Quer durch den Olivenhain | Kritik | Film | critic.de

Quer durch den Olivenhain – Kritik

Verirrt und trotzdem nicht verloren. Abbas Kiarostami lässt sich von einem Ort und seinen Bewohnern entführen.

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Der Weg zu gedanklicher und darstellerischer Klarheit muss nicht unbedingt der direkte, einfache sein. Ganz im Gegenteil, manchmal braucht es Umwege, Sackgassen und unnötig scheinende Zwischenschritte, Verzweigungen, Irrwege und komplizierte Konstruktionen, um etwas klar und deutlich auszudrücken. Das mag unserem naturwissenschaftlichen Denken zuwiderlaufen, über dem Ockhams Rasiermesser baumelt wie Damokles’ Schwert, aber im ästhetischen Bereich ist manchmal der umständliche Weg der einzig richtige. Selbst dann, wenn er letztlich nirgendwo hinführt.

Mit seinen drei Filmen, die in und um das nordiranische Bergdorf Koker angesiedelt sind, hat sich Abbas Kiarostami vor mehr als zwanzig Jahren auf solch eine artistische Irrfahrt begeben, sicherlich zu Anfang angetrieben von dem Wunsch, etwas herauszufinden und uns Zuschauern mitzuteilen über das einfache, wirkliche Leben. Herausgekommen ist allerdings das Tryptichon einer Landschaft voller Pfade, die sich verzweigen, und eines Lebens, das dem Filmemacher stets mindestens einen Schritt voraus ist, in alle Richtungen. Ein symbolisches Bild, das Kiarostami in allen drei Filmen liefert und das als ihr Emblem bezeichnet werden kann, ist das der Zick-Zack-Linie, einer Straße, die vielleicht irgendwohin führt, aber niemals auf direktem Wege.

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In Wo ist das Haus meines Freundes? (Khane-ye doust kodjast?, 1987) verirrt sich ein Junge aus Koker auf der Suche nach dem Haus eines Klassenkameraden im Nachbardorf wie in einem Labyrinth sinnlos verlaufender Gänge, stürzt aus seiner flachen, hierarchisch geregelten Welt in die dritte Dimension wie Alice in die Kaninchenhöhle. Dann, ganz wirklich, wurde die Region um Koker 1990 von einem katastrophalen Erdbeben heimgesucht, und Kiarostami kehrte ein Jahr später dorthin zurück. Und das Leben geht weiter (Zendegi va digar hitch, 1991) erzählt von der Suche eines Regisseurs nach den jugendlichen Schauspielern seines letzten Films. Sind sie noch am Leben? Und wie kann das Leben weitergehen nach der Apokalypse? Gemeinsam mit seinem Sohn zuckelt Kiarostamis Alter Ego in einer gelben Klapperkiste über die von Bergungsarbeiten und Erdrutschen nahezu unpassierbaren Straßen, der Film gleitet dabei ohne bemerkenswerte Brüche von der Fiktion in die Dokumentation, zeigt die Widerständigkeit des Lebens und lauscht den Menschen, wie sie sich der Vergangenheit stellen und der Zukunft widmen. Am Ende hat der Regisseur weder den Helden seines Films wiedergefunden, noch hat er es zurück bis Koker geschafft. Aber trotzdem war die irrende Reise alles andere als erfolglos.

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Wiederum drei Jahre später tritt ein zweites Alter Ego Kiarostamis auf die Bühne. Quer durch den Olivenhain (Zire darakhatan zeyton, 1994) zoomt in eine Phase der Dreharbeiten von Und das Leben geht weiter, entblättert anhand einer einzigen Szene, die einfach nicht gelingen will, unzählige sich beim Filmemachen mit Laiendarstellern überlagernde Schichten der Wirklichkeit, all die Konflikte, die sich aus der Arbeit mit echten Menschen zum Zwecke einer darstellenden Illusion ergeben. Es ist ein kleines Drama im Off, jener Welt außerhalb des Bildkaders (sowohl außerhalb des Bildes innerhalb der fiktiven Welt als auch außerhalb der Fiktion selbst, weil in der Wirklichkeit des Sets), die im fertigen Film stets zum Verschwinden kommt.

