Babelsberger Visionäre: Die Defa und ihre Kameramänner

Babelsberger Visionäre: Die Defa und ihre Kameramänner

Filme zu drehen ist Teamwork, trotzdem kennt man vor allem die Namen der Regisseure. Nun widmet sich das Potsdamer Filmmuseum den Defa-Künstlern an der Kamera. 

Die Berliner Jugend lungert auf dem Gendarmenmarkt herum.„Jahrgang 45“ von Jürgen Böttcher. Die Kamera führte Roland Gräf.
Die Berliner Jugend lungert auf dem Gendarmenmarkt herum.„Jahrgang 45“ von Jürgen Böttcher. Die Kamera führte Roland Gräf.Tammo Walter

Zeitraffer, Kranfahrten, Untersichten, Überblendungen: Die ersten Minuten von Wolfgang Staudtes „Der Untertan“ gehören zu den Inkunabeln der deutschen Filmgeschichte. Mit dieser gewagt trickreichen Exposition verdichtete die Heinrich-Mann-Verfilmung 1951 die Konditionierung eines deutschen Kleinbürgers vom Säuglingsalter bis zum Kommiss. Ohne Kameramann Robert Baberske wäre diese Leistung allerdings undenkbar. Dass heute kaum jemand seinen Namen kennt, weist auf Leerstellen hin. Allzu oft wird der Anteil der Gewerke jenseits des Regiestuhls vernachlässigt. Schon kürzlich wurde an dieser Stelle auf dieses Manko hingewiesen. Es passt gut, dass jetzt im Filmmuseum Potsdam eine kleine Reihe auf den oft nicht gebührend wahrgenommenen Beitrag der Defa-Kollegen hinter den Kameras fokussiert.

Die Initiatoren Peter Badel und Hans Hattop – selbst viele Jahre in Praxis und Lehre des Bildermachens aktiv – wählten drei Filme aus drei Dekaden aus, anhand derer die maßgeblichen Anteile der visuellen Gestaltung am Gesamtkunstwerk Film nachvollzogen werden können. „Der Untertan“ sollte zum Auftakt am 3. Mai laufen. Es folgen „Der Fall Gleiwitz“ von Gerhard Klein (1960, Kamera Jan Čuřík) und „Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“ von Siegfried Kühn (1973, Kamera Roland Dressel).

Die Zusammenstellung ist auch in der Hinsicht aufschlussreich, dass alle drei Werke während und nach ihrer Entstehung in unsicheres kulturpolitisches Fahrwasser gerieten. Dem „Untertan“ wurde im Neuen Deutschland die Vernachlässigung der Arbeiterklasse vorgeworfen, dem „Fall Gleiwitz“ sogar „Ästhetisierung des Faschismus“. Vom „Zweiten Leben ...“ wurden wegen „verzerrender Darstellung der Arbeiterklasse“ nur drei Kopien gezogen, die ohne jede Werbung in vereinzelten Studiokinos anliefen.

Die Filmauswahl verdeutlicht ein weiteres Ungleichgewicht: das Fehlen von Kamerafrauen. Wofür die beiden Kuratoren nichts können – es gab bei der Defa keine explizit weibliche Bildgestaltung. Was wiederum ein globales und systemübergreifendes Symptom reproduziert. Bis auf Schnitt, Dramaturgie, Buch, Kostümbild war das Filmemachen eine fast ausschließlich männliche Domäne. Dem vermeintlich „schwachen Geschlecht“ wurde schlicht das Tragen der schweren Ausrüstung nicht zugetraut und stillschweigend das nötige handwerkliche Vermögen insgesamt abgesprochen.

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In der DDR änderte sich dieses Missverhältnis ab Mitte der Siebziger langsam. Nach der Etablierung des zweiten Fernsehprogramms stieg das Produktions- und Sendevolumen sprunghaft an. Woraus sich ein höherer Personalbedarf auch hinter den Kameras ergab. Die „Hochschule für Film und Fernsehen“ in Potsdam-Babelsberg (HFF) steigerte daraufhin ihre Immatrikulationszahlen, öffnete sich für mehr weibliche Bewerbungen, dies allerdings mit nachfolgender Arbeitsplatzbindung in der Adlershofer Sendezentrale. Nebenbei: Bis Mitte der 1990er-Jahre erhielten HFF-Absolventinnen ihre Diplomurkunden noch mit der Berufsbezeichnung „Kameramann“.

Die Utopie einer ostdeutschen Nouvelle Vague

In den Kontext der Wechselbeziehungen zwischen Regie und Kamera bei der Defa fällt auch die Aufführung von Jürgen Böttchers einzigem Spielfilm „Jahrgang 45“. Die wundersame, fast schwebende, dabei doch auch existenzialistische Geschichte um einen jugendlichen Aussteiger wurde im Rahmen des 11. Plenums der SED (1965) kurz vor der Fertigstellung verboten.

An der Kamera stand damals Roland Gräf, der später selbst zu einem der wichtigsten Defa-Spielfilmregisseure wurde. Erst bei seiner allzu späten Premiere im Herbst 1990 konnte sich die komplexe Schönheit dieses zwischen dokumentarischer Beobachtung, szenischer Improvisation und strenger Komposition changierenden Werks entfalten. Die (gescheiterte) Utopie einer ostdeutschen Nouvelle Vague lebt heute noch in seinen Bildern fort.

Kameraleute der Defa und ihre Bildideen. Bis 5. Mai, jeweils um 18 Uhr. „Jahrgang 45“, in Anwesenheit von Regisseur Jürgen Böttcher, am 7. Mai um 19 Uhr. Alle Veranstaltungen finden im Filmmuseum Potsdam statt.