„Black Friday for Future“: Star-Regisseur Éric Toledano im Interview
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„Black Friday for Future“: Star-Regisseur Éric Toledano im Interview

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Olivier Nakache und Éric Toledano.
Olivier Nakache und Éric Toledano: Ihr Film „Black Friday for Future“ läuft in den Kinos. © Éric Toledano / Spirit - Ein Lächeln im Sturm

Interview mit dem französischen Filmemacher über seine neueste Tragikomödie „Black Friday for Future“, Klimaaktivist:innen und die Zusammenarbeit mit seinem ziemlich besten Freund Olivier Nakache.

Frankfurt – Sie sind ziemlich beste Freunde: Éric Toledano, geboren am 3. Juli 1971 in Paris, und Olivier Nakache, geboren am 14. April 1973, in Sureness, kennen sich seit ihrer Jugendzeit. Gemeinsam inszenierten und schrieben sie schon diverse Kurzfilme und Teile der Comedy-Serie „Samedi soir en direct“ (2003/2004). Der Durchbruch kam 2005 mit dem Spielfilm „Zwei ungleiche Freunde“, indem Gérard Depardieu und Jean-Paul Rouve in den Hauptrollen glänzten.

2011 sollte dann der sensationelle Erfolg von „Ziemlich beste Freunde“ das Leben der selbigen verändern. In Frankreich avancierte der Film nach seiner Veröffentlichung mit über 19,2 Millionen Zuschauern zur erfolgreichsten inländischen Produktion des Jahres. Das weltweite Einspielergebnis betrug über 426 Millionen US-Dollar. Bei der 37. César-Verleihung im Februar 2012 ging die auf einer wahren Geschichte basierende Tragikomödie um einen querschnittsgelähmten Millionär (gespielt von François Cluzet) und seinen neuen Pfleger (Omar Sy) mit neun Nominierungen ins Rennen. Omar Sy gewann die Auszeichnung als „Bester Hauptdarsteller“. Überdies wurde der Geniestreich für einen Golden Globe als „Bester fremdsprachiger Film“ sowie den BAFTA Award in der Sparte „Bester nicht-englischsprachiger Film“ nominiert.

Nach „Heute bin ich Samba“ (2015), „Das Leben ist ein Fest“ (2017), „Alles außer gewöhnlich“ (2019) und der Dramaserie „In Therapie“ (2021 – 2022) läuft nun „Black Friday for Future“ in den Kinos. Die Komödie handelt von zwei Männern, die von den Annehmlichkeiten profitieren, die sich für sie durch den Kontakt mit einer Gruppe von Klimaschutzaktivistinnen und -aktivisten bieten.

Olivier Nakache und seine Schwester, die Schauspielerin und Filmemacherin Géraldine Nakache, sind übrigens Nachkommen von Geschwistern des algerisch-französischen Schwimmers und Wasserballspielers Alfred Nakache (18. November 1915 in Constantine - 4. August 1983 in Cerbère), der als einziger Sportler an Olympischen Spielen vor sowie nach einer Gefangenschaft im KZ Auschwitz teilnahm. FR-Autor Marc Hairapetian unterhielt sich per Videocall mit dem im Auto sitzenden Éric Toledano, der zusammen mit Olivier Nakache zu einem Termin nach Italien reiste.

Interview mit Éric Toledano über „Black Friday for Future“

Marc Hairapetian: Warum stimmen die deutschen Titel Ihrer Filme mit den französischen nicht überein? Aus „Intouchables“, was übersetzt „Die Unberührbaren“ heißt, wurde 2011 hierzulande „Ziemlich beste Freunde“. Und aus „Une année difficile“ – „Ein schwieriges Jahr“ – nun „Black Friday for Future“ …

Éric Toledano: Ich finde, dass die Titel unserer Filme aus Ihrem Land gut sind. Sie sind sogar besser als unsere französischen! Olivier und ich vertrauen da einfach unserem deutschen Verleiher. „Ziemlich beste Freunde“ bringt doch das Verhältnis zwischen François Cluzet und Omar Sy auf den Punkt, während „Black Friday for Future“ vielleicht spektakulärer als „Ein schwieriges Jahr“ klingt.

Dabei ist doch gerade die Anfangssequenz von „Black Friday for Future“ so witzig, wenn Sie mit einer Montage aus Neujahrsansprachen diverser französischer Präsidenten beginnen, die alle betonen, wie schwierig das alte Jahr war oder das kommende sein wird.

Durch die stete Wiederholung wollten wir zeigen, wie abgedroschen dieser Satz ist, der nichts Konkretes aussagt. Sie, als eingefleischter Cineast, finden deshalb wohl auch den französischen Filmtitel besser. Für die breite Masse in Deutschland, die von uns eine Komödie erwartet, mag er vielleicht etwas zu ernst klingen.

Sie und Olivier Nakache sind die Meister der zeitgenössischen Tragikomödie! Bei allem Humor haben Ihre Filme auch immer Tiefe. 