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In Und das Leben geht weiter lehnt der Regisseur in einer Szene an der Außenseite eines Hauses, zu seiner Rechten steigt eine Treppe steil empor und aus dem Kader heraus. Oben, für den Zuschauer unsichtbar, unterhalten sich erst ein Mann und seine frisch angetraute Frau, dann kommt der Mann herunter und spricht mit dem Regisseur über die Erdbebenopfer in seiner Familie, während er sich auf der Treppe sitzend die Schuhe schnürt. Quer durch den Olivenhain nun ist die Geschichte dieses fiktiven Ehepaars. Denn für die Dörfler, die ganz anderen Traditionen und Zwängen unterworfen sind als die aus den Städten angereiste Filmcrew und die ihr wirkliches Leben nicht widerstandslos für einen Künstlerfilm zurechtbiegen wollen, ist „Schauspielen“ und das damit verbundene Lügen und Heucheln nicht problemlos machbar. So zeigt uns Kiarostami diesmal das Off der ersten Einstellung, den Balkon, auf dem sich das Ehepaar trifft und der zur Bühne abseits der Bühne wird für die möglicherweise wesentliche Geschichte.

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Es ist eine Geschichte unmöglicher Liebe und der Klassenunterschiede, die sich mit der Fiktion überlagert und die Take um Take unbrauchbar macht. Hossein (Hossein Rezai), der Mann in oben erwähnter Einstellung, ein mittelloser Maurer, ist auch in Wirklichkeit in seine Filmehefrau Tahereh (Tahereh Ladanian) verliebt. Ihre Familie, eher wohlhabend und standesbewusst, verbietet die Ehe jedoch kategorisch, und so schweigt die Dame ihren Freier erst einmal konsequent an, egal ob die Kamera läuft oder nicht. Der Film fächert in solchen On-/Off-the-record-Alterationen mannigfaltige Beziehungen zwischen der Macht und Ohnmacht von Fiktion, zwischen Starrsinn und Veränderbarkeit des wirklichen Lebens, zwischen Dorf und Stadt, Gestaltungswillen und Kompromissbereitschaft auf. Einmal beispielsweise entschuldigt sich Hossein für seine rüde Haltung gegenüber Tahereh, wenn die Kamera läuft: Das sei nur gespielt, sollte sie ihn wirklich heiraten, dann werde er sie ehren und gut behandeln. Die Fiktion liefert der Wirklichkeit ein Beispiel, einen Bezugspunkt, um sich wie in einem Zerrspiegel zu betrachten und zu überprüfen.

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Man könnte etwas Resignatives an diesem Film abzulesen versuchen, etwa, dass man immer unzählige Geschichten nicht erzählen kann, wenn man sich nur einer widmet, und dass diese unerzählten, ungesehenen Geschichten vielleicht auch die spannenderen, erhellenderen sein könnten. Aber nein, nichts läge Kiarostami ferner als eine solche Diagnose, denn man kann ja das Versäumte nachholen, die Kamera schultern und losziehen. Der Ruf zum Filmemachen hört wohl so lange nicht auf, wie die Welt, so sie sich denn einmal um das Nadelöhr der Linsenöffnung krümmt, uns in ihre (Ge-)Schichten eindringen lässt. Um dieses kleine schwarze Loch geht ein Sog, der die Welt ins Wirbeln bringt, und ein kluger Regisseur wie Kiarostami macht mehr als nur eine Rotation mit. Die Koker-Filme sind ein Glücksfall in artistischer Hartnäckigkeit und Sensibilität, denn hartnäckig sind sie insofern, als Kiarostami nicht locker lassen wollte von einem Ort und seinen Menschen, aber auch sensibel, weil er sich selbst immer wieder von ihnen hat packen und berufen lassen.


Trailer zu „Quer durch den Olivenhain“


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