Nichts schützt eine hochgestellte Persönlichkeit so zuverlässig vor einem Anschlag wie Anonymität. Wenn Attentäter nicht wissen, wo sich ihre Zielperson befindet, können sie ihr auch nichts antun. Man muss also nur in der Menge verschwinden, um sicher zu sein. Theoretisch ist diese Überlegung richtig; aber in der Praxis kann sie sich als tödlicher Fehler erweisen.
Am 16. März 1792 kostete genau dieser Gedanke Gustav III. von Schweden das Leben. Der König hatte am späten Nachmittag dieses Freitags eine dringende Warnung empfangen: Der abends angesetzte Maskenball werde sich als tödliche Falle erweisen. Doch Gustav ignorierte den Hinweis. Er glaubte, auf dem Maskenball werde er in seinem Kostüm schon nicht identifiziert und sei daher nicht gefährdet.
Doch der König bedachte dabei gleich mehrere Punkte nicht. Erstens war er aufgrund seiner Körpergröße unter den Maskierten stets zu erkennen. Zweitens legten Vertraute, Diener und Gäste größten Wert darauf zu wissen, wo im Ballsaal der Monarch sich gerade aufhielt. So nahm im Stockholmer Opernhaus ein Geschehen seinen Lauf, das leicht zu verhindern gewesen wäre.
Am späten Abend nämlich umringten plötzlich einige schwarz maskierte Männer den Monarchen. Einer trat auf den König zu und sagte zu ihm: „Guten Abend, welch schöne Maske.“ Der vermeintlich höfliche Gruß war in Wirklichkeit ein Judaskuss, ein verabredetes Zeichen: Der ihn aussprach, gehörte wohl dem schwedischen Hochadel an, und der, an den sich der Gruß eigentlich richtete, war nicht der König, sondern ein 29-jähriger ehemaliger Offizier der königlichen Garde namens Jacob Johan Anckarström, der hinter dem Monarchen stand.
Im nächsten Moment riss Anckarström wie auf Befehl eine Pistole hoch, drückte ab und traf Gustav III. in den Rücken. Der König sank nieder; angeblich rief er noch auf Französisch: „Ich bin verletzt! Verhaftet ihn!“
Doch dazu kam es nicht. Denn die schwarz maskierten Verschwörer zerstreuten sich und verstärkten die sofort losbrechende Panik im Opernhaus, indem sie laut „Feuer. Feuer“ riefen. Zwar konnte die Garde rasch die Ausgänge blockieren, doch bei keinem der anschließend durchsuchten Gäste fand sich eine Waffe. Dafür lagen zwei Pistolen in der Nähe des Tatorts auf dem Boden.
Vorerst wurde kein Täter festgenommen, aber ihr Ziel hatten die Verschwörer dennoch nicht erreicht: Der König war schwer verwundet, aber noch nicht tot. Immerhin führten die beiden Waffen rasch auf die Spur des Attentäters: Anckarström hatte sie nur zwei Wochen zuvor reparieren lassen, so dass eine Befragung aller Waffenschmiede in der schwedischen Hauptstadt genügte, den Täter zu ermitteln.
Die unzureichende Medizin kostete Gustav III. schließlich doch das Leben; er starb 13 Tage nach dem Attentat. Er war ein König mit zwei Gesichtern: einerseits fortschrittlich, andererseits als überzeugter absolutistischer Monarch radikal gegen jede Einschränkung seiner Herrschaft. Durchaus treffend hat man ihn als „aufgeklärten Despoten“ bezeichnet.
Geboren 1746 als ältester Sohn des gewählten schwedischen Thronfolgers Adolf Friedrich, befand sich der 25-jährige Prinz in Paris, als sein Vater 1771 starb. Bevor Gustav die Königswürde übernehmen durfte, musste er sich gegenüber dem schwedischen Reichsrat verpflichten, die bestehende Verfassung zu achten.
Das hatte er allerdings nicht vor. Im Gegenteil wollte er die schwedische Gesellschaft von der Dominanz des Hochadels befreien und stattdessen eine absolutistische Herrschaft etablieren. Binnen eines guten Jahres hatte Gustav die etablierten Verhältnisse zu seinen Gunsten umgestürzt und eine neue Verfassung durchgesetzt, die dem bisher übermächtigen Reichsrat nur mehr beratende Funktionen beließ.
Der Aufklärung verpflichtet wie etwa auch Friedrich II. von Preußen oder Kaiser Joseph II. in Wien, modernisierte Gustav III. Schweden stark. Die Wirtschaft florierte, Wissenschaft, Bildung und Kunst förderte der König durch die Gründung der Schwedischen Akademie, die Todesstrafe wurde faktisch abgeschafft und der König bemühte sich, ganz im Stil der Zeit, ein eigenes Kolonialreich zu errichten.
Allerdings griff er gegen den erklärten Willen des Reichsrates 1788 Russland an (übrigens ohne großen Erfolg) und versuchte, Norwegen zu erobern. Die Französische Revolution gefährdete indirekt auch seine Herrschaft, sodass er sich 1790 zum Friedensschluss genötigt sah.
Die Janusköpfigkeit Gustavs III. erklärt, dass er einem Mörder zum Opfer fiel, der offenbar an die Ideale der Französischen Revolution glaubte, dem aber ausgerechnet eine Gruppe erzkonservativer, rückwärtsgewandter Aristokraten die Gelegenheit zum Anschlag verschafft hatte. Die Verschwörer kamen nie dazu, ihre politischen Vorhaben umzusetzen; im Gegenteil: Anckarström verriet unter der Folter zwar keine Namen, gab aber dennoch Hinweise auf seine Hintermänner. Daraufhin wurden einige erklärte Gegner Gustavs festgesetzt und zu langjährigen Strafen verurteilt, darunter ein General und ein hoher Hofbeamter.
Der Attentäter selbst wurde mit formeller Genehmigung des neuen Monarchen, Gustavs 13-jährigem Sohn Gustav IV. Adolf, zum Tode verurteilt und am 27. April 1792 grausam auf dem Rad hingerichtet. Der Henker zerschlug dem Mörder jeden Knochen und köpfte ihn; welcher Teil der Strafe zuerst kam, stellten die zeitgenössischen Berichte abweichend dar. Die Familie Anckarström änderte ihren Namen und nannte sich fortan Löwenström.
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