DDR-Führung: Betreutes Wohnen Wandlitz - WELT
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Betreutes Wohnen Wandlitz

Hauptsache, es gab Kasseler: Wie Erich Honecker und seine Polit-Honoratioren hausten

Noch vor allen politischen Ämtern und Privilegien verlor Erich Honecker 1989 seine Enkeltochter Mariana, die als Zweijährige an einer Viruserkrankung starb. Der Staatsratsvorsitzende der DDR war damals selbst schon todkrank und unfähig, den Zerfall des Systems zu begreifen, das er nur um wenige Jahre überleben würde. Sein Leibwächter Bernd Brückner erinnert sich, dass Marianas Tod beide Großeltern sehr getroffen habe. Margot Honecker habe ihre Trauer mehr auf die Familie übertragen; "Erich versorgte das Grab und war dort oft für sich. Das war für ihn ein Ritual. Er pflanzte und pflegte alles selbst, besorgte Blumen, er ließ da niemanden ran."

Doch ganz privat waren in der DDR auch die privatesten Momente nicht, nicht einmal die ihres Staatsratsvorsitzenden. Natürlich war seine Leibwache dabei, und das war wohl auch gut so. Honecker nämlich, so Brückner, habe "im Vertrauen darauf, dass es in seinem Staat keine Kriminalität gibt, an Marianas Grab eine herrliche große Kristallvase aufgestellt". Und natürlich sei die Vase gestohlen worden: "Die Protokollabteilung besorgte sofort eine neue Vase und stellte sie wieder auf das Grab, aber immer wenn Erich Honecker den Friedhof verlassen hatte, wurde sie sofort im Büro des Friedhofs eingeschlossen. Und wenn er wiederkam, riefen wir die Friedhofsverwaltung an: ,Achtung, Erich Honecker kommt.""

Es gibt also nicht nur Potemkinsche Dörfer, sondern auch Honeckersche Vasen. Was aber könnte absurder sein, als ein Sicherheitsapparat, der am Ende - sei es aus Angst vor dem Zorn des Chefs, sei es aus Mitgefühl - einem traurigen alten Mann eine heile Welt vorgaukelt. Hier tritt einer jener Widersprüche zu Tage, die der Sozialismus doch überwinden sollte - der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Sein, in dem keine Kristallvase unbewacht bleiben durfte, und dem Schein einer Deutschen Demokratischen Republik, deren fortschreitende Erfolgsgeschichte nach Meinung Honeckers weder Ochs noch Esel hätte aufhalten dürfen.

Da die Rede von gesellschaftlichen Widersprüchen zum rhetorischen Repertoire des Sozialismus gehört, dient der Blick in die Privatsphäre der DDR-Nomenklatur keineswegs nur der Befriedigung des üblichen Prominenten-Voyeurismus. Er gibt auch Eindrücke davon, wie ein Leistungskurs in Orwellschem "doublethink" aufgebaut sein sollte. Das Politbüro hat es uns dabei einfach gemacht, indem es sich selbst in der gut überschaubaren Wandlitzer Waldsiedlung einmauerte.

Das erinnert an jene Drittwelt-Potentaten, die bei Auslandsreisen alle Konkurrenten mitnehmen, um sie stets im Auge zu behalten, und so ähnlich war es wohl auch gedacht. Man sollte dort unter Aufsicht sein und sich gegenseitig beaufsichtigen. Man muss deshalb wohl lange Jahre dort als Butler oder als Hausangestellte gedient haben, um sich darüber zu ärgern, dass das Politbüromitglied Günter Hager 1989 sagte, man habe in der Waldsiedlung "wie in einem Ghetto gelebt". Gewiss lebte man in einem Ghetto, nur war dieses Ghetto eben das Sahnehäubchen der DDR: kein goldener, doch ein recht kommoder Käfig.

Ihrer Struktur nach ähnelte die Waldsiedlung einem Sanatorium oder einer vergleichbaren Anstalt für höher gestellte Gäste. Von einer Mauer umgeben, gab es dort einen so genannten Innenring, in dem von 1960 bis 1989 bis zu 23 Familien von Politbüromitgliedern lebten, während das Wach- und Dienstspersonal im daneben liegenden äußeren "Ring" untergebracht war. Die Funktionäre lebten in Einzelhäusern und konnten, wenn sie sich nicht zu Hause bekochen ließen, im eigenen Club essen; auch standen ihnen Sporteinrichtungen und eine Verkaufstelle für den gehobenen sozialistischen Bedarf zu Verfügung. Technisches Personal, Werkstätten und vom Sekretär für Wirtschaft, Günter Mittag, organisierte Westimporte sorgten dafür, dass keine Wünsche offen blieben.