Merci für das schöne Kompliment!

Am Anfang machen Sie sich lustig über die übereifrigen Klimaaktivist:innen, die Ihre beiden von Pio Marmaï und Jonathan Cohen gespielten Protagonisten Bruno und Albert im Glauben rekrutieren, dass sie von ihren Zielen vollauf überzeugt sind. Am Ende zeigen sie die Klimaaktivist:innen als eigentliche Held:innnen. Haben Sie sich selbst schon mal von der „Black Friday for Future“-Bewegung und Klima-Engagierten belästigt gefühlt, wenn Sie – wie jetzt – im Auto saßen und durch ihre Protestaktionen auf den lahmgelegten Straßen nicht weitergekommen sind?

Natürlich sind wir durch sie auch schon aufgehalten worden. Doch die Erkenntnis, dass sie sich für erstrebenswerte, geradezu zwingend notwendige Dinge einsetzen, hat sie nicht gleich zu Helden für uns gemacht. Das braucht tatsächlich etwas Zeit – wie bei Bruno und Albert. Wir versuchten im Film, die zwei mittlerweile verhärteten Fronten der heutigen Gesellschaft zu zeigen. Das ist wie mit Plus und Minus, wo am Ende Null herauskommt, wenn man sich nicht auf konstruktive Weise nähert, sondern nur übereinander herfällt. Da ist zum einen der Großteil der Menschen, der durch bedachten oder unbedachten Überkonsum diesen Planeten und seine Ressourcen ausbeutet. Und da ist Bewegung der jungen Leute, die mit immer weniger leben wollen und sagen: „Weniger ist am besten!“ Am wichtigsten ist, dass das Publikum einen Weg findet, sich auf die Probleme und Themen einzulassen. Bewusst fangen wir immer sehr weit entfernt von der Hauptthematik an – hier der unbestreitbare Klimawandel. Albert und Bruno sind zu Beginn von einer ernsthaften Auseinandersetzung darüber meilenweit entfernt, auch weil sie mit eigenen Sorgen wie ihren Schulden beschäftigt sind. Wir zeigen ihren inneren Wandel nur ganz langsam. Zuerst sind Olivier und ich nur Fotografen, die die Situation abbilden: Hier die Leute von „Black Friday for Future“, da diejenigen, die sie stoppen wollen. Im Laufe des Films avancieren wir erst zu einem Regie-Duo, das aufschlüsselt, was hinter diesen Bildern steht.

Ihre zwei Protagonisten sind zuerst sehr selbstsüchtig. Sie benutzen die Klimaaktivist:innen nur für Ihre eigenen Vorhaben wie der Schuldentilgung, wo sie ins Finanzamt eindringen und dilettantisch versuchen, dort alles mit etwas Tipp-Ex wieder für sie in Ordnung zu bringen. Am Ende erinnern sie mich an Don Quijote und Sancho Panza, die gegen die Windmühlen des Lebens kämpfen und für das Gute eintreten – in diesem Fall den Klimaschutz. Stimmen Sie mit mir überein?

Ich kann Ihrer Analogie total zustimmen. Allerdings ist die von uns gezeigte Bewegung im Film nicht so groß wie in amerikanischen Filmen, wo zudem der böse Junge immer komplett zum guten Kerl wird. Bei unseren Protagonisten bewegt sich zwar etwas in ihren Hirnen, doch ein Teil der Selbstsucht bleibt ihnen noch erhalten.

Éric Toledano und Olivier Nakache.
Éric Toledano und Olivier Nakache. © Carole Bethuel/2023 ADNP – TEN CINEMA - GAUMONT - TF1 FILMS PRODUCTION - QUAD+TEN

Das Regie-Duo Éric Toledano und Olivier Nakache

Wie teilen Sie sich die Regie auf? Sind Sie immer zusammen am Set?

Natürlich, aber es ist uns peinlich darauf zu antworten, weil unsere Regieaufteilung nicht wirklich interessant ist. Olivier und ich lernten uns als Teenager kennen und haben ein sehr spezielles Verhältnis zueinander. Bei unserem Inszenierungsstil geht es quasi um unsichtbare Dinge, wo wir selbst nicht verstehen wollen, wie es funktioniert, eben deshalb, weil es auch ohne Absprachen und Erklärungen so gut funktioniert. Wir sind sehr unterschiedlich. Jeder hat gute und schlechte Seiten – und die bringen wir auch in unsere Arbeit ein. An unserer Gegensätzlichkeit halten wir fest. 

Wir mögen keine Neutralität. Wir könnten nicht die Schweiz sein. Die Schweiz ist kein Land für uns. 

Éric Toledano

Bei all Ihrem Understatement kann man Sie mit Fug und Recht als Regie-Traumpaar bezeichnen!

