fans zu Schaden kommen, sondern auch der von Mario Adorf gespielte arme Imbissbetreiber von nebenan.
Volt heißt auch der Hauptprotagonist, der in dem aktuellen Film der Polizeigewalt ein Gesicht verleiht. Gespielt von Benno Fürmanns durchtrainierten Körper ist er ein knallharter Einzelgänger, eine einzige Häufung von Superlativen: die harten Linien erstarren zu einem Ausdruck, die Körperhaltung – ohne wenn und aber. Als ergänzende Milieuzeichnung haut Volts Freund und Polizeikollege Torsun (Sascha Alexander Geršak) irgendwie ständig voller Wut und Verbissenheit einen beispielhaft knappen Wortschatz heraus, samt rassistischen Wortbildungen, die längst aus dem Sprachverkehr verschwunden sind. Die ebenfalls angestaubten Krawallfilm-Klischees drängen das durch das Voiceover angekündigte politische Thema zunehmend aus dem Frame heraus: Metall und Schweiß schimmern, die Bierschlucke gehen schwer und laut den Hals hinunter, das Kunstblut fließt beim Duschen langsam aus der Wunde in den Abfluss.
Die eigentliche Geschichte des Films zündet sich an der Szene, als Volt den Flüchtling Hesham bei einer Razzia im Affekt tötet.
Er verweigert es, sich zum Geschehenen zu bekennen, und das Land – so heißt es – steht infolge dieser Gewalttat am Rande des Bürgerkrieges. Volt – von Schuldgefühlen in zusätzliche Spannung versetzt – geht nun „auf die andere Seite“, nach „unten“, findet die Schwester des von ihm Ermordeten, gibt ihr einen dicken Stapel in Folie umhüllter Geldscheine. „Kanntest du ihn, und woher?“ – Volt verschwindet. Er rast an der dampfenden Industrielandschaft, an den Lichtern eines Kraftwerkes vorbei und einmal will er sich mit seinem Motorrad gar kaputtfahren. Eine zu weit ausgeholte Geste ist es, aber warum auch nicht. In der folgenden Nacht fährt er denselben Weg wieder dahin und nimmt das quasi verdiente Recht auf sexuelle Annäherung an die schöne Unwissende in Anspruch. Die auf einen Schlag prüde gewordene Kamera filmt den Geschlechtsverkehr durch den zart wehenden Schleier hindurch – die schlimmsten Filme sind vielleicht die verlogenen Filme. Als sie die Wahrheit erfährt, wird sie ihn in ihrem weiblichen Hass nur anspucken können. Der Raskolnikow-Volt soll „in seiner Schuld verrecken“.
Doch woher seine Reue kommt, bleibt auch am Ende genauso nebelhaft wie die Ursache seiner anfänglichen Verbitterung. Hier, aber auch schon bei „Chaostage“ und „Gegengerade“ fragt man sich permanent: warum tun die Figuren das, was sie tun? Und warum sehen wir das, was wir sehen? Dies hat nichts mit Unwahrscheinlichkeit oder falscher Authentizität zu tun, so wie diese Kategorien für das Kino ohnehin kein Gebot sein können. Das Problematische hat mit der inneren Logik der Filme zu tun, die nicht zu funktionieren scheint.
Wie absurd es auch klingen mag: Ehlail macht Filme, deren Handlungen klischeehaft durchschaubar, zugleich jedoch schier verwirrend und schlecht nachvollziehbar sind. Als Ausgleich das Typische: reichlich In-die-Fresse-Hauen, harte Sprüche und Sex. Und immer diese Beats, immer dieses metallische Geklirre auf der Tonspur. Das nervt: ein Film, der sich zu einem ausgedehnten Musikvideo macht.
Und übrigens: wer sich doch für „Volt“ entscheidet, kann sich auf Youtube leicht das passende Zusatzprogramm verschaffen. Bei den von Tarek Ehlail und Co. organisierten Sabotakt Boxpartys darf jeder, wer sich traut, dem anderen zu Livemusik auf die Fresse hauen.
Fazit: Eine nicht funktionierende, halbgare Geschichte. „Volt“ haut auf die harten Bretter, statt sie zu bohren.
by Olga Baruk