Man könnte die Waldsiedlung aus heutiger Sicht als einen Extremfall betreuten Wohnens bezeichnen, bei dem die Wünsche der Insassen Befehlen gleich kamen. In Wandlitz wurde ein funktionierender Sozialismus simuliert. Dabei gab es schon Ansätze zu einer sozialistischen Thronfolgeregelung, bei der Kinder und Enkelkinder Vorschussprivilegien beanspruchten: "1989, gegen Ende der DDR, stellten wir fest", erinnert sich der langjährige Butler von Wandlitz, Gerd Schmidt, "dass Kinder der Politbüromitglieder nicht nur für persönliche Zwecke in unseren Verkaufsstellen einkauften, sondern mit den Produkten auch schwungvollen Handel betrieben." Der kalte Hauch der Marktwirtschaft wehte den Oberen der DDR am Ende selbst aus der eigenen Familie entgegen.

Leider geht aus den ausführlichen Interviews, die Thomas Grimm mit den Gärtnern, Chauffeuren, Köchen, Haushälterinnen und Wachleuten von Ulbricht, Mielke, Honecker und Konsorten geführt hat, nicht klar hervor, womit diese solche Sonderbehandlung verdient zu haben glaubten. Deutlicher wurde der ehemalige "Kanzlerspion" Günter Guillaume, der sein privilegiertes Dasein in der DDR gegenüber seinem Sohn Pierre damit rechtfertigte, es "gebe schließlich eine ,Vorhut der Arbeiterklasse", die mit einem ganz anderen Bewusstsein und einem viel höheren persönlichen Einsatz am Aufbau des Sozialismus mitwirke".

Manche Tiere sind eben gleicher als andere, und das muss belohnt werden. Doch neben einem "ganz anderen Bewusstsein" zählten auch Wachsamkeit und Voraussicht zu den Tugenden, die viele Insassen der Waldsiedlung auszeichneten. Die vollendete Synthese dieser Tugenden verkörperte der ungeliebte "Papa" Willi Stoph, der laut Aussage seiner Untergebenen nicht zuletzt deshalb "am meisten Aufwand gekostet hat", weil er sich in Birkenheide einen eigenen ausgedehnten Familiensitz errichten ließ, auf dessen Obstplantagen und in dessen Gewächshäusern das Wach- und Gartenpersonal oft noch zusätzliche Frondienste leisten musste.

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Eine Kristallvase hätte sich Papa Stoph nicht mal vom eigenen Grab weg klauen lassen, denn er "zählte manchmal sogar die Äpfel an den Bäumen, um festzustellen, ob es einen Diebstahl durch den Personenschutz gegeben habe". Ja, das Bewusstsein des langjährigen Ministerratsvorsitzenden, dessen jüngster Sohn schlicht "Prinz" genannt wurde, erfasste selbst Früchte, die es noch gar nicht gab. Während seine Orangen-, Zitronen- und Mandarinenbäumchen noch im Wandlitzer Winterquartier dem Sommer entgegenstrebten, "zählte ,Papa" die Blüten und sagte zu seiner Frau: ,Sage denen im Gewächshaus Bescheid, soundso viele Orangen, Mandarinen und Zitronen müssen im Frühjahr dran sein"", erinnert sich die Gärtnerin Karin Grünberg.

Knapper und besser kann man die DDR-Planwirtschaft wohl kaum beschreiben. Knapper und besser kann man auch nicht erklären, warum die wenigen Importe, die sie erwirtschaften konnte, für die meisten DDR-Bürger Mangelware blieben. Dabei sollte man nicht übersehen, dass die DDR-Oberen auf einem nach westlichen Maßstäben eher bescheidenen Niveau privilegiert waren. Die Häuser in Wandlitz entsprachen eher westdeutschem Prokuristenstandard als etwa dem eines Sylter Zweitdomizils. Und "dieser Kognak aus dem Westen", den es im Funktionärslädchen für 12 Ostmark zu kaufen gab, war ein "Jacobi 1848" - kein schlechter Weinbrand, aber eben keine Renommier- oder Luxusmarke.

Als nach der Wende die Pforten der Wandlitz-Siedlung und anderer zuvor abgeschirmter "Objekte" fürs breitere Volk geöffnet wurden, machte sich deshalb Enttäuschung breit, die man auch als heilsame Ernüchterung sehen kann. Selbst der Luxus der Spitzenfunktionäre war unverkennbar "Marke DDR", oder mit Butler Schmidt zu reden: "Der eigentliche Luxus in der Waldsiedlung ergab sich aus der Möglichkeit, andere Dinge zu kaufen, als es dem normalen DDR-Bürger vergönnt war."