Wir sind ein Duo, wo jeder seinem Platz hat. Es ist aber nicht so, dass wir uns die Arbeit 50 zu 50 Prozent im Schneideraum aufteilen. Manchmal schreien wir uns an. Es gibt große Diskussionen. Das Ziel ist aber bei uns beiden immer das Gleiche: Wir wollen die Leute berühren. Und wir wollen sie dazu motivieren, ihre bisherige Wahrnehmung zu reflektieren und vielleicht zu ändern. Konkrete Beispiele aus unseren Filmen sind, wie man auf autistische Leute blickt und fortan mit ihnen umgeht oder ob man sein Konsumverhalten nicht mal überdenken will. Wir mögen keine Neutralität. Wir könnten nicht die Schweiz sein. Die Schweiz ist kein Land für uns. 

Ich mag die Verwendung der Musik in ihren Filmen. In „Black Friday for Future“ ist die Sequenz mit den Klimaaktivist:innen, deren Aktion auf dem Flughafen aus dem Ruder zu laufen scheint, zu den The-Doors-Klängen von „The End“ superb und das Ende, wenn Bruno und seine große Liebe, Klimaaktivistin Kaktus, zu Jacques Brels „ La valse à mille temps“ tanzen, so charmant. Ist bei Ihnen zuerst die Musik da, zu der Sie die Szenen inszenieren, oder fügen Sie sie diese im Nachhinein hinzu?

Nochmals danke. Es ist unterschiedlich. „La valse à mille temps“ war beispielsweise zuerst da. Der „Tausendtaktwalzer“ passt mit seiner Musik und dem Text perfekt zu unserer Geschichte der Gegensätze, bei der man sich mit neuen Situationen auseinandersetzen muss und ein auch auf den ersten Blick sehr unterschiedliches Paar wie der leichtlebige Bruno und die allem Kommerz abschwörende Kaktus am Ende zusammenkommt. Tanzen ist immer eine gute Darstellung von Lebensgefühlen. „The End“ hingegen fiel uns erst beim Drehen der Szene ein, wo die Bewegung unserer Klimaaktivist:innen tatsächlich am Ende zu sein scheint. Ein wahrlich schwarzer Freitag für sie. Deshalb passt, was Jim Morrison schon vor über einem haben Jahrhundert sang: „This is the end, beautiful friend. This is the end, my only friend. The end of our elaborate plans. The end of everything that stands. The end. No safety or surprise. The end. I‘ll never look into your eyes again.“ Das ist bei allen Untergangsgedanken so kraftvoll! Nach Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ war es quasi unmöglich, die Rechte für den Song zu bekommen. Gitarrist Robby Krieger hat sie Anfang 2023 an den New Yorker Verlag Primare Wave Music für eine uns unbekannte Summe verkauft. Auch wir nennen die Summe nicht, die wir für die Verwendung von „The End“ zahlen mussten. Das war sie uns aber wert. Die wundervolle Piano-Version von „White Nights“ stammt übrigens vom deutsch-schweizerischen Duo Grandbothers. Das hat uns deutlich weniger gekostet. (lacht)

Es gibt bei „Black Friday for Future“ zwar ein Happy End. Doch wenn Noémie Merlant und Pio Marmaï auf den ansonsten leeren Straßen von Paris tanzen, während ihnen die Menschen von den Balkonen aus zusehen und applaudieren, erinnert das an die Corona-Zeit.

Es ist die Corona-Zeit, in welcher unser Film noch gedreht wurde! Es heißt auch an einer Stelle, dass die Gebete der Klimaaktivist:innen erhört worden wären. Wenn der Mensch diese Ziele schon nicht umzusetzen vermag, ist die Natur selbst am Zug. Sie sind übrigens der Erste, der dies in Gesprächen mit uns gesagt hat. Es wäre schön, wenn noch mehr darauf gekommen wären.

Welcher Film hat Sie selbst am meisten inspiriert?

Der im Auto hinter Éric Toledano sitzende Olivier Nakache schaltet sich nun ein: „Good Bye ,Lenin!“, finde ich ganz großartig. Die äußerst doppelbödige Geschichte einer Frau, die im Oktober 1989 ins Koma fällt, die darauffolgenden Umbrüche „verschläft“ und nach Wiedererwachen von ihrem Sohn in der Illusion gehalten wird, sie lebe nach wie vor in der „alten“ DDR, ist so witzig wie berührend von Wolfgang Becker inszeniert. Katrin Sass und Daniel Brühl spielen fantastisch!

Éric Toledano: Da wir gerade durch Italien mit dem Auto fahren, muss ich unbedingt die Tragikomödie „Wir waren so verliebt“ von Ettore Scola mit Stefania Sandrelli, Nino Manfredi, Stefano Satta Flores und dem großen Vittoria Gassman nennen. In wehmütigem Ton und mit komödiantischen Szenen erzählt er, als lange Rückblende über drei Jahrzehnte, vom Leben und den enttäuschten Jugendhoffnungen dreier politisch links stehender Männer und der zwischen ihnen befindlichen Frau. Hast du irgendwelche Einwände Olivier?

Olivier Nakache: Nicht im Geringsten. Manchmal ziehen sich auch unsere Gegensätze an …!

Interview: Marc Hairapetian

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