Ist ein Mensch, dem alle Wünsche erfüllt werden, bescheiden zu nennen? "Das wichtigste war", erinnert sich der Koch Jürgen Krause, "dass wir für den Genossen Honecker immer Schnittchen parat hatten, die mit Thüringer Wurst belegt waren." Und natürlich Kassler in allen seinen Erscheinungsformen, denn Kassler war Honeckers Lieblingsessen. Seinen schlichten Geschmack hat er sich bis an sein Lebensende bewahrt, und sein schlichter Verstand half ihm dabei, dies als Bescheidenheit auszulegen.

Als öffentliche Person erschien Honecker, von seiner Manie für Hüte abgesehen, als ausgesprochen anspruchsloser und wenig ansprechender Zeitgenosse, auch wenn von ihm launige Bemerkungen verbürgt sind. Die eine bezog sich auf seine nie vollendete Ausbildung zum Dachdecker und lautete: "In diesem Beruf hat man einen guten Überblick." Die andere soll einmal auf der Leipziger Messe gefallen sein, wo er eine Schrankwand mit integriertem Klappbett mit "Ideen muss man haben!" kommentiert haben soll.

Als Privatmann jedoch hatte der Staatsratsvorsitzende ein eher feudales Hobby, das er mit mehreren seiner Genossen vom Politbüro teilte - die Jagd. Der stille, hölzerne und immer irgendwie verklemmt wirkende Mann an der Spitze der DDR-Führung zog sich am liebsten in die ausgedehnten Staatsforsten der Schorfheide zurück. Dort machte er Radtouren, suchte Pilze, die er aber nie aß, oder er schoss mit einer seiner "vielleicht vierzig oder sechzig Jagdwaffen" bevorzugt auf Hirsche, wobei er sich mit Günter Mittag bisweilen richtige Wettkämpfe lieferte, deren Opfer die Abschussbücher mit bis zu zwölf Geweihträgern pro Jagdtag beziffern.

Es wäre vielleicht kein schöner, aber irgendwie doch ein menschlicher Zug, wenn Honecker als begeisterter Jäger erscheinen würde, als ein Mann, der in der Natur aus sich herausging und Zeichen von Leidenschaft zeigte. Doch auf dem Titelbild von Grimms Band, wo selbst der fischblütige Spitzbart Ulbricht einmal verschmitzt lacht, schaut Erich Honecker so säuerlich aus seiner Jägerkluft, dass man mit ihm ganz allein schon einen Schwarm Krähen vergrämen könnte. Auch Honeckers "private" Jagdausflüge im Anschluss an Sitzungen des Politbüros waren Staatsaktionen, für die zuletzt ein Range-Rover und ein Mercedes als Jagdwagen ausgerüstet wurden: "Wir bestellten das Personal, die Fahrer, die Sicherungsleute, die Jagdtechnik, die Forstleute", erinnert sich deren Organisator: "Außerdem organisierten wir die Jagdverpflegung. Da wurden in der Waldsiedlung spezielle Pakete gepackt, nicht zu vergessen das berühmt-berüchtigte Kassler für Erich Honecker."

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Die bescheidenen Jagdausflüge des Genossen E. H. glichen bewaffneten Ausbrüchen aus der Waldsiedlung, wo man, wie der Leibwächter Brückner sagt, so "verschanzt" lebte wie man sich dann in seinen jagdlichen "Freizeitobjekten eingebunkert" habe. Nun gibt es viele Arten von Jagd, und die Staatsjagd gehört nicht gerade zu den sympathischsten, weil die weidmännische Leistung und Fähigkeit der Schützen dort oft ungekehrt proportional zur Größe ihrer Trophäen ist. Thomas Grimm weist darauf hin, dass Honecker im August 1989, als sich die Prager Botschaft schon mit seinen ausreisewilligen Landsleuten füllte, den größten Hirsch geschossen habe, der jemals in der Schorfheide erlegt worden sei. Wie stets wird er dabei weiträumig abgesichert gewesen sein, abgeschirmt von denselben Leuten, die auch über die Kristallvase fürs Grab seiner Enkelin wachten. Ob der eher mundfaule Honecker seinen Jagerfolg kommentiert hat, ist nicht überliefert, doch wäre dies die fast letzte Gelegenheit für eine seiner launigen Bemerkungen gewesen. "Glück hat auf die Dauer eben nur der Tüchtige", hätte er sagen können - und so selbst den Papa Stoph in Sachen "ganz anderes Bewusstsein" am Ende noch um eine Büchsenlänge geschlagen.

Thomas Grimm: Das Politbüro privat. Aufbau, Berlin. 263 S., 17,90 EUR

Thomas Grimm / Ed Stuhler: Die Honeckers privat. Parthas, Berlin. 96 S., 18 EUR. Erscheint demnächst.

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